Title: Meyers Konversationslexikon Band 15
Author: Various
Release Date: November 1, 2003 [EBook #10223]
Language: German
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Talleyrand-Périgord
Périgord, geb. 12. März 1811, seit dem Tod seiner Mutter, der Herzogin von Kurland (gest. 19. Sept. l862), Herzog von Sagan; sein Bruder ist Alex andre Edmond, Marquis von T.-Périgord, geb. 15. Dez. 1813, durch Zession seines Vaters Herzog von Dino und seit dem Tod seiner Mutter Besitzer der Herrschaft Deutsch-Wartenberg in Schlesien, die er 1879 an den ehemaligen preußischen Minister Friedenthal verkaufte. Der Gründer der dritten Linie war Louis Marie Anne, 1788 französischer Gesandter zu Neapel; dessen vierter Bruder, Alexandre Angélique, geb. 16. Okt. 1736, widmete sich dem geistlichen Stand, ward 1777 Erzbischof von Reims und mußte 1791 auswandern, begleitete als Beichtvater den nachmaligen König Ludwig XVIII. nach Mitau und später nach England. Nach der Restauration wurde er zum Pair, 1817 zum Erzbischof von Paris und Kardinal erhoben. In dieser Stellung übte er großen Einfluß auf die Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse, starb jedoch schon 20. Nov. 1821. Chef der dritten Linie ist jetzt Charles Angélique, Graf von T.-Périgord, geb. 8. Nov. 1821, er war 1862 bis 1864 französischer Gesandter zu Berlin, 1864-69 in Petersburg.
Talleyrand-Périgord (spr. tall'rang-perigör), Charles Maurice, Prinz von T., Fürst von Benevent, berühmter Diplomat, geb. 13. Febr. 1754 zu Paris, wurde, obschon erstgeborner Sohn, wegen einer Fußlähmung zum geistlichen Stand bestimmt. 1780 ward er zum Generalagenten des Klerus in Frankreich und 1788 zum Bischof von Autun ernannt. Als Mitglied der Nationalversammlung von 1789 stimmte er 19. Juni 1789 für die Vereinigung des geistlichen Standes mit dem dritten, ward 16. Febr. 1790 Präsident, trug auf feste Besoldung der Geistlichkeit, Abschaffung der Zehnten, Verkauf der geistlichen Güter und Einführung gleichen Maßes und Gewichts in ganz Frankreich an und entwarf einen freisinnigen Unterrichtsplan. Beim Bundesfest 14. Juli 1790 hielt er auf dem Marsfeld das Hochamt am Altar des Vaterlandes, leistete als einer der ersten den Eid auf die Konstitution und weihte die ersten konstitutionellen Priester. Infolge davon vom Papst Pius VI. 1791 mit dem Bann belegt, legte er sein Bistum nieder. 1792 des Royalismus verdächtigt, entfloh er nach Nordamerika, wo er Handelsgeschäfte trieb. Nach dem Sturz der Schreckensherrschaft kehrte er 1795 zurück. Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (1797) übernahm er auf kurze Zeit das Ministerium des Auswärtigen. Er schloß sich jetzt Bonaparte an, half diesem nach seiner Rückkehr von Italien beim Staatsstreich vom 18. Brumaire (1799), übernahm das Portefeuille des Auswärtigen und war seitdem Napoleons kluger diplomatischer Ratgeber. Die Friedensunterhandlungen von Lüneville, Amiens, Preßburg, Posen und Tilsit leitete er vornehmlich; auch das Konkordat, durch welches 1802 der Katholizismus in Frankreich wiederhergestellt ward, war größtenteils sein Werk. Zum Dank dafür entband ihn Papst Pius VII. von den geistlichen Weihen und erteilte seiner Zivilehe mit Madame Grant die kirchliche Legitimation. Nach Errichtung des Kaiserthrons ernannte ihn Napoleon zum Großkämmerer von Frankreich und 1806 zum souveränen Fürsten von Benevent. Zwar erhob ihn Napoleon noch im August 1807 zum Vizegroßwahlherrn (vice-grand-électeur) und nahm ihn 1808 mit nach Bayonne und Erfurt; doch war T. gegen die unaufhörlichen Eroberungskriege, fiel deshalb in Ungnade, verlor seinen Ministerposten und zog sich 1808 auf sein Landgut Valençay zurück. Nach der Katastrophe in Rußland trat er in geheime Unterhandlungen mit den Bourbonen und betrieb nach dem Einrücken der Verbündeten in Frankreich ihre Restauration. Als Ludwig XVIII. die Regierung angetreten, wurde T. zum Fürsten, Pair, Oberkammerherrn und Minister des Auswärtigen ernannt. Die glänzendsten Triumphe diplomatischer Kunst feierte er auf dem Kongreß zu Wien, wo er sich durch das von ihm erfundene Prinzip der Legitimität zum Mittelpunkt aller Verhandlungen machte. Mit außerordentlicher Gewandtheit verwirrte er die Interessen der Mächte und ermüdete den Kongreß, um ihn desto sicherer zu beherrschen und für Frankreich die möglichst größten Vorteile zu erlangen. Schon hatte er 5. Jan. 1815 Österreich und England für ein geheimes Bündnis mit Frankreich gegen Rußland und Preußen gewonnen, als Napoleons Rückkehr diesen Umtrieben ein Ende machte. Ein Versuch Napoleons, T. wieder für sich zu gewinnen, mißlang, und als jener darauf den Fürsten in die Acht erklärte, rächte sich dieser dadurch, daß er die Ächtung Napoleons bei den Verbündeten aufs eifrigste betrieb. Nach der zweiten Restauration übernahm T. aufs neue das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zugleich mit der Präsidentschaft im Ministerium, legte aber sein Amt noch vor dem zweiten Pariser Frieden nieder, da die reaktionäre Hofpartei ihn als Revolutionär verabscheute und bekämpfte. Der König beider Sizilien schenkte ihm 1816 das Fürstentum Dino; doch übertrug T. den Titel eines Herzogs von Dino schon 1827 auf seinen Neffen, den Herzog Edmond, der ihn seinem zweiten Sohn, Alexandre Edmond, vererbte. Nach Karls X. Thronbesteigung (1824) zog sich T. nach Valençay zurück. In der letzten Zeit der Restauration gehörte er in der Pairskammer zur Opposition und war auch an der Julirevolution nicht unbeteiligt. Er riet, um seine Meinung befragt, Ludwig Philipp zur Annahme der Krone. Auch ging er als Botschafter nach London, wo er eine Verständigung über die griechische und belgische Frage zu stande brachte. Die Unterzeichnung der Quadrupelallianz 1834, durch welche zunächst im europäischen Westen das konstitutionelle Prinzip aufrecht erhalten werden sollte, war sein letztes diplomatisches Werk. Er lebte fortan zurückgezogen in Valençay, wo er 17. Mai 1838 starb. Sein Gelst und sein schlagfertiger, feiner Witz in der Unterhaltung, seine kurze, treffende Ausdrucksweise sind berühmt. Eine Menge glücklicher Wendungen werden von ihm überliefert und sind geflügelte Worte geworden. Die bekannteste (freilich nicht zuerst von T. herrührende) ist, daß dem Menschen die Sprache gegeben sei, um seine Gedanken zu verbergen. Sehr bequem, verstand er vortrefflich die Kunst, andre für sich arbeiten zu lassen. Egoist im höchsten Grad, war er, von der Sucht nach Gold abgesehen, fast ohne alle Leidenschaften, verstand es aber vortrefflich, andrer Leidenschaften für sich auszubeuten. Sein auf 18 Mill. Frank sich belaufendes Vermögen vermachte er größtenteils seiner Nichte, der Herzogin von Dino. Von seinen hinterlassenen Memoiren ist bisher nur ein Auszug ("Extraits des mémoires du prince T.", Par. 1838, 2 Bde.) veröffentlicht. Seine Korrespondenz mit Ludwig XVIII. während des Wiener Kongresses gab Pallain (Par. 1881, 2 Bde.; deutsch von Bailleu, Leipz. 1887), "Lettres inédites de T. à Napoléon 1800-1809" (Par. 1889) Bertrand und die "Correspondance diplomatique de T. La mission de T. à Londres en 1792" Pallain (das. 1889) heraus. Vgl. Pichot, Souvenirs intimes sur T. (Par. 1870).
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Tallien - Talmud.
Tallien (spr. talliâng), Jean Lambert, franz. Reolutionsmann, geb. 1769 zu Paris, war beim Ausbruch der Revolution Advokatenschreiber, wurde 10. Aug. 1792 zum Generalsekretär des neugebildeten revolutionären Gemeinderats ernannt, Ende d. J. in den Nationalkonvent gewählt, gesellte sich hier zu der Bergpartei und drang auf die Verurteilung und Hinrichtung des Königs ohne Aufschub und Appellation an das Volk. Am Tag der Hinrichtung Ludwigs wählte ihn der Konvent zum Präsidenten. Im April 1793 ging er als Konventsdeputierter nach den aufrührerischen westlichen Departements und veranlagte dort zahlreiche Hinrichtungen. Durch seine stürmische Beredsamkeit trug er im Mai viel zum Sieg der Bergpartei über die Girondisten bei. Vom Konvent nach Bordeaux gesandt, um die der Guillotine Entflohenen ausfindig zu machen, ließ er sich dort durch die Frau v. Fontenay (s. unten), die er im Gefängnis kennen lernte, und zu der er eine glühende Neigung faßte, zu mildern Maßregeln bestimmen. Als Robespierre seine Geliebte von neuem verhaften ließ, verband sich T. mit Dantons Anhängern zu seinem Sturz, den er auch 9. Thermidor (1794) durchsetzte. Hierauf zum Präsidenten des Wohlfahrtsausschusses gewählt, hob er das Revolutionstribunal auf, schloß den Jakobinerklub und suchte überhaupt der Schreckensherrschaft zu steuern. Nach der Auflösung des Konvents (26. Okt. 1795) trat er in den Rat der Fünfhundert; doch verlor er in ruhigern Zeiten seine Bedeutung und verkam. 1798 schloß er sich der Expedition Bonapartes nach Ägypten an, erhielt dort eine Stelle bei der Verwaltung der Nationaldomänen und gab ein Journal: "Décade égyptienne", heraus. Nach Bonapartes Abreise aus Ägypten wurde er von Menou nach Frankreich zurückgeschickt, fiel aber in englische Gefangenschaft und ward nach London gebracht. Nach seiner Rückkehr nach Paris erhielt er den Posten eines französischen Konsuls zu Alicante, lebte später, auf einem Auge erblindet, in Paris von einem Gnadengehalt, den ihm Napoleon I. bewilligte, und starb 20. Nov. 1820. - Seine Gemahlin Jeanne Marie Ignazie Therese, geb. 1775 zu Saragossa, Tochter des spanischen Finanzmanns, spätern Ministers Grafen Cabarrus, erhielt eine vorzügliche Erziehung, entzückte in Paris alles durch ihre Schönheit und Grazie, heiratete 1790 den alten Marquis de Fontenay, flüchtete mit diesem vor den Greueln der Revolution nach Spanien, ward aber in Bordeaux verhaftet, von T. befreit und, nachdem die Ehe mit dem Marquis geschieden worden, dessen Geliebte. Sie war zwar eine eifrige Anhängerin der Revolution, bewog aber T. zur Milde und rettete viele Opfer. Nach einer Rede im Konvent für die Frauen ward sie auf Robespierres Befehl verhaftet, aber durch seinen Sturz wieder befreit, worauf sie T. heiratete. Während des Direktoriums war ihr Salon der gefeiertste und besuchteste von Paris. Da T. mehr und mehr von seiner frühern Größe herabsank, trennte sie sich während seiner Abwesenheit in Ägypten von ihm und heiratete 1805 den Grafen von Caraman, spätern Fürsten von Chimay (s. d.). Sie starb 15. Jan. 1835 auf dem Schloß Ménars bei Blois.
Tallipotbaum, s. Corypha.
Talma, François Joseph, berühmter franz. Schauspieler, geb. 15. Jan. 1763 zu Paris, begann seine öffentliche theatralische Laufbahn im April 1787 auf dem Théâtre-Français als Seïde im "Mahomet" von Voltaire und wurde zwei Jahre später Societär dieses Instituts. Später begründete er das Théâtre de la République, auf dem er große Triumphe feierte, gastierte auch in der Provinz sowie in London und Belgien. Die Wahrheit seiner Darstellungen, die Natürlichkeit des Spiels und die Treue, mit der er sich zuerst des geschichtlichen Kostüms statt des modernen französischen bediente, begründeten eine neue Epoche in der dramatischen Kunst Frankreichs. Seine Hauptrollen waren: Seïde, Orest, Vendôme, Hamlet, Regulus, Karl IX., Sulla etc. Napoleon L hatte ihn oft unter seiner Umgebung, so 1808 zu Erfurt und 1813 zu Dresden. T. starb 19. Okt. 1826 in Paris. Seine "Réflexions sur Lekain et sur l'art théâtral" (Par. 1825, neue Ausg. 1874) zeugen von tiefer Einsicht in das Wesen der Schauspielkunst. Seine "Mémoires" wurden herausgegeben von Moreau (Par. 1826) und A. Dumas (das. 1849-50, 4 Bde.). Vgl. Copin, T. et la revolution (Par. 1886); Derselbe, T. et l'empire (das. 1887). - Auch seine Gattin Charlotte Vanhove, geb. 10. Sept. 1771 im Haag, erst als Mademoiselle Vanhove, dann (bis 1794) als Madame Petit-Vanhove und zuletzt (seit 1802) als Madame T. bekannt, war eine der größten Schauspielerinnen ihrer Zeit, zog sich aber schon 1811 von der Bühne zurück und starb 11. April 1860 in Paris. Sie schrieb "Études sur l'art théâtral" (Par. 1835).
Talmigold, gelbe Kupferlegierung (z. B. aus 86,4 Teilen Kupfer, 12,2 Zink, 1,1 Zinn, 0,3 Teilen Eisen), welche als Blech oder Draht mit Gold plattiert und dann weiter verarbeitet wird. Der Goldgehalt des Talmigoldes übersteigt zwar selten 1 Proz.; dennoch ist es den gewöhnlichen vergoldeten Kupferlegierungen vorzuziehen, da die Plattierung manche Vorteile gewährt. Das beste T. liefert Tallois in Paris; man unterscheidet es von schwach vergoldeter Ware durch Auflösen in Salpetersäure, wobei ein zusammenhängendes dünnes Goldblättchen zurückbleiben muß.
Talmud (Thalmud, "Lehre, Belehrung^), die Hauptquelle des rabbinischen Judentums, das bändereiche Schriftdenkmal aus den ersten fünf Jahrhunderten n. Chr., welches den gesamten religionsgesetzlichen Stoff der jüdischen Tradition, nicht systematisch geordnet, sondern in ausführlichen freien Diskussionen, mit erbaulichen Betrachtungen, Parabeln, Legenden, historischen und medizinischen Thematen u. a. vermischt, enthält. Die Entstehungsgeschichte des T. erhellt aus folgendem. Neben dem im Pentateuch enthaltenen schriftlichen Gesetz hatte sich ein dieses ergänzendes und erklärendes mündliches Gesetz von Geschlecht zu Geschlecht vererbt, welches mit der Erweiterung und Änderung des sozialen Lebens im Lauf der Zeit derart anwuchs, daß eine Sichtung und schriftliche Fixierung des ganzen Materials sich als notwendig erwies. Diese in hebräischer Sprache, der aber bereits lateinische und griechische Ausdrücke eigen sind, von R. Jehuda Hanassi im Verein mit gelehrten Zeitgenossen 189 n. Chr. abgefaßte Sammlung mündlich überlieferter Gesetze und Gebräuche (Halachot) führt den Namen Mischna ("Wiederholung", nämlich des Gesetzes) und zerfällt in sechs Ordnungen (Sedarim): 1) Seraim (von den Saaten), 2) Moëd (Feste), 3) Naschim (Ehegesetze), 4) Nesikin (Zivil- und Strafgesetze), 5) Kodaschim (Opfer- und Speisegesetze), 6) Taharot (Reinheitsgesetze). Die von R. Jehuda nicht aufgenommenen Gesetze wurden später von seinen Jüngern gesammelt und führen den Namen Boraitha (außerhalb [des Kanons] stehende), eine noch spätere Sammlung heißt Tossefta. In den Akademien Palästinas und Babylons bildete die Mischna nun die Grundlage der gelehrten Verhandlungen, welche, später gesammelt, Gemara (vollständige Erklärung) oder, mit der Mischna ver-
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Talon - Tamarindus.
bunden, T. genannt wurden. Zu Anfang des 4. Jahrh. entstand in Palästina der jerusalemische T., in aramäischem Idiom geschrieben, die vier ersten Ordnungen der Mischna behandelnd; um 500 war der babylonische T., bald aramäisch, bald rabbinisch-hebräisch abgefaßt, redigiert. Von ältern Mischnaerklärern sind Maimonides, der auch einen wissenschaftlichen Kodex des T. ("Mischne Thora" oder "Jad ha-chasaka") abfaßte (1178-80), Bartenora, Liepmann Heller ("Tosefot Jom-tob"), von Übersetzern der Mischna, die schon im 10. Jahrh. ins Arabische, später ins Spanische übertragen ward, Surenhusius (lateinisch), Rabe (deutsch) und Jost (deutsch mit hebräischen Lettern), Samter-Baneth, von Lehrbüchern und Einleitungen zur Mischna die Werke von Geiger, Dukes, Weiß, Z. Frankel, der auch eine "Einleitung zum jerusalemischen T." schrieb, und Jakob Brüll zu nennen. Erklärer des babylonischen T. sind neben Raschi die Tossafisten (Glossatoren), eine Reihe meist nordfranzösisther Rabbiner, Rosch (R. Ascher ben Jechiel, 1306-27) u. a. Wörterbücher verfaßten: R. Natan ben Jechiel aus Rom ("Aruch", 1101), Buxtorff (2. Aufl. von Fischer, Leipz. 1866-1870, 2 Bde.), Levy (das. 1875-89) und Kohut ("Aruch completum", auf Grundlage des "Aruch" von R. Natan ben Jechiel, Wien 1878 ff.); einzelne Traktate übersetzten: ins Lateinische Riecius, Clarke, Ullmann, Surenhus, Lund, Ludovic, Coccejus, Hirschfeld, Fagius, Hartmann u. a.; ins Französische Schwab, Rabbinowicz; ins Deutsche Ewald, Pinner, Samter und Rawitsch. Der babylonische T. in seinen haggadischen Bestandteilen ist von Wünsche übersetzt (Leipz. 1886 ff.). Die Methode und einzelne Disziplinen des T. behandelten: Hirschfeld (Exegese), Lewysohn (Zoologie des T.), Wunderbar (Medizin), Markus (Pädagogik), Duschak (Botanik), Bloch (Polizeirecht), Auerbach (Obligationenrecht), Rabbinowicz (Zivil- und Kriminalrecht), Zuckermann (Mathematik), Frankel (gerichtlicher Beweis), Fassel (Zivilrecht, Tugend- und Rechtslehre, Strafrecht) u. a.; eine Realencyklopädie des T. gab Hamburger (Neustrelitz 1883) heraus; die Evangelien erläuterte aus T. und Midrasch Aug. Wünsche (Götting. 1878). Vgl. Rabbinowicz, Kritische Übersicht der Gesamt- und Einzelausgaben des Babylonischen T. (Münch. 1877); Deutsch, Der T. (a. d. Engl., Berl. 1869); Weber, Die Lehren des T. (Leipz. 1886).
Talon (franz., spr. -óng, "Ferse"), bei Wertpapieren der Erneuerungsschein für die Koupons (s.d.); im Kartenspiel die nach dem Geben übriggebliebenen Karten, die Kaufkarten; im Hasard der Kartenstamm, welchen der Bankier abzieht; im Domino die Kaufsteine.
Talos, nach dem Mythus der Alten ein eherner Riese auf Kreta, der als Wächter des Minos die Insel täglich dreimal umkreiste und die Herannahenden durch Steinwürfe verscheuchte oder mit den Gelandeten ins Feuer sprang und sie so lange an seine glühende Brust drückte, bis sie verbrannten. Von seinem Kopf ging eine Blutader bis zur Ferse, wo sie durch einen Nagel geschlossen war. Als die Argonauten nach Kreta kamen, ließ Medea den Nagel durch Zaubergesang herausspringen (oder Pöas, der Vater des Philoktet, schoß ihn mit dem Bogen heraus), worauf T. verblutete. Sein Tod ist auf einem ausgezeichneten apulischen Vasengemälde dargestellt, wo T. infolge des Zaubers der Medea in den Armen der Dioskuren stirbt. T. gilt für ein altes Symbol des Sonnengottes und ist mit dem phönikischen Moloch verwandt. Vgl. Mercklin, Die Talossage und das Sardonische Lachen (Petersb. 1851).
Talpa (lat.), Maulwurf.
Taltal, Hafenort im südamerikan. Staat Chile, Provinz Atacama, mit 1876 entdeckten Salpeterlagern.
Talus (lat.), Sprungbein.
Talus (franz., spr. -lüh), s. Böschung.
Talvj, Pseudonym, s. Robinson 3).
Taman, Halbinsel zwischen dem Schwarzen und Asowschen Meer, zum kubanischen Landstrich gehörig, mit der gleichnamigen Bai und dem kleinen Orte T., war im Altertum Sitz blühender Kolonien der Griechen, an deren Stellen (z. B. bei Sennaja, vermutlich der Stätte des alten Phanagoria) seit 1859 erfolgreiche Ausgrabungen veranstaltet wurden. In den aufgedeckten Kurganen fand man Gerippe von Menschen und Tieren (Pferden) und viele Geräte meist griech. Ursprungs, die jedoch nicht über das 4. Jahrh. v.Chr. zurückreichen. Vgl. Görtz, Archäologische Topographie der Halbinsel T. (russ., Mosk. 1870).
Tamandua, s. Ameisenfresser.
Tamanieh (Tamanib), Dorf in Nubien, südwestlich von Suakin am Wadi Chab und der über Sinkat nach Berber führenden Straße. Hier 13. und 25. März 1884 Gefechte des englischen Generals Graham gegen Osman Digma, in welchem der letztere zwar geschlagen und das Dorf eingenommen und verbrannt wurde, die Engländer aber ihren Zweck, die Forts Sinkat und Tokar zu entsetzen, nicht erreichen konnten.
Tamaquna, Stadt im nordamerikan. Staat Pennsylvanien, am Schuylkill inmitten ergiebiger Kohlengruben, mit (1880) 5730 Einw.
Tamar (Tamer, spr. tähmer), Grenzfluß zwifchen den englischen Grafschaften Cornwall und Devon, mündet in den Plymouthsund; 96 km lang. Sein Ästuar bildet die berühmte Reede Hamoaze. Er ist bis Launceston schiffbar, von wo ein Kanal nach Budehaven an der Nordküste von Cornwall führt.
Tamara, ital. Würzpulver aus Koriander, Zimt, Nelken, Fenchel und Anis; wird in der Küche wie Curry-powder (s. d.) benutzt.
Tamarikaceen (Tamariskenartige), dikotyle, etwa 40 Arten umfassende Familie aus der Ordnung der Cistifloren, Holzpflanzen, selten Stauden mit kleinen, oft schuppenförmigen, blaugrünen, abwechselnden Blättern und regelmäßigen, zwitterigen, 4-5zähligen, in Ähren, Köpfen, Trauben oder Rispen stehenden Blüten. Von den verwandten Familien unterscheiden sich die T. hauptsächlich durch einen Haarschopf am Samen. In Deutschland kommt nur Tamarix (Myricaria) germanica Devs. an kiesigen Flußufern vor, deren Rinde wie auch die der am Mittelmeer heimischen Tamarix gallica L. früher offizinell war. Der Familie der T. werden auch die kleinen Gruppen der Reaumurieen und Fouquiereen beigezählt.
Tamarindus Tourn. (Tamarinde), Gattung aus der Familie der Cäsalpinieen, mit der einzigen Art T. indica L. (s. Tafel "Arzneipflanzen II"), ein bis 25 m hoher, immergrüner Baum mit weit ausgebreiteter, sehr verästelter Krone, abwechselnden, paarig gefiederten, 10-20jochigen Blättern, linealisch-länglichen Blättchen, wenigblütigen, endständigen Blütentrauben, weißen, purpurn geäderten Blüten und gestielten, bis 15 cm langen, 2,5 cm breiten, länglichen oder lineal-länglichen, meist etwas gekrümmten, mäßig zusammengedrückten Hülsen, welche in dünner, zerbrechlicher, gelbbrauner, rauher Schale ein schwarzes oder braunes Mus und in diesem rundlich viereckige, glänzend rotbraune Samen enthalten. Die Tamarinde ist im tropischen Afrika, südwärts bis zum Sambesi, heimisch, wohl auch im südlichen
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Tamarix - Tambow.
Asien und in Nordaustralien, und wird in diesen Ländern und in Amerika kultiviert. Man genießt die Früchte als Obst, macht sie auch ein und bereitet daraus kühlende Getränke und durch Zusammenkneten der entrindeten Früchte das Tamarindenmus, welches aus Ostindien, Ägypten und (mit Sirup versetzt) aus Westindien in den Handel kommt. Dasselbe ist schwarzbraun, riecht säuerlich weinartig, schmeckt süßlich-sauer, wenig herb und enthält Zucker, Weinsäure, Pektinsäure, Gummi etc. Es dient als leicht abführendes Mittel und zu Tabaksaucen. Das feste Holz des Baums wird von Würmern nicht angegriffen und daher vielfach benutzt.
Tamarix L. (Tamariske), Gattung aus der Familie der Tamarikaceen, ästige Sträucher mit kleinen, schuppenförmigen Blättern, rosafarbenen oder weißen Blüten in gewöhnlich endständigen, einfachen oder zusammengesetzten Trauben und mit aufspringenden Kapseln; wachsen vorzugsweise auf salzhaltigem Boden in der Nähe der Küsten in den Mittelmeerländern, im mittlern und südlichen Asien. T. (Myricaria Devs.) germanica L. (deutsche Cypresse), ein Strauch mit rutenförmigen, zahlreichen Ästen, sehr kleinen, cypressenartigen, graugrünen Blättern und weißlichen Blüten, ist in Mittel- und Südeuropa heimisch und wird als Zierstrauch in Gärten kultiviert; ebenso T. gallica L., ein Strauch an den Ufern des Mittelländischen Meers sowie im nördlichen Afrika, in Kleinasien bis zum Himalaja, dem vorigen ähnlich, mit punktierten, bläulichgrünen Blättern und rötlichen, in Rispen stehenden, sehr wohlriechenden Blüten. Aus einer Spielart, T. gallica mannifera Ehrenb. (Manna Tamarisca, Tarfabaum), welche im Steinigen Arabien und besonders am Sinai ganze Wälder bildet, schwitzt infolge des Stiches einer Schildlaus eine zähe, süße Substanz aus, welche Zucker und Schleim enthält, von den Mönchen am Sinai gesammelt und für das Manna der Israeliten ausgegeben wird. Auch andre Arten, wie T. tetrandra Pall. aus dem Orient, und T. chinensis Lour. aus Ostasien, beide mit weißlich hellroten Blüten, werden als Ziersträucher kultiviert.
Tamaro, Monte, eins der drei Häupter des tessinischen Voralpenlandes, erhebt sich am obern Ende des Lago Maggiore 1961 m hoch.
Tamarugal (Pampa de T.), wüster Landstrich in der Provinz Tarapacá des südamerikan. Staats Chile, jenseit der Küstenkordillere, etwa 1000 m ü. M., bildet eine nördliche Fortsetzung der Wüste von Atacama und ist reich an Lagern von Salpeter und Borax.
Tamaschek (Ta-Mascheq), die zum hamit. Stamm gehörige, von der Sprache der alten Libyer abstammende Sprache eines Teils der nomadisierenden Stämme Nordafrikas (Tuareg). Vgl. Hanoteau, Essai de grammaire de la langue tamachek (Par. 1860). Das T. besitzt ein besonderes Alphabet.
Tamatave, Stadt, s. Madagaskar, S. 39.
Tamaulipas, der nördlichste der östlichen Küstenstaaten von Mexiko, 76,000 qkm (1380 QM.) groß, besteht aus einem niedrigen Küstenstrich, der sich vom Tampicofluß bis zur Mundung des Rio Grande del Norte erstreckt und teilweise durch die langgestreckte Laguna del Madre vom Meer getrennt wird, reicht 190 km weit den Rio Grande hinauf, der ihn von den Vereinigten Staaten trennt, und erstreckt sich im Innern auch über ein reichbewaldetes Hügelland. Das Klima ist an der Küste heiß und ungesund, im Innern aber angenehm. Die Bevölkerung (1880: 144,747) besteht überwiegend aus Mestizen. Angebaut werden: Mais, Weizen, Baumwolle, Reis, Zuckerrohr, Bohnen, Bataten, Maguey etc. Silber, Kupfer, Blei und Steinkohlen kommen vor, werden aber noch kaum ausgebeutet. An der Küste wird etwas Salz gewonnen und in den Lagunen auch Fischfang betrieben. Die Industrie ist noch ganz unbedeutend. Hauptstadt ist Victoria. S. Karte "Mexiko".
Tambach, Flecken im Herzogtum Sachsen-Gotha, im Thüringer Wald, an der Apfelstedt und an der Linie Georgenthal-T. der Preußischen Staatsbahn, 453 m ü. M., hat eine evang. Kirche, eine Oberförsterei, Fabrikation von Bürstenwaren, Papier, Korken, Porzellan, eine Öl- und eine Dampfschneidemühle und 2000 evang. Einwohner. Nahebei die romantischen Thäler Spittergrund und Dietharzer Grund.
Tamberlick, Enrico, Opernsänger (Tenor), geb. 16. März 1820 zu Rom, studierte erst Theologie und widmete sich später unter Leitung Guglielmis der Kunst. Er debütierte 1841 in Neapel und ging 1843 nach Lissabon, wo seine Stimme eine merkwürdige Wandlung durchmachte, indem aus dem tiefen eln hoher Tenor wurde, später nach Petersburg, wo er zum kaiserlichen Kammersänger ernannt ward. Nachdem er darauf Südamerika bereist hatte, trat er endlich (1858) auch an der Italienischen Oper zu Paris auf und erregte dort durch seinen vollendeten Vortrag, namentlich auch durch sein phänomenales hohes Cis Bewunderung. Obwohl in der komischen wie in der ernsten Oper gleich ausgezeichnet, glänzte er doch am meisten als Othello, Troubadour, Herzog in "Rigoletto" und Don Ottavio 1868 befand sich T. gerade in Madrid, als Isabella vertrieben wurde, und erregte als Masaniello einen grenzenlosen Jubel, da man ihm republikanische Gesinnungen zuschrieb. 1869 erschien er wieder in Paris und ist dort auch noch 1877 aufgetreten. Er starb daselbst 14. März 1889.
Tambilan (Timbalan), Inselgruppe im Indischen Archipel, zwischen Borneo und Sumatra, zur niederländischen Residentschaft Rion gehörig, 72 qkm groß mit 3200 Einw.
Tambohorn, Berg , s. Adula.
Tambora, Vulkan, s. Sumbawa.
Tambour (franz., spr. -bur, vom pers. Tambur, s. d.), Trommel; auch Trommler, Trommelschläger (s. Spielleute); daher T. battant, mit schlagendem Trommler, vom Sturmangriff im freien Feld, wobei der T. den Sturmmarsch schlägt. In der Baukunst bezeichnet T. einen cylindrischen oder polygonen Unterbau einer Kuppel (s. Laterne); in der Befestigungskunst eine kleine, meist aus Palissaden bestehende Anlage zur Deckung der Eingänge in Dörfer, Feldschanzen, Forts etc. (vgl. Palissaden); bei Krempelmaschinen die mittlere Trommel.
Tambow, russ. Gouvernement, zu den Zentralgouvernements Großrußlands gehörig, umfaßt 66,586,7 qkm (1209 QM.). Das Land ist eben und gehört vorzugsweise der Kreideformation an. Von nützlichen Mineralien finden sich Eisen, Kalkstein, Gips und Thon. Der größte Teil des Gouvernements ist mit Schwarzerde (Tschernosem) bedeckt, und die beiden südlichsten Kreise tragen sogar den Charakter der Steppe. Die Oka und der Don berühren auf kurzer Strecke das Gouvernement; in die erstere mündet die Mokscha mit der Zna, welche das ganze Gouvernement durchströmen; im S. fließt die Worona zum Choper. Nur ein Sechstel des ganzen Landes ist mit Wald bedeckt. Das Klima ist gemäßigt. Die Einwohnerzahl beträgt (1885) 2,607,881 (39 pro QKilometer). Die Zahl der Eheschließungen war 1885 22,780, der Gebornen 126,222, der Gestorbenen
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Tambur - Tammany-Ring.
83,184. Das Gouvernement T. gehört zu den ackerbautreibenden ersten Ranges, aber bis auf den heutigen Tag besteht fast allenthalben noch die Dreifelderwirtschaft. Man säet hauptsächlich Hafer, Roggen, Buchweizen, im S. auch Weizen; außerdem baut man Lein und Hanf, Kohl, Gurken, Rüben, Rettiche, Tabak und Runkelrüben. Das Areal besteht aus 63,3 Proz. Acker, 18,3 Wald, 13,4 Wiesen und 5 Proz. Unland. Die Ernte war 1887: 14,2 Mill. hl Roggen, 11,3 Mill. hl Hafer, 4,4 Mill. hl Kartoffeln, 2½ Mill. hl Hirse, Buchweizen 1,1 Mill. hl, Weizen, Gerste und Erbsen in nicht beträchtlichen Mengen. Die Ernte ergab beim Roggen durchschnittlich das siebenfache Korn. Viehzucht wird nur so weit betrieben, als sie zur Befriedigung der Bedürfnisse des Ackerbaus dient; eine Ausnahme macht die Pferdezucht. Die Pferde aus den östlichen Stutereien sind sehr gesucht, finden beständigen Absatz in St. Petersburg und Moskau und werden auch für die Armee angekauft. Man zählte 1873: 171 Stutereien mit 525 Zuchthengsten und 3027 Stuten. Der Viehstand überhaupt bezifferte sich 1883 auf 399,478 Stück Rindvieh, 1,326,588 grobwollige und 200,816 feinwollige Schafe, 656,338 Pferde und 269,685 Schweine. Der Wert der industriellen Produktion ward 1885 auf 25,796,000 Rubel beziffert. Hervorragend sind: Brennerei (18 Mill. Rub.), Tuchfabrikation (2,2 Mill. Rub.), Talgsiederei (1,4 Mill. Rub.), Zuckerfabrikation (1,3 Mill. Rub.), Tabaksindustrie und Eisengießerei. Die Handelsumsätze des Gouvernements überschreiten 52 Mill. Rub. Den ersten Platz in Bezug auf den Handel nimmt die Stadt T. ein, dann Koslow und Morschansk. Schiffbare Flüsse und mehrere Eisenbahnen begünstigen und erleichtern den Handel. Die Zahl aller Lehranstalten belief sich 1885 auf 755 mit 48,115 Schülern, darunter 19 Mittelschulen und 2 Fachschulen (ein geistliches und ein Lehrerseminar). T. wird eingeteilt in zwölf Kreise: Borissoglebsk, Jelatma, Kirsanow, Koslow, Lebedjan, Lipezk, Morschansk, Schazk, Spask, T., Temnikow und Usman. - Die gleichnamige Hauptstadt, an der Bahnlinie Koslow-Saratow, hat 27 Kirchen (darunter eine evangelische), ein Priesterseminar, ein klassisches Gymnasium, ein Mädchengymnasium, ein Lehrerseminar und viele kleinere Lehranstalten, das Alexander-Institut adliger Fräulein, Schulen für Feldschere und Hebammen, ein Theater, eine Stadtbank, eine Abteilung der Reichsbank, viele Fabriken, Handel mit Getreide, Vieh, Talg und Wolle und (1885) 35,688 Einw. T. ist Sitz eines griechischen Bischofs.
Tambur (Tanbur), ein arabisch-persisches lautenartiges Saiteninstrument, das wie die Mandoline mit einem Plektrum gespielt wurde.
Tamburinen, s. Stickerei, S. 317.
Tamburin (franz. Tambourin, spr. -âng. Handtrommel, Handpauke), ein mit einer Haut überspannter metallener oder hölzerner Reif, welcher ringsum mit Schellen oder Glöckchen besetzt ist. Der Reif wird in der linken Hand in verschiedenen Wendungen herumgedreht und mit dem Daumen der rechten Hand auf dem Fell im Kreis umhergefahren oder zur Markierung des Rhythmus mit der Faust auf dasselbe geschlagen, wodurch ein verschiedenartiges Getön, Wirbel etc., verbunden mit Schellengeklingel, hervorgebracht wird. Das Instrument ist bei den Spaniern, Ungarn, Orientalen etc. zu Nationaltänzen gebräuchlich (in der Hand der Tänzer selbst).
Tamburini, Antonio, Opernsänger (Baß), geb. 28. März 1800 zu Faenza, machte frühzeitig Gesangsstudien und wurde schon mit zwölf Jahren für den Opernchor in seiner Vaterstadt engagiert. Ans Neigung zum Theater verließ er mit 18 Jahren heimlich das elterliche Haus und debütierte glücklich in dem Städtchen Cento, von wo er nach und nach an die größern Bühnen Italiens gelangte, bis er endlich 1819 in Neapel ein vorteilhaftes Engagement und reichen Beifall fand. 1825 engagierte ihn der berühmte Impresario Barbara auf sechs Jahre für seine Unternehmungen in Neapel, Mailand und Wien. 1832, nachdem er zuvor noch England besucht hatte, kam T. nach Paris und debütierte als Dandini im "Aschenbrödel". Von nun an bildete er länger als 20 Jahre das Entzücken der Pariser, und noch 1854 sang er den Don Juan mit klangvoller Stimme und jener Leichtigkeit der Tonbildung, die ihm den Beinamen des "Rubini unter den Baritonisten" verschafft hatte. Er befuchte von Zeit zu Zeit sein Vaterland und fand auch mehrmals in Rußland die wohlwollendste Aufnahme. Im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, zog er sich endlich auf seine Besitzung in Sèvres bei Paris zurück, siedelte jedoch 1871 nach Nizza über, wo er 9. Nov. 1876 starb. Vgl. Biez, T. et la musique italienne (Par. 1877).
Tamerlan, s. Timur.
Tamfana, Göttin, s. Tanfana.
Tamías (griech.), Schatzmeister, Rendant, ein Titel, den in Athen verschiedene Behörden führten, vor allen aber der auf vier Iahre gewählte Verwalter der Hauptkasse, welcher von den Apodekten (Generaleinnehmern) alle für die öffentlichen Ausgaben bestimmten Gelder abgeliefert erhielt und an die Kassen der einzelnen Behörden für ihre etatmäßigen Ausgaben verteilte.
Tamias, Backenhörnchen, s. Eichhörnchen, S. 362.
Tamil, die Sprache der Tamulen (s. d.).
Tamina, wilder Gebirgsfluß im schweizer. Kanton St. Gallen, 26 km lang, entspringt am Sardonagletscher, durchfließt zunächst das nur im Sommer bewohnte Alpenthal Kalfeusen; hier liegt Sardona-Alp 1748, die Kapelle St. Martin 1351 m ü. M. Aus dieser Oberstufe herausgebrochen, erreicht sie den obersten permanent bewohnten Thalort Vättis (947 m) und durchfließt nun ein enges Waldthal, wo in einem Felsschlund die Therme von Pfäfers hervorquillt. Endlich gelangt der Fluß durch eine Klus zur Rheinebene hinaus. Hier liegt am Zusammenfluß von Rhein und T. der Badeort Ragaz (503 m).
Tamis (franz., spr. -mih, "Sieb"), s. v. w. Etamin.
Tamise (vläm. Temsche), Marktflecken in der belg. Provinz Ostflandern, Arrondissement St.-Nicolas, an der Schelde und der Bahn Mecheln-Terneuzen, mit Flachs- und Baumwollspinnerei, Segeltuch- u. Holzschuhfabrikation, Brauereien, Salzsiederei, Schiffbau und (1888) 10,701 Einw.
Tammany-Ring, ein nach seinem Versammlungsort, der Tammany Hall, benannter Klub in New York, 1789 als ein geheimer Orden (Columbian Order) gestiftet und ursprünglich konservativ, später demokratisch. Derselbe bemächtigte sich mit Hilfe der zahlreich zugewanderten Irländer in den 60er Iahren der einflußreichsten Stellen, namentlich der Finanzämter, in der Stadtverwaltung. Seine Häupter, Tweed, Sweeney u. a., beuteten die Ämter, in deren Besitz sie kamen, zu ihrer Bereicherung aufs frechste und schamloseste aus, wußten durch Bestechung und Terrorismus alle Wähler nach ihrem Sinn zu lenken und auch in der Verwaltung und Gesetzgebung des Staats New York einen höchst verderblichen Einfluß zu gewinnen. Die Stadt New York belasteten sie mit einer Schuld von vielen Millionen, ohne da-
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Tammerfors - Tana.
für etwas zu leisten. Endlich 1871 gelang es der zur Einsicht gekommenen Bürgerschaft, die Herrschast des Tammany-Rings durch unabhängige Wahlen zu brechen und die Häupter dem Strafgericht zu überliefern. Trotzdem behauptete sich die Tammany Society als demokratischer Verein und gelangte auch allmählich wieder zu Einfluß, so daß 1889 ihrem Vorsitzenden die einträglichste Stelle der Stadt New York übertragen wurde.
Tammerfors (finn. Tampere), die bedeutendste Fabrikstadt Finnlands, im Gouvernement Abo-Björneborg, am Tampereenkoski, einer Stromschnelle, welche die Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi verbindet, und an der Eisenbahn Tawastehus-T., hat Baumwoll- und Leinenspinnereien, Papier- und Wollwarenfabriken, eine mechanische Werkstatt etc. und (1886) 16,744 Einw. T. ist Sitz eines deutschen Konsulats. Angelegt wurde die Stadt 1779 von Gustav III.
Tammus (hebr.), im jüd. Kalender der zehnte 29tägige Monat des bürgerlichen, der 4. des Festjahrs, welcher von einer gleichnamigen syrisch-phönikischen Gottheit (Hesek. 8, 14) den Namen erhielt. Der 17. ist ein jüdischer Fasttag zur Erinnerung an das erste Eindringen der Chaldäer in Jerusalem. Der Tod des erwähnten Gottes wurde mit lauter Klage, seine Auferstehung mit Freudengeschrei begangen, entsprechend dem Dumuzi der Chaldäer, Adonis der Griechen und Osiris der Ägypter. Vgl. Sonnenkultus.
Tampa, Hafenort im nordamerikan. Staat Florida, an herrlicher, fisch- und schildkrötenreicher Bai am Golf von Mexiko, mit (1880) 720 Einw.
Tampicin, s. Ipomaea.
Tampico, Hafenstadt im mexikan. Staate Tamaulipas, oberhalb der Mündung des Rio de T., der aus der Vereinigung der Flüsse Panuco und Rio de Tula entsteht und über eine Barre (3 m Wafser) ins Meer mündet, hat ein Theater, Kasino, 2 Hospitäler und (1880) 5000 Einw. Die Stadt wird zwar auch vom gelben Fieber heimgesucht, ist aber immerhin gesünder als Veracruz. Ihr Handel ist bedeutend und wird sich nach Vollendung der im Bau begriffenen Eisenbahn nach San Luis Potosi sowie des Kunsthafens noch heben. Zur Ausfuhr (1886: 955,400 Pesos) gelangen: Edelmetalle, Häute, Sassaparille, Jalappe, Tabak, Vanille, Wolle und Farbholz. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls und wurde erst 1824 gegründet; November 1862 bis August 1866 war es von den Franzosen besetzt. T. gegenüber, im Staat Veracruz, liegt der Pueblo viejo de T., jetzt unbedeutender Ort mit Fischerei und Salinen.
Tamping, in Singapur Sack von 12 engl. Pfund.
Tampon (franz., spr. tangpóng), Pfropfen; in der Chirurgie Scharpieballen, Gazepfropfen. Daher Tamponade, die Ausfüllung einer Körperhöhle oder Wunde mit Wattepfropfen, namentlich zur Blutstillung angewandt, wenn Unterbindung unmöglich ist. Vgl. Kolpeurynter.
Tamsel, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Frankfurt a. O., Kreis Landsberg, an der Linie Berlin-Schneidemühl der Preußischen Staatsbahn, hat eine evang. Kirche (mit Grabstätte des Feldmarschalls Hans Adam v. Schöning), ein Schloß und (1885) 797 Einw.; bekannt durch die öftere Anwesenheit Friedrichs d. Gr. während seines Aufenthalts in Küstrin.
Tamsui, chines. Traktatshafen auf der Insel Formosa, am Nordende desselben, mit 95,000 Einw. In den für größere Schiffe ungeeigneten und den Teifunen ausgesetzten Hafen und den des benachbarten Kelung liefen 1886 ein und aus 273 Schiffe von 118,657 Ton., darunter 78 deutsche von 31,931 T. Die Einfuhr wertete 1887: 1,298,613, die Ausfuhr 44,260 Haikuan Taels. T. ist Sitz eines englischen Konsuls, welcher auch die deutschen Interessen vertritt. Die Stadt wurde 1. Okt. 1884 von vier französischen Kriegsschiffen beschossen und die chinesischen Batterien zum Schweigen gebracht, als aber 8. Okt. die Franzosen landeten, wurden sie zurückgetrieben.
Tamtam (Gong), ein Schlaginstrument der Chinesen, Inder etc., bestehend aus einer zum Teil aus edlen Metallen gefertigten (gehämmerten) Metallscheibe, deren mittelster Teil stark konkav ist; der breite Rand hat einen ziemlich großen runden Ausschnitt. Der Ton des Tamtams dröhnt und hallt ungemein lange nach, seine Wirkung ist sowohl im forte als im piano eine erschreckende, beängstigende. Das T. wird im neuern Öpernorchester angewendet, doch ist dasselbe wegen der hohen Anschaffungskosten (gute Tamtams werden aus China bezogen) ziemlich selten.
Tamulen, das gebildetste und unternehmendste Volk der Drawidarasse in Vorderindien, wohnt im sogen. Karnatik, vom Kap Comorin bis über die Polhöhe von Madras und vom Kamm der Westghats bis zum Bengalischen Golf. Außerdem gehört zu den T. auch die Arbeiterbevölkerung des nördlichen und nordwestlichen Ceylon sowie die Mehrzahl der sogen. Kling (s. d.). Die Sprache der T. (Tamil oder Tamulisch genannt) wird von 14,8 Mill. Menschen gesprochen; sie besitzt ein eignes, aber mit dem Sanskritalphabet verwandtes Alphabet, dazu eine ziemlich reichhaltige, alte Litteratur und ist ohne Zweifel die interessanteste Sprache vom Drawidastamm. Die Litteratur der T. reicht mit ihren ältesten erhaltenen Denkmälern bis etwa ins Jahr 1000 unsrer Zeitrechnung zurück und enthält neben zahlreichen Übersetzungen aus den Sprachen des nördlichen Indien auch ausgezeichnete eigne Werke. Als berühmtestes derselben ist der "Kural" (Kurzzeiler) von Tiruvalluver zu nennen, ein in vier- oder dreifüßigen Strophen abgefaßtes gnomonisches Gedicht, mit Sprüchen über die sittlichen Ziele des Menschen, voll zarter und wahrer Gedanken, aber krankend an dem Wahn der Wiedergeburt, von dem auf buddhistischem Weg eine Erlösung erstrebt werden soll. Eine vollständige Textausgabe des Gedichts mit lateinischer Übersetzung findet sich in Grauls "Bibliotheca tamulica" (Leipz. 1854-65, 4 Bde.), die noch andre tamulische Texte mit lateinischer oder englischer Übersetzung, Glossare und im 2. Band auch eine Grammatik enthält. Eine Grammatik lieferte noch J. Lazarus (Lond. 1879). Tamil-englische Lexika lieferten Rottler (Madras 1834-41) und Winslow (das. 1862), eine Geschichte der tamulischen Schrift etc. Burnell (in "Elements of South-Indian palaeography", 2. Aufl., Lond. 1878). Vgl. auch Graul, Reise nach Ostindien (Leipz. 1854-56, 5 Bde.).
Tamworth, Stadt in Staffordshire (England), am Zusammenfluß von Tame und Anker, hat eine normännische Kirche, ein altes Schloß, Baumwollspinnerei etc. und (1881) 4891 Einw. T. ist der Geburtsort Sir Robert Peels, dem hier 1852 eine Bronzestatue errichtet wurde.
Tan, in China s. v. w. Pikul oder Tang.
Tana, 1) (Tanaelv) Fluß in Norwegen, entsteht aus dem Znsammenfluß des Anarjokka (Enaraelv) und des Karasjokka, bildet im obern Lauf die Grenze zwischen dem russischen Finnland und dem norwegischen Amt Finnmarken, fließt in nordöstlicher Richtung und mündet nach einem Laufe von 280 km in den Tanafjord des Nördlichen Eismeers. - 2) (auch Dana oder Manga) Fluß in Ostafrika, ent-
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Tana - Tangaren.
springt am Schneeberg Kenia und mündet unter 2°47' südl. Br. in die Ungama- oder Formosabai, ein nördlicherer Mündungsarm, der Osi, bildet die Südgrenze von Witu. In der Regenzeit kann der T. 180 km aufwärts befahren werden. Er bildet einen sehr guten Kommunikationsweg nach dem Innern Ostafrikas und die Nordostgrenze der britischen Interessensphäre gegen das Somaliland.
Tana, im Mittelalter Name von Asow (s. d.).
Tanab, Flächenmaß in Turkistan, = 3600 Quadratschritt.
Tanacetum L., Gattung aus der Familie der Kompositen, der Gattung Chrysanthemum sehr nahe stehend und auch mit dieser vereinigt. T. vulgare L. (Rainfarn), ausdauernd, bis 1,25 m hoch, mit siederteiligen Blättern, länglich-lanzettlichen, eingeschnittenen Abschnitten, doldenrispig gehäuften, kleinen, gelben Blütenköpfchen, nicht strahlenden Randblüten und mit Harzdrüsen besetzten Achenen mit kurzem Kelchsaum. Wächst an Wegen und Rainen in Europa. Alle Teile, besonders die Blüten, riechen beim Zerreiben stark aromatisch, kampferartig, schmecken gewürzig bitter und enthalten ein gelbes ätherisches Öl, welches als Wurmmittel verwendbar ist.
Tanagra, im Altertum Stadt in Böotien, am Asopos (jetzt Vuriendi), am Einfluß des Baches Thermodon (Laris), wo man noch den Lauf der Ringmauern erkennt. Jetzt Gremada. Hier 457 v. Chr. Sieg der Spartaner über die Athener, welch letztere indessen 456 T. eroberten. Noch im 6. Jahrh. n. Chr. blühte T., dessen Gebiet in neuester Zeit durch die in der Nekropole auf dem Kokkalihügel gefundenen herrlichen Thonstatuetten von neuem berühmt geworden ist (s. Terrakotten).
Tanaïs, antiker Name des Don.
Tanak (Tinak), Badeort im russ. Gouvernement Astrachan, 6 km von der Wolga entfernt, mit stark salzhaltigen Schlammbädern, die bei Rheumatismen und Flechten vorzügliche Wirkung äußern.
Tánaquil, Gattin des Tarquinius Priscus (s. d.).
Tanaro, Fluß in Oberitalien, entsteht in den Seealpen, durchfließt in nördlicher und nordöstlicher Richtung die Provinzen Cuneo und Alessandria, wird bei Alessandria für größere Fahrzeuge schiffbar und mündet nach einem Laufe von 205 km unterhalb Bassignana rechts in den Po.
Tänaron, Vorgebirge, s. Matapan.
Tanasee (Tsana-, Dembeasee), See im Hochland Abessiniens, südlich von Gondar, 1755 m ü. M., ist 67 km lang, 15-52 km breit, nach Stecker 2980 qkm (54 QM.) groß. Letzterer maß 72 m als größte Tiefe in inselfreiem Raum, Hericourt aber 197 m bei der Insel Meteraha. Mehr als 30 Flüsse ergießen sich in den von malerischen Bergen und fruchtbaren Hochebenen umgebenen See; der Abai (der Blaue Nil) fließt in einem bogenförmigen Lauf durch ihn hindurch. Aus dem klaren Wasser erheben sich viele meist bewohnte Basaltinseln, deren größte Deg heißt. Der See ist reich an Fischen und Nilpferden; Krokodile dagegen fehlen. An seinem östlichen Ufer liegt die Handelsstadt Korata.
Tanbur, Musikinstrument, s. Tambur.
Tandem, Fabrikname eines zweisitzigen Velocipeds.
Tandil, Stadt in der Argentinischen Republik, Provinz Buenos Ayres, 260 km südsüdwestlich von der Hauptstadt, bei der Sierra de T. (450 m), hat ein Krankenhaus, 2 Dampfmühlen, eine Seifensiederei und (1882) 3600 Einw.
Tandschor (Tanjore), Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts in der britisch-ind. Präsidentschaft Madras, liegt am Hauptarm der Kaweri und an der Südbahn, ist ein Sitz altindischer Gelehrsamkeit, hat großartige Hindubauten, eine katholische und evang. Mission, lebhafte Industrie und (1881) 54,745 Einw.
Tandur, in der Türkei eine Art Wärmapparat, welcher mittels einer über einem kupfernen Kohlenbecken ausgebreiteten Decke hergestellt wird und bei den Frauen in der Türkei sehr beliebt ist (s. Mangal).
Tanesruft (Hamada), mit scharfkantigen Steinen übersäete Hochebenen der Sahara (s. d., S. 176).
Tanet-Sande und -Thone, s. Tertiärformation.
Tanfana (Tamfana), Göttin der Marser, hatte einen Tempel zwischen der Ems und Lippe, den Germanicus 14 n. Chr. zerstörte. Nach andern führten der Hain und das Heiligtum selbst diesen Namen.
Tang (Tan), japan. Flächenmaß, = 10 Seh - 300 Tsjubo = 995,73 qm.
Tang, die Meeresalgen, welche die Familien der Fukaceen und Florideen ausmachen, die hauptsächliche Vegetation des Meers bilden und durch ihre eigentümlichen, sehr mannigfaltigen Formen und oft ansehnlichen Dimensionen sich auszeichnen. Die meisten sind festgewachsen auf dem felsigen Meeresgrund, an Klippen, Steinen, Schalen von Konchylien etc. und dienen selbst wieder zahllosen Seetieren zum Aufenthalt und zur Nahrung; viele Arten leben gesellig und bilden submarine Wälder, andre fluten mit dem beblätterten Teil an der Meeresoberfläche, wie die gigantische Macrocystis pyrifera (s. d.) der Südsee. Vgl. Fucus, Sargassum.
Tanganjika (Msaga der Wakawendi, Kimana der Warungu), großer See im Innern von Ostafrika, zwischen 3°20'-8°40' südl. Br. und 29°10'-32°30' östl. L. v. Gr., nach Reichard 780 m ü. M. gelegen, enthält süßes Wasser und erstreckt sich bei einer durchschnittlichen Breite von 52 km auf 750 km in die Länge. Seine an Buchten (Cameron- und Horebai im S., Burtongolf im NW.) reichen Gestade sind rings von bewaldeten Bergen umgeben und dicht bevölkert; von allen Seiten fallen zahlreiche Gewässer in denselben, unter denen jedoch nur der von N. her einmündende Rusisi bedeutender ist. Als Ausfluß des T. nach W., zum Lualaba-Congo hin, muß der unter 6° südl. Br. austretende Lukuga betrachtet werden. Der T. wird von Kähnen der Eingebornen und arabischen Dhaus befahren; die Ufer sind produktenreich, sein Wasser beherbergt viele Fische, Flußpferde und Krokodile. Der wichtigste Ort ist Kawele oder Udschidschi am Ostgestade, mit arabischer Niederlassung und Missionsstation; andre nennenswerte Orte und Missionsstationen sind: Karema, Kawala, Mpala, Kahunda, Pambete. Das Westufer des Sees gehört dem Congostaat, das Ostufer wird der deutschen Interessensphäre zugerechnet. Entdeckt wurde der T. 1858 von Burton und Speke; seine nähere Kenntnis verdanken wir Livingstone, Cameron u. Stanley, welcher ihn 1875 ganz umfuhr, ferner Hore, Thomson, Reichard. S. Karte bei "Congo". Vgl. Thomson, Expedition nach den Seen von Zentralafrika, S. 47 ff. (deutsche Ausg., Jena 1882); Böhm, Von Sansibar zum T. (Leipz. 1887).
Tangaren (Tanagridae Gray), Familie aus der Ordnung der Sperlingsvögel, schlank gebaute, zum Teil überaus prachtvolle Vögel mit schlankem, kegelförmigem, auf der Rückenfirste wenig, an der Spitze etwas herabgebogenem, vor derselben meist ausgekerbtem Schnabel, mittellangen Flügeln und Schwanz, ziemlich kräftigen, kurzen Läufen und Zehen, starker und langer Hinterzehe und gekrümmten Krallen, bewohnen die Wälder Amerikas von Paraguay bis Ka-
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Tangelbaum - Tangentometer.
nada, leben meist gesellig, fliegen gut und bewegen sich auf dem Boden recht gewandt. Einige sollen ansprechend singen, viele aber lassen nur unangenehme Laute vernehmen. Sie nähren sich hauptsächlich von Früchten, zeitweilig von Körnern und fressen sämtlich auch Insekten. Ihr Nest bauen sie auf Bäumen oder Sträuchern. Die wandernden Arten brüten nur einmal im Jahr, während die in wärmern Gegenden lebenden wohl mehrere Bruten erziehen. Wegen der bestechenden Schönheit der T. werden viele Arten in Käfigen gehalten, worin sie bei sorgfältiger Pflege auch ziemlich gut gedeihen. Die Tapiranga (Rhamphocelus brasiliensis L., s. Tafel "Stubenvögel") besitzt die Größe des Gimpels, ist glänzend dunkelblutrot, an den Flügeln und dem Schwanz schwarz, an den Schwingen und Oberflügeldecken verwaschen braunrot gesäumt; die Iris ist hochrot, der Schnabel bräunlichschwarz, die Wurzelhälfte des Unterschnabels perlmutterweiß, der Fuß schwarz. Das Weibchen ist oberseits schwarzbraun, am Bürzel und auf der Unterseite schmutzig rostbraun. Die Tapiranga bewohnt Brasilien und ist in den Gebüschen sowie in den Rohrbrüchern an den Flußufern sehr gemein.
Tangelbaum, s. v. w. Kiefer.
Tangénte (lat., Berührungslinie), eine Gerade, welche mit einer krummen Linie oder mit einer Fläche zwei zusammenfallende Punkte gemein hat. Man erhält sie, wenn man erst zwei benachbarte Punkte der Linie oder Fläche durch eine Gerade (eine Sekante) verbindet und dieselbe dann so weit um den einen der zwei Punkte dreht, bis der zweite mit diesem zusammenfällt. Beim Kreis und der Kugel steht die T. senkrecht auf dem Halbmesser, der nach dem Berührungspunkt geht. Legt man an einen Punkt einer krummen Fläche beliebig viele Tangenten, so liegen dieselben in einer Ebene (Tangentialebene). - In der Trigonometrie ist T. der Quotient aus Sinus und Kosinus. Beim alten Klavichord hießen so die auf den hintern Tastenenden stehenden Metallzungen, welche die Saiten nicht anrissen, wie die Federposen des Kielflügels, sondern nur streiften (tangierten), daher auf eine ähnliche Weise tonerzeugend wirkten wie der Bogen der Streichinstrumente (s. Klavier, S. 816).
Tangentenbussole, Vorrichtung zur Messung der Stärke eines galvanischen Stroms durch die Ablenkung einer Magnetnadel. Sie besteht (s. Figur) aus einem kreisförmig gebogenen Kupferstreifen o, dessen geradlinig nach abwärts gebogene Enden a b und c d unten mit Klemmschrauben zur Aufnahme der von den Polen der galvanischen Batterie kommenden Drähte versehen sind. Im Mittelpunkt des kupfernen Ringes schwebt auf einer Spitze inmitten eines in Grade geteilten Kreises eine Magnetnadel; der Ring kann in seinem Fußgestell so gedreht werden, daß seine Ebene mit der Magnetnadel in ihrer Ruhelage (d. h. mit dem magnetischen Meridian) zusammenfällt. Sobald nun ein galvanischer Strom durch den Kupferring geht, wird die Nadel aus ihrer Ruhelage so weit abgelenkt, bis das Drehungsbestreben der erdmagnetischen Kraft, welche die Nadel in die Ebene des Ringes zurückführen will, demjenigen des galvanischen Stroms, welcher sie senkrecht zu dieser Ebene zu stellen strebt, das Gleichgewicht hält. Da die Wirkung des Erdmagnetismus auf ein und dieselbe Magnetnadel als unveränderlich angesehen werden kann, so läßt sich aus den Ablenkungen, welche verschiedene Ströme hervorbringen, auf die Stärke dieser Ströme schließen, und zwar ergibt sich aus obiger Gleichgewichtsbedingung, daß die Stromstärken sich verhalten wie die "trigonometrischen Tangenten" der Ablenkungswinkel. Eine T. zeigt, an welcher Stelle eines Schließungskreises man sie auch einschalten mag, immer die gleiche Ablenkung und gibt dadurch kund, daß die Stromstärke in einer geschlossenen Leitung überall gleich groß ist. Eine T. zur Messung sehr starker elektrischer Ströme ist von Obach angegeben worden. Wird durch den Ring einer gewöhnlichen T. ein sehr starker Strom, z. B. derjenige einer großen dynamoelektrischen Maschine, geleitet, so erleidet die Magnetnadel eine Ablenkung von nahezu 90°, welche allerdings durch eine passende Nebenschließung verringert werden kann. Da aber der Ring der Bussole nur einen geringen Widerstand haben darf, die anzubringende Nebenschließung demnach einen noch geringern, der wegen seiner Kleinheit kaum zu messen ist, so läßt sich mit der gewöhnlichen T. eine brauchbare Messung großer Stromstärken nicht erzielen. Obach hat daher für solche Messungen die T. derart abgeändert, daß der mit einem Kupferband oder mit Drahtwindungen belegte Ring um eine mit der Ruhelage der Magnetnadel zusammenfallende horizontale Achse gedreht und der dem Ring erteilte Neigungswinkel gegen die Vertikale an einem Teilkreis abgelesen werden kann. Die Nadel selbst wird nicht auf einer Spitze balanciert, sondern sie ist, um das bei stärkerm Neigen des Ringes eintretende Kippen der Nadel zu vermeiden, mit einer in zwei Lagern drehbaren vertikalen Achse versehen. Die auf die Nadel ausgeübte Richtkraft des Stroms wird durch diese Einrichtung in dem Verhältnis von l zu dem Sinus des Neigungswinkels verringert. Man findet demnach die Stärke des Stroms, wenn man die wie gewöhnlich aus dem Ablenkungswinkel berechnete verringerte Stromstärke durch den Sinus des Neigungswinkels dividiert. Macht man den Ring um seine vertikale Achse drehbar und dreht denselben der abgelenkten Nadel nach, bis dieselbe wieder auf dem Nullpunkt der Teilung einsteht, so ist die Stromstärke dem Sinus des Winkels, um welchen die Nadel abgelenkt ist, proportional. Dieser Winkel wird an einem horizontalen, mit dem Stativ fest verbundenen Teilkreis abgelesen. Ein so eingerichtetes Instrument heißt Sinusbussole.
Tangentialbewegung, s. Zentralbewegung.
Tangentialräder (Partialturbinen), s. Wasserrad.
Tangentometer, von Prüsker in Wien angegebenes Instrument zum Höhenmessen und Nivellieren, besteht aus Stativ, worauf mittels Nuß mit Stellschrauben ein um eine Achse am Okularende auf- und abstellbares Fernrohr ruht, ähnlich dem Nivellierfernrohr, eher noch wie bei der Kippregel (s. d.).
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Tanger - Tanguten.
Die Horizontalstellung des Fernrohrs ist sehr sorgfältig konstruiert und beruht auf der Horizontalkorrektur einer Stützplatte als der Grundlage für die Messungen, auf welcher die Ständer für das Fernrohr befestigt sind, und auf der darauf selbständig zu bewirkenden Horizontalstellung des Fernrohrs selbst, also mittels zweier Libellen. Auf der Stützplatte ist am Objektivende des Fernrohrs ein Lineal (gerade, nicht Kreisbogen) senkrecht befestigt, an welchem bei Hebungen das Objektivende auf- und niedergeht und zwar mit einem entsprechend sich schiebenden Index und Nonius. Bei 0 des Index auf 0 des Lineals und im übrigen einspielenden Libellen ist die Fernrohrachse horizontal und das Instrument unmittelbar zum gewöhnlichen Nivellieren mit der Latte zu benutzen. Erhebt oder senkt man das Fernrohrende, so wird an dem geraden Lineal nun nicht der Höhen- oder Tiefenwinkel angegeben, wie man ihn zu Höhenmessungen braucht (mit Theodolit oder Kippregel), sondern man liest direkt dessen Tangente ab, kann also bei bekannter Horizontalentfernung des Instruments vom Objekt sofort den Höhenunterschied ermitteln. Vgl. Prüsker, Der T. (Wien 1879).
Tanger (arab. Tandscha), Seestadt in der marokkan. Provinz Hasbat, am westlichen Eingang der Straße von Gibraltar, amphitheatralisch am Abhang eines kahlen Kalkgebirges erbaut, hat meist unregelmäßige, enge und steil aufsteigende Straßen, schöne Moscheen, ein Franziskanerkloster mit Kapelle, dem einzigen christlichen Gotteshaus im ganzen Reich, mehrere Synagogen und Häuser europäischer Agenten, eine alte, teilweise verfallene Citadelle, aber bedeutende Befestigungen am Hafen. Dieser ist zwar klein und von geringer Tiefe, die Reede aber schön und ziemlich geräumig. T. ist der bedeutendste Seehandelsplatz Marokkos und unterhält namentlich einen sehr lebhaften Verkehr mit Gibraltar. Es liefen 1887: 806 Schiffe von 168,598 Ton. ein; der Wert der Ladungen betrug im Eingang 8,52, im Ausgang 4,4 Mill. Mk. Die Konsuln (darunter auch ein deutscher) in T. haben dort eine bedeutendere Stellung als an irgend einem andern Orte, da sie die politischen Vertreter ihrer Staaten beim Sultan von Marokko sind. Da letzterer nicht gestattet, daß Europäer in seiner Hauptstadt residieren, so läßt er seinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten in T. wohnen, wo derselbe zugleich Gouverneur ist. Die Einwohner, 20,000 an der Zahl, sind meist Mauren; dazu kommen Juden spanischen Ursprungs und wenige Europäer. - T. hieß bei den Römern Tingis und ward unter Kaiser Claudius Hauptstadt der Provinz Tingitana oder des westlichen Mauritanien. Die Westgoten eroberten es im 5. Jahrh., im 8. Jahrh. kam es an die Araber. Die Portugiesen brachten es 1471 in ihre Gewalt. 1662 ward es als Brautschatz der portugiesischen Infantin Katharina bei deren Vermählung mit Karl II. von England an letzteres abgetreten, aber wegen der kostspieligen Unterhaltung 1684 aufgegeben, worauf es die Mauren wieder in Besitz nahmen. Am 6. Aug. 1844 ward es von einer französischen Flotte bombardiert, worauf 10. Nov. daselbst der Friede zwischen Frankreich und Marokko abgeschlossen ward.
Tangermann, Wilhelm (pseudonym Victor Granella), altkathol. Theolog und Schriftsteller, geb. 6. Juli 1815 zu Essen an der Ruhr, bezog 1840 die Akademie Münster, vollendete hier den philosophischen Kursus und begann das Studium der Theologie, das er 1842-43 in München unter Döllinger, Görres und Haneberg beendete. Darauf in das erzbischöfliche Klerikalseminar zu Köln aufgenommen, erhielt er 1845 die Priesterweihe und ward 1846 Kaplan in Neuß, 1862 in Unkel. Infolge seiner Weigerung, die vatikanischen Dekrete vom l8. Juli 1870 anzuerkennen, wurde er seines Amtes entsetzt, zog nach Bonn und übernahm 1872 das Pfarramt bei der neuen altkatholischen Gemeinde zu Köln. Von seinen Schriften nennen wir: "Wahrheit, Schönheit und Liebe", philosophisch-ästhetische Studien (Leipz. 1867); "Patriotische Lieder und Zeitgedichte" (Bonn 1871); "Aus zwei Welten", Wahrheit und Dichtung (Leipz. 1871); "Diotima", eine kulturhistorische Novelle (Köln u. Leipz. 1873); "Zur Charakteristik der kirchlichen Zustände" (das. 1874); "Herz und Welt", Dichtungen (das. 1876); "Philosophie und Christentum in ihren Beziehungen zur Kultur- und Religionsfrage" (das. 1876); "Das liberale Prinzip in seiner ethischen Bedeutung für Staat und Kirche etc." (3. Aust., Köln 1883); "Sions Harfenklänge" (Bonn 1886); "Philosophie und Poesie^, Sonettenkränze (Köln 1886); "Neuer Frühling, neues Leben. Zeitbetrachtungen" (Essen 1889). Alle diese Schriften stehen mit der geistigen Richtung, als deren unerschrockener Streiter T. eingetreten ist, im Zusammenhang, offenbaren aber über ihren tendenziösen Zweck hinaus eine poetische Anlage u. vertiefte Bildung.
Tangermünde, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Magdeburg, Kreis Stendal, am Einfluß der Tanger in die Elbe und an der Eisenbahn Stendal-T., hat Mauern und Thore aus dem Mittelalter, die 1376 begonnene gotische Stephanskirche, ein Schloß, ein spätgotisches Rathaus, eine Schifferschule, ein Amtsgericht, Zuckerraffinerie, Öl- und Schrotfabrikation, Bierbrauerei, Schiffbau, Schiffahrt, Getreidehandel, Fischerei und (1885) 5852 Einw. In der Nähe an der Tanger und der Linie Leipzig-Wittenberge der Preußischen Staatsbahn die Tangerhütte mit Raseneisensteingräberei, Eisengießerei, einem Emaillierwerk und (1885) 200 Einw. - T. erscheint schon im 12. Jahrh. als Stadt. Die dortige Burg war wiederholt Residenz der Markgrafen von Brandenburg, besonders zur Zeit Kaiser Karls IV., wurde aber 1640 von den Schweden größtenteils zerstört; von dem alten Bau ist noch der Kapitelsturm übrig. Vgl. Götze, Geschichte der Burg T. (Stendal 1871).
Tangerwicke, s. v. w. Lathyrus tingitanus.
Tangieren (lat.), berühren; Eindruck machen.
Tanguten (bei den Chinesen Sifan, d. h. westliche Barbaren), ein den Tibetern nahe verwandtes Volk in den Alpenländern westlich von den chinesischen Provinzen Schensi und Setschuan, am obern Lauf der Zuflüsse des Huangho und Jantsekiang. Sie werden seit 634 n. Chr. in den chinesischen Annalen öfters erwähnt und sind gegenwärtig den Chinesen tributpflichtig. Die T. sind von mittlerm, aber kräftigem Wuchs, mit schwarzem Haar und starkem, kurzgeschornem Bart, gerader Nase, großen, nicht schmal geschlitzten Augen und dicken, oft aufgeworfenen Lippen. Ihre Kleidung, bei beiden Geschlechtern dieselbe, besteht in einer Art Schlafrock aus Tuch oder Schaffellen. Ihre Unsauberkeit überschreitet alle Grenzen. Die Sprache der T. gehört zur tibetischen Gruppe der einsilbigen Sprachen. Die T. sind Nomaden, welche sich vornehmlich mit Schafzucht befassen; nach der Farbe der Zelte, unter welchen sie wohnen, unterscheidet man schwarze oder gelbe T. Ihre Religion ist ein durch allerhand Aberglauben entstellter Buddhismus. Alle T. werden von eignen Beamten regiert, welche einem chinesischen Beamten in Sinin (Kansu) unterstellt sind.
510
Tangwiesen - Tanne.
Tangwiefen, s. Fukusme^e.
Taenia. Bandwurm.
Tanis (ägypt. T'a, T'an, hebr. Zo'an, arab. Sân), altägypt. Stadt
im nordöstlichen Nildelta, deren zuerst von Mariette, dann 1883-84 von
Flinders Petrie aufgedeckte Ruinen beim heutigen Fischerdorf Sân el
Hager unweit des Südufers des Menzalesees liegen. Schon unter der
6. Dynastie um die Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends bestehend,
wurde T. um 2100 Residenz der semitischen Hyksoskönige und später
diejenige der großen Herrscher aus der 19. Dynastie, wie Ramses' II. und
Merenptahs, deren ersterer in T. einen großartigen Tempel des
Kriegsgottes Set erbaute, in dessen Ruinen nicht weniger als 14
Obelisken gefunden wurden. In sehr fruchtbarer, wild- und fischreicher
Gegend gelegen und selbst für Seeschiffe erreichbar, war T. vor der
Gründung Alexandrias wohl die größte Handelsstadt Ägyptens, sank aber
später infolge von Landanschwemmungen und des Versandens der
Tanitischen Nilmündung und wurde wahrscheinlich 174 n. Chr.
gelegentlich eines Aufstandes zerstört. Vgl. Flinders Petrie, Tanis
(Lond. 1885, Bd. 1).
Tanjore, Stadt, s. Tandschor.
Tankred, 1) T. von Hauteville, normänn. Ritter im 11. Jahrh., dessen zehn Söhne, unter ihnen
der berühmte Robert Guiscard und Roger I., 1038
nach Unteritalien zogen, es eroberten und dort das normännische Reich
gründeten.
2) Berühmter Kreuzfahrer, Enkel des vorigen, von dessen Tochter Emma aus
ihrer Ehe mit dem Markgrasen Otto dem Guten, geb. 1078, begleitete 1096
seinen Vetter Bohemund von Tarent auf dem ersten Kreuzzug, zeichnete
sich bei der Belagerung von Nikäa durch Tapferkeit aus, besetzte
Tarsos, über dessen Besitz er sich mit Balduin entzweite, that sich vor
Antiochia hervor, besetzte Bethlehem, erstürmte bei der Eroberung von
Jerusalem zuerst mit den Seinen die Mauern und pflanzte sein Banner auf
der Moschee Omars auf. Er blieb auch nach dem Sieg bei Askalon in
Palästina und erhielt das Fürstentum Tiberias. Nach dem Tod Gottfrieds
von Bouillon suchte er die Wahl zum König von Jerusalem vergeblich auf
seinen Vetter Bohemund zu lenken. Als die Sarazenen Bohemund
gefangennahmen und dieser nach seiner Freilassung 1103 nach Europa ging,
verwaltete er dessen Fürstentum Antiochia und hielt eine harte
Belagerung durch die Sarazenen aus. Er vergrößerte das Fürstentum durch
Eroberung von Adana, Mamistra und Laodikea, rettete Edessa vor der
Einnahme durch die Seldschukken, worauf ihm auch dieses Fürstentum
übertragen wurde, und eroberte Arta. Er starb 21. April 1112. Vermählt
war er mit Cäcilie, einer natürlichen Tochter des Königs Philipp I. von
Frankreich. Wenn schon Tankreds Ruhm in der Geschichte begründet ist,
so ist derselbe doch ganz vorzüglich erhöht worden durch Tafsos
"Befreites Jerusalem", worin T. ganz als Held
erscheint. Vgl. Raoul von Caen, Gesta Tancredi (in Guizots "Collection
des mémoires"); Delabarre, Histoire de Tancrède (Par. 1822), und
Kugler, Boemund und T., Fürsten von Antiochien (Tübing. 1862).
3) T. von Lecce, König von Sizilien, natürlicher Sohn des Herzogs Roger
von Apulien und Enkel des Königs Roger II. von Sizilien, ward nach
Wilhelms des Gütigen Tod 1190 von den Sizilianern in Palermo zum König
gewählt und verteidigte den Thron mit Glück gegen Kaiser Heinrich VI. Nach
seinem Tod 22. Febr. 1194 mußte sein unmündiger
Sohn Wilhelm III. auf die Krone verzichten und
starb bald auf der Burg Hohenembs.
Tann, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Kassel, Kreis Gersfeld, in der
Rhön, an der Ulster und der Linie Fulda-T. der Preußischen Staatsbahn,
359 m ü. M., hat eine neue gotische evang. Kirche, 3 Schlösser der
Freiherren von der T. (s. Tann-Rathsamhausen), Holzwarenfabrikation,
Spinnerei und (1885)
1090 meist evang. Einwohner. Die Stadt ward 1866
von Bayern an Preußen abgetreten.
Tanna, 1) (Thana) Hauptstadt eines Distrikts in der
britisch-ind. Präsidentschaft Bombay, auf der Ostseite der Insel
Salsette, mit einem alten Fort (jetzt Gefängnis), portugiesischer
Kathedrale und l4,456 Einw. - 2) Eine der südlichsten der Neuen
Hebriden, 380 qkm (7 QM.) mit 10,000 Einw. Im Innern ein 135 m hoher,
thätiger Vulkan mit Schwefelquellen an seinem Fuß. Die Küstenstriche
sind äußerst fruchtbar. Hafenplatz ist Resolution.
Tanna, Stadt im Fürstentum Reuß j. L., Landratsamt Schleiz, an der
Eisenbahn Schönberg-Hirschberg, 538 m ü. M., hat eine evang. Kirche,
Viehmärkte, Holzhandel und (1885) 1636 evang. Einwohner.
Tannahill, Robert, schott. Dichter, geb. 3. Juni
1774 zu Paisley, trieb die Weberei und dichtete daneben Lieder, die
durch seines Freundes R. A. Smith Kompositionen bald volkstümlich
wurden. Auch gab er "Poems and songs" (1807) heraus. Am bekanntesten
wurden unter seinen Gedichten: "Jessy, the flower of Dumblane" und "The
song of the battle of Vittoria", die nur von den besten Dichtungen
Rob. Burns' übertroffen werden. Später verfiel er in Schwermut und
zuletzt in Wahnsinn; in diesem nahm er sich 17. Mai 1810 selbst das
Leben. Eine Sammlung seiner Werke nebst Biographie erschien
Glasgow 1838 (neue Ausg. 1879).
Tanne (Picea Don., Abies Lk., hierzu Tafel "Tanne"), Gattung aus der
Familie der Abietineen, meist hohe Bäume, deren Hauptäste in
unregelmäßigen Quirlen und deren Nebenäste meist zweireihig stehen,
mit einzeln stehenden, meist zweizeiligen, flachen, unterseits längs des
Mittelnervs bläulichweiß gestreiften Nadeln, aufrechten Zapfen und nach
der Reife von der Achse sich lösenden Zapfenschuppen. Die europäische
Edeltanne (Weißtanne, P. pectinata Lam., Abies alba Mill., A. Picea
L., A. pectinata Dec., A. excelsa L., P. Abies Dur., s. Tafel), einer
der schönsten Waldbäume mit in der Jugend pyramidaler, im Alter fast
walzenförmiger, unregelmäßiger, am Wipfel storchnestartig abgeplatteter
Krone, wird im Schluß über 65 m hoch, hat zuerst olivenbraune, später
weißgraue Rinde, behaarte, rauhe Zweige, an welchen die Nadeln nach zwei
Seiten flach gestellt sind. Sie werden 2-3 cm lang und sind am obern
Ende abgerundet und ausgerandet; die Blüten stehen fast nur in den
obersten Verzweigungen des Wipfels an vorjährigen Trieben, die
männlichen Blütenkätzchen sind viel länger als die der Fichte, die
senkrecht aufgerichteten, 4-6 cm langen weiblichen Blütenzäpfchen
gelbgrün, die aufrecht stehenden, 14-20 cm langen Zapfen länglich
walzenförmig, hell grünlichbraun, ihre Deckschuppen lineal zungenförmig
mit dem zwischen den Fruchtschuppen hervorragenden Teil rückwärts
gebogen. Nach der Samenreife im Oktober, oft erst im April des folgenden
Jahrs, löst sich der Zapfen ganz auf, und nur die spindelähnliche Achse
bleibt am Trieb stehen. Die Samen sind dreikantig, geflügelt. Die T. hat
eine ziemlich tief gehende Pfahlwurzel und unter der Oberfläche des
Bodens verlaufende zahlreiche Nebenwurzeln. Die Keimpflanze besitzt ge-
Tanne.
Tanne (Abies Picea).
1. Zweig mit männlichen Blütenkätzchen. —
2. Trieb mit weiblichen Blütenkätzchen. -
3. 4. Weibliche Deckschuppe mit der noch kleinen Samenschuppe von der Innen- und Außenseite, an ersterer unten die Samenschuppe mit den zwei Samenknospen. —
5. (und die Figur darüber) Die Samenschuppe in verschiedenen Entwickelungszuständen, wie 3 und 4 vergrößert. —
6. 7. Männliche Blütenkätzchen, als Knospe und vollkommen entwickelt (doppelte Größe). —
8. Staubgefäße. —
9. Nadel (doppelte Größe). —
10. Querschnitt derselben, ebenso. —
11. Keimpflänzchen. —
12. Stammknospe desselben mit abgeschnittenen Nadeln und Keimnadeln, vergrößert.
Zum Artikel »Tannen.
511
Tannenberg - Tannenhäher.
wöhnlich 5-7 sehr große Keimnadeln; in der Jugend wächst die T. viel langsamer als die Fichte, vom 25. oder 30. Lebensjahr an beginnt aber ein fördersameres Wachstum, welches länger als bei irgend einem Waldbaum, mit Ausnahme der Eiche, anhält. Sie erreicht ein sehr hohes Alter. Im allgemeinen trägt sie später und seltener Früchte als die Fichte. Ihre Verbreitung ist auch viel beschränkter. Sie gehört als Waldbaum den höhern Stufen des mitteleuropäischen Berglandes (Riesengebirge, Erzgebirge, Böhmerwald, Bayrischer Wald, Fichtelgebirge, Frankenwald, Schwarzwald, Alb, Jura, Wasgenwald), den südwesteuropäischen (Burgund, Auvergne, Pyrenäen) und südosteuropäischen Gebirgslandschaften (Karpathen, Siebenbürgen, östlicher Balkan, thrakische Berglandschaft), meist in Höhen von 800-1200 m ü. M. im mittlern, von 1200 -1900 m im südlichen Europa, an. Die T. meidet die aufgeschwemmten Bodenarten des Flachlandes und liebt vor allen den Verwitterungsboden des Urgebirges. Sie gedeiht nur im Bestandsschluß zur höchsten Vollkommenheit, da sie einen erheblichen Schirmdruck erträgt und in der Jugend des Schutzes durch Altstämme bedarf. Ausgedehnte Bestände bildet sie mit der Rotbuche zusammen, auch mit der Fichte; ihr ganzes Wuchsverhalten aber stempelt sie zum Betrieb in reinen Beständen mit höherm Umtrieb (140-150 Jahre). Die T. ist sturmfest und dem Schneebruch und Insektenschäden wenig unterworfen, Wildbeschädigungen aber sehr ausgesetzt. Man verjüngt die Tannenbestände am besten in dunkeln Samenschlägen; zur Neubegründung von solchen Beständen wendet man Schirmschläge an. Man pflückt die Zapfen im September; der Same bedarf des Ausklengens nicht, da derselbe von selbst ausfällt. Ein Hektoliter Zapfen wiegt 45 kg und ergibt etwa 3 kg gereinigten Samen (4½ kg geflügelten Samen). Ein Kilogramm reinen Samens enthält 16,000 Körner. Zur Saat verwendet man pro Hektar 25 kg (Plätzesaat) bis 80 kg (Vollsaat) reinen Samen. Meist macht man Riefensaaten (0,5 m breit) mit 50 kg Samen pro Hektar. Im Saatkamp säet man 5 kg pro Ar. Der Same wird höchstens 0,8 cm tief mit Erde bedeckt. Frühjahrssaat ist wegen der Frostgefahr und des Mäusefraßes vorzuziehen. Saat- und Pflanzkämpe legt man in frostfreien Lagen, thunlichst in nicht zu geschlossenen alten Schirmbeständen an. Die zweijährigen Pflänzlinge werden umgepflanzt (verschult), im sechsjährigen Alter in die Bestände gepflanzt. Vielfach werden auch Wildlinge mit Ballen, fünf- bis sechsjährig, zur Vervollständigung der Kulturen verwendet. Man benutzt das sehr gleichmäßige und spaltbare Tannenholz wie Fichtenholz, außerdem namentlich zu Resonanzböden musikalischer Instrumente. Die T. liefert auch Harz und Terpentinöl, aber die Rinde ist zum Gerben nicht geeignet. A. venusta Dougl., in Kalifornien, mit brauner Rinde, weit herabhängenden untern und unregelmäßig abstehenden obern Ästen, zugespitzten Nadeln und dreilappigen, sehr lang zugespitzten Deckblättern, wird über 30 m hoch und bei uns als Zierpflanze kultiviert, ebenso A. amabilis Dougl., an der Westseite Nordamerikas, mit brauner Rinde, in der Jugend auf beiden Seiten bläulich gestreiften, zuletzt gleichmäßig grünen, an der Spitze oft ausgerandeten Nadeln und am Rand gezähnelten Deckblättern, über 60 m hoch werdend. P. balsamea Loud. (A. balsamea Mill., Balsamtanne), in Nordamerika, südlich bis Virginia, sehr verbreitet, mit schwärzlichgrauer Rinde, an der Spitze ausgerandeten, unterseits bläulichweiß gestreiften Nadeln, gezähnelten Deckblättern und violetten Zapfen, wird 15 m hoch und bildet eine pyramidale Krone; ihre Blätter und Zweige riechen gerieben sehr angenehm; sie liefert den Kanadabalsam. P. Nordmanniana Loud. (A. Nordmanniana Link.), im Kaukasus und im Pontischen Gebirge, 30 m hoher, meist vom Grund an regelmäßig mit Ästen besetzter Baum mit schwärzlichgrauer Rinde, ringsum gestellten, an der Spitze ausgerandeten, wenigstens am obern Teil gezähnelten und meist mit verlängerter Spitze versehenen Deckblättern und sehr großen, meist mit Harz stark bedeckten Zapfen, zählt zu den schönsten und höchsten Edeltannen, ist raschwüchsig und vollständig hart und wird daher vielfach als Zierpflanze kultiviert. P. Pinsapo Loud. (A. Pinsapo Boiss., spanische Edeltanne), in den Gebirgen des südlichen Spanien und Nordafrikas, ein 20-25 m hoher Baum mit grauschwärzlicher Rinde, ringsum stehenden, zugespitzten, gleichfarbigen oder unterseits schwach bläulichweiß gestreiften Nadeln, kurzen, gezähnelten und mit einer besondern Spitze versehenen Deckblättern und ziemlich großen, am obern Teil etwas eingedrückten Zapfen, hält in Norddeutschland in geschützten Lagen ziemlich gut aus. Amerikanische Edeltanne (P. nobilis Loud., A. nobilis Lindl.), 70 m hoher Baum Kaliforniens mit kastanienbraunem Stamm, fast ringsum gestellten, nach oben gekrümmten Nadeln, 16-18 cm langen Zapfen mit spatelförmigen, oben geschlitzt gezahnten und in eine schmal lanzettliche Spitze auslaufenden, sehr langen Deckschuppen, eine der schönsten Edeltannen, bildet in ihrem Vaterland große Wälder und ist in Norddeutschland vollkommen hart. Vgl. Schuberg, Die Weißtanne (Tübing. 1888).
Tannenberg, 1) Dorf in der sächs. Kreishauptmannschaft Zwlckau, Amtshauptmannschaft Annaberg, an der Zschopau und der Linie Schönfeld-Geyer der Sächsischen Staatsbahn, hat eine evang. Kirche, Baumwollspinnerei, Papier- und Pappenfabrikation, Gorlnäherei und (1885) 1277 Einw. - 2) Dorf im preuß. Regierungsbezirk Königsberg, Kreis Osterode, hat (1885) 247 Einw. und ist bekannt durch die Niederlage des deutschen Ordensheers gegen die Polen und Litauer 15. Juli 1410.
Tannenfalk, s. v. w. Wanderfalk, s. Falken, S. 9.
Tannenfichte, s. v. w. Weimutskiefer.
Tännengebirge, ein Gebirgsstock der Salzkammergutalpen, vom Salzachthal zwischen Golling und Werfen östlich gegen die Dachsteingruppe sich hinziehend, im Raucheck 2428 m hoch, verengert mit dem gegenüberliegenden Haagengebirge das Salzachthal zu enger Schlucht (Paß Lueg).
Tannenhäher (Nucifraga Briss.), Gattung aus der Ordnung der Sperlingsvögel, der Familie der Raben (Corvidae) und der Unterfamilie der eigentlichen Raben (Corvinae), kräftig gebaute Vögel mit langem, starkem, sanft nach der Spitze zu abfallendem Schnabel, mittellangen, stumpfen Flügeln, in welchen die vierte und fünfte Schwinge am längsten sind, mittellangem, gerundetem Schwanz und starken Füßen mit kräftigen Nägeln an den mittellangen Zehen. Der T. (Nußknacker, Berg-, Birkenhäher, N. caryocatactes Briss.), 36 cm lang, 59 cm breit, ist dunkelbraun, weiß gefleckt. nur auf Scheitel und Nacken ungefleckt, Schwingen und Schwanzfedern sind schwarz, letztere an der Spitze weiß; die Augen sind braun, Schnabel und Füße schwarz. Der T. bewohnt die Wälder Nordeuropas, Nordasiens und unsrer Hochgebirge, besonders im Gebiet der Zirbelkiefer. In Deutschland ist er sehr selten, erscheint aber in manchem Winter ziemlich häufig; im Norden
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Tannenklee - Tansillo.
wandert er regelmäßiger, doch im allgemeinen auch nur, wenn die Zirbelnüsse mißraten sind. Er klettert an den Bäumen umher und meißelt mit dem Schnabel, wie die Spechte. Seine Nahrung besteht wesentlich aus Sämereien, Nüssen, Beeren, Kerbtieren, Schnecken, kleinen Vögeln etc. Er nistet im März auf Bäumen und legt 3-4 blaß grünblaue, hellbraun gefleckte Eier, welche das Weibchen in 17-19 Tagen ausbrütet. Er wird nützlich, indem er zur Verbreitung des Arvensamens an den unzugänglichsten Stellen beiträgt. In der Gefangenschaft fällt besonders seine Mordlust auf. Vgl. Tschusi zu Schmidhoffen, Verbreitung und Zug des Tannenhehers (Wien 1888).
Tannenklee, s. Anthyllis.
Tannenlaus, s. Blattläuse, S. 2.
Tannenpapagei, s. Kreuzschnabel.
Tannenpfeil, s. Kiefernschwärmer.
Tannenroller, s. Spechte.
Tannhausen, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Breslau, Kreis Waldenburg, im Weistritzthal und im Waldenburger Gebirge, hat eine kath. Kirche, ein Schloß, Steinkohlenbergbau, mechanische Weberei, Dampfziegelei und besteht aus den Orten Blumenau (Ober-T.) mit (1885) 1941, Mittel-T. mit 1551 und Erlenbufch (Nieder-T.) mit 356 Einw.
Tannhäuser (Tanhuser), Minnesänger, vermutlich ein Salzburger oder Bayer, der um die Mitte des 13. Jahrh. am Hofe Friedrichs des Streitbaren und andrer Fürsten sich aufhielt und ein abenteuerliches Wanderleben geführt zu haben scheint. In seinen Liedern schildert er, dem Vorgang Neidharts folgend, mit Vorliebe das bäuerliche Leben und derbsinnliche Minne, nebenbei mit allerlei litterarischer Gelehrsamkeit prunkend. Auch ein didaktisches Gedicht: "Hofzucht", wird ihm beigelegt. Eine seiner Weisen erhielt sich bei den Meistersängern. Seine lyrischen Gedichte finden fich im 2. Teil der "Minnesinger" von Hagen (Leipz. 1838), die "Hofzucht" im 6. Band von Haupts "Zeitschrift für deutsches Altertum" (das. 1848). An sein bewegtes Leben und ein ihm beigelegtes Bußlied knüpft sich die bekannte Sage vom Ritter T., der im Venusberg verweilte, dann nach Rom pilgerte, um Vergebung seiner Sünden zu erlangen, und, als ihm diese versagt wurde, verzweiflungsvoll zu Frau Venus im Hörselberg (s. d.) zurückkehrte. R. Wagner hat die Sage zu einer Oper verarbeitet. Vgl. Grässe, Der T. und ewige Jude (2. Aufl., Dresd. 1861); Zander, Die Tannhäusersage und der Minnesänger T. (Königsb. 1858).
Tannieren, s. Gallieren.
Tannin, s. Gerbsäuren, S. 160.
Tanningensäure, s. Katechin.
Tanninstoffe, s. v. w. Gerbsäuren.
Tann-Rathsamhausen, Ludwig Samson Heinrich Arthur, Freiherr von und zu der, bayr. General, geb. 18. Juni 1815 zu Darmstadt als Sohn des 1848 verstorbenen bayrischen Kämmerers Freiherrn Heinrich von und zu der T. und einer Freiin von Rathsamhausen aus einer erloschenen elsässischen Familie, trat 1833 als Leutnant in die bayrische Artillerie, ward 1840 in den Generalstab versetzt, 1844 Adjutant des Kronprinzen Maximilian und bald Major, ging 1848 beim Ausbruch des Kriegs in Schleswig-Holstein dahin, wo er in kurzem in das Freischarenwesen Ordnung zu bringen wußte und bei Altenhof und Hoptrup glänzende Waffenthaten verrichtete, ward 1849 Chef des Generalstabs der unter dem Prinzen Eduard von Sachsen-Altenburg stehenden Division und trat im Juli 1850 als Oberst und Generalstabschef des Generals Willisen in die schleswig-holsteinische Armee, mit der er bei Idstedt, Missunde und Friedrichstadt kämpfte. Nach Bayern zurückgekehrt, ward er Oberstleutnant und Adjutant des Königs Maximilian II., 1855 Generalmajor, 1860 Generaladjutant des Königs und 1861 Generalleutnant und Generalkommandant in Augsburg, dann in München. 1866 wurde er zum Generalstabschef des Prinzen Karl, des Oberbefehlshabers der süddeutschen Kontingente, ernannt, schloß mit Österreich zu Olmütz die Konvention vom 14. Juni ab und leitete die Operationen der Bayern im Juli, deren unglücklicher Verlauf von der ultramontanen Presse besonders T. schuld gegeben wurde, so daß derselbe den Angriffen durch eine Anklage des "Volksboten" ein Ende machen mußte. (Vgl. "Die bayrische Heerführung und der Chef des Generalstabs, Generalleutnant Freiherr v. d. T., vor den Geschworen etc., Kissing. 1866.) T. blieb nach dem Kriege Generaladjutant des Königs und Divisionskommandeur und wurde 1869 zum General der Infanterie und Kommandeur des 1. bayrischen Korps befördert. An der Spitze desselben kämpfte er 1870 mit Auszeichnung bei Wörth, Beaumont und Sedan, erhielt Anfang Oktober den Oberbefehl über eine aus seinem Korps, der 22. preußischen Infanterie- sowie der 1. und 4. Kavalleriedivision gebildete Armeeabteilung, siegte 10. Okt. bei Orléans, das er besetzte, zog sich nach tapferer Gegenwehr gegen die französische Übermacht bei Coulmiers 9. Nov. nach Norden zurück, kämpfte 2.-10. Dez. unter dem Großherzog von Mecklenburg in mehreren blutigen Gefechten bei Orléans und kehrte Ende Dezember 1870 zur Zernierungsarmee vor Paris zurück. Er starb als Kommandeur des 1. bayrischen Armeekorps 26. April 1881 in Meran. Vgl. Zernin, Freih. Ludw. von und zu der T. (Darmstadt 1883); Helvig, Ludw., Freih. v. T. (Berl. 1884).
Tannroda, Stadt im weimar. Verwaltungsbezirk Weimar I, an der Ilm und der Eisenbahn Weimar-T.-Kranichfeld, 294 m ü. M., hat eine evang. Kirche, eine Burgruine, eine Oberförsterei, Korbflechterei, eine Dampfschneide-, Mahl-, Gips- und Lohmühle, Holzhandel und (1885) 889 Einw.
Tannwald, Stadt in der böhm. Bezirkshauptmannschaft Gablonz, an der Bahnlinie Eisenbrod-T., mit Bezirksgericht, Baumwollspinn- und Webfabrik (23,500 Spindeln und 500 mechanische Webstühle), Maschinenbauwerkstätte, Glasschleiferei, Glaskurzwarenindustrie und (1886) 2726 Einw.
Tan-ra, früher Name der Insel Quelpart (s.d.).
Tansillo, Luigi, ital. Dichter, geboren um 1510 zu Venosa im Neapolitanischen, trat früh in die Armee und erwarb sich durch seinen Mut nicht minder als durch sein poetisches Talent die Gunst des Don Garcias, Sohns des Vizekönigs von Neapel, den er nach Sizilien und später auf der Expedition gegen Tunis (1551) begleitete. Ein geistreiches, aber schlüpfriges Gedicht: "Il vendemmiatore" (Neapel 1534, Vened. 1549, Par. 1790; franz. von Mercier: "Jardin d'amour", das. 1798), begründete seinen litterarischen Ruf, zog ihm aber das Verdammungsurteil der römischen Kurie zu. Um dieselbe wieder auszusöhnen, schrieb er das religiöse Epos "Le lagrime di San Pietro", von welchem jedoch bei seinen Lebzeiten nur ein Teil gedruckt wurde, und welches er auch unvollendet hinterließ. Erst nach seinem Tod erschien das Gedicht, welches im einzelnen große Schönheiten besitzt, aber durch seine Länge und eine gewisse Monotonie ermüdet (Vened. 1606). T. starb um 1570. Außer den genannten Werken hat man
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Tansimat - Tantieme.
von ihm das dramatische Gedicht "I due pellegrini" (Neap. 1631). Die Ausgabe seiner "Opere" (Vened. 1738) enthält die beiden letztgenannten Gedichte und seine "Rime Varie", unter welchen sich viele gute befinden. Später wurden aus Handschriften publiziert die beiden Lehrgedichte: "La balia" (Vercelli 1767, Vened. 1797) und "Il podere" (Tur. 1769, Parma 1797), welch letzteres zu den besten seiner Gattung in der italienischen Litteratur gehört, sowie verschiedene "Capitoli" (Vened. 1832-31).
Tansimat,s. Tanzimat.
Tanta, Hauptstadt der ägypt. Provinz Garbieh mit (1882) 33,750 Einw. (1029 Ausländer), hat große kommerzielle Bedeutung infolge seiner zentralen Lage im Nildelta, als Kreuzungspunkt mehrerer Eisenbahnen und Kanäle, des prächtigen Grabes des wunderthätigen Scheichs Ahmed el Bedawi und seiner drei großen Messen, von welchen die im August an 500,000 Menschen hier versammelt. Die hiesige Medresse wird von nahe an 5000 Schülern besucht und steht nur der von Kairo nach. T. ist Sitz eines deutschen Konsulats.
Tantal (Columbium) Ta, chemisch einfacher Körper, findet sich als Tantalsäuresalz im Tantalit, Columbit, Yttrotantalit, Pyrochlor und andern seltenen Mineralien, wird aus diesen als schwarzes, sehr widerstandsfähiges Pulver erhalten, verbrennt beim Erhitzen an der Luft zu Tantalsäureanhydrid Ta2O5 und gibt beim Erhitzen in Chlor Tantalchlorid TaCl5. Tantalsäure H3TaO4 verbindet sich mit Basen in mehreren Verhältnissen. Atomgewicht des Tantals ist 182. T. wurde 1801 von Hatchett entdeckt.
Tautalit, Mineral aus der Ordnung der Tantalate und Niobate, findet sich in rhombischen, säulenförmigen kristallen, auch derb und eingesprengt, ist schwarz, undurchsichtig, unvollkommen metallglänzend, Härte 6-6,5, spez. Gew. 6,3-8, besteht aus tantal- und niobsaurem Eisenoxydul Fe(TaNb)2O6 mit Mangangehalt. Eine zinnreiche Varietät ist der Ixiolith. T. findet sich bei Falun in Schweden, in Finnland etc., überall in Granit eingewachsen.
Tantalos, im griech. Mythus König von Lydien oder Phrygien, Sohn des Zeus und der Pluto, Vater des Pelops und der Niobe, Großvater des Atreus und Thyestes, durfte als Liebling des Zeus an den Göttermahlen teilnehmen. Dadurch übermütig geworden, lud er selbst die Götter ein und setzte ihnen, um ihre Allwissenheit zu prüfen, das Fleisch seines eignen Sohns Pelops vor. Nach andern soll er des Zeus geheime Ratschlüsse ausgeplaudert oder Nektar und Ambrosia vom Göttertisch entwendet haben. Zur Strafe für diesen Frevel stürzten ihn die Götter in die Unterwelt, und hier mußte er (nach der Sage bei Homer) fortwährend den qualvollsten Hunger u. Durst leiden. Er stand in einem Teich, während Bäume ihre fruchtbeladenen Zweige über ihn nieder neigten; aber so oft er davon pflücken oder aus dem Teich trinken wollte, wichen Früchte und Wasser zurück. Nach Pindar schwebt er selbst in der Luft, und über seinem Haupt hängt ein stets den Sturz drohender Felsenblock. Darstellungen finden sich auf Vasenbildern, z. B. in der Münchener Sammlung (s. Abbildung).
Tautalusbecher, Vexierbecher, s. Heber, S. 256.
Tantardini, Antonio, ital. Bildhauer, geb. 1829 zu Mailand, bildete sich an der dortigen Akademie und zeigte schon in seinen ersten Arbeiten, einer Marmorbüste von Dantes Beatrice, einer Marmorstatue des Studiums und dem Grabdenkmal der Sängerin Giuditta Pasta (gest. 1865), ein eifriges Studium der Antike und der Cinquecentisten. Es folgten eine kolossale Statue des Moses für Mailand, eine Statue des Märtyrers Arnold von Brescia (in Desio bei Mailand), die sitzende Muse der Geschichte an dem Cavour-Denkmal Tabacchis in Mailand und das Denkmal des Physikers Volta in Pavia. Unter seinen kleinern Arbeiten, die sich durch meisterhafte Behandlung des Stofflichen auszeichnen, aber auch unter dem die moderne italienische Plastik beherrschenden Streben nach Koketterie leiden, sind zu nennen. eine Figur der Eitelkeit, eine Badende, eine Lesende, eine Marmorbüste Dantes, der erste Schmerz und Faust und Gretchen. T. starb 7. März 1879 als Professor der Akademie in Mailand.
Tantarer, alte ägypt. Stadt, s. Dendrah.
Tant de bruit pour une omelette! (franz.), "so viel Lärm um einen Eierkuchen!" d. h. um nichts, sprichwörtlich gewordener Ausruf, der nach einer bekannten Anekdote auf den Dichter Desbarreaux zurückgeführt wird.
Tante (franz., mit vorgeschobenem t v. altfranz. ante, engl. aunt, lat. amita), Muhme, Base, Vaters-, Mutterschwester, Frau des Oheims etc.
Tantième (franz., spr. tangtíähm, "der sovielte Teil"), der Anteil, welchen jemand von dem Gewinn eines Unternehmens bezieht. Das Tantiemesystem bildet den Gegensatz zu dem Honorarsystem, indem bei dem letztern eine bestimmte und dem Betrag nach feststehende Vergütung gewährt wird, während die T. sich nach dem finanziellen Erfolg des Unternehmens richtet und sich nach Prozentsätzen des Geschäftsgewinns bestimmt. T. beziehen gewisse Beamte, Handlungsgehilfen, Provisionsreisende, Arbeiter (s. Arbeitslohn, S. 759), Verwaltungsräte bei Aktiengesellschaften etc. Die T. kommt aber auch neben festem Gehait vor, wie dies z. B. bei den Direktoren von Aktiengesellschaften üblich ist. Für Genossenschaften ist nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz von 1889 das Tantiemesystem ausgeschlossen, soweit es sich um die Bezahlung der Aufsichtsräte handelt. Dagegen ist das Tantiemesystem bei der Aufführung von dramatischen und musikalischen Werken das herrschende. Der Komponist wie der Dichter können hiernach als Autorenanteil einen Bruchteil von der Einnahme beanspruchen, welche sich beider Aufführung ihres Werkes (Tantiemevorstellung) ergibt. In Frankreich schon 1791 gesetzlich eingeführt, wurde die Theatertantieme erst seit 1847 von der Generalintendantur der königlichen Schauspiele in Berlin und ebenso von der Direktion des Burgtheaters in Wien verwilligt. Jetzt ist die Tantiemezahlung in der regelmäßigen Höhe von 10 Proz. allgemein üblich, und die Ausübung einer diesbezüglichen Kontrolle ist eine Hauptaufgabe der 1871 gegründeten
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Tantos - Tanzmusik,
Deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, welche in Leipzig ihren Sitz hat. Im einzelnen Fall ist der zwischen dem Autor und dem Unternehmer der Aufführung abgeschlossene Vertrag, im Zweifel die "Theaterpraxis" maßgebend. Das Bundes- (Reichs-) Gesetz vom 11. Juni 1870, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, sichert dem Dichter wie dem Komponisten und ihren Rechtsnachfolgern ihren Anspruch auf die Vergütung für die Überlassung des Aufführungsrechts (s. Urheberrecht).
Tantos, s. Rechenpfennige.
Tantra, Name eines spätern brahmanischen Systems, das ungefähr 500 n. Chr. in Indien entstand und über Nepal nach Tibet wanderte, wo es einen starken Einfluß auf den Buddhismus ausübte. Die Anhänger der Tantralehre (Tantrikas) verehren als Hauptgottheiten Siwa und seine Gattin Pârwatî, die hier zu strafenden und rächenden Gottheiten wurden, welche die Verteidigung der Religion des Buddha übernommen haben. Ihre Schriften, meist Dialoge zwischen beiden Gottheiten und von der Schöpfung und Zerstörung der Welt, der Götterverehrung, der Erlangung übermenschlicher Kräfte etc. handelnd, sind in Europa noch wenig bekannt.
Tanunda, Ort in Südaustralien, hat 3 deutsche Kirchen und zählt mit dem nahen Langmeil, Bethanien u. a. 900 Einw. (meist Deutsche).
Tanz, gewisse von Musik begleitete und in einem bestimmten Zeitmaß ausgeführte körperliche Bewegungen, die durch technische Fertigkeit und Geschmack in das Gebiet der Kunst erhoben werden können (Tanzkunst), sowie das begleitende Musikstück selbst (s. Tanzmusik). Die Tanzkunst gehört unter die mimischen Künste; wie aber bei der Pantomime die Bewegungen der Füße den Bewegungen und Gebärden des übrigen Körpers untergeordnet sind, so finden im T. umgekehrt die Bewegungen der Füße gewissermaßen eine Begleitung (Akkompagnement) in den Bewegungen des übrigen Körpers. Man teilt den T. in den gesellschaftlichen und den theatralischen. Der gesellschaftliche T. hat das gemeinschaftliche Vergnügen, die Unterhaltung zum Zweck und schließt auch die sogen. Nationaltänze, die als Ausdruck nationaler Eigentümlichkeiten ein besonderes Interesse haben, in sich. Zu letztern gehören bei den Deutschen namentlich der Walzer (künstlich zur Allemande ausgebildet), bei den Franzosen die Menuett und Française, in England die Anglaise, in Schottland die Ekossäse, bei den Spaniern die Sarabande und der Fandango, bei den Italienern die Tarantella und der Saltarello, in Polen die Polonäse, Mazurka, der Krakowiak etc. Beim theatralischen T., der von künstlerisch gebildeten Tänzern aufgeführt wird, unterscheidet man gewöhnlich die grotesken Tänze, die mehr Ausdruck der Kraft als der Grazie, ungewöhnliche Sprünge und Gebärden erfordern; die komischen Tänze, die, ebenfalls lebhaft, sich mitunter bis zum Mutwillen steigern, und die halben Charaktere, die eine Intrige, eine Liebesaffaire darstellen und besonders Zierlichkeit und Geschmack verlangen; hierzu kommt noch das Ballett (s. d.). - Schon in den frühsten Zeiten des Altertums nahm der T. eine wichtige Stelle ein und zwar vorzugsweise zur Verherrlichung öffentlicher Feste und als Teil des Kultus; namentlich konnte in Asien der sinnliche Götterdienst des Tanzes nicht entbehren. Am meisten wurde aber die Kunst des Tanzes (Orchestik) bei den Griechen ausgebildet, bei denen sie auch das ganze Gebärdenspiel mit in sich schloß und in der innigsten Vereinigung mit Gesang, Poesie und Schauspielkunst stand (vgl. Flach, Der T. bei den Griechen, Berl. 1880). Die Römer überkamen Tänze von den Griechen, eigentliche Nationaltänze hatten sie kaum. Die Histrionen (Ludier) tankten auf den Theatern nach dem Flötenspiel, ohne dabei zu singen, und suchten durch Gebärden Ernsthaftes auf lächerliche Weise nachzuahmen. Von der altrömischen Bühne ging der T. auf die italienischen Volkstheater über; die neuere Tanzkunst ist von den Italienern und Franzosen ausgegangen. Die Gesellschaftstänze haben mehrfache Wandlungen durchgemacht. Anfangs wurde bei diesen sogen. niedrigen Tänzen (danses basses) weder gesprungen, noch gehüpft, sondern man bewegte sich nur in feierlichem Schritt (pas). Diese Tanzweise fand in Frankreich unter Ludwig XII., Franz I. und Heinrich II. Eingang. Unter Katharina von Medici erhielten die Damen üppigere Kleidung, kurze Röcke etc., und die Tänze selbst wurden lebhafter; auch verband man Maskeraden mit Bällen und tanzte die Nationaltänze der Provinzen. Unter Ludwig XIV. legte Beauchamp den Grund zu dem künstlichen theatralischen T. der Franzosen, den später besonders Noverre ausbildete. In der neuern Zeit machten sich besonders die Familien Vestris und Taglioni im Kunsttanzen berühmt; außerdem sind als hervorragende Tänzerinnen zu nennen Therese und Fanny Elßler, Fanny Cerrito, Marie Taglioni, Grisi, Lucile Grahn und Adele Granzow; als Tänzer A. Saint-Leon, K. Müller, Paul Taglioni u. a. Geraume Zeit leistete das Ballett der Großen Oper zu Paris das Höchste in dieser Kunst, bis ihm in der neuern Zeit das Ballett des Berliner Opernhauses ebenbürtig zur Seite trat. Vgl. Czerwinski, Tanz und Tanzkunst (2. Ausg., Leipz. 1882); Derselbe, Die Tänze des 16. Jahrhunderts (Danz. 1878); Voß, Der T. und seine Geschichte (Berl. 1868); Angerstein, Die Volkstänze im deutschen Mittelalter (2. Aufl., das. 1874); Klemm, Katechismus der Tanzkunst (5. Aufl., Leipz. 1887); Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland (das. 1886, 2 Bde., mit Musikbeilagen); Zorn, Grammatik der Tanzkunst (das. 1887).
Tanzimat (Tansimat, arab.), s. v. w. Anordnungen; besonders die auf den Hattischerif (s. d.) von Gülhane sich gründenden organischen Gesetze, welche als Norm für die Regierung des türkischen Reichs vom Sultan Abd ul Medschid 1844 veröffentlicht wurden. Sie betreffen namentlich auch die Stellung der christlichen Unterthanen der Pforte, wurden aber nie ernstlich durchgeführt. Infolge der Reformverpflichtungen, welche die Pforte nach Ausbruch des Krimkriegs ihren europäischen Bundesgenossen gegenüber eingehen mußte, erließ der Sultan 7. Sept. 1854 eine neue Verordnung, in welcher nicht allein die vollständige Durchführung der T. befohlen, sondern zu diesem Behuf auch eine besondere Kommission niedergesetzt ward. Allgemeiner versteht das türkische Volk unter T. überhaupt Neuerungen.
Tanzkunst (Choreutik), s. Tanz.
Tanzmusik, die bei Gesellschaftstänzen üblichen Musikstucke, als deren zur Zeit beliebteste zu nennen sind: Walzer, Mazurka, Schottisch (Polka), Tirolienne (Ländler), Galopp, Polonäse, Française, Kontertanz (Anglaise) und Quadrille. Aus verschiedenen Tänzen zusammengesetzt ist der Kotillon. Haupteigenschaften guter T. sind: gut gruppierte Rhythmen, fließende, ungesuchte, gefällige und dabei pikante Melodien mit ansprechender Harmonie und interessanter Instrumentation. In der Komposition der
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Tanzwut - Tapeten.
höhern theatralischen T. oder des Balletts haben besonders Benda, Weigl, Winter, Righini, Adam, Beethoven ("Prometheus"), Spontini, Weber, Meyerbeer, Halévy, in neuester Zeit Rubinstein (Ballettmusik in der Oper "Feramors") Ausgezeichnetes geleistet, während die Musik für gesellschaftliche Tänze in unsrer Zeit vor allen durch Strauß und Lanner, denen sich Gungl, Labitzky und Lumbye beigesellten, ausgezeichnete Pflege fand. In Frankreich stehen an der Stelle der erstgenannten Walzerkönige die Quadrillenkomponisten Tolbecque, Musard, Offenbach, Lecocq, als Komponist von Ballettopern L. Delibes. - Die ältern Tänze waren ursprünglich Tanzlieder, so die deutschen Ringelreihen und Springtänze, die spanischen Sarabanden, die französischen Branles, Gavotten, Couranten, Giguen, Rigaudons, Musetten, Bourrées, Passepieds, Loures etc., die italienischen Paduanen, Gagliarden, Ciaconen, Passamezzi, die englischen Ballads, Hornpipes, dänischen Reels etc. Die Instrumentenspieler verbreiteten die Melodien, und sie mögen oft genug schon vor dem 16. Jahrh. nur von Instrumenten ohne Gesang gespielt worden sein. Eine kunstgemäße mehrstimmige Bearbeitung für Instrumente erfuhren sie, wie es scheint, zuerst im Anfang des 16. Jahrh., aus welcher Zeit uns viele gedruckte Sammlungen erhalten sind. Eine Sammlung deutscher Tanzlieder und Tanzmelodien enthält Böhmes "Geschichte des Tanzes in Deutschland" (Bd. 2, Leipz. 1886). In eine neue Phase der Entwickelung traten die Tanzstücke, als man anfing, ihrer mehrere zu cyklischen Formen zu vereinigen, wobei zunächst die Einheit der Tonart das Bindemittel bildete. In der daraus entspringenden Form der Partie (Partita) oder Suite (s. d.), die besonders für Klavier allein und für Violine allein oder mit Klavier um die Wende des 17.-18. Jahrh. mit Vorliebe gepflegt wurde, erfuhren die Tanzstücke erhebliche Weiterungen, so daß sie statt kurzer achttaktiger Reprisen ausgeführte Themen, Gegenthemen und Durchführungen erhielten. In unserm Jahrhundert finden teilweise noch die ältern Tanzstücke Pflege (besonders das Menuett), sei es in der Form der Sonate oder Suite oder in noch freiern Zusammenstellungen von Stücken verschiedener Art oder einzeln (Gavotte), teils sind auch die neuesten Tänze einer kunstvollen Ausgestaltung unterworfen worden, so von Haydn (Menuette), Beethoven ("Deutsche Tänze" und "Kontertänze"), Weber ("Aufforderung zum Tanz", Es dur-Polonäse, Ekossäsen etc.), Schubert (Walzer, Ländler, Ekossäsen), Chopin (Polonäsen, Mazurken, Walzer), Schumann ("Ballszenen", "Faschingsschwänke", "Karneval"), Brahms ("Walzer", "Ungarische Tänze" etc.), Kiel ("Deutsche Reigen", Walzer für Streichquartett), Liszt ("Valse de bravour", "Chromatischer Galopp"), Raff (Humoresken, Tarantella etc.) u. a.
Tanzwut (Tanzsucht), epidemische Volkskrankheit des Mittelalters, welche besonders in den Jahren 1021, 1278, 1375 und 1418 herrschte. Von religiösem Wahnsinn ergriffen, tanzten Tausende, bis ihnen Schaum aus dem Mund quoll, Zuckungen sich einstellten und der Unterleib unförmlich aufschwoll. Dabei gaben sie vor, während des Tanzes himmlische Visionen zu haben, und zogen häufig, wie die Flagellanten (s. d.), mit bekränztem Haupt von Ort zu Ort. Da man die Tänzer für vom Teufel Besessene hielt, nahm der Klerus allerlei Beschwörungen vor, obwohl fruchtlos, und die Angehörigen wandten sich mit Gebet um Hilfe an St. Johannes und St. Veit (daher Veitstanz). Im 14. Jahrh. trieben am Niederrhein die Johannistänzer ihr Wesen, welche ihren Tanz zu Ehren des St. Johannes aufführten. Auch der Tanz der Derwische und der Schüttlersekten in Nordamerika kann zu diesen Exaltationszuständen gerechnet werden. Manche mit tanzähnlichen Bewegungen verbundene körperliche Krankheitszustände, wie die Reitbahn- oder Manegetouren, gehören in das Gebiet der sogen. Zwangsbewegungen. S. auch Tarantel und Veitstanz. Vgl. Hecker, Die T., eine Krankheit im Mittelalter (Berl. 1832); Derselbe, Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters (das. 1865).
Tao, s. Laotse.
Taormina, Stadt in der ital. Provinz Messina (Sizilien), Kreis Castroreale, 396 m ü. M., an der Ostküste der Insel und an der Eisenbahn Messina-Catania reizend gelegen (herrliche Ausblicke auf den Ätna und das Meer), hat ein wohlerhaltenes, in griechischer Zeit gegründetes, unter den Römern umgebautes Theater, ein großes Wasserreservoir für Bäder (sogen. Naumachia), römische Grabmäler und andre antike Baureste, ein maurisches Kastell, eine alte Mauer mit Türmen, interessante gotische Gebäude, einen Dom mit Zinnenturm und (1881) 2388 Einw. - T. ist an Stelle des nahe südlich am Kap Schiso 736 v. Chr. von Chalkidiern gegründeten, 403 von Dionysios von Syrakus zerstörten Naxos 358 als Tauromenion gegründet worden. Im Sklavenkrieg wie in den Kämpfen zwischen Oktavian und Sextus Pompejus heruntergekommen, geriet es, wenn auch durch eine römische Kolonie ausgefrischt, in Verfall und behauptete nur noch in arabischer und normännischer Zeit eine strategische Bedeutung.
Taos, Ort im N. des nordamerikan. Territoriums Neumexiko, 80 km nordnordöstlich von Santa Fé, früher von Bedeutung, jetzt nur ein ärmliches Dorf.
Taosse, s. Laotse.
Taouata (Tauata, Santa Christina), eine der Markesssinseln, 70 qkm groß mit (1885) 551 Einw. In dem Freihafen Port Anna Maria konzentriert sich der Verkehr der Inseln; hier ist auch der Sitz der französischen Behörden.
Tapachula (spr. -tschula), Stadt, s. Soconusco.
Tapajoz (spr. -schos, Tapayoso), Fluß in Brasilien, entspringt als Arinos in der Provinz Mato Grosso, wird bald schiffbar, fließt nordöstlich in die Provinz Para und fällt dort nach einem Laufe von etwa 1680 km bei Santarem rechts in den Amazonenstrom. Er bildet mehrere Wasserfälle. Dampfschiffe befahren ihn von 330 km aufwärts bis zu dem untersten derselben, der Caxoeira de Apué.
Tapanhoancanga, brasilisches, Gold, Diamant und andre Edelsteine führendes Trümmergestein, besteht aus eckigen, großen Fragmenten von Eisenoxyden (Magneteisen, Roteisen, Brauneisen), durch eisenschüssiges Bindemittel verkittet.
Tapet (lat. tapetum), Teppich oder Decke zur Bekleidung von Tischen, Wänden, Fußböden etc.; daher "etwas aufs T. bringen", s. v. w. auftischen, zur Sprache bringen. Aus dem zum Singular gewordenen Plural tapeta entstand unser Tapete.
Tapeten, Gewebe, Leder oder farbiges und gemustertes Papier zur Bekleidung der Wände. T. und Teppiche (v. lat. tapetum. griech. tapes, Decke) haben ihren gemeinsamen Ursprung im Zelte der wandernden Völkerschaften und gelangten aus diesem in die Wohnungen der seßhaften Völker. Tyros, Sidon und Pergamon waren im Altertum berühmt wegen ihrer Teppiche. Aus dem Orient, wo sich die Bildweberei und Stickerei schon früh zu hoher Vollkommenheit entwickelt hatte, brachten Araber diese Kunst nach Europa. Während man in Frankreich und Ita-
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Tapeten (Fabrikation).
lien die orientalischen Gewebe in Seide nachahmte, verarbeitete man in dem nördlichern Belgien nur Wolle und lieferte im 14.-17. Jahrh. namentlich in Antwerpen, Brüssel, Brügge, Courtrai gewirkte T. mit figürlichen Darstellungen nach Entwürfen hervorragender Künstler. Im 17. Jahrh. galten solche Wandteppiche, zu welchen selbst Rubens Vorlagen lieferte, und auf denen später mit Vorliebe Genrebilder von Teniers, Jagden u. dgl. m. nachgebildet wurden, als kostbares Besitztum. Sehr geschätzt waren die T. von Arras, unter denen diejenigen, welche Leo X. nach Kartons von Raffael anfertigen ließ, besonders berühmt geworden sind (vgl. Arrazzi). Neben den gewirkten T. fertigte man auch solche aus Seide oder Leinen, die mit Malereien oder Stickereien geschmückt wurden. Ein solcher Wandteppich befindet sich zu Bayeux in Frankreich (Departement Calvados), ein 70 m langer, 0,50 m hoher Leinwandstreifen, aus welchem in Stickerei mit Leinwandfäden die Eroberung Englands durch die Normannen dargestellt ist. Aus den Niederlanden gelangte die Teppich- und Tapetenweberei auch nach Frankreich (um 1550 Schule von Fontainebleau) und Deutschland, und unter Ludwig XIV. legte Colbert eine Teppichweberei in der Fabrik der Gebrüder Gobelin an, aus welcher die nach diesen Fabrikanten benannten Gobelins (s.d.) hervorgingen. Die Herstellung derselben (je nachdem die Kette senkrecht oder wagerecht aufgezogen wird, Hautelisse- oder Basselisseweberei genannt) ist ungemein mühsam und gleichsam ein Sticken oder Malen mit dem Faden. Auf die Kette des leinwandartigen Gewebes wird das auf durchsichtiges Papier gezeichnete Muster gelegt und mit Punkten auf die Kette übertragen, worauf jede Farbe, welche auf der Zeichnung isoliert steht, in Schußfäden mittels kleiner Spulen aus freier Hand eingezogen wird. Die Savonnerietapeten (nach dem Ort ihrer Anfertigung, einer frühern Seifenfabrik in Chaillot, benannt) ahmen persische und türkische T. nach und erfordern gleichfalls viel Handarbeit, indem die Noppen einzeln an die Kettenfäden angeknüpft werden. Schon im 11. Jahrh. wurden in Spanien Ledertapeten (Cordovatapeten) hergestellt, indem man das Leder versilberte, polierte und mit goldfarbenem Lack überzog, worauf die Muster mit hölzernen Modeln eingepreßt und der Grund von oben mit Bunzen gemustert wurde. Auch trat später Malerei hinzu. Im 16. Jahrh. wurden Ledertapeten in Venedig und Sizilien, im 17. Jahrh. in den Niederlanden und Frankreich, auch in Deutschland und England verfertigt, bis sie im 18. Jahrh. durch Seiden- und Papiertapeten verdrängt wurden. In neuerer Zeit sind sie wieder in Aufnahme gekommen, doch wird das Leder meist durch eine Nachahmung aus Papiermasse ersetzt. Ein billigerer Ersatz der Ledertapeten waren die Wachstuchtapeten, welche auch mit Wollpulver (Flocktapeten) gemustert wurden. Neben ihnen sind noch zu erwähnen: die Kattuntapeten der Holländer, atlas- und damastartig gewirkte seidene T., wie Brocatelles, Bergamées etc., die mit der Nadel auf Kanevas ausgeführten Chinatapeten, die Federtapeten (s. d.) etc.
Heutigestags versteht man unter T. die zur Wandbekleidung angewendeten Papiertapeten, welche in Stücken (Rollen) von etwa 0,5 m Breite und 10 bis 11 m Länge oder als Borten von geringerer Breite oder auch in abgepaßten Größen (Plafond- und Füllungstapeten) einfarbig und gemustert hergestellt werden. Zur Erzeugung derselben dient im Stoff gefärbtes oder einseitig mit Farbe überzogenes (grundiertes) Papier. Man trägt die mit Leimlösung gemischte Farbe mit Bürsten oder auf der Grundier- (Foncier-) Maschine auf. Hierbei läuft das Papier von einer Rolle ab über eine große Trommel, nachdem es von einer Filzwalze die Farbe erhalten hat, welche durch hin- und hergehende Bürsten verstrichen wird. Darauf folgt ein Trocknen in einer Hängemaschine, welche sich unmittelbar an die Grundiermaschine anschließt. Sollen die T. Glanz erhalten (Glanztapeten), so werden sie nach dem Grundieren satiniert, indem man sie mit Talkum abbürstet. Glätte erhalten sie mittels Kalander (s. d.). So vorbereitet gelangen die Rollen zum Bedrucken, wobei entweder, wie beim Kattundruck, Druckformen oder neuerdings vielfach Tapetendruckmaschinen, welche in der Stunde 800-900 m Papier bedrucken, zur Verwendung kommen. Das Wesen derselben besteht in Druckwalzen aus Holz, Letternmetall oder Kupfer, in deren Peripherie die Muster entweder erhaben oder vertieft vorhanden sind. Eine solche Maschine besteht aus einem Apparat zur ununterbrochenen Zuführung des Papiers, aus so viel Druckwalzen, als Farben verwendet werden sollen, aus ebensoviel Vorrichtungen zum Auftragen der Farben, aus einem widerstandsfähigen Organ zum Auflegen des Papiers während des Druckens, endlich aus einer Vorrichtung zum Aufhängen und Trocknen der bedruckten Papiere. Auch die auf Maschinen gedruckten T. müssen nachher geglättet werden.
Besondere Arten von T. sind: Veloutierte T. (Wolltapeten, Samttapeten), auf welchen der Grund oder ein Teil des Musters mit festklebenden, gefärbten kurzen Wollhärchen (Scherwolle) oder auch fein zerriebenen Holzspänchen (Holzwolle) derart bedeckt ist, daß diese Stellen eine dichte und gleichmäßig wollige Oberfläche zeigen. Das Veloutieren wird nach dem Drucken dadurch vorgenommen, daß man die Stellen der T., welche Wolle annehmen sollen, mittels hölzerner Formen mit einem sehr zähen Leinölfirnis bedruckt oder bestreicht, dann in einem langen Kasten mit einem Boden aus Kalbleder oder Pergament ausbreitet, Scherwolle ausstreut und den Deckel des Kastens schließt. Durch Trommeln auf dem Boden desselben mit Holzstäben werden die Wollstäubchen in die Höhe geworfen und verteilen sich herabfallend auf den T., wo sie an den noch nassen gefirnißten Stellen kleben bleiben und mit antrocknen. Vergoldete und versilberte T. stellt man durch Andrucken von Blattgold oder Blattsilber an mit Leinöl bedruckte Stellen oder durch direktes Bedrucken mit pulverförmigem Gold, Silber oder Bronze her. Gepreßte (gaufrierte) T. heißen solche, welchen mittels eines besondern Walzwerks (Gaufriermaschine) ein Reliefmuster aufgedruckt ist. Gefirnißte T. Mit dem Firnissen bezweckt man, den T. ein hohen Glanz zu geben, sie gegen Feuchtigkeit zu schützen, so daß sie abgewaschen werden können, und widerstandsfähiger zumachen. Man bedient sich dazu in der Regel des Kopalfirnisses, der mit großen Bürsten wie beim Grundieren aufgetragen wird. Namentlich sind es die die Holzmaserung nachahmenden Holztapeten, welche gefirnißt werden, um ihnen das Ansehen polierter Holzflächen zu geben. Iristapeten sind solche, bei denen zwei oder mehrere nebeneinander aufgetragene Farben durch sanft verwaschene Mitteltöne ineinander übergehen, woraus ein buntes, dem Farbenreichtum des Regenbogens zuvergleichendes Ansehen hervorgeht. Die Irisierung kann entweder beim Grundieren oder beim Drucken vorgenommen werden. Vgl. Exner, Die T.-
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Tapetenzellen - Tapir.
und Buntpapierindustrie (Weim. 1869); Hoyer, Fabrikation des Papiers, der Buntpapiere und T. (Braunschweig 1887); Seemann, Die Tapete (Wien 1882); Planchon, Étude sur l'art de fabriquer les tapisseries des gobelins (Par. 1867); Guiffrey, Müntz und Pinchart, Histoire générale de la tapisserie (das. 1878-85, l00 Tafeln); de Campeaux, Tapestry (Lond. l878); Guiffrey, La tapisserie depuis le moyen-âge, etc. (Tours 1885); Müntz, La tapisserie (Par. 1888); Farabulini, L'arte degli arazzi e la nuova galleria dei Gobelins al Vaticano (Rom 1885); Havard u. Vachon, Les manufactures nationales (Par. 1889). S. auch Tapezieren.
Tapetenzellen, s. Embryosack, S. 598.
Tapetum nigrum (lat.), schwärzliche Pigmentlage, welche die Regenbogenhaut, Strahlenkörper und Aderhaut von innen bedeckt.
Tapezierbiene (Blattschneider, Megachile Latr.), Insektengattung aus der Ordnung der Hautflügler und der Familie der Bienen (Apiariae), Insekten mit sehr breitem Kopf, stumpfer Unterlippe, welche um die Hälfte länger ist als die Lippentaster, sehr langer, säbelförmiger Kieferlade, kurzen, zweigliederigen Tastern und beim Weibchen auf dem Rücken bedeutend abgeflachtem Hinterleib, welcher nach oben sticht, während beim Männchen die beiden letzten Hinterleibsringe nach unten eingekrümmt sind; zahlreiche, über alle Erdteile verbreitete Arten, welche ihre Nester in Baumlöcher, Mauerspalten, Erdhöhlen etc. bauen und aus Blattstücken gewisser Pflanzen fingerhutförmige, aneinander gereihte Zellen fertigen. Die gemeine T. (M. centuncularis L.), am Mittelleib braungelb und schwärzlich, am Hinterleib fast kahl, nur vorn mit graulichen Zottenhaaren, mit weißen, oft unterbrochenen Bändern und am Bauch mit rotbraunen Sammelhaaren, fliegt in Europa und Nordamerika und baut ihr Nest in Baumlöcher, z. B. in den Gang einer Weidenbohrerraupe, welchen sie zurechtnagt und mit sorgfältig ausgeschnittenen Blattstückchen, besonders von Rosenstöcken, tapeziert. Sie füllt die Zellen mit Honig , legt in jede ein Ei und verschließt sie mit einem Blattstück. Eine Zelle steht auf der andern. Die entwickelte Larve spinnt ein Gehäuse, überwintert, und im nächsten Frühjahr schlüpft die Biene aus.
Tapezierblei, s. Bleiblech.
Tapezieren, die Wände mit Tapeten überziehen, im weitern Sinn die Kunst des Dekorateurs, welcher in den Wohnungen Vorhänge, Gardinen, Portieren etc. anordnet; auch die Polsterung von Sitzmöbeln gehört in das Gebiet des Tapeziererhandwerks. Das T. ist zuerst von den Franzosen künstlerisch ausgebildet worden. Nachdem sie bis um die Mitte der 60er Jahre den europäischen Geschmack fast allein beherrscht hatten, machten sich zuerst die Österreicher, seit Mitte der 70er Jahre auch die Deutschen unabhängig. Vgl. Reuter, Schule des Tapezierers (2. Aufl., Weim. 1884); "Die Tapezierkunst" (Berl. 1887); Streitenfeld, Die Praxis des Tapezierers (48 Tafeln, das. 1888 ff.); Deville, Dictionnaire du tapissier (Par. 1879-1880, 2 Bde.) und Litteratur bei Tapeten.
Tapferkeit kommt mit dem Mut (s. d.) darin überein, daß sie wie dieser die Gefahr nicht scheut, aber nicht wie dieser eine aus körperlicher Organisation entsprungene, sondern auf Bewußtsein und Willen beruhende Eigenschaft ist und daher weder, wie die Tollkühnheit (s. d.), aus Unkenntnis, noch, wie die Verwegenheit, aus Geringschätzung der Gefahr, sondern im Bewußtsein der Pflicht derselben nicht achtet.
Tapferkeitsmedaillen, militärische Ehrenzeichen, welche vornehmlich für Unteroffiziere und Soldaten bestimmt sind, die sich durch eine besonders tapfere That im Krieg ausgezeichnet haben, während Offiziere Ehrenkreuze und Orden erhalten. Beinahe sämtliche Staaten haben solche Medaillen, die, in Gold oder Silber oder Kupfer verliehen, auf der Brust oder im Knopfloch am Band eines Militärordens getragen werden und meist mit einer Pension, resp. Zulage zur Löhnung verbunden sind.
Tapia, Don Eugenio de, span. Dichter und Schriftsteller, geb. 1785 zu Avila in Altkastilien, studierte zu Toledo und Valladolid, ließ sich in Madrid als Advokat nieder und redigierte während des Unabhängigkeitskampfes mehrere patriotische Blätter. Unter der konstitutionellen Regierung (1820) ward er Direktor der Staatsdruckerei und Deputierter der Cortes, deshalb aber nach der Restauration 1823 proskribiert. 1830 zurückgekehrt, wurde er zum Mitglied der Gesetzgebungskommission sowie zum Generalstudiendirektor und Mitglied der Akademie ernannt. Er starb 1860. T. veröffentlichte: "Poesia líricas, satíricas y dramáticas" (Madr. 1821, 2 Bde., und im 67. Bande der "Biblioteca de autores españoles", 1877); die satirischen Schriften: "Viage de un curioso por Madrid" und "Ensayos satíricos en prosa y verso" (unter dem Namen Machuca); das umfangreiche juristische Werk "Elementos de jurisprudencia mercantil" (1828, 15 Bde.; neue Ausg. 1845, 10 Bde.) und eine durch Reichtum des Inhalts und echt historischen Stil ausgezeichnete "Historia de la civilisacion española" (l840, 4 Bde.), sein Hauptwerk.
Tapiau, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Königsberg, Kreis Wehlau, am Ausfluß der Deime aus dem Pregel und an der Linie Seepothen-Eydtkuhnen der Preußischen Staatsbahn, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, eine Oberförsterei, ein Warendepot der Reichsbank, eine Zuckerfabrik, Biskuitfabrikation, eine Dampfsäge- und eine Dampfmahlmühle, Dampfbäckerei und (1885) 3059 meist evang. Einwohner. Dabei ein altes Schloß des Deutschen Ordens (jetzt die ostpreußische Landarmen- und Besserungsanstalt).
Tapioka, s. Kassawa.
Tapir (Tapirus L.), Säugetiergattung aus der Ordnung der Huftiere, repräsentiert allein die Familie der Tapire (Tapirina), verhältnismäßig kleine, plump gebaute Tiere mit verlängertem, schmächtigem Kopf, schlankem Hals, kurzen, aufrecht stehenden Ohren, kleinen Augen, rüsselförmig verlängerter Oberlippe, drei Schneidezähnen, einem Eckzahn und oben sieben, unten sechs Backenzähnen in jedem Kiefer, mittelhohen, kräftigen Beinen, vorn vier-, hinten dreizehigen Füßen und stummelhaftem Schwanz. Der indische T. (Schabrackentapir, Tapirus indicus Desm.), 2,4 m lang, 1 m hoch, mit 8 cm langem Schwanz und sehr gleichmäßigem Haarkleid, ist am Kopf, Hals und Vorderteil des Leibes bis hinter die Schulterblätter und an den Beinen schwarz, sonst grauweiß, lebt in Hinterindien, Südchina und auf Sumatra und wurde in Europa erst 1772 bekannt. Über sein Freileben ist nichts bekannt. Der amerikanische T. (T. americanus L.), bis 2 m lang, 1,7 m hoch, schwärzlich graubraun, mit kurzer, steifer Nackenmähne, lebt im südlichen und östlichen Südamerika, während ihn im Norden und Westen sowie in Mittelamerika andre Arten ersetzen. Er bewohnt dichte Wälder, durch welche er regelmäßige Pfade bricht, meist einsam oder in kleinen Familien, erinnert in seinem Wesen vielfach
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Tapisseriearbeit - Tarabulus.
an die Schweine, wälzt sich in jeder Pfütze, schwimmt und taucht vortrefflich und läuft längere Zeit auf dem Grunde der Gewässer hin. Er ist sehr friedlich und furchtsam, und nur in seltenen Fällen stürzt er blind wütend auf den Feind. Er hält sich am Tag meist verborgen und ruht, geht in der Dämmerung und in der Nacht seiner Nahrung nach, die aus allerlei Pflanzenstoffen, besonders Blättern, besteht, und richtet in Plantagen oft große Verwüstungen an. Das Weibchen wirft ein gestreiftes Junge. Fleisch und Fell werden benutzt, Klauen und Haaren schreibt man Heilkräfte zu. In der Gefangenschaft hält er gut aus, hat sich aber noch nicht fortgepflanzt.
Tapisseriearbeit, die Kunst, aus farbigen wollenen oder seidenen Fäden, Perlen etc. vermittelst der Nadel auf Kanevas nach Mustern Teppiche, Schuhbesätze, Schmuck für Ofenschirme, Bürsten, Kasten, Hosenträger u. dgl. m. anzufertigen. Besondere Geschäfte sorgen für den Bedarf von Vorlagen und Material. Die T. wird vornehmlich von Dilettanten betrieben. Während bisher naturalistische Blumenmuster, Figuren und ganze Bilder nachgeahmt wurden, hat J. Lessing in den "Altorientalischen Teppichmustern" (Berl. 1877) stilistisch mustergültige Vorbilder für die Straminstickerei auf Kanevas geboten. Vgl. Handarbeiten, weibliche.
Tapolcza (spr. tápolza), 1) Markt im ungar. Komitat Zala, mit Nonnenkloster, (1881) 2913 Einw., Weinbau, Schwefelquelle, Badeanstalt und Bezirksgericht. - 2) Badeort im ungar. Komitat Borsod, 3 km von Miskolcz, mit einer ergiebigen indifferenten Therme von 25° C., die mehrere Teiche bildet.
Tapotement (franz., spr. -pott'mang), das Klopfen bei der Massage.
Tapp, süddeutsches Kartenspiel mit 36 Blättern (As bis Sechs), welche wie im Sechsundsechzig rangieren. Drei Personen sind nötig; jeder erhält 11 Karten, 3 Karten bleiben als Talon. Coeur ist stets höchste Farbe; die andern Farben rangieren gleich. Man spielt Coeurfrage (mit Einnehmen des Talons und Ekartieren), Solo in schlechter Farbe und Coeursolo. Bei Solo zählt der Talon für den Spieler, darf aber nicht angesehen werden. Zum Gewinnen muß der Spieler 61 Points haben. Die Pointzahl, welche er darüber hat, wird ihm bei Frage zum vierten Teil, bei schlechtem Solo zur Hälfte und bei Coeursolo voll ausbezahlt. Ein angesagter Tout kostet doppelt.
Tappert, mantelartiges, bis auf die Füße reichendes Überkleid mit und ohne Kapuze, welches vom Anfang des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrh. in Frankreich, England, Deutschland und den Niederlanden getragen wurde.
Tappert, Wilhelm, Komponist und Musikschriftsteller, geb. 19. Febr. 1830 zu Ober-Thomaswaldau bei Bunzlau in Schlesien, erhielt seine Ausbildung von 1848 bis 1850 am Schullehrerseminar zu Bunzlau sowie von 1856 bis 1858, nachdem er mehrere Jahre als Schullehrer gewirkt, in Berlin durch Kullak und Dehn. Später war er wieder mehrere Jahre in Groß-Glogau als Lehrer thätig, bis er 1866 in Berlin seinen bleibenden Wohnsitz nahm. Hier hat er als Kritiker, namentlich als Verteidiger der neudeutschen Schule, Hervorragendes geleistet, redigierte auch von 1878 bis 1881 die "Allgemeine Deutsche Musikzeitung". Außer zahlreichen Beiträgen für diese sowie für andre Blätter veröffentlichte er: "Musik und musikalische Erziehung" (Berl. 1867), "Musikalische Studien" (das. 1868), "Das Verbot der Quintenparallelen" (Leipz. 1869), "Wagner-Lexikon. Wörterbuch der Unhöflichkeit, enthaltend grobe, höhnende, gehässige und verleumderische Ausdrücke, welche gegen den Meister Richard Wagner etc. gebraucht worden sind" sowie einen Band "Gedichte" (Berl. 1878) und gab auch Bearbeitungen altdeutscher Gedichte mit Klavierbegleitung heraus.
Taprobane, alter Name der Insel Ceylon.
Tapti, Fluß in Britisch-Indien, entspringt in den Zentralprovinzen und mündet nach einem Laufe von 720 km unterhalb Surate in den Golf von Cambay.
Tapu, s. Tabu.
Tapu (türk.), Besitztitel für Immobilien und die mit denselben verbundene Steuer.
Taquary (Tacoary), Fluß in der brasil. Provinz Mato Grosso, entspringt an der Grenze der Provinz Goyaz, hat viele Krümmungen, bildet mehrere Wasserfälle und mündet links in den Paraguay.
Taquary, deutsche Kolonie in der brasil. Provinz Rio Grande do Sul, am schiffbaren Fluß gleiches Namens, 80 km von Porto Alegre, hat Ausfuhr von Holz und landwirtschaftlichen Produkten.
Tara (ital., ursprünglich arab., Abzug), das Gewicht der Umhüllung (Kiste, Faß etc.) verpackter Waren. Der Unterschied zwischen Gesamtgewicht und T. ist das reine oder Nettogewicht der Ware. Reine oder Nettotara ist die durch besondere Wägung eines jeden Stücks ermittelte und in Abzug gebrachte T.; usanzmäßige, usuelle T. (Uso- oder Usanztara) ist die durch Herkommen bestimmte T., insbesondere bei den über See bezogenen Kolonialwaren, für welche das Bruttogewicht berechnet und als Gewichtsvergütung für die T. ein durch bestimmtes Prozent (daher auch Prozenttara) als Abzug an der Kaufsumme verstattet wird. Hierher gehört auch die gesetzliche T. des Zollwesens, welches, um das Tarieren und die oft unthunliche Abnahme der Umhüllung zu ersparen, feststehende, nach Art der Gegenstände und der Verpackungsweise bestimmte Tarasätze (Zolltara) vom Bruttogewicht der zollpflichtigen Ware in Abzug bringen läßt. Supertara oder Sopratara ist die an manchen Orten neben der gewöhnlichen T. vorkommende besondere Vergütung auf das Gewicht. Reduzierte T., die T., welche aus der am Orte der Verpackung festgesetzten Originaltara nach einem usanzmäßigen Verhältnis in das Gewicht des Bestimmungsortes umgerechnet wurde. Tarieren heißt das Abwägen der Warenumhüllung zum Behuf der Taraermittelung.
Tara, Hügel inmitten der irischen Grafschaft Meath, 10 km südsüdöstlich von Navan. Auf ihm stand der Palast (Teaghmor) der alten Könige von Irland, und hier versammelte sich 554 das letzte Parlament unter König Diarmid. O'Connell hielt hier 1843 eine große Volksversammlung ab.
Tara, Kreisstadt im asiatisch-russ. Gouvernement Tobolsk, an der Mündung der Tara in den Irtisch, mit (1885) 8654 Einw., welche Handel mit Talg, Hauten, Pelzwerk, Getreide und Butter treiben.
Tarabulus (Tripolis), Stadt im asiatisch-türk. Wilajet Schâm (Syrien), am Libanon, unweit des Mittelmeers, hat ein altes Kastell, gegen 20 Moscheen, 18 Kirchen und 7 Klöster, starke Getreideausfuhr, Seiden- und Baumwollmanufakturen, Schwammfischerei, Handel mit Seide, Seife, Tabak, Orangen etc., welche die fruchtbare Umgebung liefert, und 17,000 Einw. Schiffsverkehr 1886: 310 Dampfer von 328,686 Ton. und 929 Segelschiffe von 275,747 T. Die Stadt ist Sitz eines deutschen Konsuls. - T. ist das alte Tripolis, eine phönikische Bundesstadt. Von den Kreuzfahrern wurde es 1109 erst nach fünfjähriger Belagerung erobert und war dann 180 Jahre lang
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Taracanae pulvis - Taraschtscha.
Sitz einer fränkischen Grafschaft, bis es 1289 vom Sultan Kilawun erstürmt ward.
Taracanae pulvis, s. v. w. Antihydropin (s. d.).
Tarafa, berühmter arab. Dichter, kurz vor Mohammed, Neffe des Amrilkais (s. d.), im jugendlichen Alter umgekommen (worüber eine hübsche Sage in Rückerts "Morgenländischen Sagen und Geschichten", Stuttg. 1837). Seine "Moallaka" ist einzeln herausgegeben von Reiske (Leid. 1742) und Vullers (Bonn 1829), seine sämtlichen Gedichte in Ahlwardts Ausgabe der sechs alten Dichter (Lond. 1870).
Tarai, s. Himalaja, S. 541.
Tarancon, Bezirksstadt in der span. Provinz Cuenca, am Rianzares und der Eisenbahn Aranjuez-Cuenca, mit prächtigem Sck)loß des Herzogs von Rianzares, lebhaftem Handel und (1878) 4588 Einw.
Tarandus, Renntier.
Taranis, der Donnergott der alten Gallier; Menschenopfer wurden ihm dargebracht, und Eichen waren sein Idol, weshalb noch das spätere Mittelalter in Gallien Eichenklötze verehrte.
Tarantás (russ.), bedeckter Wagen auf langen Tragbäumen, das gewöhnliche Gefährt bei Relsen auf russischen Landstraßen.
Tarantel (Tarantula Walck.), Spinnengattung aus der Ordnung der Webspinnen und der Familie der Zweilungigen (Dipneumones), Wolfsspinnen, deren vordere Kopffläche steil abfällt und verhältnismäßig hoch oben auf einer Querschwiele die vier vordersten, unter sich fast gleichen, kleinen Augen trägt; je zwei große Augen stehen in den beiden hintern Reihen, eine mehrzähnige, stark entwickelte Klaue bewehrt die weiblichen Taster, und von den vier langen Beinpaaren ist das dritte das kürzeste. Sie spinnen keine Fangnetze, sondern erjagen ihre Beute im Lauf, jagen aber meist nur nachts. Die schwarzbäuchige T. (T. melanogastra Walck.), über 2 cm lang, oberseits gelbbraun, dunkel gezeichnet, unterseits schwarz, an den Beinen unregelmäßig schwarz und weiß gefleckt, lebt in Südfrankreich, in der Türkei und in den pontischen Steppen in steinigen, unbebauten Gegenden. Die apulischeT. (T. Apuliae Walck., s. Tafel "Spinnentiere"), 3,5 cm lang, rehfarben, auf dem Hinterleib mit schwarzen, rötlichweiß eingefaßten Querstrichen, am Bauch mit schwarzer Mittelbinde, auf dem Vorderleib schwarz, rötlich gezeichnet, lebt in Spanien und Süditalien, baut einen etwa 30 cm langen Gang in die Erde, tapeziert diesen mit Gespinst und überwintert darin, nachdem sie ihn mit versponnenen Blättern etc. verschlossen hat. Im Sommer jagt sie auf Heuschrecken und andre Insekten. Den weißen Eiersack, welcher 600-700 Eier enthält, schleppt sie mit sich herum; die im Hochsommer ausgeschlüpften Jungen bleiben in der Nähe der Mutter, bis sie selbständiger geworden sind. Der Biß der T. hat besonders im Süden und in der heißesten Jahreszeit üble Folgen, er erzeugt Schmerz, Entzündung, Ermattung, Unbehagen, Zuckungen, große Reizbarkeit, Melancholie, Tobsucht. Gewisse Farben und musikalische Dissonanzen sollen den Zustand verschlimmern, der in der kalten Jahreszeit sich bessert, aber zuweilen regelmäßig wiederkehrt. Man heilt die Kranken durch Querschnitte über die Wunde und Einreiben mit Ammoniak, auch durch Behandeln der Wunde mit Öl oder Branntwein; in Italien und Spanien aber scheinen mit dem Zustand eigentümliche Idiosynkrasien verbunden zu sein, und das Volk heilt sich durch einen wilden Tanz ( "Tarantella"), welcher nach bestimmten Melodien getanzt wird und heftigen Schweiß hervorruft; dieser, noch mehr der feste Glaube bringt den Gebissenen (Tarantati) Genesung. Wahrscheinlich steht dieser Volksglaube. mit der mittelalterlichen Tanzseuche (Tarantismus), welche in Apulien und andern Teilen Italiens herrschte, in Zusammenhang. Vgl. Bergsöe, Über die italienische T. und den Tarantismus (Kopenh. 1865, dänisch). Tarantella, ein neapolitanischer, aber wahrscheinlich ursprünglich tarentinischerTanz, wenn man nicht annehmen will, daß er seinen Namen von der Wolfsspinne, der Tarantel (s. d.), erhielt. Die von ältern Schriftstellern mitgeteilten Proben von Heiltänzen für den Tarantelbiß haben wenig Ähnlichkeit mit der modernen T. Letztere hat eine äußerst geschwinde Bewegung (Presto) und steht im 3/8- oder 6/8-Takt. Wie alle andern Tänze ist auch die T. von der Kunstmusik aufgegriffen und eine Lieblingsform brillanter Solostücke (für Klavier, Violine, Cello etc.) geworden.
Taranto, Stadt, s. Tarent.
Tarantschen, Name für die mit iranischem Blut vermischten Turko-Tataren im Kuldschagebiet, welche sich von chinesischen Einflüssen freier gehalten haben als ihre Nachbarn und Verwandten, die Dunganen. Sie sind Mohammedaner, ohne aber die Vorschriften des Islam streng einzuhalten. Ihre Vorfahren wurden von den Chinesen im 18. Jahrh. nach der Eroberung der Dsungarei aus Ostturkistan in das Ilithal übergesiedelt, teils wegen ihrer Teilnahme an dem Aufstand von 1756, teils zur Wiederbevölkerung des verödeten Landes überhaupt. Während des Dunganenaufstandes bildeten die T. ein eignes Reich, das infolge von Unruhen von den Russen in Verwaltung genommen, durch den Vertrag vom 14. Febr. 1881 aber wieder an China zurückgegeben wurde. Darauf siedelten an 80,000 T. auf russisches Gebiet über. Sie sind sämtlich Ackerbauer.
Tarapacá, Provinz des südamerikan. Staats Chile, liegt am Stillen Ozean zwischen Rio Camarones und Rio Loa, erstreckt sich bis zum Gipfel der Kordilleren, die sie von Bolivia trennen, und hat ein Areal von 50,006 qkm (908 QM.). Die Küstenkordillere steigt bis 1770 m an; hinter derselben breitet sich die wüste Pampa de Tamarugal (1000 m ü. M.) aus, mit reichen Lagern von Salpeter und Borax (Ausfuhr 1885: 9,478,000 Ztr.). Das Innere bietet Weiden für Schafe, Lamas, Alpakos und Vicuñas. Ergiebige Silberminen liegen in der Nähe der Küste, und Guano findet sich in Mengen nördlich vom Rio Loa bis Patillos. Ackerbau ist nur an wenigen durch Bewässerung begünstigten Stellen möglich. T. hat etwa (1885) 45,086 Einw., der Mehrzahl nach Chilenen. Die Provinz wurde 1883 von Peru an Chile abgetreten. Hauptstadt ist Iquique. Die ehemalige Hauptstadt T., in 1158 m Meereshöhe im Innern gelegen, hatte früher ergiebige Silbergruben, ist aber jetzt nur ein Dorf mit (1876) 1038 Einw.
Tarapoto, Stadt im südamerikan. Staat Peru (Departement Loreto), 374 m ü. M., an einem Nebenfluß des Rio Mayo, hat Baumwollweberei und (1876) 4740 Einw. Tarar (Aspirator), s. Mühlen, S. 848.
Tarare (spr. rár), Stadt im franz. Departement Rhône, Arrondissement Villefranche, an der Turdine und der Eisenbahn Lyon-Roanne, mit Handelskammer, Marmorbrüchen, lebhafter Industrie in Musselin, Tarlatan, Samt, Plüsch, Stickereien, Druckwaren, Handel und (1886) 11,651 Einw. Westlich davon der erzreiche Mont T. (719 m).
Taraschtscha, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kiew, hat 3 Kirchen und (1885) 15,801 Einw., die sich großenteils mit Ackerbau beschäftigen.
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Tarascon - Tardieu.
Tarascon (spr. -kóng), 1) (T. sur Ariége) Stadt im franz. Departement Ariége, Arrondissement Foix, am Ariége und an der Eisenbahn Toulouse-T., mit Schloßruinen, Eisengruben, Wollspinnerei, Fabrikation von Eisenwaren und (1881) 1404 Einw. - 2) (T. sur Rhône) Stadt im franz. Departement Rhônemündungen, Arrondissement Arles, am Rhône, über welchen eine Hängebrücke nach dem gegenüberliegenden Beaucaire führt, hat alte Ringmauern, ein auf einem Felsen unmittelbar am Rhône sich erhebendes, trefflich erhaltenes Schloß (ein festungsartiger gotischer Bau, einst König Renés Residenz), eine auf den Resten eines römischen Tempels errichtete gotische Kirche (Ste.-Marthe), ein Kommunalcollège, Handelsgericht, wichtige Fabrikation von Wollen-, Seiden-, Baumwollen- und Leinenstoffen etc., Bereitung von Fleischwürsten ("saucissons d'Arles"), Schiffbau und (1886) 5881 Einw. T., an der eigentlichen Spitze des Rhônedeltas gelegen, war immer von großer Bedeutung für den Verkehr, wie sich auch heute dort die Linien nach Nîmes, Remoulins und St.-Remy von der Eisenbahn Paris-Marseiile abzweigen.
Tarasp, die einzige kathol. Gemeinde des Graubündner Thals Engadin, 1401 m ü. M., mit (1880) 346 Einw., berühmt durch ihre Heilquellen. Im Revier Schuls-T.-Fettan folgen sich in bunter Reihe Säuerlinge, Bitter-, Salz-, Schwefel- und Stahlwässer. Dem frühern Mangel an Einrichtungen und Kommunikationen ist abgeholfen; ein großartiges Etablissement ist zu Nairs. Oberhalb Vulpera zeigt man die "Todeslöcher", kleine Trichteröffnungen im Boden, aus deren Spalten Kohlensäure aufsteigt. Die Löcher haben etwa 1 m Durchmesser und 2-2½ dcm Tiefe, und die Kohlensäure liegt darin etwa l0 cm hoch. Vgl. Arquint, Der Kurort T. und seine Umgebung (Chur 1877), und die Schriften von Killias (9. Aufl., das. 1886), Pernisch (3. Aufl., das.1887).
Tarawera, Vulkan auf der Nordinsel von Neuseeland, im Seendistrikt, welcher 1886 durch eine Eruption die berühmten Sinterterrassen des Rotomahanasees vollständig zerstörte.
Taraxacum Haller. Gattung aus der Familie der Kompositen, sehr kurzstengelige Kräuter mit grundständiger Rosette ungeteilter, gezahnter, buchtiger oder schrotsägeförmiger Blätter, blattlosen, einköfsigen Blütenschäften und länglichen Achänen mit einfachen, ungleich langen Pappushaaren. Auf der ganzen nördlichen Erdhälfte verbreitet. T. vulgare Schrk. (Leontodon T. L., gemeiner Löwenzahn, Butterblume, Pfaffenröhrlein), sehr gemein an Wegen, auf Wiesen etc., ausdauernd, stark milchend, mit walzig spindelförmiger Wurzel, kahlen, lanzettlichen, buchtig fiederspaltigen Blättern und hohlem, kahlem Blütenschaft und gelben Blüten, wächst gemein auf der nördlichen Erdhälfte, die Wurzel mit dem Kraut ist offizinell und wird gegen Stockungen im Unterleib als mild lösendes Mittel angewandt. Das Kraut gibt gutes Futter für Ziegen und Rindvieh; die jungen Blätter benutzt man auch als Salat.
Tarazona, Bezirksstadt in der span. Provinz Saragossa, am Queiles, in einem rebenbedeckten Hügelgelände, hat ein Priesterseminar und (1878) 8270 Einw. Die Stadt ist Bischofsitz.
Tarbagatai, Gebirge im russisch-asiat. Gebiet Semipalatinsk, an der Grenze gegen die chinesische Mongolei und das Gebiet Semiretschinsk, erstreckt sich nach O. bis zum See Ulungur in der Dsungarei und bildet die Wasserscheide zwischen dem dsungarischen Steppengebiet und dem Saissanbecken. Die mittlere Kammhöhe des Gebirges ist 2300 m, doch gibt es mehrere 3000 m hohe Piks. Ewigen Schnee trägt aber erst der östlich abgezweigte Musstau. S. Karte "Zentralasien".
Tarbert, zwei Fjorde (Lochs) in Schottland, die sich an ihrem obern Ende bis auf 1½ km nähern und die Halbinsel von Kintyre (s. d.) fast vom Hauptland abtrennen. Ein Kanal durchschneidet die Landenge. Das gleichnamige Dorf am östlichen Loch hat (1881) 1629 Einw.
Tarbert, kleine Hafenstadt in der irischen Grafschaft Kerry, am Ästuar des Shannon, mit (1881) 712 Einw. Dabei die befestigte Insel T. mit Leuchtturm.
Tarbes (spr. tarb), Hauptstadt des franz. Departements Oberpyrenäen und der ehemaligen Grafschaft Bigorre, in reichbebauter Ebene, am Adour und an der Eisenbahn Bayonne-Toulouse gelegen, von welcher hier die Linien nach Bagnères, Auch und Morceux abzweigen, hat eine Kathedrale mit gotischer Kuppel, eine Kirche St.-Jean aus dem 14. Jahrh., eine stattliche Kavalleriekaserne (vor derselben steht das Denkmal des Chirurgen Larrey), einen schönen öffentlichen Garten mit Museum, ein treffliche Reitpferde lieferndes Gestüt, einen Hippodrom (jährlich im August große Pferderennen) und (1886) 21,090 (Gemeinde 25,146) Einw., welche Eisengießerei, Maschinenbau, Fabrikation von groben Wollenstoffen u. Filz und Marmorschneidemühlen sowie Handel mit Vieh und landwirtschaftlichen Produkten betreiben. Der Staat besitzt in T. eine Waffenfabrik und Kanonengießerei. Von Bildungsanstalten bestehen daselbst ein Lyceum, eine Lehrerbildungsanstalt, ein geistliches Seminar und eine Bibliothek (16,000 Bände); T. ist Sitz eines Bischofs, eines Gerichts- und Assisenhofs wie eines Handelsgerichts. - Die Stadt hieß unter römischer Herrschaft Tarba und gehörte zu Aquitania tertia, sodann zu Novempopulania. Mehrmals von den Goten, Arabern und Normannen zerstört, blühte sie als Hauptstadt der Grafschaft Bigorre wieder auf, war bis 1370 in der Gewalt der Engländer und litt später sehr durch die Hugenottenkriege.
Tardando (ital.) , s. v. w. Ritardando (s. d.).
Tardieren (franz.), zögern, zaudern, säumen.
Tardieu (spr. -djöh), 1) franz. Kupferstecherfamilie. Nicolas Henri T., geb. 1674 zu Paris, Schüler Audrans, stach zahlreiche Blätter nach Rigaud, Lebrun, Domenichino u. a.; starb 1749. Sein Sohn Jacques Nicolas T., genannt Cochin, geb. 1718, gest. 1795 als Hofkupferstecher des Kurfürsten von Köln, hat besonders Porträte gestochen. Von seinen Neffen lieferte Pierre Alexandre T., geb. 1756 zu Paris, Schüler von I. I. Wille, gest. 1844, schätzbare Porträte und Blätter nach Raffael, Domenichino, van Dyck, David u. a., während Jean Baptiste Pierre T., geb. 1746 zu Paris, gest. 1816, und Antoine François T., geb. 1757 zu Paris, gest. 1822, Landkartenstecher waren. Des letztern Sohn Pierre T., geb. 1784 zu Paris, stach Karten zu Werken v. Humboldts, v. Buchs, Brönsteds, Ségurs u. a. Ambroise T., geb. 1790 zu Paris, gest. 1837, stach Landkarten, Porträte und Architekturstücke.
2) Auguste Ambroise, Mediziner, geb. 10. März 1818 zu Paris, studierte daselbst, wurde 1850 Chefarzt am Spital Lariboisière, 1861 Professor an der Pariser medizinischen Fakultät, 1864 beratender Arzt des Kaisers, 1867 Präsident des Komitees für öffentliche Gesundheitspflege. Er übernahm 1870 die Leitung des Hotel-Dieu in Paris und starb 12. Jan. 1879. Seine ersten Arbeiten waren klinischer Natur, später wandte er sich der gerichtlichen Medizin zu und gewann für diese eine große Bedeutung, namentlich
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Tardigrada - Targum.
durch die Ableitung von Erfahrungssätzen aus den überaus zahlreichen Fällen, die seiner Begutachtung unterlagen. Seine Hauptwerke sind: "Étude médico-légale sur l'attentat aux moeurs" (6. Aufl. 1872; deutsch von Theile, Weim. 1860); "Étude médico-légale et clinique sur l'empoisonnement" (2. Aufl. 1874; deutsch von Theile u. Ludwig, Erlang. 1868). Außerdem schrieb er: "Dictionnaire d'hygiène publique et de salubrité" (2. Aufl. 1862, 4 Bde.); "Étude médico-légale sur la pendaison, la strangulation et la suffocation" (2. Aufl. 1879); "Étude médico-légale sur la folie" (2. Aufl. 1879), "sur l'avortement" (4. Aufl. 1881) und "sur l'infanticide" (2. Aufl. 1879) u. a.
Tardigrada, s. Spinnentiere, S. 154.
Tarént (Taranto), befestigte Seestadt und Kreishauptort in der ital. Provinz Lecce, auf einer Insel zwischen dem großen Golf von T. und dem lagunenartig ins Land hineinragenden Mare piccolo gelegen, ist durch eine sechsbogige Brücke und einen alten byzantinischen Aquädukt mit dem Festland verbunden und Station der Eisenbahn von Bari nach Reggio di Calabria. Die Lage von T. ist eine so überaus günstige, daß diese Stadt, wie es im Altertum der Fall war, zum Organ bestimmt erscheint, durch welches Italien mit dem Orient in Beziehungen tritt. Es hat im Mare piccolo einen tiefen, völlig geschützten Hafen, und auch der äußere Golf bietet in seiner Verengerung mit den beiden vorgelagerten, trefflich zur Verteidigung geeigneten Inseln San Pietro und Paolo einer ganzen Flotte sichern Schutz. Zwei Eisenbahnen, die eine an der ganzen West-, die andre an der Ostseite der Halbinsel bis zum Golf von T. verlängert, finden hier ihren natürlichen Endpunkt. Treffliches Quellwasser sprudelt im Mare piccolo wie im Mare grande selbst empor. So dürfte sich T., namentlich wenn das Projekt der Verlegung des Kriegshafens von Neapel und der Werfte von Castellammare dorthin zur Ausführung gelangen sollte, neuerlich zu großer Bedeutung erheben. Auch der Handel hebt sich schon einigermaßen. 1886 sind im Hafen 408 Schiffe mit 144,962 Ton. eingelaufen. Der Warenverkehr zur See (Einfuhr von Kohle, Holz, Getreide, Ausfuhr von Öl, Wein, Hülsenfrüchten etc.) beläuft sich allerdings erst auf 65,000 Ton. Fischerei, auch Austernzucht, Handel, Oliven-, Feigen- u. Weinbau sind die Haupterwerbszweige der als sehr indolent geltenden Bewohner, deren man 1881: 25,246 zählte. Die Stadt dehnt sich jetzt nur auf der kleinen felsigen Halbinsel zwischen den Meeren aus und hat wenig Reste des Altertums wie des Mittelalters aufzuweisen. Sie ist Sitz eines Erzbischofs, eines Unterpräfekten, eines Zivil- und Korrektionstribunals, eines Hauptzollamtes sowie eines deutschen Konsuls und hat ein Lyceum, ein Gymnasium etc. - T. ist das Tarentum (Taras) der Alten. Taras wurde 708 v. Chr. von den spartanischen Partheniern unter dem Herakliden Phalanthos gegründet und durch seine geschützte Lage und seinen vorzüglichen Hafen eine der mächtigsten griechischen Pflanzstädte in Unteritalien. 272 ward dieselbe von den Römern erobert, nachdem Pyrrhos, der für sie seit 280 gegen Rom Krieg geführt, 275 Italien verlassen hatte. Im zweiten Punischen Krieg ward sie 211 von Hannibal erobert, die Römer behaupteten sich indes in der Burg und bemächtigten sich von da aus 209 der Stadt wieder. Diese ward geplündert und zum Teil zerstört, und gegen 30,000 Einw. wurden in die Sklaverei verkauft. 123 ward die Stadt mit römischen Bürgern bevölkert und blühte seitdem wieder auf. Das dortige Erzbistum soll 378 gegründet worden sein. Im Mittelalter stand die Stadt erst unter den byzantinischen Kaisern, ward dann von den Sarazenen erobert und endlich dem Königreich beider Sizilien und mit diesem 1861 dem Königreich Italien einverleibt. T. ist die Vaterstadt des Musikers Giovanni Paësiello. Der französische Marschall Macdonald (s. d.) wurde von Napoleon I. zum Herzog von T. ernannt. Vgl. Döhle, Geschichte Tarents bis auf seine Unterwerfung unter Rom (Straßb. 1877); de Vincentiis, Storia di Taranto (Neap. 1878 ff., 5 Bde.); Gagliardo, Descrizione topogratica di Taranto (Tarent 1886).
Tarent, Goif von, ein fast viereckiger, zwischen den Vorgebirgen Santa Maria di Leuca und Nao in die Apenninenhalbinsel eindringender Golf, der von den Halbinseln von Apulien und Kalabrien begrenzt wird, im Altertum der Hauptsitz griechischer Kultur in Unteritalien. Tarent, Metapont, Herakleia, Sybaris, Thurii, Proton und andre Griechenstädte blühten an seinen Ufern, denen jetzt, versumpft und ungesund, wie sie sind, zwei Eisenbahnen, welche sie wieder mit der Ost- und Westküste der Halbinsel verbinden, neues Leben zuzuführen bestimmt sind.
Tarentaise (spr. -rangtâhs^), Landschaft im franz. Departement Savoyen, das Hochthal der Isère mit seinen Seitenthälern, durch welches die Straße über den Kleinen St. Bernhard führt, reich an Wäldern und Weiden, von einem kleinen, lebhaften und sich ausfallend von den Umwohnern unterscheidenden Menschenschlag bewohnt. Wichtigster Ort Moutiers.
Tarfabaum, s. Tamarix.
Targovist (Tirgovist, Targu-Vestia), ehemals (von 1383-17l6) Hauptstadt der Walachei, jetzt Hauptort des Kreises Dimbowitza und heruntergekommen, liegt 262 m hoch am Fuß der Karpathen, durch Zweigbahn mit der Linie Roman-Verciorova verbunden, und hat 29 griechisch-orthodoxe Kirchen (darunter die schöne Metropolitankirche), eine alte kath. Kirche, Ruinen des Schlosses der Woiwoden, ein Tribunal, ein Arsenal (seit 1865), Gymnasium und 7125 Einw. (ehedem über 40,000).
Targowicz (Targowice), Stadt im russ. Gouvernement Kiew, Kreis Uman, an der Siniusca, mit 2000 Einw. Hier 14. Mai 1792 Konföderation des polnischen Adels gegen die Konstitution von 1791.
Targum (chald., Plur. Targumim, "Übersetzung"), Name der chaldäischen Übersetzungen und teilweise Umschreibungen des Alten Testaments, die vom Beginn des zweiten jüdischen Staatslebens an, als sich das Bedürfnis einstellte, den Synagogenbesuchern, welche der hebräischen Sprache nicht mehr mächtig waren, die Bibelvorlesungen (s. Sidra, Haftara) zu übersetzen und, wenn erforderlich, durch Umschreibung zu erklären, entstanden sind. Die Übersetzung und Deutung geschah durch besonders angestellte Übersetzer. Jahrhunderte ward, wie dies mit dem mündlichen Gesetz (s. Midrasch, Talmud) üblich war, das T. nicht niedergeschrieben. Die erste schriftliche Fixierung geschah nach dem 3. Jahrh. n. Chr. und zwar mit dem fast wortgetreuen T. Onkelos (aramäische Form des griechischen Eigennamens Akylas), einer Pentateuchübersetzung, welche im Gegensatz zu T. jeruschalmi (das jerusalemische T. des Jonathan ben Usiel) T. babli heißt und im ostaramäischen Dialekt abgefaßt ist. Westaramäische Targumim sind zu Ruth, Esther, Hoheslied, Prediger, Klagelieder, Psalmen, Sprüche, Hiob und Chronik vorhanden. Sie sind meistens weitschweifige, mit Geschichte, Sage und Legende verquickte Textum-
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Tarieren - Tarn-et-Garonne.
schreibungen. Ein vorzügliches Lexikon zu den Targumim gab Levy (3. Ausg., Leipz. 1881), das T. Onkelos Berliner (Berl. 1884), eine "Chrestomathia targumica" Merx (das. 1888) heraus.
Tarieren, s. Tara.
Tarif (arab.), ein Verzeichnis verschiedener Waren oder Leistungen mit beigesetzten Preisen, namentlich ein amtlich festgestelltes Verzeichnis, daher Zolltarif (vgl. Handelsverträge), Münz-, Steuertarif, insbesondere im Verkehrswesen: Droschken-, Post-, Schiff-, Eisenbahntarif etc. Tarifieren, in einen T. mit bestimmtem Tarifsatz aufnehmen; daher tarifierte Münzen, solche, welchen durch den gesetzlichen Münztarif ein bestimmter Kurs gegeben ist.
Tarifa, alte befestigte Stadt in der span. Provinz Cadiz, an der Straße von Gibraltar, der südlichste Ort des europäischen Festlandes, mit Hafen und Leuchtturm (auf der Insel T.) und (1878) 12,234 Einw.; benannt nach dem Berberhäuptling Tarifa ibn Malik, welcher zuerst in Spanien landete.
Tarija (spr. -richha), ein Departement der südamerikan. Republik Bolivia, zwischen den Departements Chuquisaca und Potosi und der Argentinischen Republik, 296,500 qkm (5385 QM.) groß. Den Westen durchzieht die östliche Kordillere, der Osten erstreckt sich durch die Chaco boreal bis zum Paraguay. Die wichtigsten Flüsse sind der Pilcomayo und der Tarija (oberer Rio Vermejo), die beide dem Paraguay zueilen. T. bietet sowohl fruchtbare Ackerländereien als vorzügliche Weiden und schöne Waldungen dar. An nutzbaren Mineralien ist es arm. Die Industrie ist ganz unbedeutend. Die Bevölkerung schätzte man 1882 auf 53,389 Seelen, ohne etwa 50,000 wilde Indianer. - Die Hauptstadt T., 1770 m ü. M., in fruchtbarem Thal, wo viel Tabak gebaut wird, hat ein Franziskanerkloster (ehemals berühmtes Missionskollegium mit Bibliothek) und etwa 8300 Einw.
Tarik, arab. Feldherr, Sohn Zejjads, ward 711 von dem Oberfeldherrn der Araber in Afrika, Musa, mit 12,000 Mann nach Spanien geschickt, landete bei Gibraltar (Gebel al T., "Felsen des T."), besiegte in der siebentägigen Schlacht bei Ieres de la Frontera 19.-25. Juli 711 die Westgoten unter Roderich, eroberte, indem er den Sieg rasch verfolgte, den größten Teil der Halbinsel, wurde aber von dem auf ihn neidischen Musa, obwohl er ihm seine ungeheure Beute demütig darbrachte, seiner Würde entsetzt und, mit Ketten belastet, in den Kerker geworfen, rächte sich zwar nach seiner Befreiung, indem er Musas Sturz herbeiführte, starb aber unbelohnt und in Vergessenheit.
Tarlatan (franz. tarlatane), eine Sorte glatter baumwollener Gaze, welche meist einfarbig hergestellt und zu Ballkleidern und zum Ausputz benutzt wird. Die Stoffe sind sehr wohlfeil, vertragen aber das Waschen nicht. Grüner T. ist oft mit Schweinfurter Grün gefärbt, welches sich staubartig ablöst und der Trägerin des Kleides durch Einatmen der arsenikhaltigen Farbe gefährlich werden kann.
Tarma, Stadt im Departement Junin der südamerikan. Republik Peru, im tiefen, aber fruchtbaren Chanchamayothal, 3053 m ü. M., hat eine höhere Schule, Fabrikation von Ponchos etc. aus Vicuñawolle und (1876) 3834 Einw.
Tarn, Fluß im südlichen Frankreich, entspringt am Fuß des Pic de Malpertus im Lozèregebirge, durchfließt in vorherrschend westlicher Richtung die Departements Lozère, Aveyron, T., Obergaronne und Tarn-et-Garonne und mündet 6 km unterhalb Moissac nach einem Laufe von 375 km (wovon 148 km schiffbar) rechts in die Garonne. Nebenflüsse sind rechts: der Aveyron, links: Dourbie und Agout. Der T. bildet oberhalb Albi den prächtigen, 19 m hohen Wasserfall Saut de Sabo.
Tarn, franz. Departement, aus den ehemaligen Diözesen von Albi, Castres und Lavaur des Languedoc gebildet, grenzt im N. und NO. an das Departement Aveyron, im SO. an Herault, im S. an Aude, im W. an Obergaronne und im NW. an Tarn-et-Garonne und hat einen Flächenraum von 5743 qkm (104,7 QM.). Das Land ist die nach SW. geneigte plateauartige Abdachung des zentralen Hochfrankreich, im O. gegen 600, im W. wenig über 100 m hoch. Es lehnt sich im SO. an die rauhen Berge von Lacaune (1266 m), im S. an die Montagne Noire an. Während es in den höhern Gebenden nur für Viehzucht und Industrie geeignet ist, überwiegt nach W. hin in den sich immer breiter öffnenden fruchtbaren Flußthälern mit dem mildern, fast mediterranen Klima der Ackerbau, der sich auch auf Wein- und Seidenkultur erstreckt. Der Hauptfluß ist der Tarn, welcher fast alle Gewässer des Departements (Rance, Agout, Aveyron u. a.) aufnimmt. Die Bevölkerung belief sich 1886 auf 358,757 Einw. (darunter ca. 17,000 Reformierte). Von der Oberfläche kommen (1882) 309,805 Hektar auf Äcker, 52,755 auf Wiesen, 59,510 auf Weinberge, 77,677 auf Wälder, 37,894 Hektar auf Heiden und Weiden. Hauptprodukte sind: Getreide (3 Mill. hl), insbesondere Weizen, Roggen und Mais; ferner Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Hanf und Flachs, Wein (bei Gaillac und Albi, in guten Jahren bis 1 Mill. hl), Obst, Kastanien, Rindvieh (117,874 Stück), Schafe (410,177). Schweine (127,788), viel Geflügel (besonders Hühner und Tauben), Kaninchen. Der Bergbau liefert Steinkohlen (Gruben bei Carmaux mit einem Erträgnis von 330,000 Ton.); auch hat das Departement mehrere Mineralquellen, darunter die von Trébas. Die Industrie hat namentlich in der Schafwollwarenfabrikation große Bedeutung; dieselbe verfügt über 55,000 Spindeln, 5000 Hand- und 140 mechanische Webstühle und hat ihre Hauptsitze zu Castres und Mazamet. Andre Industriezweige sind: Seidenspinnerei, Gerberei, Fabrikation von Stahl, Sensen, Glas, Fayence u. a. Der ziemlich lebhafte Handel vertreibt die Natur- und Industrieprodukte des Landes. Das Departement wird von der Eisenbahnlinie Figeac-Toulouse und der von ersterer abzweigenden Linie über Albi nach Castres und Castelnaudary mit Seitenlinien nach Carmaux und Mazamet durchzogen. Es zerfällt in die vier Arrondissements: Albi, Castres, Gaillac und Lavaur; Hauptstadt ist Albi. Vgl. Bastié, Description du département du T. (Graulhet 1876-77, 2 Bde.).
Tarn-et-Garonne, franz. Departement, aus Teilen der Guienne (Quercy, Rouergue, Agenais), der Gascogne (Lomagne, Armagnac) u. des Languedoc (Diözese Montauban) zusammengesetzt, grenzt im N. an das Departement Lot, im O. an Aveyron, im SO. an Tarn, im S. an Obergaronne, im SW. und W. an Gers und Lot-et-Garonne und hat einen Flächenraum von 3720 qkm (67,8 QM.). Es ist ein Hügelland von 200-300 m Höhe, in welches die drei großen Flüsse Garonne (mit der Gimone), Tarn und Aveyron, die sich hier vereinigen, und deren Spiegel bei ihrem Eintritt in das Departement kaum höher, zum Teil sogar niedriger als 100 m liegt, breite, überaus fruchtbare Thäler eingeschnitten haben. Der Schifffahrt dient außer Garonne und Tarn der Seitenkanal der Garonne. Das Klima ist im allgemein
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Tarnkappe - Tarock.
nen mild. Die Bevölkerung belief sich 1886 auf 214,046 Seelen (1861: 232,551), darunter ca. 10,000 Reformierte. Von der Oberfläche kommen 223,536 Hektar auf Äcker, 22,366 auf Wiesen, 48,720 auf Weinberge, 48,050 auf Wälder, 10,138 Hektar auf Heiden und Weiden. Die wichtigsten Produkte sind: Getreide (durchschnittlich 2 Mill. hl), vor allem Weizen, dann Hafer und Mais, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Hanf, Flachs, Futterrüben, Wein (bis zu 1 Mill. hl), Obst, Holz, Seide, treffliche Pferde, Rindvieh (89,039 Stück), viel Geflügel, Marmor und Bausteine. Neben dem Ackerbau, als der Haupterwerbsquelle der Bewohner, ist die Industrie von keinem großen Belang und nur durch einige Seidenfilanden, Seidenabfallspinnereien, Papier-, Kerzen- und Seifenfabriken vertreten. Von größerer Bedeutung ist der Handel mit den Landesprodukten, für welche Montauban der Hauptstapelplatz ist. Die Eisenbahn von Bordeaux nach Toulouse (mit der Abzweigung von Montauban nach Lexos) durchschneidet das Departement. Es zerfällt in drei Arrondissements: Castelsarrasin, Moissac und Montauban; Hauptstadt ist Montauban. Vgl. Moulenq, Documents historiques surleTarn-et-Garonne (Montauban 1879-85, 3 Bde.).
Tarnkappe (v. altd. tarnan, verbergen, auch Tarnhaut, Nebelkappe), in der deutschen Mythologie ein Mantel, welcher unsichtbar machte und zugleich die Kraft von zwölf Männern verlieh. Vgl. Elfen und Zwerge.
Tarnobrzeg, Studt in Galizien, an der Weichsel und der Eisenbahn Dembica-Rozwadow, Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, mit (1880) 3460 Einw.
Tarnogrod, Stadt im russisch-poln. Gouvernement Lublin, Kreis Bjelgorai, an der galizischen Grenze, hat starke Leinweberei und (1885) 5436 Einw. (viele Juden); geschichtlich merkwürdig durch den hier 26. Nov. 1715 geschlossenen Bund des polnischen Adels gegen die sächsische Armee.
Tarnopol, Stadt in Ostgalizien, am Sereth und an der Eisenbahn Lemberg-Podwoloczyska (Linie nach Odessa), Sitz einer Bezirkshauptmannschaft, eines Kreisgerichts und einer Finanzbezirksdirektion, hat ein Obergymnasium, Unterrealschule, Lehrerbildungsanstalt, Jesuitenkollegium mit Privatgymnasium, Stärkefabrikation, Dampfmühle, Ziegelbrennerei, lebhaften Handel und (1880) 25,819 Einw. (darunter 13,500 Juden).
Tarnow, Stadt in Galizien, nahe der Mündung oer Biala in den Dunajec, Station der Karl Ludwigs-Bahn (Krakau-Lemberg), in welche hier die Staatsbahnlinie Stroze-T. einmündet, ist Sitz einer Bezirkshauptmannschaft, eines römisch-katholischen Bischofs und Domkapitels, eines Kreisgerichts, einer Finanzbezirksdirektion und eines Hauptzollamtes, hat eine alte Domkirche, ein schönes Rathaus, eine theologische Lehranstalt, ein bischöfliches Seminar, ein Obergymnasium, eine Lehrerbildungsanstalt, mehrere Klöster, eine Waisenanstalt, Sparkasse, Fabrikation von landwirtschaftlichen Maschinen, Zichorienfabrik, Glashütte, Dampfmühle, bedeutenden Handel und (1860) 24,627 Einw. (davon 11,349 Juden).
Tarnow, Fanny, Schriftstellerin, geb. 27. Dez. 1783 zu Güstrow in Mecklenburg, lebte auf dem väterlichen Gut Neubuckow, ging 1816 nach dem Tod ihrer Mutter zu einer Freundin nach Petersburg, wo sie viel mit Klinger verkehrte, verließ aber des rauhen Klimas wegen Rußland bald wieder und hatte seit 1820 ihren Wohnsitz in Dresden, seit 1828 in Weißenfels, zuletzt in Dessau, wo sie 20. Juni 1862 starb. Ihre Romane und Novellen, deren lange Reihe "Natalie" (Berl. 1811) eröffnete, und zu denen auch das Buch "Zwei Jahre in Petersburg" (Leipz. 1833) gehört, waren zu ihrer Zeit bei der Frauenwelt sehr beliebt, ohne daß sie auf künstlerischen Wert Anspruch machen könnten. Gesammelt erschienen eine "Auswahl" (Leipz. 1830, 15 Bde.) und "Gesammelte Erzählungen" (das. 1840-42, 4 Bde.). Vgl. Amely Bölte, Fanny T., ein Lebensbild (Berl. 1865).
Taruowitz, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Oppeln, Knotenpunkt der Linien Breslau-T., Kreuzburg-T., T.-Schoppinitz und T.-Tarnowitzerhütte der Preußischen Staatsbahn, 326 m ü. M., hat eine evangelische und eine kath. Kirche, eine Synagoge, ein Realgymnasium, eine Bergschule, ein Kreiswaisenhaus, ein Rettungshaus, ein Amtsgericht, eine Berginspektion, den Vorstand des Oberschlesischen Knappschaftsvereins, Bergbau auf Eisen, ein großes Eisenwerk, Fabrikation von Trottoirplatten, Stöcken, Seife, Tüten und Zigarrenspitzen, Dampfmahl- und Schneidemühlen und (1885) 8618 meist kath. Einwohner. In der Nähe die Friedrichsgrube, eine Bleierzgrube, deren Erze in der nahen Friedrichshütte verhüttet werden. T. ward 1526 angelegt und erhielt 1562 Stadtrechte.
Tarnowski, Stanislaus, Graf, poln. Litterarhistoriker, geb. 7. Nov. 1837 zu Dzikow in Galizien, studierte zu Krakau und Wien, erlitt 1863-65 anläßlich des Aufstandes eine zweijährige Haft, begründete dann mit Szujski die konservative Zeitschrift "Przeglad Polski", war 1867-70 Reichsratsabgeordneter, wandte sich dann aber ganz den wissenschaftlichen Studien zu und wurde im November 1871 zum ordentlichen Professor der polnischen Litteratur an der Krakauer Universität und 1884 zum Mitglied des Herrenhauses ernannt. Unter seinen zahlreichen literarhistorischen Monographien (in poln. Sprache), die sich insgemein durch Gründlichkeit, Schärfe des Urteils und Eleganz der Sprache auszeichnen, sind hervorzuheben: "Geschichte der vorchristlichen Welt", "Über den polnischen Roman am Anfang des 19. Jahrhunderts", "Über den Verfall der polnischen Litteratur im 18. Jahrhundert", "Über die Lustspiele Fredros". "Shakespeare in Polen" und insbesondere sein klassisches Hauptwerk: "Die polnischen politischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts" ("Pisarze polityczni XVI wieku"; Krak. 1886, 2 Bde.).
Taro, s. Colocasia.
Tarock, kompliziertes Spiel unter drei Personen mit einer eignen, 78 Blätter starken Karte, die französischen Ursprungs sein soll. Zu den gewöhnlichen 52 Blättern kommen noch hinzu: 4 Cavalls (Reiter), 21 Tarocks, Trümpfe oder Stecher (Karten mit I bis XXI bezeichnet) und ein einzelnes Blatt, der Skis. Die Kartenfolge läuft in den roten Farben vom As herab zur Zehn und in den schwarzen umgekehrt von der Zehn herab zum As. Der Geber gibt in Würfen zu 5 jedem 25 Blätter, die drei letzten behält er noch für sich, weil er das Recht hat, 3 Karten in den Skat zu legen. 59 Blätter sind leere (Latons), 19 aber Zähler. Der König gilt 5, die Dame 4. der Cavall 3, der Bube 2. Der I (der Pagat), der XXI (der Mond) und der Skis gelten an sich je 5, können aber beim Ansagen als Matadore oder als Tarocks unter Umständen noch besonders zählen. Der Skis (richtiger Sküs, von excuser) sticht weder, noch wird er gestochen; er erscheint bald als T., bald als Laton, bald als Bild, ja auch in allen drei Eigenschaften zusammen. Als T. benutzt man den Skis, wenn man 9 Tarocks neben ihm hat (man sagt
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Tarots - Tarquinius Superbus.
dann 10 Tarocks an), ferner, wenn man T. fordern will oder ein Mitspieler T. gefordert hat. In letztern Fällen sagt man: "Ich skisiere (exküsiere) mich!" legt den Skis in seine Stiche und gibt aus diesen einen Laton oder leeren T. an den ab, welcher den letzten Stich machte. Als Bild fungiert der Skis beim Ansagen eines halben (skisierten) Königreichs oder einer halben oder skisierten Kavallerie (3 Könige, resp. 3 Bilder einer Farbe und der Skis). 4 Könige gelten als ganzes Königreich, 4 Bilder einer Farbe als ganze oder natürliche Kavallerie. Hat man zu 15 Latons den Skis, so darf man 16 Latons ansagen. Als Laton benutzt man auch den Skis, wenn man ein Blatt einer angezogenen Farbe nicht weggeben will. Da der Skis nicht sticht, kann man nicht die Vole mit ihm machen, wohl aber sich stichfrei spielen. Man muß den Skis vor den 5 letzten Blättern ablegen, weil er sonst dem Gegner zufällt. Hat der Geber Skat gelegt, so folgt das Ansagen. 10 Tarocks gelten 10, jeder T. über 10 gilt 5, eine ganze Kavallerie 10 etc. Diese Posten werden jedem Ansagenden von den Mitspielern sogleich bezahlt. Jede Ansage muß auf Verlangen aufgezeigt werden. Nach dem Ansagen beginnt das Spiel. Hierbei wird Farbe bekannt; wer Renonce ist, muß mit einem T. stechen. Bei den Tarocks sticht die höhere Zahl die niedere. Soviel man in seinen Stichen über 26 Augen erlangt, hat man gewonnen, was daran fehlt, muß bezahlt werden. Ein besonderes Ziel des Spielers ist es, den Pagat zu ultimieren, d. h. den letzten Stich mit ihm zu machen, bez. das Ultimieren des Pagat zu verhindern. Für den ultimierten Pagat erhält man von jedem Mitspieler l0 Points, für den ultimo abgestochenen muß der Pagatist jedem andern 10 Points geben. Das Stichfreispielen sagt man an beim 1. oder 13. Stich, die Vole darf man auch vor den letzten sechs Blättern noch melden. In den Skat legen darf man alle Latons, alle Bilder mit Ausnahme der Könige, aber einen T. nur dann, wenn man nur 3 oder weniger u. nicht den XXI hat. Den Skis legt man nur, wenn man die Vole machen will. Vgl. Werner, Das moderne Tarockspiel (Wien 1883); Ulmann, Illustriertes Wiener Tarockbuch (das. 1887).
Tarots (franz., spr. -oh), Tarockkarte (s. Tarock); in der Typographie s. v. w. Unterdruck, Untergrund auf Wechselformularen, Wertpapieren etc., ähnlich dem Muster der Rückseite der Tarockkarte; tarotiert, mit solchem Unterdruck versehen.
Tarpau, s. Pferde, S.945.
Tarpawlings (spr. tarpáh-), s. Jute, S. 341.
Tarpejischer Fels, südliche Spitze des Kapitolinischen Hügels in Rom (über der heutigen Kirche Santa Maria della Consolazione), von wo in den ältern Zeiten der Republik und dann wieder zur Kaiserzeit Verbrecher und Vaterlandsverräter hinabgestürzt wurden. Benannt war die Stätte nach Tarpeja, der Tochter des kapitolinischen Burgvogts Spurius Tarpejus, durch deren Verrat, wie die Sage berichtet, sich die Sabiner unter Titus Tatius der wichtigen Burg bemächtigt hatten, wofür Tarpeja, statt belohnt, von ihnen getötet wurde. Sie hatte auf dem Felsen auch ihr Grab, wo ihr alljährlich Totenopfer dargebracht wurden. Vgl. Krahner, Die Sage von der Tarpeja (Friedland 1858).
Tarporley (spr. tárrporli), altes Marktstädtchen in Cheshire (England), 16 km südöstlich von Chester, mit Strumpfwaren- und Lederhosenfabrikation und (1881) 2669 Einw.
Tarquinii, im Altertum eine durch ihre Kunstübung berühmte Stadt Etruriens, wahrscheinlich Mutterstadt der zwölf Bundesstädte, lag auf einem Hügel am Fluß Marta. Durch die Kriege mit Rom im 4. Jahrh. v. Chr. kam die Stadt herab und lag schon zur Kaiserzeit in Ruinen. Dieselben finden sich auf dem Hügel Turchina bei Corneto, namentlich die griechischen Einfluß verratende Nekropole, deren Aufdeckung die Museen Europas mit den herrlichsten Vasen und andern Kunstwerken gefüllt und in Corneto die Gründung eines etruskischen Museums veranlaßt hat.
Tarquinius Priscus, Lucius, fünfter röm. König (616-578 v. Chr.), Sohn des Korinthers Demaratos und einer Tarquinierin, geboren zu Tarquinii, wanderte, da er dort als Sohn eines Fremdlings keine Ehrenstelle erlangen konnte, auf den Rat seiner mit der Gabe der Weissagung ausgestatteten Gemahlin Tanaquil nach Rom aus. Hier machte er sich sowohl beim König Ancus Marcius als beim Volk sehr beliebt; er wurde daher vom sterbenden König zum Vormund seiner beiden Söhne ernannt und konnte sich nach dessen Tod selbst der Herrschaft bemächtigen. Er vollendete die Unterwerfung Latiums, besiegte die Sabiner und verwendete die gewonnene Beute zur Ausführung großer Bauten. Dahin gehören vor allen: der große Abzugskanal (cloaca maxima), wodurch namentlich das Forum trocken gelegt wurde, die Anlage des Circus maximus, der Beginn einer Stadtmauer und des kapitolinischen Tempels. Der dritten Stammtribus, den Luceres, gewährte er die Aufnahme in den Senat, indem er aus ihnen als Patres minorum gentium 100 neue Senatoren den frühern 200 hinzufügte. Da seine Absicht, drei neue Tribus, wahrscheinlich aus den Plebejern, zu bilden, scheiterte, begnügte er sich, die Zahl der Ritter, die dadurch auf 1800 stieg, zu verdoppeln, ohne den drei alten Centurien neue unter besondern Namen hinzuzufügen. Er wurde von den Söhnen des Ancus, denen er den Thron entzogen, 578 ermordet, sein Tod aber durch die Klugheit der Tanaquil so lange verhehlt, bis es seinem Schwiegersohn Servius Tullius gelungen war, sich die Nachfolge zu sichern.
Tarquinius Superbus, Lucius, Roms siebenter und letzter König (534-510 v. Chr.), Sohn des Tarquinius Priscus. Servius Tullius hatte ihn und seinen Bruder Aruns mit seinen Töchtern, die beide den Namen Tullia führten, verheiratet, um sie dadurch zu gewinnen und sie wegen ihrer Verdrängung vom Thron zu versöhnen. Allein Lucius vereinigte sich mit der jüngern Tullia, der Gemahlin des Aruns, zu dem verbrecherischen Plan, Servius Tullius gewaltsam vom Thron zu stoßen; Aruns und die ältere Tullia wurden durch ihre beiderseitigen Gatten aus dem Wege geräumt, und nun ließ sich T. in der Kurie des Senats zum König ausrufen. Als Servius Tullius herbeieilte, um ihn zur Rede zu stellen, stieß er den schwachen Greis die Stufen der Kurie hinab und ließ ihn durch nachgesandte Bewaffnete töten; Tullia aber, welche sofort ihren Gemahl in der Kurie als König begrüßte, scheute sich nicht, auf dem Heimweg über den Leichnam ihres Vaters hinwegzufahren, so daß sie mit dessen Blut bespritzt zu Hause anlangte. Die Regierung des T. entsprach der Art und Weise, wie er dieselbe an sich gerissen hatte. Es gelang ihm zwar, die Latiner völlig zu unterwerfen, auch wurde die benachbarte Stadt Gabii durch die List und den Verrat seines Sohns Sextus in seine Gewalt gebracht, und in Rom selbst setzte er den Bau der unterirdischen Kanäle fort und vollendete den Bau des kapitolinischen Tempels. Dagegen erbitterte er das ganze Volk durch Grausamkeit und Willkür und insbesondere durch die
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Tarraco - Tarsos.
Härte, mit der er die ärmern Bewohner zu Fronarbeiten zwang. Als daher, während er selbst mit dem Heer vor dem belagerten Ardea lag, sein Sohn Sextus die Lucretia (s. d.) entehrt hatte, rief Junius Brutus das Volk zur Empörung auf; T. eilte zwar von Ardea nach der Stadt, wurde aber von dieser und nachher auch vom Lager ausgeschlossen und in Rom die Republik eingeführt. Vergebens suchte er hierauf mit Hilfe der Tarquinier, die beim Wald Arsia geschlagen wurden, des Königs Porsena (s. d.) von Clusium und endlich der Latiner, die am See Regillus gegen die Römer unterlagen, den Thron wiederzuerobern. In letzterer Schlacht fielen auch seine Söhne Titus und Aruns; er selbst starb als Flüchtling 495 in Cumä. Sextus begab sich nach Gabii, wo er von denen, die für seinen an Gabii verübten Verrat Rache suchten, ermordet wurde.
Tarraco, Stadt in dem nach ihr benannten tarraconensischen Hispanien, im Gau der Cessetaner, eine uralte Felsenfeste, durch Augustus, der die Verwaltung der Provinz dahin verlegte, mit einem künstlichen Hafen versehen und mit vielen Prachtbauten geschmückt, deren Reste das jetzige Tarragona (s. d.) anfüllen. Die Provinz Hispania Tarraconensis umfaßte den ganzen nördlichen und östlichen Teil des Landes und übertraf an Umfang die beiden andern Provinzen zusammengenommen. Als Hauptvölker sind zu nennen: die Kontestaner, Edetaner und Cessetaner im O., die Ilergeten, Vaskonen, Kantabrer, Asturier und Galläken im N., die Keltiberer und Karpetaner in der Mitte des Landes, die Oretaner und Bastetaner im S. Hauptstädte waren außer T.: Carthago Nova, Saguntum, Calagurris, Barcino, Bilbilis, Numantia, Toletum etc.
Tarragona, span. Provinz, den südlichsten Teil der Landschaft Katalonien umfassend, grenzt im N. an die Provinz Lerida, im O. an Barcelona, im S. an das Mittelländische Meer, im W. an Castellon, Teruel und Saragofsa und hat einen Flächenraum von 6490 qkm (117,8 QM.). Das Innere des Landes ist großenteils gebirgig und enthält unter anderm die Berggruppen des Tosal del Rey (1392 m), Monte Caro (1413 m), Montsant (1071 m), Puig de Montagut (953 m). Ebenen bilden die Meeresküste und die Thäler einzelner Küstenflüsse. Die Provinz enthält den Unterlauf des Ebro mit dem Mündungsdelta, dann von wichtigern Küstenflüssen den Francoli und Gaya. Die Bevölkerung belief sich 1878 auf 330,105 Seelen (51 pro QKilometer) und wurde 1886 auf 345,000 Seelen geschätzt. Produkte sind: Getreide, sehr viel Öl, Seide, viel Wein (1887 wurden auf 110,060 Hektar 1,6 Mill. hl geerntet), Südfrüchte und andres Obst, insbesondere Mandeln, Haselnüsse, Johannisbrot, Lakritzen, dann Bleierz, Braunstein und Salz. Die lebhafte Industrie erzeugt Baumwoll-, Seiden- und Lederwaren, Steingut, Seife, Papier, Essig, Weingeist etc. Der Handel findet in mehreren Häfen, dann in der Küstenbahn Barcelona-Valencia Förderungsmittel. Die Provinz umfaßt acht Gerichtsbezirke (darunter Reus, Tortosa, Valls). Die gleichnamige Hauptstadt, an der Mündung des überbrückten Francoli ins Mittelländische Meer und an der Küstenbahn, welche hier über Reus nach Lerida abzweigt, gelegen, zerfällt in die obere, unregelmäßig gebaute, von starken Festungswerken umgebene Altstadt und die untere, regelmäßig angelegte, durch das Fuerte Real verteidigte Neustadt. Im W. liegt das Fort Olivo, am Hafen das Fort Francoli. Die Stadt hat eine prächtige, 1120 erbaute gotische Kathedrale, viele andre Kirchen, ein Instituto, Seminar, eine Normalschule, Akademie der schönen Künste, ein Altertumsmuseum, ein Theater und einen guten Hafen. Von Altertümern aus der Römerzeit finden sich noch die schöne Wasserleitung Puente de las Ferreras, Ruinen eines Amphitheaters, eines Palastes des Kaisers Augustus etc., der schöne Triumphbogen Arco de Sura und 6 km von der Stadt das unter dem Namen des "Turms der Scipionen" bekannte Denkmal, welches die Asche der Scipionen enthalten soll. Die Stadt zählt (1886) 23,152 Einw. Die Industrie erstreckt sich auf Spinnerei und Weberei (insbesondere in Seide, auch in Jute), Filz-, Spitzenfabrikation u. a. Von großer Bedeutung sind Handel und Schiffahrt. 1887 sind 1202 Schiffe von 500,723 Ton. im Hafen eingelaufen. Die Einfuhr hatte einen Wert von 31,2, die Ausfuhr einen solchen von 32,2 Mill. Pesetas. Hauptartikel sind beim Import Spiritus (meist aus Deutschland), Getreide (aus Rußland), Holz, Stockfisch, Kohle, Eisen, Schwefel; beim Export Wein (705,464 hl), dann Weingeist, Haselnüsse, Mandeln, Lakritzen, Weinstein. T. ist Sitz des Gouverneurs und eines Erzbischofs (mit dem Titel "Fürst von T.") sowie eines deutschen Konsuls. - Die Stadt T. (Tarrakon, röm. Tarraco) war in der Römerzeit die Hauptstadt des tarraconensischen Spanien. Während der Völkerwanderung hatte sie unter den Einfällen der Sueven, Vandalen und Goten viel zu leiden. 714 wurde sie von den Mauren nach dreijähriger Belagerung erobert und gänzlich verwüstet, über drei Jahrhunderte später (1038) aber von den Grafen von Barcelona wieder aufgebaut. Das nach 1038 gegründete Bistum ward 1154 zum Erzbistum erhoben. 1119 wurde die Stadt von Alfons I. von Aragonien den Arabern abgenommen. Am 28. Aug. 1811 eroberte sie der französische General Suchet mit Sturm. Im August 1813 ward sie von den Engländern belagert, und da Suchet sie nicht länger behaupten konnte, ließ er die Festungswerke 8. Aug. 1813 sprengen, wobei die Stadt sehr litt. 1833 ward T. Hauptstadt der Provinz.
Tarrasa, Bezirksstadt in der span. Provinz Barcelona, an der Bahnlinie Saragossa-Barcelona, mit Tuch-, Flanell- und Baumwollfabriken und (1878) 11,193 Einw.
Tarrasbüchsen (tschech. tarras, "Bollwerk, Schirm, daher auch Schirmbüchsen), in den Hussitenkriegen als Wallgeschütz und im Feld hinter Schirmen aus Bohlen gebrauchte Geschütze meist kleinen Kalibers.
Tarrytown (spr.-taun), Dorf im nordamerikan. Staat New York, am Hudson, mit Taubstummenanstalt, Villen und (1880) 3025 Einw.
Tarsius, s. Koboldmaki.
Tarso, Gebirgsstock in Tibesti (s. d.).
Tarsos, im Altertum Hauptstadt von Kilikien in Kleinasien, am Kydnos (Tarsus Tschai), vom assyrischen König Sanherib (705-681) gegründet und seit 607 Sitz eigner, später unter persischer Hoheit stehender Könige, gelangte besonders zu Ansehen, als sich unter den Seleukiden viele Griechen hier niederließen, welche einen schwunghaften Handel trieben. Die dortige Philosophenschule blühte namentlich unter den ersten römischen Kaisern. Antonius oder Augustus verlieh der Stadt das Recht der sogen. freien Städte. Von besonderer Wichtigkeit war T. in den Partherkriegen der Römer, und selbst noch unter den Arabern war es eine volkreiche Stadt. Später sank ihr Wohlstand. T. war auch Geburtsort des Apostels Paulus. Jetzt Tersus, in der Provinz Adana, mit 8-10,000 Einw. (darunter viele Sattler, Gerber und
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Tarsus - Tarudant.
Zeltmacher) und Ausfuhr von Baumwolle, Südfrüchten, Getreide, Wolle, Sesam etc. Mit Mersina und Adana steht es durch Eisenbahn in Verbindung.
Tarsus (griech.), die Fußwurzel, d. h. die Knochen am Anfang des Fußes (s. d.). Bei den Insekten ist T. oder Fuß der letzte Abschnitt des Beins und besteht selbst wieder meist aus fünf aneinander beweglichen Gliedern; das letzte von diesen trägt gewöhnlich zwei Klauen oder Krallen, oft auch noch sogen. Haftlappen.
Tarsza (spr. tarscha), Eduard, Pseudonym, s. Grabowski 1).
Tartaglia (ital., spr. -tallja, "Stotterer"), Name einer komischen Maske des neapolitanischen Volkslustspiels.
Tartaglia (spr. -tallja, lat. Tartalen), Niccolò, Mathematiker, geboren zu Brescia am Anfang des 16. Jahrh., wurde als Kind von einem Soldaten derart mißhandelt, daß er zeitlebens stotterte, wovon er den Namen T. (der Stotterer) empfing. Sein Familienname war bis vor kurzem nicht bekannt; in seinem 188l von Boncompagni veröffentlichten Testament nennt er aber einen gewissen Zampiero Fontana als seinen legitimen leiblichen Bruder. Er studierte Latein, Griechisch und Mathematik, und von 1530 an war er in Verona, Piacenza, Venedig, Mailand und zuletzt wieder in Venedig als Lehrer thätig. Er starb 14. Dez. 1557. T. kannte bereits den binomischen Lehrsatz für ganze positive Exponenten, behandelte Probleme der Wahrscheinlichkeitsrechnung, nahm zahlreiche Bestimmungen des spezifischen Gewichts vor und vervollkommte die Ballistik; hauptsächlich aber ist er berühmt durch seine Auflösung der kubischen Gleichungen, deren Veröffentlichung durch Cardanus Anlaß gab zu einem heftigen litterarischen Streit mit Cardanus und dessen Schüler Ferrari (vgl. Cardanische Formel).Tartaglias Hauptwerk: "General trattato de' numeri e misure" (Vened. 1556-60, 3 Bde.), enthält diese Lösung nicht; der Bericht über dieselbe ist in seinen "Quesiti ed inventioni diverse" (das. 1554) enthalten. Der Darstellung Tartaglias, die Hankel ("Zur Geschichte der Mathematik", Leipz. 1874) reproduziert, hat Gherardi eine andre entgegengestellt (Grunerts Archiv, 52. Teil). Vgl. Matthiessen, Grundzüge der antiken und modernen Algebra, S. 367 (Leipz. 1878).
Tartan, der gewürfelte Wollenstoff, den die Schotten bei ihrer Nationaltracht zu Mänteln und Kilts (s. d.) verwenden; auch das Kleidungsstück selbst.
Tartane (roman.), bei den Italienern, Spaniern etc. ein kleines ungedecktes Piratenschiff, später ein Fischerfahrzeug mit Pfahlmast, großem lateinischen Segel und zwei Klüvern am Klüverbaum, während die österreichische T. ein gedecktes, zweimastiges Küstenfahrzeug mit trapezoidischen Segeln ist. In Spanien heißt T. auch eine Art zweiräderiger Wagen.
Tartarei, unrichtig für Tatarei (s. d.).
Tartaros, bei Homer tiefer Abgrund unter der Erde, so weit unter dem Hades, als der Himmel über der Erde ist, durch eherne Pforten geschlossen; später die ganze Unterwelt oder derjenige Teil derselben, wo die Verdammten ihre Qualen leiden, im Gegensatz zu den elysischen Gefilden, dem Aufenthaltsort der Seligen. Personifiziert ist T. der Sohn des Äther und der Gäa und von dieser Vater der Giganten. Vgl. Hölle.
Tartarus (lat.), Weinstein, saures weinsaures Kali; T. ammoniatus, weinsaures Kaliammoniak; T. boraxatus, Boraxweinstein, s. Borax (S. 210); T. depuratus, Cremor tartari, gereinigter Weinstein; T. emeticus, stibiatus, Brechweinstein (s. d.); T. ferratus, martiatus, chalybeatus, Eisenweinstein, s. Eisenpräparate; T. natronatus, weinsaures Kalinatron; T. solubilis, tartarisatus, neutrales weinsaures Kali; T. vitriolatus, schwefelsaures Kali.
Tartas (spr. -tas), Stadt im franz. Departement Landes, Arrondissement St.-Sever, an der Midouze mit altem Stadthaus und (1881) 2110 Einw.; steht im Rufe von Krähwinkel.
Tartini, Giuseppe, Violinspieler und Komponist, geb. 12. April 1692 zu Pirano in Istrien, erhielt seinen ersten Musikunterricht im Kollegium dei padri delle scuole zu Capo d'Istria, begab sich 1710 nach Padua, um Jurisprudenz zu studieren, mußte eines Liebeshandels wegen von da fliehen und fand im Minoritenkloster zu Assisi Aufnahme, wo er sich mit Eifer dem Violinspiel und zugleich dem theoretischen Studium der Tonkunst widmete. Später lebte er mehrere Jahre in Ancona und vervollkommte sich, angeregt durch den berühmtesten Geiger jener Zeit, Veracini, den er auf der Durchreise in Venedig gehört, mehr und mehr auf der Violine; 1721 wurde er bei der Kirche Sant'Antonio zu Padua als Solospieler angestellt und zwei Jahre später nach Prag berufen, um bei den Festlichkeiten gelegentlich der Krönung des Kaisers Karl VI. mitzuwirken. Nachdem er hierauf noch drei Jahre im Dienste des kunstsinnigen Grafen Kinsky zugebracht hatte, kehrte er nach Padua zurück und begründete hier 1728 seine berühmte Geigerschule, aus der viele treffliche Künstler hervorgingen. Er starb 16. Febr. 1770. Von seinen zahlreichen, durch edlen Gedankengehalt, Schwung und Korrektheit sich auszeichnenden Violinkompositionen erschienen neun Sammlungen; neuerdings wurden von David, Alard u. a. einzelne seiner Werke mit Klavierbegleitung herausgegeben. Die von T. hinsichtlich der Bogenführung aufgestellten Prinzipien gelten noch gegenwärtig in den Violinschulen italienischer und französischer Meister. Als Theoretiker ist er besonders durch seine Schrift "Trattato di musica secondo la vera scienza dell'armonia" (Padua 1754) berühmt geworden, in welcher er das von ihm erdachte, auf den sogen. Kombinationston (s. d.) begründete Harmoniesystem zur Darstellung bringt.
Tartinischer Ton, s. v. w. Kombinationston (s. d.). Vgl. Schall, S. 398.
Tartlau, Markt im ungar. Komitat Kronstadt (Siebenbürgen), bei Kronstadt, mit sehenswerter Kirche, (1881) 3233 deutschen und ruman. Einwohnern und Fischzuchtanstalt.
Tartrate (Tartarate), s. v.w. Weinsäuresalze, z.B. Kaliumtartrat, weinsaures Kali.
Tartsche, seit dem 13. Jahrh. viereckiger Schild, namentlich bei Turnieren gebräuchlich, zum Einlegen der Lanze mit Ausschnitt versehen und an den Brustharnisch angeschraubt (s. Schild, mit Abbildung); im 15. Jahrh. kleiner Faustschild der Reiter.
Tartsenflechte, s. v. w. Isländisches Moos, s. Centraria.
Tartuffe (Tartüff), Name der Hauptperson in Molières gleichnamigen Lustspiel; danach verallgemeinert s. v. w. scheinheiliger Schurke; Tartüfferie, Scheinheiligkeit, Heuchelei. "Lady T." , Titel eines Lustspiels von Mad. de Girardin (1853).
Tartulin, esthn. Name von Dorpat (s. d.).
Tarudant, Hauptstadt der marokkan. Provinz Sûs, am Südfuß des Atlas, 52 km östlich vom Atlantischen Ozean, rechts am Wadi Sûs, ist dem Umfang nach größer als Fes; der Raum innerhalb seiner mit Türmen versehenen Umfassungsmauer wird aber meist von Gärten und Olivenhainen eingenommen; im Ost-
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Tarumares - Taschenspieler.
teil erhebt sich die starke Kasbah. DieStadt selbst hat enge Straßen, niedrige Häuser und nur 8300 meist maur. Einwohner, deren Hauptgewerbe die Anfertigung kupferner Gefäße aus unpoliertem englischen Metall ist zur Ausfuhr nach Kuka, Kano, Timbuktu.
Tarumares, Indianerstamm, s. Chihuahua.
Tarussa, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kaluga, an der Oka, mit Fabriken und (1886) 2561 Einw.
Tarutino, 1) Dorf im russ. Gouvernement Kaluga, 32 km von Borowsk, bekannt durch den am 18. Okt. 1812 errungenen Sieg der Russen unter Kutusow über die Franzosen, an den ein Denkmal erinnert. - 2) Deutsche Kolonie in Bessarabien, Kreis Akjerman, Verwaltungszentrum sämtlicher deutscher Ansiedelungen der Provinz, mit (1882) 3642 Einw.
Tarvis, Marktflecken im österreich. Herzogtum Kärnten, Bezirkshauptmannschaft Villach, Hauptort des Kanalthals, an der Staatsbahnlinie St. Valentin-Pontafel, von welcher hier die Linie T.-Laibach abzweigt, mit Bezirksgericht, schöner Kirche, Zementfabrik und (1880) 1506 Einw. T. ist wegen seiner herrlichen Lage beliebte Sommerfrische und Touristenstandort. In der Nähe der Luschariberg (1721 m) mit Wallfahrtskirche, das Dorf Raibl mit ärarischem Bleibergwerk und der Paß Predil.
Tasa (Teju, Stadt in Marokko, östlich von Fes, mit 3500 Einw., ein strategisch sehr wichtiger Platz mit einer kleinen marokkanischen Garnison, die aber aus der doppelten Umwallung sich kaum herauswagt aus Furcht vor dem räuberischen Stamm der Riati, welcher in Wirklichkeit Herr der ganzen Gegend ist.
Tasbusen, östliche Abzweigung des Obischen Meerbusens, in dessen westlichen Arm der Pur, in dessen östlichen der Tas mündet. Zwischen letzterm und dem Jenissei breitet sich die Tastundra aus.
Tasch ("Stein"), im Mittelalter die türkische Meile.
Täschelkraut, s. Capsella.
Taschen, Mißbildungen an Pflaumenbäumen, s. Exoascus.
Taschenberg, Ernst Ludwig, Entomolog, geb. 10. Jan. 1818 zu Naumburg a. S., studierte seit 1837 in Leipzig und Berlin Mathematik und Naturwissenschaft, ging dann als Hilfslehrer an die Franckeschen Stiftungen nach Halle und widmete sich beim Ordnen der bedeutenden Käfersammlung des Professors Germar und bei der Beschäftigung mit der Insektensammlung des zoologischen Museums speziell der Entomologie. Er fungierte dann als Lehrer zwei Jahre in Seesen und fünf Jahre zu Zahna und folgte 1856 einem Ruf als Inspektor am zoologischen Museum in Halle, 1871 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Taschenbergs Thätigkeit gipfelte in der Erforschung der praktischen Bedeutung der Insektenwelt für den Landwirt, Gärtner und Forstmann. Er schrieb: "Was da kriecht und fliegt, Bilder aus dem Insektenleben" (Berl. 1861, 2. Aufl. 1878); "Naturgeschichte der wirbellosen Tiere, die in Deutschland den Feld-, Wiesen- und Weidekulturpflanzen schädlich werden" (Leipz. 1865); "Die Hymenopteren Deutschlands" (das. 1866); "Entomologie für Gärtner und Gartenfreunde" (das. 1871); "Schutz der Obstbäume und deren Früchte gegen feindliche Tiere" (2. Aufl., Stuttg. 1879); "Forstwirtschaftliche Insektenkunde (Leipz. 1873); "Das Ungeziefer der landwirtschaftlichen Kulturgewächse" (das. 1873); "Praktische Insektenkunde" (Brem. 1879-80, 5 Tle.); "Die Insekten nach ihrem Nutzen und Schaden" (Leipz. 1882); auch bearbeitete er die Insekten für Brehms "Tierleben (2. Aufl. 1877) und lieferte einige Wand.-tafeln für den Schulgebrauch. - Sein Sohn Otto, geb. 28. März 1854, außerordentlicher Professor an der Universität Halle, schrieb: "Die Flöhe" (Halle 1880); "Die Mallophagen" (das. 1882), "Die Lehre von der Urzeugung" (das. 1882), "Die Verwandlungen der Tiere" (Leipz. 1882), "Bilder aus dem Tierleben" (das. 1885) und bearbeitete eine neue Folge der "Bibliotheca zoologica, 1861-80" (das. 1886 ff.) u. a.
Taschenbücher, jährlich erscheinende Bücher in kleinem Format, welche früher einen Kalender, genealogische Nachrichten und allerlei gemeinnützige Mitteilungen enthielten, nach und nach aber immer mehr belletristischen, besonders novellistischen, Inhalt aufnahmen und sich endlich mit wenigen Ausnahmen auf letztern allein beschränkten, als charakteristisches Merkmal aber fast sämtlich eine Zugabe an Kupferstichen (von Chodowiecki zuerst aufgebracht) enthielten. Erwähnung verdienen namentlich das Viewegsche "Taschenbuch" (Berl. 1798-1803), in welchem 1798 Goethes "Hermann und Dorothea" erschien; das "Taschenbuch der Liebe und Freundschaft" (Frankf. 1801-41); die "Urania" (Leipz. 1810-38, neue Folge 1839-48) u. das "Frauentaschenbuch" (Nürnb. 1815-3l). Späterhin fing man auch an, für die ernstern Wissenschaften jährliche T. herauszugeben; hierher gehören besonders Fr. v. Raumers "Historisches Taschenbuch" (1830 gegründet, seit 1881 hrsg. von Maurenbrecher), Prutz' "Literarhistorisches Taschenbuch" (1843-48) u. a. Auch gibt es T. für Botaniker, Jäger, für das Bühnenwesen etc.
Taschengeige, s. Quartgeige.
Taschenkrebs, s. Krabben.
Taschenpfeffer, s. Capsicum.
Taschenspieler, Personen, welche verschiedenartige, auf den ersten Anblick an das Wunderbare grenzende Kunststücke verrichten. Letztere beruhen auf einer Täuschung des Zuschauers, die der Künstler hauptsächlich durch große Gewandtheit in seinen Körperbewegungen, namentlich Fingerfertigkeit, durch Ablenken der Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Nebendinge vermittelst eines möglichst gewandten Vortrags, durch Einverständnis mit einigen Gehilfen und Zuschauern, durch geschickte Benutzung der Chemie und Experimentalphysik, endlich durch allerhand mechanische Vorrichtungen, Apparate mit Doppelböden, durchlöcherte Tische und Fußböden etc. bewirkt. Früher pflegten derartige Künstler alle zu ihren Stücken nötigen Vorbereitungen in einer großen Tasche (Gaukeltasche) mit sich herumzutragen (daher der Name T.). Bei allen gesitteten Völkern finden wir diese Kunst zur Unterhaltung geübt, vor allen andern berühmt sind die T. Indiens und Chinas. Auch im alten Griechenland und Rom waren T. früh beliebt; ebenso finden wir sie in Italien, wo sie unter dem Namen Praestigiatores, Pilarii (Ballspieler) oder Saccularii (Taschenkünstler) in Städten und Dörfern umherzogen. Im Mittelalter waren die umherreisenden Spielleute die auf den einsamen Burgen allezeit willkommenen Vertreter der "heitern Kunst" (gaya scienza) zugleich Sänger, Musiker, T. und Spaßmacher (joculatores), weshalb dieser Name in den Ableitungsformen Gaukler und Jongleur ihnen verblieben ist. Sie gerieten früher leicht in den Ruf, Zauberer zu sein; der berühmte Doktor Faust war einer der geschicktesten dieser Zunft. In der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zeichneten sich Pinetti, Eckartshausen und vor allen Philadelphia, in neuerer Zeit Bosco, Professor Döbler, Becker, Frickell, Robert-Houdin, Bellachini, Basch, Hermann als geschickte T. aus. Eine Menge der ältern Taschenspielerkünste findet man in: Martius, Unterricht in der
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Taschentücher - Tasmania.
natürlichen Magie, umgearbeitet von Wiegleb, fortgesetzt von Rosenthal (Berl. 1786-1805, 20 Bde.). Über die durch die heutige Physik und Chemie sehr erweiterten Hilfsmittel der modernen Taschenspielerei vgl. die Werke von Robert-Houdin: Contidences d'un prestidigitateur (2. Aufl., Par. 1861, 2 Bde.), Comment on devient sorcier (neue Ausg., das. 1877) und Magie et physique amusante (das. 1877); ferner Grandpré, Le magicien moderne (das. 1879); Marian, Das Ganze der Salonmagie (Wien 1888).
Taschentücher (Schnupftücher) waren noch im 16. Jahrh. Luxusartikel, welche zuerst in Italien (s. Facilletlein) aufkamen und sich von da nach Frankreich, England und dem übrigen Europa, zunächst nur zum Gebrauch der Damen, verbreiteten. Schon damals wurden sie mit Spitzen und Stickereien geschmückt und parfümiert (mouchoir de Venus). Auch im Orient waren sie anfangs nur ein Vorrecht der Fürsten und höhern Würdenträger, welche T. im Gürtel trugen. Das Zuwerfen von Taschentüchern, besonders an Frauen, war eine Gunstbezeigung und wird heute noch in der Türkei in diesem Sinn geübt.
Taschi Lhunpo, Klosterftadt im südlichen Tibet, südwestlich bei Digardschi (s. d.), an einer Bergwand erbaut und aus 300-400 Häusern bestehend, in denen 3300 Priester mit Beamten und einem geringen weltlichen Gefolge wohnen. T. ist Residenz des Pantschen Rinpotsche ("Kleinod des großen Gelehrten"), gewissermaßen des zweiten Papstes der Buddhisten Innerasiens, der als eine Verkörperung des Gottes Amitabha gilt, außerordentliches Ansehen genießt und im südlichen Teil Tibets Regierungsrechte ausübt. T. hat eine berühmte Holzdruckerei und Fabrikation von Gottesbildern.
Taschkent (Taschkund), Hauptstadt des russ. Generalgouvernements Turkistan im westlichen Zentralasien, nördlich vom Tschirtschik, einem Zufluß des Jaxartes, besteht aus einer umfangreichen ummauerten Altstadt von ovaler Form und einem europäischen Viertel mit geraden Straßen, zu deren beiden Selten sich Kanäle mit fließendem Wasser und Baumreihen hinziehen. Die russische Citadelle mit ihren militarischen Etablissements liegt südlich von der Altstadt. Die Stadt lst Mittelpunkt der russischen Zivil- und Militärverwaltung Turkistans, hat zahlreiche Militärwerkstätten und Arsenale, russische Unter- und Mittelschulen, ein gutes astronomisches Observatorium, eine russische Zeitung und Bibliothek von 10,000 Bänden, eine Geographische Gesellschaft, eine kirgisische Zeitung, Karawanseraien und lebhaften, sich bereits auf 20 Mill. Rub. belaufenden Handel mit Rußland und Innerasien. Seit 1873 ist T. auch mit der europäischen Telegraphenlinie verbunden. Die Einwohner, ca. 100,000 (80,000 Sarten, 1500 Russen, 120 Deutsche etc.), fabrizieren Seiden-, Leder- und Filzwaren und grobes Porzellan, treiben aber meist Handel. Die Stadt, früher Hauptstadt eines selbständigen Chanats, fiel 1810 vor den Angriffen Chokands und wurde 1865 von den Russen erobert.
Taschkurgan, Stadt, s. Chulm.
Taschlich (hebr., auch "T. machen"), Bezeichnung eines altjüd. Gebrauchs, der darin besteht, daß Israeliten am ersten Nachmittag des Neujahrsfestes an einen Fische enthaltenden Bach sich stellen und ein Gebet um Vergebung der Sünden sprechen.
Täschner, ehemals zünftige Handwerker, die allerlei Lederarbeiten verfertigen, Koffer und Stühle mit Leder überziehen; meist mit den Beutlern verbunden.
Tasco de Alarcon, alte Bergstadt im mexikan. Staat Guerrero, 1773 m ü. M., mit prächtiger Pfarrkirche (von J. de la Borda, einen. reichen Grubenbesitzer, im vorigen Jahrhundert erbaut), Gold- und Silbergruben und (1880) 12,395 Einw. im Munizipium. Die schon von den alten Mexikanern angelegten Zinngruben sind jetzt aufgegeben.
Tasen, Volk, s. Orotschen.
Tasimeter (griech., Mikrotasimeter, "Dehnungsmesser"), ein von Edison angegebenes, äußerst empfindliches, auf die vom Mikrophon her bekannte Änderung des galvanischen Widerstandes der Kohle durch Änderung des Druckes gegründetes Instrument, mit welchem sich die Ausdehnung der Körper durch Wärme, Feuchtigkeit etc. nachweisen läßt. Auf einer starken eisernen Fußplatte erheben sich, 10 cm voneinander entfernt, zwei kurze, dicke, mit der Platte in einem Stück gegossene Zapfen, zwischen welche der auf seine Ausdehnung zu prüfende stabförmige und an seinen Enden zugespitzte Körper in horizontale Lage gebracht wird. Das eine Ende des Stäbchens wird aufgenommen von der Höhlung einer Schraube, welche durch den einen Zapfen hindurchgeht. An den andern Zapfen ist eine vertikal stehende Platinplatte angeschraubt, welche zugleich eine cylindrisch ausgehöhlte Scheibe von Hartkautschuk festhält. Gegen die Platinplatte legt sich eine Platte von Kohle, auf die folgt ein Platinblech, gegen welches eine Messingplatte drückt, die mit einer Höhlung zur Aufnahme des andern Endes des Stäbchens versehen ist. Der zweite Zapfen einerseits und das Platinblech anderseits sind mit den Drähten einer Leitung verbunden, in welche ein galvanisches Element und ein Galvanometer eingeschaltet sind. Dehnt sich nun das Stäbchen aus und preßt das Platinblech stärker gegen die Kohlenplatte, so wird der Widerstand vermindert, und das Galvanometer gibt einen größern Ausschlag. Die Ausdehnung eines Stäbchens von Hartkautschuk durch die Wärme der mehrere Zoll entfernt gehaltenen Hand verursacht eine Ablenkung der Galvanometernadel von mehreren Graden; selbst ein Glimmerstreifen wird durch die Wärme der Hand noch merklich affiziert. Ein Stäbchen von Gelatine wird durch den Wasserdampf eines 7-8 cm entfernten feuchten Stückes Papier sofort ausgedehnt. Das Instrument eignet sich sonach zu feinen thermometrischen und hygrometrischen Beobachtungen.
Tasman, Abel Jansz, holländ. Seefahrer, fuhr im Auftrag van Diemens, des Gouverneurs von Batavia, 1642 mit zwei Schiffen über Mauritius im südlichen Bogen um Australien herum, entdeckte dabei Tasmania, ohne es als Doppelinsel zu erkennen, und kehrte durch die Gruppe der Freundschafts- und der Fidschiinseln hindurch über Neubritannien nach Batavia zurück. Auf einer zweiten Fahrt 1644 nahm er die Ost- und Westküste des Carpentariagolfs auf, doch blieb ihm die Torresstraße auch diesmal unbekannt. Durch ihn wurde die Ansicht, daß Australien sich sehr weit nach S. hin erstrecke, ein für allemal beseitigt. Sei nGeburts- u. Todesjahr sind nicht bekannt.
Tasmania (früher Vandiemensland), große brit. Insel an der Südostspitze des Australkontinents (s. Karte "Australien") und von diesem durch die Baßstraße getrennt. Sie hat die Form eines unregelmäßigen Dreiecks und ein Areal von 64,644 qkm (1174 QM.), wozu noch eine Anzahl von Nebeninseln kommen mit einem Areal von 4122 qkm (74,9 QM.). Von den letztern sind bedeutender: am Ostende der Baßstraße die Furneauxgruppe mit der Flindersinsel, Kap Barren-, Clarke- und Chappellinsel nebst der Kentgruppe, alle von Seehunds- und Alkenfängern (zum Teil Mischlingen) bewohnt; am Westende:
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Tasmanische Sprachen - Tassilokelch.
Kingsinsel, Robbinsinsel und die Hunterinseln. Andre größere Inseln sind: Waterhouse-, Swan-, Scouten-, Maria-, Bruni- und Huoninsel. Die Westküste von T. ist steil und felsig und hat nur drei gute Häfen: Port Davy, Pieman's River und Macquarie Harbour. Häfen der Nordküste sind Stanley bei Circular Head, Emubai, Port Frederick an der Merseymündung, Port Dalrymple an der Mündung des Tamar und Waterhouse Roads zwischen der Anderson- und der Ringaroomabai; an der Östküste: Georges-, Oyster-, Spring- und Fortescuebai. Die Süd- u. Südostküste hat zahlreiche sichere Baien und Häfen: Port Arthur, Storm- und Norfolkbai, d'Entrecasteauxkanal, Port Esperance, Southport und Recherchebai. Die Hauptinsel ist von zwei durch eine zentrale Senkung geschiedenen Gebirgsketten durchzogen. In der östlichen erreicht Ben Lomond 1527 m; in der westlichen, welche aus einem durchschnittlich 1000 m hohen Tafelland besteht, erhebt sich der höchste Berg der Insel, Cradle Mountain, zu 1689 m. Zahlreiche Ausläufer gehen nach allen Richtungen, nur nicht nach O., aus. Hier befinden sich auch alle große Seen der Kolonie: der Große See, St. Clairsee, Arthurs- und Echosee. Aus ihnen kommen die meisten Flüsse: Derwent, Huon, Tamar (entstanden aus Nord- und Süd-Esk), Ringarooma. Das Klima ist nicht so trocken wie das des Festlandes, die Niederschläge sind regelmäßiger, das Thermometer steigt nicht über 26° C. und sinkt nicht unter -5° C. Tier- und Pflanzenwelt sind wie die des Festlandes. - Die Einwohner (1887: 142,478 Seelen) sind fast durchweg Briten oder britischer Abstammung; Deutsche zählte man 1881 nur 782. Die Religion ist vorwiegend die protestantische. Hauptnahrungszweige sind Ackerbau und Viehzucht. Man baut hauptsächlich Weizen, Hafer, Gerste, Kartoffeln. Sehr reich ist die Insel an Obst, das teils frisch (namentlich nach Neusüdwales und Victoria), teils als Mus ausgeführt wird. Der Viehstand der Kolonie war 1887: 29,528 Pferde, 147,092 Rinder, 1,547,242 Schafe, 52,408 Schweine. An Mineralien ist T. reich; ausgebeutet werden namentlich Zinn, Gold, Wismut, Kohle; auch Kupfer und Blei werden gefunden. Der Handel führt europäische Fabrikate und Manufakte ein und führte 1887 aus: Wolle für 415,425, Zinn für 407,857 Pfd. Sterl., ferner Obst, Hopfen, Kartoffeln, Gerberrinde, Holz. Die Einfuhr betrug 1,596,817, die Ausfuhr 1,449,371 Pfd. Sterl. Die Eisenbahnen hatten 1887 eine Länge von 508 km, die Telegraphenlinien 2301 km. Die Handelsflotte der Kolonie zählte 177 Segelschiffe von 13,341 Ton. und 26 Dampfer von 4601 T., die Zahl der Walfänger hat mit den Walen sehr abgenommen. Der Tonnengehalt aller ein- und ausgelaufenen Schiffe war 735,299. Das Unterrichtswesen ist in geordnetem Zustand; Schulzwang ist eingeführt, und vier höhere Schulen sind errichtet. Die Royal Society of T. in Hobart verfolgt allgemein wissenschaftliche Zwecke. Die Kolonie ist in 18 Grafschaften geteilt, außerdem in besondere Wahldistrikte. Nach der Verfassung steht an der Spitze der Verwaltung ein von der Königin von England ernannter Gouverneur mit verantwortlichen Ministern, Oberhaus und Unterhaus. Die Staatseinnahmen betrugen 1887: 594,976, die Ausgaben 668,759, die Staatsschuld 4,109,370 Pfd. Sterl. Hauptstadt ist Hobart.
Die Insel wurde 24. Nov. 1642 von dem holländischen Seefahrer Tasman entdeckt und zu Ehren seines Auftraggebers, des indischen Generalgouverneurs Anton van Diemen, Vandiemensland genannt, ein Name, der 1856 in den jetzigen umgeändert wurde. Die Insel blieb unbesucht, bis 1772 der Franzose Marion in der Frederick Hendrick-Bai landete. Fourneaux entdeckte 1773 die Adventurebai, welche 1777 auch von Cook berührt wurde. Bligh sah T. 1788 und 1792. d'Entrecasteaux, der Laperouse aufsuchen sollte, segelte in die Mündungen des Derwent und Huon und benannte mehrere Punkte. Kapitän Hayes untersuchte T. 1794 noch weiter. Baß bewies 1798 die Inselnatur Tasmanias. Die Kolonisation der Insel begann 1803 mit der Anlage einer Verbrecherkolonie am Derwent, die aber schon 1804 nach Hobart verlegt wurde. T. war nur eine Dependenz von Neusüdwales, erhielt aber 1824 auf Ansuchen der Kolonisten eigne Verwaltung, und 1853 hörte die Deportation [corr!] auf. Die Eingebornen (s. Tafel "Ozeanische Völker [corr!]", Fig. 4), welche man vorfand, waren den Australnegern ganz nahe verwandt, sie wurden aber teils in vielfachen Kämpfen ausgerottet, teils starben sie infolge ihrer gewaltsamen Versetzung auf die Flindersinseln bis auf wenige, welche man nach Hobart zurückführte. Die letzte ihres Stammes, Trucamini oder Lalla Rookh, starb 1876 in London. Vgl. Trollope, Victoria and T. (Lond. 1874); Jung, Der Weltteil Australien, Bd. 2 (Leipz. l882); Fenton, History of T. (Lond. 1884); Bonwick, The lost Tasmanian race (das. 1884).
Tasmanische Sprachen, s. Australische Sprachen.
Tasnád (spr. táschnahd. Trestenberg), Markt im ungar. Komitat Szilágy, mit (1881) 3375 ungar. Einwohnern, vorzüglichem Weinbau und Bezirksgericht.
Tassaert (spr. -ssart), Antoine, niederländ. Bildhauer, geboren um 1729 zu Antwerpen, wo er seine Ausbildung erhielt, ging dann nach England und Paris, wo er sich durch eine Statue Ludwigs XV. bekannt machte. Der Prinz Heinrich von Preußen beauftragte ihn, mehrere Statuen und Gruppen für sein Palais in Berlin auszuführen, wohin er um 1770 übersiedelte. Er entfaltete dort eine rege Thätigkeit, wurde Rektor der Kunstakademie und starb 1788. Er schuf unter anderm die Statuen der Generale v. Seydlitz und Keith auf dem Wilhelmsplatz in Berlin (später entfernt) und die Büsten Friedrichs II. und M. Mendelssohns.
Tasse, s. v. w. Banse, s. Scheune.
Tassenrot, s. Safflor.
Tassilo, Herzog von Bayern, aus dem Geschlecht der Agilolfinger, mußte 757 die Oberlehnshoheit seines Oheims, des fränkischen Königs Pippin, anerkennen, suchte sich aber unter Karl d. Gr. seiner Lehnspflicht zu entziehen, trat zu diesem Zweck mit seinem Schwager, dem Langobarden Adalgis, und den Avaren in geheime Verbindung, wurde zwar 787 mit Waffengewalt zur Unterwerfung gezwungen, erneuerte indes die Verschwörung, wurde deshalb 788 auf dem Reichstag zu Ingelheim zum Tod verurteilt, aber begnadigt und in das Kloster Jumièges bei Rouen eingeschlossen, wo er, nachdem er 794 nochmals feierlich dem Herzogtum Bayern entsagt, starb. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Agilolfinger.
Tassilokelch, ein im Stift Kremsmünster aufbewahrter Kelch, welcher um 780 von dem bayrischen Herzog Tassilo und seiner Gemahlin Luitperga geschenkt wurde und der älteste unter den erhaltenen ist, der eine Inschrift trägt. Er ist 9½ cm hoch, aus Kupfer gegoffen und vergoldet und an der Kuppe mit den in aufgeschweißtes Silber gravierten Brustbildern Christi und der vier Evangelisten, am Fuß mit den Brustbildern von Propheten geschmückt Die Inschrift am Fuß lautet: "TASSILO DVX FORTIS LIVTPIRC VIRGO REGALIS".
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Tasso (Bernardo und Torquato).
Tasso, 1) Bernardo, ital. Dichter, geb. 1493 zu Bergamo, studierte in Padua und bekleidete dann verschiedene Stellen in Rom, Ferrara und Venedig, wo er sich auch bereits als Dichter einen Namen machte. 1531 trat er als Geheimschreiber in die Dienste des Fürsten Ferrante Sanseverino von Salerno, begleitete denselben auf Karls V. Zug nach Tunis, ging dann in Geschäften des Fürsten nach Spanien, heiratete nach seiner Rückkehr nach Salerno 1539 die geistvolle Porzia de' Rossi und lebte mit ihr in Zurückgezogenheit zu Sorrento bis 1547. Dann mit dem Fürsten von Salerno in die Ungnade des Kaisers gefallen, hielt er sich an verschiedenen Orten auf und kam 1556, von allem entblößt, nach Ravenna, von wo ihn der Herzog von Urbino nach Pesaro berief. 1563 ward er erster Sekretär des Herzogs Wilhelm von Mantua; er starb 1569 als Gouverneur von Ostiglia. Sein Hauptwerk ist das romantische Epos "L'amadigi di Francia" in 100 Gesängen (Vened. 1560 u. öfter; am besten, Berg. 1755, 4 Bde.), dessen Stoff größtenteils dem spanischen Roman vom Amadis entnommen ist. Außerdem verarbeitete er eine einzelne Episode daraus zu einem besondern Gedicht: "Floridante", von welchem er aber nur 19 Gesänge vollendete. Von seinem Sohn wurde es vollendet und herausgegeben (Bologna 1587). Noch sind seine zum Teil sehr schätzbaren lyrischen Poesien, welche zuerst als "Amori" (Vened. 1555; vermehrt, das. 1560), dann als "Rime" (Berg. 1749, 2 Bde.) erschienen, und die Sammlung seiner "Lettere" (am vollständigsten, Padua 1733-51, 3 Bde.) zu erwähnen.
2) Torquato, Sohn des vorigen, sowohl durch seinen Dichterruhm als seine Schicksale bekannter geworden als der Vater, geb. 11. März 1544 zu Sorrento, wurde in Neapel, Rom und Pesaro (hier gemeinschaftlich mit dem Sohn des Herzogs von Urbino) erzogen, begann mit dem 13. Jahr zu Padua das Studium der Rechte und veröffentlichte vier Jahre später ein episches Gedicht: "Rinaldo" (Vened. 1562). Da dasselbe Beifall fand, so gab er das Studium der Jurisprudenz auf, widmete sich zu Bologna, später zu Padua philosophischen und litterarischen Studien und begann zugleich, den schon früher gemachten Entwurf zu einem epischen Gedicht von der Befreiung Jerusalems auszuführen. 1565 berief ihn der Kardinal Lodovico von Este, dem er seinen "Rinaldo" gewidmet hatte, nach Ferrara und ernannte ihn zum Hofkavalier mit einem ansehnlichen Jahrgehalt. Der Dichter ward mit großer Achtung ausgenommen; namentlich schenkten ihm die Schwestern des Herzogs Alfons, Lucrezia, die nachmalige Herzogin von Urbino, und Leonore, ihre Gunst. 1571 reiste T. nach Vollendung der ersten acht Gesänge seines Epos mit dem Kardinal nach Frankreich, wo er am Hof Karls IX. die huldvollste Aufnahme fand, kehrte aber aus nicht sicher bekannten Gründen schon nach einem Jahr nach Ferrara zurück und trat durch Vermittelung der Prinzessin Leonore in die Dienste des Herzogs Alfons, der ihn mit großer Zuvorkommenheit behandelte und ihm volle Muße zu seinen poetischen Arbeiten gewährte. T. verfaßte zunächst das Schäferspiel "Aminta", welches sofort in Szene gesetzt ward, vollendete darauf, nachdem er mehrere Monate zu Castel Durante bei seiner Gönnerin, der Herzogin von Urbino, verweilt hatte, im Frühling 1575 sein großes Epos unter dem Titel: "Goffredo" und begab sich im November d. J. nach Rom, um es dort nochmals einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen. In Rom wurde er dem Kardinal Ferdinand von Medici, nachmaligem Großherzog von Toscana, vorgestellt und von diesem aufgefordert, in seine Dienste zu treten, was T. jedoch aus Rücksichten der Dankbarkeit gegen das Haus Este ablehnte. Von jetzt an beginnt die Zeit seiner Leiden, deren eigentliche Veranlassung noch nicht mit voller Sicherheit ermittelt ist, aber wohl zum Teil in den Intrigen seiner Neider und Feinde, namentlich des Staatssekretärs Antonio Montecatino, zum Teil auch in seiner eignen geistigen Organisation zu suchen sein dürfte. Bald nach seiner Rückkehr nach Ferrara, wo ihm der Herzog das eben erledigte Amt eines Historiographen verlieh, bemächtigte sich die finsterste Melancholie des Dichters. In dieser Gemütsverfassung zog er 15^7 eines Abends in den Zimmern der Herzogin von Urbino den Degen gegen einen ihrer Diener, worauf der Herzog ihn auf kurze Zeit verhaften ließ. Nachdem T. danach auf einen empfindlichen Brief an den Herzog die Weisung erhalten, weder an diesen noch an die Herzogin ferner zu schreiben, entfloh er 20. Juli 1577 mit Zurücklassung seiner Papiere und begab sich auf Umwegen nach Sorrento zu seiner Schwester Cornelia, welche daselbst als Witwe lebte. Unter der liebevollen Pflege derselben erholte er sich einigermaßen, aber die Sehnsucht nach Ferrara ließ ihm keine Ruhe. Er begab sich nach Rom und erwirkte sich durch Vermittelung des Geschäftsträgers des Herzogs die Erlaubnis zur Rückkehr. Er wurde zwar wohlwollend aufgenommen; allein die Herausgabe seiner Manuskripte verweigerte ihm Alfons, da er ihn noch immer als einen Gemütskranken betrachtete, in dessen Händen sie vielleicht vor Vernichtung nicht sicher wären. Zum zweitenmal floh daher T. aus Ferrara und wandte sich zum Herzog von Urbino und dann nach Turin (1578). Hier fand er beim Herzog Karl Emanuel wie bei Filippo d'Este wohlwollende Aufnahme und schrieb außer verschiedenen andern Produktionen in Poesie und Prosa die zwei "Dialoghi della nobilità e della dignità". Nochmals entschloß er sich zur Rückkehr nach Ferrara, erhielt auch abermals die Erlaubnis dazu (1579), sah sich jedoch in der Hoffnung, die frühere Gunst des Herzogs wiederzuerlangen, getäuscht; von dem Fürsten nicht vorgelassen und von den Hofleuten verachtet, ergoß er sich in lauten Schmähungen gegen Fürsten und Hof. Als dies dem Herzog hinterbracht wurde, ließ er ihn (März 1579) als einen Rasenden in das St. Annenhospital, das Irrenhaus von Ferrara, bringen. Unerwiesen ist die Behauptung, daß T. sich des Herzogs Zorn durch seine leidenschaftliche Liebe zur Prinzessin Leonore, der er einmal in Gegenwart des Hofs einen Kuß geraubt, zugezogen habe. Daß T. wirklich, wenn auch mit Unterbrechungen, wahnsinnig war, wurde nur von wenigen seiner Zeitgenossen bezweifelt. Im St. Annenhospital verlebte er zuerst zwei Jahre in engem Gewahrsam in einem Zustand zwischen Gesund- und Kranksein. Oft hatte er ruhige Augenblicke, in denen er sich auf das schönste bald in Versen, bald in philosophischen Betrachtungen aussprach; in diese Periode gehören mehrere der besten seiner "Dialoghi". Am meisten Kummer machte ihm die Nachricht, daß sein Gedicht in höchst verstümmelter Gestalt zu Venedig erschienen sei unter dem Titel: "La Gerusalemme liberata". Nach Ablauf jener zwei Jahre erhielt er eine bessere Wohnung, durfte Besuche empfangen und von Zeit zu Zeit ausgehen. Aber vergeblich bot er alles mögliche auf, seine Freiheit wiederzuerhalten; erst als sich sein Zustand mehr und mehr verschlimmerte, ließ der Herzog 1586 den Dichter nach mehr als siebenjähriger Gefangenschaft frei. T. begab sich zuerst nach Man-
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Tasso - Tassoni.
tua, dann nach Bergamo, wo er den "Floridante" seines Vaters und sein bereits in Ferrara begonnenes Trauerspiel "Torrismondo" vollendete, und 1587 nach Rom, wo er zwar sowohl beim Papst als bei den einflußreichsten Personen wohlwollende Aufnahme fand, allein ohne daß irgend etwas Wesentliches zu seinen gunsten geschah. Vergeblich reklamierte er 1588 in Neapel die Mitgift seiner Mutter und sein väterliches Vermögen, welches eingezogen worden war, und wechselte in den nächsten Jahren, nirgends Ruhe findend, mehrmals den Aufenthalt. Trotz dieses herumschweifenden Lebens entstanden in dieser Zeit mehrere seiner Werke. So arbeitete er die "Gerusalemme liberata" in eine "Gerusalemme conquistata" um und schrieb seine "Sette giorni del mondo creato". Inzwischen hatte Ippolito Aldobrandini, sein alter Gönner, unter dem Namen Clemens VIII. den päpstlichen Thron bestiegen, und sein Neffe, der Kardinal Cinzio Aldobrandini, ein Freund von Kunst und Wissenschaft, versammelte die ausgezeichnetsten Männer Italiens um sich. Auch T. wurde von ihm nach Rom berufen und hatte sich hier von seiten des Papstes und seines Verwandten der glänzendsten Aufnahme zu erfreuen. Intrigen vertrieben ihn jedoch bald wieder von da, und erst als der Kardinal Cinzio Aldobrandini, der T. in Rom zu fesseln wünschte, seinem Oheim vorschlug, T. in feierlicher Weise auf dem Kapitol zum Dichter zu krönen, kehrte dieser zurück. Aber bald darauf fiel er in ein hitziges Fieber und starb im Kloster Sant' Onofrio auf dem Janiculus, wohin er sich hatte bringen lassen, 25. April 1595, wie es heißt, am Tag vor dem zu seiner Dichterkrönung festgesetzten. Er ward in der Kirche des genannten Klosters bestattet. Der Kardinal Bevilacqua von Ferrara ließ ihm ein Denkmal setzen; ein andres wurde in neuerer Zeit über seinem Grab errichtet. Auch in Sorrent, Bergamo, Neapel (von Solari) etc. hat man dem Dichter Statuen errichtet.
T. gehört zu den fruchtbarsten italienischen Schriftstellern, und unter seinen poetischen Werken sind fast alle Gattungen der Dichtkunst vertreten. Sein Hauptruhm aber gründet sich auf sein Epos "La Gerusalemme liberata", welches mit Recht zu den Meisterwerken seiner Gattung gerechnet wird, sowohl wegen der edlen, würdevollen Behandlung des Stoffes, der vortrefflichen Charakteristik der Hauptpersonen und der schönen Abrundung des Ganzen als auch wegen der edlen, echt poetischen Diktion und der musikalischen Schönheit der Versifikation. Insbesondere sind die geschickt eingewebten Episoden von großer Schönheit und machen einen Hauptreiz des Gedichts aus. Zu tadeln ist dagegen der von geschraubten Antithesen und zugespitzten Wortspielen nicht immer freie Ausdruck. Seine Umarbeitung des Gedichts in eine "Gerusalemme conquistata", bei welcher T. den Ausstellungen der Crusca Rechnung trug, ist beinahe als eine Verirrung zu betrachten und jetzt mit Recht vergessen. Nächst der "Gerusalemme" ist das Schauspiel "Aminta" Tassos vorzüglichstes Werk. Sein "Torrismondo" (zuerst Berg. 1587) gilt für eins der besten italienischen Trauerspiele aus der ältern Schule; auch seinem "Rinaldo" sowie den religiösen Gedichten: "Le sette giornate", "Le lagrime di Maria" . "Il monte Oliveto", "La disperazione di Giuda" fehlt es nicht an schönen Einzelheiten. Seine aus Sonetten und Kanzonen bestehenden lyrischen Gedichte ("Rime") endlich gehören zum Teil zu den schönsten ihrer Art. Von seinen Prosaschriften sind besonders seine von philosophieschem Geiste durchwehten "Dialoghi" sowie seine zahlreichen für die Kenntnis der gesamten Zeit wichtigen "Lettere" (hrsg. von Guasti, Flor. 1852-55, 5 Bde.) hervorzuheben. Von seinen einzelnen Werken ist namentlich die "Gerusalemme" in zahllosen Ausgaben verbreitet (erste authentische Ausgaben Parma 1581 u. Mantua 1584; kritische Ausg. von Orelli, Zürich 1838, von Scartazzini, 2. Aufl., Leipz. 1882). Gesamtausgaben von Tassos Werken erschienen zu Florenz 1724, 6 Bände, und Venedig 1722-42, 12 Bände; die neueste und vollständigste ist die von Rosini (Pisa 1820, 30 Bde.). Eine Auswahl ("Opere scelte") in 5 Bänden erschien 1824 in Mailand. Die besten deutschen Übersetzungen der "Gerusalemme liberata" sind die von Gries (13. Aufl., Leipz. 1874, 2 Bde.; Stuttg. 1887) und Streckfuß (mit Biographie, 4. Aufl., Leipz. 1849, 2 Bde.). "Auserlesene lyrische Gedichte" übersetzte K. Förster (2. Aufl., Leipz. 1844). Tassos Biographie schrieb sein Freund Giamb. Manso (Neapel 1619), vollständiger Serassi (Rom 1785; neue Ausg., Flor.1858). Vgl. Rosini, Saggio sugli amori di Torquato T. e sulle cause della sua prigionia (Pisa 1832); Milman, Life of T. T. (Lond. 1850, 2 Bde.); Cibrario, Degli amori e della prigionia di T. T. (Tur. 1861); G. Voigt, Torquato T. am Hofe von Ferrara (in Sybels "Historischer Zeitschrift", Bd. 20, Münch. 1868); Cardona, Studi novi sopra del T. alienato (in der "Nuova Antologia", Februar 1873); Cecchi, T. T. Il pensiero e le belle lettere italiane nel secolo XVI (Flor. 1877; deutsch, Leipz. 1880); Ferrazzi, T. T. (Bassano 1880); Speyer, Torquato T. (im "Neuen Plutarch", Bd. 10, Leipz. 1884). Unecht sind die von dem Conte M. Alberti herausgegebenen "Manoscritti inediti di Torquato T." (Lucca 1837 f.).
Tassoni, Alessandro, ital. Dichter, geb. 1565 zu Modena, studierte in Bologna und Ferrara die Rechte und ward 1597 zu Rom Sekretär des Kardinals Colonna, den er 1600 nach Spanien begleitete. Vom Kardinal in persönlichen Angelegenheiten desselben nach Rom zurückgesandt, ließ er sich dort ganz nieder, wurde in die Akademien der "Umoristi" und "Lincei" aufgenommen und eins der eifrigsten Mitglieder derselben. Eine erste Frucht seiner Arbeiten waren seine "Considerazioni sopra le rime del Petrarca" (Mod. 1609), wodurch er in eine heftige litterarische Fehde verwickelt ward, sich aber doch das Verdienst erwarb, der übertriebenen Verehrung Petrarcas und dem Ansehen seiner ungeschickten Nachahmer ein Ziel zu setzen. Kaum geringeres Aufsehen erregten seine "Pensieri diversi" (Rom 1612), in welchen er den Homer und Aristoteles angriff. 1612 trat er in die Dienste Karl Emanuels von Savoyen, zog sich aber, als nach langem Warten seine Beförderung durch Intrigen verhindert wurde, ins Privatleben zurück, bis 1626 der Kardinal Lodovisio ihn zu seinem Sekretär und nach des Kardinals Tod Franz I. von Modena ihn (1632) zu seinem Kammerherrn ernannte. T. starb aber schon 1635. Sein Ruhm beruht vorzugsweise auf seinem heroisch-komischen Gedicht "La secchia rapita", in 12 Gesängen (Par. 1622), welches den zwischen den Modenesern und Bolognesern im 13. Jahrh. über einen von den erstern aus Bologna geraubten Eimer entstandenen Krieg zum Gegenstand hat. Es ist dies eigentlich das erste komische Epos der neuern Zeit im strengen Sinn des Wortes und gehört wegen seiner glücklichen Mischung von Ernst und Scherz, der Originalität der Gedanken und Bilder, der Schönheit der echt toscanischen Sprache und der Leichtigkeit der Versifikation
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Taste - Tastsinn.
zu den klassischen Werken der Italiener. Die "Secchia rapita" ist nachher sehr oft wieder gedruckt worden (am besten, Mod. 1744, Par. 1766, Vened. 1813; deutsch von Kritz, Leipz. 1842). Eine Anzahl Briefe Tassonis hat Gamba herausgegeben (Vened. 1827).
Taste (ital. Tasto, lat. Clavis), der Teil eines musikal. Schlaginstruments, der beim Niederdrücken mit dem Finger sich hinten wie ein Hebel in die Höhe hebt und infolge davon entweder durch den Schlag eines Hammers (wie beim Pianoforte), oder durch Öffnen eines Ventils (wie bei der Orgel etc.) die Saite, Pfeife oder Zunge zum Ertönen bringt. Sämtliche zu einem Instrument gehörige Tasten nennt man Tastatur oder auch Klaviatur. Vgl. Klavier.
Taster, s. Palpen.
Tastkörperchen, s. Haut, S. 232.
Tasto solo (abgekürzt t. s.) bedeutet in der Generalbaßbezifferung, daß zu dem betreffenden Baßton keine Akkorde gegriffen werden sollen.
Tastsinn (Gefühlssinn), derjenige Sinn, welcher Über die ganze äußere Körperoberfläche und den in nächster Nähe dieser gelegenen Teil der Schleimhäute verbreitet ist und uns vermittelst mechanischer oder thermischer Reibung über bestimmte Qualitäten und Zustände der reizenden Objekte sowie deren räumliche Verhältnisse Auskunft gibt. Der T. verschafft uns zweierlei ganz verschiedene Empfindungen von spezifischer Natur, nämlich die Empfindungen des Druckes und der Temperatur. Gehen die Druck- und Temperatureinflüsse über eine gewisse Grenze hinaus, so entsteht eine ganz neue Empfindungsform, nämlich der Schmerz. Es ist nicht bekannt, ob diese Scheidung eine anatomische Berechtigung hat, d. h. ob für jede der genannten Empfindungen ein besonderer nervöser Apparat besteht. In der äußern Haut u. den benachbarten Teilen der Schleimhäute finden sich eigentümliche nervöse Nervenendorgane (s. Haut, S. 232), welche aller Wahrscheinlichkeit nach für das Zustandekommen der Druck- und Temperaturempfindungen von der größten Bedeutung sind. Da wir die Empfindungen, welche uns Druck- und Temperatureinflüsse verursachen, ohne Ausnahme in die betreffenden Körperteile verlegen (von welchen her sie dem Gehirn zugeleitet wurden und uns hier zum Bewußtsein kamen), so unterscheiden wir auch zwei im übrigen völlig gleiche Eindrücke, welche zwei verschiedene Hautstellen betreffen, als räumlich gesonderte. Die Organe des Tastsinnes sind also mit Raumsinn oder Ortssinn begabt. Außerdem fassen wir zwei auf das Tastorgan nacheinander oder miteinander wirkende Einflüsse als zeitlich gesonderte oder als gleichzeitige auf. Man kann daher ebensogut von einem Zeitsinn des Tastorgans wie z. B. von einem Zeitsinn des Ohrs sprechen. Der Raumsinn zeigt an den einzelnen Körperstellen sehr verschiedene Grade von Schärfe; man ermittelt dieselbe am besten mit dem Tastzirkel, einem gewöhnlichen Zirkel, dessen Spitzen aber nicht so fein sein dürfen, daß sie die Haut verletzen. Die Spitzen des Zirkels setzt man auf irgend eine Hautstelle und bestimmt (bei geschlossenen Augen des zu Prüfenden) den kleinsten Abstand der Spitzen, bei welchem noch eine zweifache Berührung wahrgenommen wird. An der Zungenspitze beträgt der kleinste Abstand, bei welchem zwei Punkte noch als getrennt wahrgenommen werden, 1 mm. An der ebenfalls noch feinfühligen Beugefläche des letzten Fingergliedes beträgt der Abstand bereits 2 mm, an dem roten Teil der Lippen sowie an der Beugefläche des zweiten Fingergliedes 4, an der Nasenspitze 6 mm, in der Mitte des Oberarms und Oberschenkels sowie an dem Rücken 35-65 mm. Fortgesetzte Übung erhöht die Feinheit des Raumsinnes und zwar an sonst minder bevorzugten Stellen verhältnismäßig mehr als an den feiner tastenden Hautpartien. Besonders entwickelt ist der Raumsinn des Blinden. Wie schon erwähnt, haben wir die Tastempfindungen da, wo die betreffenden Nerven von den Tastobjekten selbst erregt werden, also an der Oberfläche des Körpers. Unter Umständen jedoch verlegen wir die Tastempfindungen nach außen und zwar entweder in nervenlose Teile, welche mit der tastenden Fläche verbunden sind, oder sogar an das Ende eines mit der Haut in Berührung kommenden fremden Körpers. Die Haare z. B. leiten Bewegungen, welche ihnen mitgeteilt werden, bis zu den empfindenden Hautstellen, aus denen sie hervorwachsen; wir verlegen aber die dadurch bedingten Empfindungen in die an sich unempfindlichen Haare. Der Druck, welchen äußere Objekte auf uns ausüben, wird entweder unmittelbar geschätzt mittels spezifischer Tastempfindungen (Druckempfindungen) oder mittelbar dadurch, daß eine von uns gegen den drückenden Körper ausgeführte willkürliche Bewegung uns zum Bewußtsein kommt. Im letztern Fall erschließen wir nämlich die Größe des Druckes oder Gewichts sowohl aus den begleitenden Muskelgefühlen als auch aus der Schätzung des Kraftmaßes, des aufzuwendenden Willensimpulses, welchen wir nötig haben, um dem Objekt Widerstand zu leisten, oder um es zu heben. Die nämlichen Hilfsmittel dienen zur Wahrnehmung von Druckunterschieden (Drucksinn). Man ist im stande, noch zwei Gewichte voneinander zu unterscheiden, deren Schwere sich wie 40:41 verhält, vorausgesetzt, daß die Gewichte weder zu schwer noch zu leicht sind. Zunahme eines auf der Hand lastenden Druckes wird leichter wahrgenommen als Abnahme desselben. Der Drucksinn zeigt in den verschiedenen Bezirken der Haut geringere Unterschiede seiner Feinheit als der Raumsinn. Die Leistungen des Drucksinns sind geringer als die des Muskelgefühls; durch das letztere schätzen wir die Druckempfindungen, indem wir die Gewichte auf die Hand legen und zugleich Bewegungen mit der Hand ausführen. Die zweite Art von spezifischen Empfindungen, welche uns der T. vermittelt, sind die Temperaturempfindungen (Temperatursinn). Wir haben nur innerhalb ziemlich enger Grenzen wirkliche Temperaturempfindungen. Denn es verursacht uns z. B. das Wasser bei 55° C. keine eigentliche Wärmeempfindung, sondern ein leises Brennen, während es schon bei einigen Graden unter Null nicht eigentlich mehr als kalt empfunden wird, sondern uns Schmerzen verursacht. Temperaturempfindungen entstehen unter zweierlei Bedingungen, nämlich durch Temperaturveränderungen der Haut oder durch Wärmetransmission derselben. Kommt ein Körper, welcher dieselbe Temperatur wie die Haut besitzt, mit dieser in Berührung, so erscheint er uns weder kalt noch warm. Letzteres ist aber sofort der Fall, wenn jener Körper unsre Haut durch Zuleitung von Wärme höher temperiert, oder wenn er sie durch Wärmeentziehung abkühlt. Bleibt die Temperatur der Haut konstant, so haben wir keine oder nur sehr schwache Wärmeempfindungen; die verschieden temperierte Haut der Wangen, Hände und Füße z. B. erweckt in uns keine Temperaturempfindungen. Sind aber die bei konstanter Temperatur der Haut in einer bestimmten Zeit nach außen abgegebenen oder von da aufgenommenen Wärmemengen verhältnismäßig bedeutend, so haben wir das Gefühl anhaltender
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Tastwerkzeuge - Tataren.
Kälte oder anhaltender Hitze. Objektive Temperaturempfindungen entstehen somit nicht bloß bei Veränderungen der Hauttemperatur, sondern auch beim Durchgang bedeutender Wärmemengen durch die konstant temperiert bleibende Haut. Wir vermögen zwischen 14 und 29° R. noch Temperaturunterschiede von 1/5-1/6°, jedoch nur bei sehr großer Aufmerksamkeit, zu erkennen. Am bevorzugtesten sind in dieser Beziehung die Zungenspitze, die Gesichtshaut, die Finger. Die Fähigkeit für Temperaturwahrnehmungen wird durch verschiedene Umstände vorübergehend beeinträchtigt, so z. B. schon durch Eintauchen der Hand in Wasser von einigen 50 Grad, durch Schmerzen verschiedener Art u. dgl. Ist eine Hautstelle durch Eintauchen in niedrig temperiertes Wasser (z. B. von 10°) abgekühlt worden, so empfindet man beim Einbringen derselben in Wasser von z. B. 16° einige Sekunden hindurch Wärme, so lange nämlich, als die Hauttemperatur von 10 auf 16° steigt. Dann erst folgt anhaltendes Kältegefühl. Die jeweilige Temperatur der Haut veranlaßt also falsche Beurteilungen der objektiven Temperatur. Schnelle Temperaturveränderungen der Haut bedingen lebhaftere Empfindungen. Kalte Körper, welche die Wärme gut leiten, wie Metalle, halten wir deshalb (weil sie der Haut die Wärme schnell entziehen) für viel kälter als andre gleich kalte, welche schlechte Wärmeleiter sind, wie z. B. Holz, Stroh etc. Die Hand empfindet das gleiche Gefühl des Brennens bei Luft von 120°, bei Holz von 80° und bei Quecksilber von 50°, weil die Luft langsamer als das Holz, dieses langsamer als das Quecksilber die Wärme an den Körper abgibt. Kleine Hautstrecken verursachen schwächere Temperatureindrücke als größere. Taucht man z. B. einen Finger der linken Hand in Wasser von 32° R., die ganze rechte Hand dagegen in ein solches von 28½°, so erscheint uns letzteres gleich wohl wärmer als das erstere, während der Unterschied sofort den wirklichen Verhältnissen entsprechend erscheint, wenn man beide Hände ganz eintaucht. Die Fundamentalarbeit über den T. verdanken wir E. H. Weber: "Über T. und Gemeingefühl" in Wagners "Handwörterbuch der Physiologie".
Tastwerkzeuge (Tastorgane), die zum Tasten oder Fühlen dienenden Einrichtungen des tierischen Körpers, liegen ausnahmslos in der Haut und bestehen aus besondern Hautzellen, welche nach innen zu mit einer Nervenfaser in Verbindung stehen, um den empfangenen Reiz zur Wahrnehmung zu bringen, nach außen gewöhnlich ein Haar oder sonst eine Vorrichtung zur Erleichterung der Berührung mit einem Fremdkörper tragen. Bei den meisten Tieren ist nicht die ganze Haut in gleichem Maß mit Tastwerkzeugen ausgestattet, sondern diese finden sich meist an besondern Anhängen (Fühlern, Tentakeln, Gliedmaßen) und dann oft in großer Anzahl. Bei den Wirbeltieren speziell sind die T. besonders entwickelt in der Umgebung des Mundes (sogen. Barteln mancher Fische, Tasthaare oder Schnurrhaare mancher Säugetiere) und vielfach auch an den Händen und Füßen. Wegen der eigentümlichen Tastkörperchen s. Haut, S. 232.
Tat, iranischer Volksstamm, welcher mit den verwandten Guran den äußersten Westen von Iran bewohnt und dort dieselbe Stelle einnimmt wie die Tadschik im äußersten Osten. Sie treiben Ackerbau in der Provinz Baku, wohin sie unter den Sassaniden aus Aserbeidschân eingewandert sein sollen, die Guran im Zagros. Die Sprache beider Völker nähert sich dem Persischen.
Tatar-Bazardschik, Stadt in Ostrumelien, an der Maritza und der nach Konstantinopel führenden Eisenbahn, hat starken Reisbau und (1887) 15,659 Einw. (ca. ¼ Türken). In der Umgegend viel Weinbau. T. wurde um 1420 von Tataren gegründet, welche Sultan Mohammed von Brussa dorthin verpflanzte.
Tatarei (unrichtig Tartarei), im Mittelalter Name Innerasiens, dessen gegen W. heranstürmende Horden man unter dem Gesamtnamen der Tataren (s. d.) begriff. Später nannte man die Kleine oder europäische T. die russischen Gouvernements Krim, Astrachan und Kasan, im engern Sinn aber insbesondere die Krim und die Gegenden am untern Dnjepr und Don. Die Große oder asiatische T., seit dem 13. Jahrh. von ihrem Beherrscher, dem Sohn Dschengis-Chans, auch Dschagatai genannt, führt jetzt in den geographischen Werken den allgemeinen. Namen Zentralasien (s. d.), teilweise auch Turkistan (s. d.). Die Namen chinesische oder Hohe T. für das östliche und Freie T. für das westliche (russische) Turkistan sind jetzt außer Gebrauch.
Tataren, ursprünglich Name eines mongol. Volksstammes, der aber im weitern Verlauf nicht nur auf die Mongolen überhaupt, sondern infolge des politischen Übergewichts, welches dieselben nach Dschengis-Chan in Asien besaßen, auch auf die ihnen unterworfenen verwandten Völker übertragen ward. Gegenwärtig bezeichnet man mit dem Namen T. einen Zweig des uralaltaischen Volksstammes, der von den Gestaden des Mittelländischen und Schwarzen Meers bis an die Ufer der Lena in Sibirien eine Reihe von Völkerschaften umfaßt, als: die Jakuten, die nordöstlichsten Glieder des Zweigs, an der Lena; die Buruten oder schwarzen Kirgisen, im chinesischen Turkistan; die Kirgisen oder Kasak (in drei Horden); die Uzbeken, von Bochara bis zum Kaspischen Meer; die Turkmenen, südlich vom Oxus bis Kleinasien; die Karakalpaken, südlich vom Aralsee; die Kumüken, im nordöstlichen Kaukasus; die Osmanen, die türkischen Bewohner der europäischen Türkei und teilweise Kleinasiens, und die T. im engern Sinn. Die letztern werden nach ihrer Lebensweise als ansässige und nomadisierende T. unterschieden. Ihre Zahl wird geschätzt auf 1,200,000 im europäischen Rußland, 100,000 im Kaukasus und 70,000 in Sibirien; sie sind alle Mohammedaner. Die Kasanschen T. haben durch ihre Vermischung mit Finnen und Russen ihren mongolischen Typus mehrfach eingebüßt; sie zeichnen sich durch Nüchternheit, Gastfreiheit und Arbeitsamkeit aus, sind sehr begabt, können alle lesen und schreiben und ernähren sich vorzugsweise durch den Handel; ihre Zahl wird auf 450,000 angegeben. Die Krimschen T. werden in Steppen- und Bergtataren eingeteilt, von denen die erstern den mongolischen Typus recht rein erhalten haben. Sie beschäftigen sich vorzugsweise mit Viehzucht, namentlich Schafhaltung; einige unter ihnen bauen auch Tabak, Arbusen und Melonen. Der Reichtum der Bergtataren besteht in Frucht- und Obstgärten. Ihr häusliches Leben ist durch Sauberkeit und Ordnungsliebe ausgezeichnet. Ihre Zahl wird auf 250,000 geschätzt. Die stark mit Mongolen vermischten Nogaiischen T. oder Nogaier wohnen, 50,000 Seelen stark, zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer an den Flüssen Kuban, Kuma, Wolga und in der Krim. Die Sibirischen T. sind zum größten Teil ansässig, nur ein kleiner Teil nomadisiert. Ein Hauptstamm derselben sind die Tureliner, aus denen man die eigentlichen T. und die nach den von ihnen bewohnten Gegenden benannten Taraischen, Tobolskischen, Tjumenschen und Tomskischen T. unterscheidet. Zum Teile leben sie in Städten und
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Tataren - Tättowieren.
treiben Ackerbau, zum Teile liegen sie dem Ackerbau, der Viehzucht und der Jagd ob. Weiter gehören zu den Sibirischen T. die Barabiner in der Steppe Baraba zwischen Ob und Irtisch, ein gutartiges Naturvolk, das fast ausschließlich Viehzucht und Fischerei treibt; die Tschulymschen T., am Fluß Tschulym, die sich schon sehr den Russen genähert haben; die Teleuten (s. d.), Sagaer, Abakan oder Katschinzen (s. d.), Karagassen (s. d.) und Reste der einst zahlreichen Ariver und Asanen (s. d.). S. Tafel "Asiatische Völker", Fig. 7. Die Umbildung des Namens T. in Tartaren wird auf ein Wortspiel König Ludwigs des Heiligen von Frankreich zurückgeführt, der denselben von "Tartaros" ableitete und damit die T. als der Unterwelt Entstiegene bezeichnen wollte. Vgl. Schott, Älteste Nachrichten von Mongolen und T. (Berl. 1846); Wolff, Geschichte der Mongolen oder T. (Bresl. 1872); Vambery, Die primitive Kultur des turko-tatarischen Volkes (Leipz. 1879); Derselbe, Das Türkenvolk (das. 1885); Radloff, Aus Sibirien (das. 1884, 2 Bde.).
Tataren, irreguläre leichte Reiterei des türk. Heers, welche im Krieg in Kleinasien aufgeboten wird. Zur regulären Reiterei des russischen Heers gehört eine Krim-Tatarendivision, die im Krieg zu einem Regiment von vier Schwadronen erweitert wird. Die Bezeichnung Tatarennachricht für unbeglaubigtes Gerücht stammt aus dem Krimkrieg, wo ein türkischer Tatar nach der Schlacht an der Alma die unrichtige Nachricht vom Fall Sebastopols brachte.
Tatargebirge, s. Sichota Alin.
Tatargolf (Tatarischer Sund), Meerenge zwischen dem asiatischen Festland (sibirische Küstenprovinz) und der Insel Sachalin, welche das Japanische mit dem Ochotskischen Meer verbindet. Seine schmälste Stelle, die Mamiastraße, wurde nach dem Seefahrer Mamia Rinzo benannt, welcher 1808 eine Karte des Golfs verfaßte.
Tatarka, pelzverbrämte niedrige Tuchmütze mit viereckigem Deckel, 1860 in Osterreich bei den Ulanen eingeführt, wurde 1876 durch die Czapka (s. d.) ersetzt.
Tati, Missionsstation in Südafrika am Flüßchen T., unter 21° 50' südl. Br. und 27° 50' östl. L. v. Gr. Der Distrikt wurde bekannter durch die hier 1868 von Mauch entdeckten goldreichen Quarze.
Tatianus, christlicher Apologet des 2. Jahrh., angeblich ein Assyrer, wurde durch Justinus Martyr zum Christentum bekehrt, wandte sich aber nach dem Tod seines Meisters dualistisch-gnostischen Lehren zu und erwarb sich eine streng asketische Anhängerschaft. Erhalten ist von ihm eine 176 geschriebene "Oratio ad Graecos" (hrsg. von Otto im "Corpus Apologetarum", 6. Abteil., 3. Ausg., Jena 1882, und von Schwartz, Leipz. 1888). Über das von ihm verfaßte "Diatessaron" s. Evangelienharmonie. Vgl. Daniel, T. der Apologet (Halle 1837); Zahn, Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons, Bd. 1 (Erlang. 1881).
Tatihou, franz. Insel, s. Saint-Vaast.
Tatischtschew, Wasilij Nikitisch, russ. Staatsmann und Schriftsteller, geb. 19. Febr. 1686, entstammte der Schule Peters d. Gr., machte mehrere Reisen ins Ausland, war unter anderm als Diplomat in Schweden und als Aufseher des Bergwesens in Sibirien thätig, bekleidete 1741-45 den Posten eines Gouverneurs von Astrachan und starb 15. Juli 1750. Er regte zu großen wissenschaftlichen Unternehmungen an, sammelte das Material zu einer geographisch-historischen Encyklopädie Rußlands (hrsg. Petersb. 1793) und schrieb eine mehrbändige Geschichte Rußlands, welche erst nach seinem Tod (1769-1848, 5 Bde.) gedruckt wurde. Vgl. Pogow, T. und seine Zeit (Mosk. 1861, russ.).
Tatius, Titus, nach der Sage König der Sabiner in Cures, zog wegen des von den Römern an den Sabinerinnen begangenen Raubes gegen Romulus, besetzte den Quirinalischen und sodann den Kapitolinischen Berg und beherrschte nach erfolgter Aussöhnung gemeinsam mit Romulus den Doppelstaat der Römer und Quiriten, in welchem die zweite Tribus nach ihm Tatienses oder Titienses genannt ward, bis er bei einem feierlichen Opfer zu Lavinium von Laurentern, die er beleidigt hatte, erschlagen ward.
Tatowieren, s. Tättowieren.
Tátra (Hohe T.), s. Karpathen, S. 557.
Tátra-Füred, Badeort, s. Schmeks.
Tatteln (Törteln, Terteln, Derdeln), Spiel unter zweien mit Pikettkarte, dem Pikett sehr ähnlich. Jeder erhält 9 Blätter, dann wird Atout aufgeschlagen, und der Rest der Karten bleibt als Talon, von welchem nach jedem Stich abgehoben wird. Kartenordnung ist im Nichtatout As, Zehn, König, Dame etc., im Atout aber Bube, Neun, As, Zehn, König, Dame. Man zählt nicht Stiche, sondern Augen. As zählt 11, die Zehn 10, König 4, Dame 3, Bube 2, Atoutbube aber 20 und Atoutneun 14. Vor dem Ausspiel finden Ansagen statt, wie im Pikett. Sequenz von drei Blättern heißt "Tattel" und zählt, sobald der Gegner keine höhere hat; Sequenz von 4 Blättern heißt "Quart", von 5 Blättern "Fuß". Eine Quart zählt nicht nur als solche, sondern auch als zwei Tattel, ein Fuß ebenso als drei Tattel und zwei Quarten. Drei gleiche Figuren werden von vier gleichen (wenn auch niedrigern) überboten, sonst schlägt das höhere Gedritt und Geviert das niedere des Gegners. Die Zehn nimmt bei den Sequenzen und Kunststücken ihren natürlichen Platz ein. Farbebekennen wird erst nach Erschöpfung des Talons, in den letzten 9 Stichen, obligatorisch. Die Atoutsieben raubt. Wer von den letzten 9 Stichen gar keinen erhält, muß den Matsch zahlen. Der letzte Stich zählt, auch wenn er leer ist, an sich 10 Points. Bezüglich der Berechnung der Sequenzen und Kunststücke sowie der Pointszahl, bis zu der man die ganze Partie spielt, vgl. Pikett. T. kann übrigens auch ohne Trumpfwahl gespielt werden.
Tattesall (fälschlich Tattersall), Sammelpunkt für die Freunde des Sports in London, hat seinen Namen von Richard Tattesall, Training-groom des Herzogs von Kingston, welcher 1795 an der südwestlichen Ecke des Hydeparks ein Etablissement zur Ausstellung und zum Verkauf von Pferden begründete. Durch den Enkel Tatesalls wurde das sehr erweiterte Etablissement 1865 verlegt. Ähnliche Einrichtungen in Paris, Berlin etc. haben denselben Namen angenommen.
Tatti, Jacopo, Bildhauer, s. Sansovino 2).
Tättowieren (richtiger Tatowieren, v. tahit. tatau), der Gebrauch, gewisse Stoffe, zumal Kohle, in Form von Ruß oder Tusche (in Europa vielfach Schießpulver) auf mechanischem Weg, durch Stechen mit Dornen und Nadeln oder durch Einreiben in die durch Muscheln oder Zähne geritzte Haut eines Menschen einzuführen, um dadurch möglichst unvergängliche Zeichnungen hervorzubringen, findet sich bei beinahe sämtlichen Völkern, den wilden sowohl als den zivilisierten, der Erde. Er ist vorwiegend auf den Wunsch der Betreffenden, sich zu verschönern und zu verzieren, zurückzuführen. Verschiedentlich, zumal da, wo das T. von Priestern ausgeübt wird sind mit
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Tatu - Tauben.
demselben Begriffe meist religiöser Art verknüpft, die ursprünglich nichts mit demselben zu thun haben. Wegen der mit dem T. verbundenen Schmerzen wird dasselbe bei beiden Geschlechtern häufig als eine der vielsach grausamen Zeremonien bei der Feier der eingetretenen Pubertät vollzogen. Es entwickelt sich auch zum Stammes- oder Häuptlingsabzeichen und kann mehrfach als ein Ersatz für Kleidung betrachtet werden. Völker mit dunkler Hautfarbe, wie Neger, Melanesier und Australier, ziehen dem T. den Gebrauch vor, den Körper mit Narben zu zieren, die auf der schwarzen Haut, oft künstlich vergrößert, besser zur Geltung kommen als die dunkelblauen Zeichnungen der Tättowierung. Zum T. der roten Farbe wird meist Zinnober verwendet. In der Südsee ist die Sitte des Tättowierens durch den Einfluß der Missionäre im Aussterben, dagegen in Hinterindien, Laos, Birma etc., noch lebhaft im Schwange; in Japan neuerdings verboten. In Europa ist das T., allerdings meist nur auf einzelne Figuren und Symbole beschränkt, bei Reisenden aller Gesellschaftsklassen, dann bei Matrosen, Soldaten und Handwerkern in hohem Grad beliebt und verbreitet. Vgl. Wuttke, Die Entstehung der Schrift (Leipz. 1872); Lacassagne, Les Tatouages (Par. 1881); Joest, T., Narbenzeichnen und Körperbemalen (Berl. 1887).
Tatu, s. Gürteltier.
Tatzmannsdorf (ung. Tarcsa), besuchtes Frauenbad im ungar. Komitat Eisenburg, an der steirischen Grenze, unweit Steinamanger, mit einem alkalisch-glaubersalz-eisenhaltigen Säuerling. Vgl. Thomas, Tatzmannsdorf (Wien 1885).
Tau (Tagh, türk.), Gebirge.
Tau (Seil), s. Tauwerk.
Tau, derjenige wässerige Niederschlag (oder Ausscheidung eines Teils des in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdampfes), welcher durch eine Erkaltung der an der Erdoberfläche befindlichen Körper bewirkt wird. Die Temperatur, bei welcher die Luft mit Wasserdampf gesättigt ist, d. h. so viel Wasserdampf enthält, als diese Temperatur zuläßt, nennt man den Taupunkt. Sobald die Temperatur der an der Erdoberflache zunächst gelegenen Luftschichten unter den Taupunkt gesunken ist, fängt der Wasserdampf an, aus ihnen ausgeschieden zu werden und sich in Gestalt kleiner Wasserkügelchen oder Tauperlen auf die abgekühlten Gegenstände zu legen. Im gewöhnlichen Leben sagt man: "der T. fällt"; aber dies ist nach der obigen Erklärung der Taubildung nicht richtig. Eine für diese genügend starke Abkühlung der untern Luftschichten tritt jedesmal ein, so oft bald nach Sonnenuntergang, besonders während der Nacht und am frühen Morgen, eine kräftige Wärmeausstrahlung der Erdoberfläche stattfinden kann; hierzu gehören vor allem klarer Himmel, ruhige Luft und eine Bodenbedeckung, die leicht ihre Wärme abgibt, z. B. Rasenflächen und Blätter der Pflanzen. Glänzende und metallische Gegenstände sowie überhaupt Körper mit geringem Strahlungsvermögen (s. Wärme) sind für Taubildung weniger geeignet. Alles, was die nächtliche Strahlung hindert oder vermindert, wie z. B. ein bedeckter Himmel, hindert oder vermindert auch die Taubildung. Auch wird eine Taubildung verhindert oder wenigstens erschwert, wenn die Luft bewegt ist, weil dann stets von neuem warme Luft mit dem abgekühlten Erdboden in Berührung kommt und sich dieselbe daher nicht bis zum Taupunkt abkühlen kann. Ganz besonders stark ist die Taubildung in den tropischen Gegenden, wo die Luft viel Wasserdampf enthält und durch die Wärmestrahlung eine sehr starke Abkühlung erfährt. Das Drosometer, ein zum Messen des Taues bestimmter Apparat, enthält eine an einer feinen Zeigerwage befindliche, mit feiner, flockiger Wolle bedeckte Platte, die sich in der Nacht mit T. bedeckt, und deren Gewichtszunahme die Taustärke angibt. Die auf diese Weise erhaltenen Resultate entbehren aber vorläufig noch der notwendigen Genauigkeit. Wenn der Körper, an welchem sich der kondensierte Wasserdampf absetzt, unter 0° erkaltet ist, so kann dieser nicht die flüssige Gestalt annehmen, sondern erhält die Form von Eisnadeln und bekommt dann den Namen Reif (s. d.), so daß letzterer nichts andres als gefrorner T. ist.
Taub, von Gesteinen, s. v. w. keine nutzbaren Mineralien enthaltend, unhaltig.
Taubahnen, s. Straßeneisenbahnen, S. 377.
Taube Kohle, s. Anthracit.
Tauben (Columbidae, hierzu Tafel "Tauben"), Unterordnung der Taubenvögel (s. d.). Die große Holz-, Kohl-, Wald- oder Ringeltaube (Columba Palumbus L.), taubenblau, Kopf u. Brust rötlichblau, Hals grünlich und purpurn schillernd, an jeder Seite mit großem, weißem Fleck, Flügel graublau mit breitem, weißem Streifen am Bug, Unterrücken und Steiß hellblau, Schwanz mattschwarz, mit hellerer Querbinde und großem, weißem Fleck, Unterseite hell graublau, Hinterleib weiß, ist 43 cm lang, findet sich in ganz Europa und einem großen Teil Asiens, nährt sich von Getreide und Grassämereien, Schnecken, Regenwürmern, vorzugsweise aber von Nadelholzsamen, auch Eicheln und Bucheln, im Sommer von Heidelbeeren u. a. Sie nistet in Nadelholzdickicht, niedrig oder hoch, auf allerlei Bäumen. Obwohl überaus scheu und vorsichtig, wohnt sie zuweilen doch inmitten volkreicher Städte auf den Bäumen der Anlagen, so in Stuttgart und namentlich in Paris, wo sie zutraulich und dreist von den Spaziergängern sich füttern läßt. Die kleine Holz- oder Hohltaube (C. Oenas L.), mohnblau, Kopf aschgraublau, Hals wie bei der vorigen schillernd, Oberrücken dunkler graublau, Schwingen schieferblau, nur mit reihenweise stehenden, schwarzen Flecken, kein Weiß im Flügel, Brust rötlichgrau, Unterleib schwach rötlich aschgrau, ist etwa 32,5 cm lang. Verbreitung wie die vorige; sie nistet jedoch nur in Baumhöhlungen und wird, weil diese überall mangeln, immer seltener. Zugvogel. Die Felsentaube (C. livia L.. s. Tafel "Tauben", Fig. 1), oberhalb aschgraublau, unterhalb mohnblau, Kopf hell graublau, Hals wie bei den vorigen metallisch schillernd, Schwingen aschgrau und Flügel mit zwei schwarzen Binden, Unterrücken rein weiß, Schwanz dunkel graublau, mit schwarzem Endsaum, die beiden äußersten Federn mit weißem Endsaum, Auge hellgelb, Schnabel schwarz, Füße rot, 34 cm lang, findet sich in fast ganz Europa, Asien und Nordafrika, doch nur, wo es Felsen gibt, in deren Höhlungen oder auch in den Löchern alten Gemäuers sie nistet. Man unterscheidet zwei Varietäten mit weißem und blauem Unterrücken und nennt letztere auch Bergtaube (C. glauconotos Br.). Sie nährt sich vorzugsweise von Getreide und Samen der Vogelwicke und andern Unkräutern. Sie soll die Stammmutter aller Haustaubenrassen sein. Die Turteltaube (C. Turtur L.), oberhalb rötlich braungrau, schwarz und aschgrau gefleckt, Stirn weißlichgrau, Oberkopf und Hals graublau, letzterer mit vier schwarzen, weiß gesäumten Querstreifen, Flügel schwärzlich aschgrau, Kehle und Oberbrust weinrot, ganze Unterseite rötlich graublau, Hinterleib gräulichweiß, 28,6 cm lang, findet sich in fast ganz Europa und Asien, besonders in Nadelholz-
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Tauben (Haustaubenrassen).
wäldern, wandert, wie die vorige, südwärts. Sie nistet auf mittelhohem Gebüsch, nährt sich namentlich von Erbsen, Linsen, Wicken und wird vielfach in Käfigen gehalten. Die Lachtaube (C. risoria L.), blaß rötlich gelbweiß, mit halbmondförmigem, schwarzem Fleck am Hinterhals, unterseits heller, Schnabel schwarz, Augen hellrot, Füße karminrot, 31,2 cm lang, bewohnt Afrika, Mittel- und Südasien. Außer dem Girren hat sie besondere Laute, welche menschlichem Lachen einigermaßen ähneln, daher der Name. Die Wandertaube (C. migratoria L., Ectopistes migratorius L.), oberhalb schieferblau, unterhalb rötlichgrau, Hals violettrot schillernd, Schwingen schwärzlich, weiß gesäumt, Schwanzfedern schwarz, an beiden Seiten hellgrau, weiß gespitzt, Bauch und Hinterleib weiß, Schnabel schwarz, Augen und Füße rot, 42,4 cm lang, bewohnt fast ganz Amerika, vorzugsweise das östliche Nordamerika. Sie wandert im Herbst und Frühjahr in ungeheuern Schwärmen, welche in früherer Zeit in angebauten Gegenden großen Schaden verursachten, gegenwärtig aber durch die unausgesetzten Verfolgungen sehr stark zusammengeschmolzen sind. Audubon schätzte den wöchentlichen Bedarf eines Wandertaubenzugs auf 1,712,000 Scheffel Sämereien und seine Verbreitung auf einen Raum von 8-10 engl. Meilen, während seine Brutplätze bei einer Verbreitung von 4-5 engl. Meilen sich 50 Meilen weit durch die Wälder ziehen sollten, so daß man auf manchen Bäumen 50-100 Nester fand. Von den fremdländischen T. gelangen 70 Arten lebend in den Handel und werden zum Teil als Stubenvögel gehalten.
Haustauben. (Vgl. beifolgende Tafel "Tauben".)
Unsre Haustauben stammen wahrscheinlich von der Felsentaube ab, von welcher manche unsrer Feldflüchter kaum zu unterscheiden sind. Die Domestizierung derselben reicht ins graue Altertum zurück. Inder und Ägypter hatten bereits besondere Rassen. Auch in neuerer Zeit blüht die Taubenzucht im Orient. Eine völlig befriedigende Einteilung der Haustauben scheint noch nicht gefunden zu sein. Die neuern Taubenkundigen ("Peristerologen") verteilen die gegen 10 Rassen mit etwa 80 Unterrassen oder Schlägen unter 4 oder 5 Hauptgruppen.
I. Feld- oder Farbentauben. Im Bau und in der Haltung der wilden Felsentaube ähnlich, ist Färbung des Gesamtgefieders oder einzelner Teile entscheidend. Sie neigen mehr oder weniger zum Felden. Von den etwa 25 Rassen nebst vielen Farbenschlägen sind die schönsten und beliebtesten: Eistaube, Porzellantaube, Lerchentaube, Starhals, Blässentaube, Pfaffentaube, Mäusertaube, Mönchtaube, Deckeltauben, Flügeltauben, Schwingentauben, Schnippentaube, Farben- (Mohren-) Köpfe, Elstertaube, Hyacinthtaube, Viktoriataube, Strasser u. a. Bei vielen der genannten Rassen gibt es Farbenschläge, d. h. die gefärbten Teile kommen in den vier Hauptfarben (Blau, Schwarz, Rot, Gelb) oder in verschiedenen Nebenfarben (Mischungen aus den Hauptfarben) vor; ebenso verschiedene Kopf- und Beinbefiederungsarten (Haube, Kuppe, Doppelkuppe, Latschen etc.). Zur II. Gruppe, welche sich durch eigentümliche Stimme (Trommeln) auszeichnen, gehören die drei Rassen der Trommeltauben (Trompeter), die Altenburger (Fig. 3), Russische und Bucharische (Fig. 2).
Die III. Gruppe enthält die durch besondere Federstruktur des Gesamtgefieders (Locken- [Fig. 4l oder Strupptaube) oder einzelner Teile desselben (Mähnentaube, Perückentaube [Fig. 10], Möwentaube) oder zugleich auch durch größere Anzahl der Schwanzfedern, Haltung derselben und des Halses (Pfautaube [Fig. 14 u. 15]) gekennzeichneten. Unter den Lieblingen dieser Gruppe, den Möwentauben (Fig. 11, 12 u. 13), sind die orientalischen (Sattinetten, Blondinetten, Turbitins) Muster der Züchtungskunst in Bezug auf Reinheit der Färbung und Zeichnung.
Die IV. Gruppe, die der Formtauben, begreift drei sehr voneinander verschiedene Unterabteilungen.
1) Die Huhntauben zeigen in Körperform und Haltung große Ähnlichkeit mit den Hühnern: länglicher, spitz zulaufender Kopf, großer, huhnartig gebauter und getragener Rumpf und Schwanz, S-förmig gebogener Hals, kurze Flügel, starke, hohe, glatte Beine. Hauptrassen sind: die Malteser T., die Florentiner, die Monteneur, die Modeneser T.
2) Die Kropftauben (Kröpfer) zeichnen sich durch kleinen Kopf, langen Hals, schmalen Rumpf, lange, schmale Flügel, langen Schwanz, langen, dünnen Schenkel und Lauf (glatt oder bis auf die Zehen herab befiedert) und durch den riesigen Kropf aus, den möglichst hervorzuheben der lange, schlanke Korperbau sehr geeignet ist. Man kennt gegen 15 nach den Züchtungsorten benannte Rassen und Unterrassen. Englische (Fig. 16), Französische (Fig. 17), Pommersche, Sächsische, Brünner (Fig. 18), Prager etc.
3) Warzentauben (Schnabeltauben), Kennzeichen: kurzer dicker oder langer kegelförmiger oder stark nach unten gebogener Schnabel, mit kleinen bis walnußgroßen Warzen an der Basis des Oberkiefers und fleischigen Warzenringen um die Augen, welche bei einigen Rassen den Schädel überragen. Zehn Rassen mit 8-9 Unterrassen: Lang-, krumm- und kurzschnäbelige Bagdetten, Berbertauben, Römische T., Montaubantauben, Belgische Brieftauben. Die englische Bagdette (Karrier, Fig. 19), mit großen, häßlichen Schnabel- und Augenwarzen, bei der vom Taubenkopf kaum noch etwas übrig ist, gilt in England als die Königin der T., für "bezaubernd". Andre Rassen sind der Englische Dragoner, die Französische Bagdette, die bogenschnäbelige Nürnberger (Fig. 20), die kurzschnäbelige Türkische, die Berbertaube (Indianer, Cyprische Taube, Fig. 2l) und die Römische Taube (Fig. 22).
V. Gruppe, Flugtauben, d. h. Tümmler und Purzler. Das gemeinsame Kennzeichen dieser beliebten und rassenreichsten ist bei übrigens verschiedener Kopf- und Schnabelform der eigentümliche Flug. Sie steigen hoch in die Luft und überschlagen sich (purzeln) beim Herabfliegen weniger oder öfter, zuweilen bis auf den Boden herab, manche Rassen auf dem Boden selber. Man teilt die Tümmler in flachstirnige Langschnäbel (8 Rassen mit 6-7 Unterrassen, meist deutscher Zucht), flach- und hochstirnige Mittelschnäbel (9 Rassen) und in hochstirnige Kurzund Dickschnäbel (11-12 Rassen, meist englischer und deutscher Zucht). Unter den Englischen Tümmlern nehmen die Almonds- (Fig. 8), Bart- (Fig. 9) und Weißkopftümmler den ersten Rang ein und werden nebst den Kröpfern und Karriers zu hohen Preisen verhandelt. Auch unter den deutschen, österreichischen und dänischen Rassen (Berliner [Fig. 6], Danziger, Stralsunder, Braunschweiger, Hannoveraner, Königsberger, Altstämmer, Wiener, Prager, Pester, Kopenhagener, Kalotten [Fig.5], Nönnchen [Fig.7], Elster etc.) gibt es eine Menge sehr schöner und wertvoller T.
Haltung und Zucht der T. Die wirtschaftlichen Zwecken dienende Taubenzucht, für welche nur die Feld- oder Farbentauben zu empfehlen sind, ist eine sehr einfache. Der einfachste Taubenschlag, womöglich hoch gelegen, und jede gegen die Unbilden der
TAUBEN.
1. - Felsentaube. -
2. Bucharische Trommeltaube. -
3. Deutsche Trommeltaube. -
4. Lockentaube. -
5. Kalotte. -
6. Berliaer altstämmiger Tümmler. -
7. Nönnchen. -
8. Almond. -
9. Barttümmler. -
10. Perückentaube. -
11. Ägyptisches Möwchen. -
12. Chinesisches Möwchen. -
13. Deutsches Möwchen. -
14. 15. Pfauentaube. -
16. Englischer Kröpfer. -
17. Französischer Kröpfer. -
18. Brünner Kröpfer. -
19. Karrier. -
20. Deutsche Bagdette. -
21. Cyprische Taube. -
22. Römische Taube. -
23. Antwerpener Brieftaube. -
21. Lütticher Brieftaube.
Zum Artikel »Tauben«.
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Tauben (Taubenzucht, Brieftauben).
Witterung einigermaßen schützende Einrichtung, Fütterung zur Zeit des Nahrungsmangels (Wicken, Gerste und andre Sämereien), reines Trinkwasser und alter Kalkmörtel, allenfalls das Unschädlichmachen eines boshaften Taubers ist im allgemeinen alles, was das Gedeihen des Feldflüchters verlangt. Weit schwieriger ist Haltung und Züchtung der Rassetauben. Geräumige, für die verschiedenen Rassen geeignete, den Mäusen und Raubtieren unzugängliche, warme und reinlich gehaltene Schläge, passende Nester, reine Luft, gesunde Nahrung, oft erneuertes Trinkwasser sind unerläßliche Vorbedingungen. Sorge für Pfleger (Ammen) solcher Rassen, welche ihre Jungen nicht selber füttern können (Kurzschnabeltümmler, Berber, Kröpfervarietäten, Karriers). Stete Beaufsichtigung der brütenden und atzenden Paare etc.; richtige Paarung, eine nicht leicht zu erwerbende Kunst.
Die wichtigsten Krankheiten der T. sind: diphtherische Schleimhautentzündung (Geflügeltyphoid), Unverdaulichkeit oder Schwerverdaulichkeit, Darmkatarrh (Durchfall), der Katarrh der Nase oder der Luftsäcke, durch Schimmelpilze hervorgerufene Lungenentzündung, Verstopfung des Kropfes, Rachitis, Vergiftungen durch Bleipräparate, Geflügelpocken (Gregarinen-Epithelium). Von den Hautleiden haben das Schmarotzertum der Vogelmilben und Flöhe sowie der Kopfgrind und das allgemeine Ausfallen der Federn das meiste Interesse. Vgl. Prütz, Die Krankheiten der Haustauben (Hamb. 1886). Die sogen. feinen Rassen sind viel häufiger Krankheiten ausgesetzt als die gewöhnlichen. Zur Vermeidung von Erkrankungen sorge man für gute Ventilation, vermeide Überfüllung, Zugluft, zu große Hitze und Kälte des Schlags, gebe nur bestes und reichliches, aber nicht überreichliches Futter, im Sommer täglich dreimal frisches, reines Wasser und halte auf peinlichste Reinlichkeit des Schlags, der Nester und aller Utensilien; im Sommer tägliche Reinigung des Schlags. Man vermeidet durch diese Vorbeugemittel die ganze Reihe von meist gefährlichen Krankheiten der Atmungs- und Verdauungsorgane, der rheumatischen und andrer Übel. Auf Erkrankung darf man schließen, wenn die Flügel schlaff herabhängen, der Schnabel geöffnet, die Zunge und die Mundhöhle trocken oder mißfarbig sind, ein Ausfluß aus Schnabel und Nase vorhanden, die Augen entzündet, die Exkremente zu dünn, grünlich oder zu konsistent und selten sind oder gänzliche Verstopfung eingetreten ist. Die erkrankten Tiere sind sofort von den gesunden zu trennen und abgesondert und warm zu halten. Wenn es sich nicht um besonders wertvolle Tiere handelt, ist von meist lange dauernden und erfolglosen Kurversuchen lieber abzusehen; Käfige und sonstige infizierte Räumlichkeiten sind zu desinfizieren, die gestorbenen oder getöteten Kranken zu verbrennen oder tief zu vergraben. Unter den geflügelten Feinden der T. sind Taubenfalke, Habicht und Sperber die gefährlichsten; gegen Katzen, Marder, Iltis, Wiesel, Ratten und Mäuse kann man die Schläge von vornherein schützen; gegen die parasitischen, zum Teil verderblichen Insekten hilft sorgfältigste und oft wiederholte Reinigung der Schläge, Nester etc., tägliche Wegnahme des Mistes, Bestreuung des Bodens mit Asche, Tabaksstaub, des Gefieders mit persischem Insektenpulver, Einreiben mit verdünntem Anisöl. Der Nutzen der wirtschaftlichen Taubenrassen wiegt den Schaden bedeutend auf. Junge und Alte liefern eine gesunde, leichtverdauliche Speise für Kranke und Genesende und bilden im Sommer oft die einzige Fleischkost auf dem Land oder einen einträglichen Marktartikel. Die Gewinnung des Düngers, dessen Wert für Garten- und Feldbau man höher schätzen gelernt hat, ist im Orient einziger Zweck der Taubenhaltung (rings um Ispahan zählt man über 3000 Taubentürme). Franzosen und Italiener ziehen ihn zu gärtnerischen Zwecken dem Guano vor. Den angeblichen Schaden an Sämereien, gerade zur Saatzeit, hat man auf Grund genauester Untersuchungen (Snell hat jahrelang Körner und Vogelwickensamen in Kropf und Magen gezählt [in einer jungen Taube 3582], die T. auf seine Äcker gelockt und die besten Getreideernten erhalten) als großen Vorteil erkannt. de Vitey und Befroy erachten die Zerstörung der gegen 50,000 Taubentürme in Frankreich durch die Revolution von 1789 als Nationalunglück. Der wirkliche Schade an Mehl- und Ölfrüchten zur Zeit der Ernte kommt dagegen nicht in Betracht.
Brieftauben.
Als Stammeltern der Brieftaube gelten der Karrier und die von ihm zunächst gezüchtete Drachentaube, dann die Feldtaube, das Möwchen und der Tümmler. Man unterscheidet wohl 3 oder 4 mehr oder minder ausgeprägte Brieftaubenrassen, namentlich die Antwerpener (Fig. 23), die Lütticher (Fig. 24) und die Brüsseler, welche aber in neuester Zeit wieder weitergebildet wurden, so daß gegenwärtig eine große Mannigfaltigkeit vorhanden ist. Eine gute Brieftaube muß aufrechte Haltung, langen Hals, breite Brust, breite und lange Schwingen, große Muskelkraft in den Flügeln und blaue oder dunkle Farbe besitzen; ungeduldiges, stürmisches Benehmen gelten als besonders gute Zeichen. Zu ihrem Dienst muß die Brieftaube angelernt werden. Während man durch die den Brieftauben gereichte Nahrung auf Erhöhung des Flugvermögens durch Stärkung der Muskeln wirkt, Fettbildung aber unterdrückt, nimmt man mit den Tieren Flugübungen vor, die ihren Orientierungssinn und ihr Gedächtnis stählen und allmählich immer weiter ausgedehnt werden. Natürlich lernen die Tiere nur eine bestimmte, immer dieselbe bleibende Richtung mit Sicherheit durchfliegen, d. h. sie müssen im stande sein, den Weg nach ihrer Heimatsstation von einer Außenstation selbst bei Nacht und ungünstiger Witterung (Nebel, Regen) zurückzulegen; nicht aber kann man von ihnen das Fliegen von mehreren Außenstationen aus verlangen oder gar, daß sie nach einer andern als der Heimatsstation fliegen, denn nur die Sehnsucht nach der Heimat, als ein diesen Tieren von der Natur gegebener Instinkt, macht sie für obige Zwecke geeignet. Deshalb werden auch die T. verschiedener Flugrichtungen stets getrennt gehalten. Die Geschlechter sondert man voneinander nach der ersten, spätestens zweiten Brut, um eine neue Begattung der T. zu verhindern, welche die Täubin durch Entwickelung des Eies im Körper reiseuntüchtig machen würde, und ferner auch, um die Begierde zur Paarung und damit den Drang zu heben, der alten Heimat zuzufliegen. Im Schlag macht man durch Lattenverschlüsse Abteilungen, deren jede einzelne freie Bewegung nach dem Flugloch und Ausflugkasten gestattet, die untereinander aber nur durch verschließbare Schiebethüren und Lauflöcher am Boden in Verbindung stehen.
Das Einüben der T. für eine bestimmte Tour beginnt vom Mai ab, nach Beendigung des Brutgeschäfts, mit Entfernungen von 7-8 km und steigt allmählich bis zu 200 km, wobei aber die T. erst dann in weiterer Entfernung aufgelassen werden, wenn sie die Tour vom ersten Auflaßort in geradester Richtung und kürzester Frist zurücklegen. Die Geschwin-
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Tauben (Taubenpost, Kulturgeschichtliches etc.).
digkeit des Flugs der Brieftaube beträgt 60-70 km in der Stunde, übertrifft also die der schnellsten Eisenbahnzüge. Bei 15-20 Meilen Entfernung kommen fast sämtliche Brieftauben unter günstigen Verhältnissen heim, mit der zunehmenden Weite aber verringert sich ihre Anzahl. Als Verlust auf kürzern Flügen schätzt man etwa 10 von 100 T., doch nimmt diese Zahl mit der Entfernung in steigendem Verhältnis zu. Bei mehr als 100 Meilen Weite ist auf die Rückkehr überhaupt nicht mehr sicher zu zählen, und dann bleiben sonderbarerweise gerade die besten und zuverlässigsten Brieftauben am ehesten aus. Es haben indes auf eine Entfernung von 1600 km (Madrid-Lüttich) einige der ausgelassenen T. ihren Heimatsschlag erreicht, und 1886 flogen von 9 Brieftauben eine von London in den Heimatsschlag zu Boston, eine zweite erreichte New York, eine dritte Pennsylvanien. Die Antwerpener Vereine wählen für die Konkurse eine Weite von höchstens 200 Stunden. Wenn die Brieftaube in der Jugend nicht zu sehr angestrengt wird, so hält sie wohl mehrere Jahre gut aus, und man hat Brieftauben von 6, 7-10 Jahren, die noch alljährliche Wettflüge in tüchtigster Weise mitmachen.
Zu den Auflaßorten werden die T. in besonders konstruierten, ihre Verpflegung zulassenden Reisekörben per Kurier- oder Schnellzug unter Aufsicht eines Wärters befördert. Dort angekommen, werden sie an einem freie Übersicht gewährenden Ort bei guter Witterung, und nachdem sie kurz vor dem Abflug noch getränkt, aber nicht gefüttert worden, aufgelassen; zur Kontrolle ist jedes einzelne Tier auf den Schwungfedern genau gezeichnet; an den Schlägen aber befindet sich ein elektrischer Läutapparat, welcher das Einspringen in den Stall dem Wärter anzeigt. Sollen die Brieftauben für Kriegszwecke benutzt werden, so werden sie bei der Mobilmachung aus den Festungen oder sonstigen Heimatsstationen nach den Außenstationen verschickt und dort interniert. Die Depeschen werden zu ihrer Beförderung auf mikrophhotographischem Weg auf ein feines Kollodiumhäutchen übertragen, deren sich mehrere in einem Federkiel unterbringen lassen. Dieser wird mit einem Wachspfropfen geschlossen und an eine Schwanzfeder der Taube angenäht; daß diese Feder, wenn z. B. ein wenig in der Haut gelockert oder beim Zusammenstoß mit einem Raubvogel, leicht verloren gehen kann, liegt auf der Hand; deshalb verlangt das Befestigen der Depesche sehr geschickte Finger, und man fertigt stets fünf T. mit der gleichen Nachricht ab; deshalb hat man auch zu einem von den Chinesen seit undenklichen Zeiten angewandten Mittel gegriffen, um die T. nach Möglichkeit vor dem Anfall durch Raubvögel zu schützen. Man befestigt nämlich an die Schwungfedern Glöckchen von durchdringendem Ton, die von größter Leichtigkeit sind, das Tier also nur wenig belästigen und, je schneller die Taube fliegt, desto heller tönend, die Raubvögel verscheuchen. Durch die Mikrophotographie ist man im stande, den Inhalt von zwölf großen Journalen auf den Raum eines Zwanzigpfennigstücks zu konzentrieren; das Dechiffrieren erfolgt dann nach Vergrößerung mittels Lupe oder Laterna magika.
Die Benutzung der Brieftauben ist sehr alt, sie findet sich bei Chinesen, Griechen und Römern und scheint im Morgenland niemals aufgehört zu haben. Sie blühte besonders im 12. Jahrh. und später, seitdem der Kalif von Bagdad, Sultan Nur ed din, die ersten wirklichen Taubenposten eingerichtet hatte. Aus dem Orient brachten sie die Kreuzfahrer nach Deutschland, wo sie von Burg zu Burg Nachrichten trugen. Wilhelm von Oranien (1573 und 1574) und Napoleon I. benutzten Brieftauben zur Nachrichtenbeförderung im Krieg. Nathan Rothschild erhielt von seinen Agenten durch die Taubenpost die neuesten Nachrichten über Napoleons Feldzüge und benutzte dieselben zu seiner Spekulation. Auch zwischen Paris und Brüssel haben Bankhäuser Kurstauben unterhalten, und das Reutersche Büreau bediente sich bis 1850 einer Taubenpost zwischen Aachen und Brüssel. In ganz Belgien war damals bereits, wie noch heute, die Brieftaubenliebhaberei weit verbreitet, und die ganze milde Jahreszeit hindurch veranstaltete man allsonntäglich Wettflüge, welche vom König und den Behörden durch Aussetzung von Prämien unterstützt wurden. Dieser Sport verbreitete sich auch nach Frankreich, und 1820 hatte Paris einen Taubenwettflug. Zu großer Bedeutung gelangte die Brieftaubenpost 1870 bei der Belagerung von Paris; man sandte dort im ganzen 534 T. mittels des Luftballons ab, von denen etwa 100 zurückkamen. Eine Taube hat den Weg zehnmal gemacht. Auf diese Weise wurden 60 Serien von Depeschen nach Paris hinein befördert, und wenn diese Resultate einer improvisierten Einrichtung auch nicht sehr glänzende waren, so hatten sie doch für die belagerte Stadt hohen Wert und veranlaßten die Militärbehörden nach dem Frieden zu eingehender Berücksichtigung der Brieftaubenpost. In Frankreich errichtete man im Jardin d'acclimatation eine Zentralzuchtanstalt und stattete Paris und Langres derart mit T. aus, daß sie sechs Monate lang den Verkehr mit vielen andern Stationen unterhalten können. Taubenhäuser wurden außerdem in Vincennes, Perpignan, Lille, Verdun, Toul und Belfort errichtet. Aus dem Mont Valérien besteht eine Spezialschule für Trainierung junger Tauben. Ein Gesetz verpflichtet alle Besitzer von Brieftauben, diese im Krieg an die Regierung abzugeben, welche dadurch einen Zuwachs von 150,000 T. erwarten darf. Ähnliche Einrichtungen wurden seit 1872 in Deutschland getroffen. Das gesamte Militärbrieftaubenwesen ist der Inspektion der Militärtelegraphie, die Stationen (Köln [Zentralstelle], Mainz, Metz, Straßburg, Posen, Thorn, Wilhelmshaven, Kiel, Danzig) sind den örtlichen Fortifikationen oder Kommandanturen unterstellt. Die etwa 350 Brieftaubenvereine Deutschlands, besonders im Rheinland vertreten, werden im Krieg ihre etwa 50,000 T. der Heeresleitung zur Verfügung stellen. Nächst Deutschland ist die Kriegstaubenpost besonders in Italien entwickelt, und auch in fast allen andern Staaten hat man entsprechende Einrichtungen getroffen. 1876 wurden an der Nordseeküste, besonders in Tönning an der Eidermündung, Versuche angestellt, um eine Verbindung der in See liegenden Leuchtschiffe mit dem Land (55 km) durch T. herzustellen, und in der That haben die T. bei heftigen Stürmen die Lotsen herbeigerufen.
Die Taube ist das Symbol des Schöpfungswassers, der Urfeuchte (der Geist Gottes schwebte über den Wassern wie eine Taube), Regen u. Schiffergestirn, wegen ihrer Üppigkeit u. Fruchtbarkeit der Vogel der Venus, für welchen in Syrien Kolumbarien errichtet wurden. Babylon war die Stadt der Taube, wo die aus einem Taubenei geborne Semiramis herrschte. Taube, Phönix und Palme identifizierte die Hieroglyphe als Bilder der Zeit und der Zeugung. Noch jetzt nisten Scharen wilder T. ungestört in Mekka, und Freudenmädchen halten Korn für dieselben feil. Auch den Israeliten war die Taube heilig, und Jerusalem hieß ebenfalls Stadt der Taube. Die Taube war das At-
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Taubenerbsen - Tauberbischofsheim.
tribut Mariens, dann des Heiligen Geistes und später auch der Apostel. Als Symbol der Auferstehung wurden T. in die Gräber der Märtyrer gelegt, und die Grablampen (s. Lampen, Fig. 10) sowie kirchliche Geräte (s. Peristerium) erhielten Taubengestalt. In Rußland dürfen keine T. getötet werden, weil sie nach dem Volksglauben die Herbergen der Seelen Verstorbener sind. Endlich ist auch die Taube Symbol der ehelichen Liebe und Eintracht. Vgl. Temminck und Prevost, Histoire naturelle générale des pigeons (Par. 1808-43, 2 Bde.); Bonaparte, Iconographie des pigeons (das. 1857); Reichenbach, Naturgeschichte der T. (Leipz. 1862); Brehm, Naturgeschichte und Zucht der T. (Weim. 1857); Öttel, Geflügelhof (7. Aufl., das. 1887); Neumeister, Das Ganze der Taubenzucht (3. Aufl. von G. Prütz, das. 1876); Baldamus, Die Tauben (Dresd. 1878); Prütz, Arten der Haustaube (3. Aufl., Leipz. 1878); Ders., Illustriertes Mustertaubenbuch (Hamb. 1884); Tegetmeier, Pigeons (Lond. 1867); Fulton, The illustrated book of pigeons (Lond. 1876); Wright, Der praktische Taubenzüchter (deutsch, Münch. 1880); Bungartz, Taubenrassen (Leipz. 1886); Derselbe, Brieftaubensport (das. 1888); Lorentz, Die Taube im Altertum (das. 1886); über Brieftauben die Schriften von Lenzen (Dresd. 1873), Ruß (Hannov. 1877), Schomann (Rostock 1883); Chapuis, Le pigeon-voyageur belge (Verviers 1866); Puy de Podio, Brieftauben in der Kriegskunst (deutsch, Berl. 1873); Gigot, La science colombophile (Brüssel 1889); drei Fachjournale über Brieftauben in Brüssel und Antwerpen.
Taubenerbsen, s. Caragana.
Taubenfalke, s. v. w. Habicht oder Wanderfalke.
Taubenkropf, Pflanze, s. Fumaria und Corydalis.
Taubenmosaik, s. Mosaik, S. 817.
Taubenpost, s. Tauben, S. 538.
Taubenschießen, ein Sport von außerordentlicher Grausamkeit, dem hauptsächlich die vornehmen Stände huldigen. Vor dem Schießstand befinden sich Blechkasten, deren Wände nur lose zusammengefügt sind, so daß der Bau zusammenfällt, wenn an einem daran befestigten Draht gezogen wird. In jeden Kasten wird eine Taube gesteckt, die man meist vorher durch Ausreißen der Federn und Ätzen der Wunden, Blenden auf einem oder beiden Augen, Brechen der Knochen etc. gräßlich verstümmelt hat, damit sie ihren Aufflug nicht kreisend, sondern gerade aufrecht oder nach einer bestimmten Seite nimmt. Auf ein Kommandowort des Schützen wird an dem Draht gezogen, der Kasten fällt zusammen, die erschreckte Taube fliegt davon, und der Schütze muß sie so zu treffen suchen, daß sie innerhalb der Umzäunung zu Boden fällt, sonst gilt der Schuß nicht. Anlaß zu dem grausamen Sport gab wohl der Vorwand, sich im Treffen rasch sich bewegender Gegenstände zu üben. Doch ist dieser Vorwand hinfällig, seitdem Bogardus eine Vorrichtung erfunden, durch welche mittels einer Feder Glaskugeln in die Höhe geschleudert werden, und zwar mit derselben Geschwindigkeit wie der Aufflug einer Taube. Das T. blüht hauptsächlich in Monaco, England und Belgien und am Heiligen Damm bei Doberan. In Brüssel und Ostende allein werden alljährlich etwa 35,000 Tauben dem Blutdurst einiger vornehmer Müßiggänger geopfert. Baden, Holland und andre Staaten haben das T. verboten. In England scheiterte ein diesbezüglicher Gesetzentwurf an dem Widerspruch des Oberhauses. Vgl. "Aussprüche über die Taube und den Taubensport", gesammelt von A. Engel (Guden 1888).
Taubenstößer, s. v. w. Habicht.
Taubenvögel (Tauben, Columbae), Ordnung der Vögel von mittlerer Größe mit kleinem Kopf, kurzem Hals, schwachem Schnabel, mittellangen Flügeln und kurzen Spaltfüßen. Die T. stehen den Hühnern in vieler Beziehung sehr nahe, unterscheiden sich jedoch äußerlich durch die Form der Flügel und des Schnabels, innerlich durch den Besitz eines paarigen Kropfes und andre Merkmale von ihnen. Im Gefieder fehlen zwischen den Konturfedern die Daunen völlig; die Flügel sind (mit Ausnahme der Dodos) ziemlich lang und zugespitzt. Der Kamm des Brustbeins ist sehr hoch. Der Schnabel ist am Grund weichhäutig. Der Magen hat eine sehr starke Muskelschicht, die Gallenblase fehlt; die Blindsäcke des Darms sind sehr kurz. Die T. sind durchgängig gute, zum Teil ausgezeichnete Flieger, aber schlechte Läufer. Zur Brütezeit leben sie paarweise zusammen und ziehen dann zuweilen in ungeheuern Scharen umher (Wandertaube). Das Weibchen legt gewöhnlich 2, selten 1 oder 3 Eier in ein kunstloses Nest; die Jungen schlüpfen fast ganz nackt aus und werden durch elne milchartige Flüssigkeit, welche im Kropf der Mutter abgesondert wird, die ersten Tage hindurch ernährt. Die T. sind fast auf der ganzen Erde zu finden, haben indessen ihre größte Artenzahl nicht auf dem Festland, sondern auf den Inseln der Südsee sowie den Antillen, wo ihre Eier den Nachstellungen der Vierfüßer und Raubvögel wenig ausgesetzt sind. Fossil kennt man sie aus Frankreich und England; in historischer Zeit ausgestorben ist der Dodo. Man unterscheidet drei Unterordnungen: 1) Dodos oder Dronten (Dididae) mit 2 Gattungen: Didus (Dronte, s. d., von Mauritius) und Pezophaps (Solitaire, von Rodriguez), noch im 17. Jahrh. lebend und auf den genannten Inseln sehr zahlreich. Flügel und Schwanz verkümmert. 2) Erdtauben (Didunculidae), nur die Art Didunculus strigirostris von den Samoainseln umfassend, mit gezahntem Unterschnabel, kurzem Schwanz, mäßig langen Flügeln, starken Läufen und langen Krallen. 3) Tauben (Columbidae) mit stets ungezahntem Schnabel. Man kennt etwa 50 Gattungen mit über 350 Arten und sondert sie in die Familien: Gouridae (von Hühnergröße, auf dem Kopf eine Federkrone; nur die Gattung Goura, auf Neuguinea, Java und den Bandainseln), Caloenadidae (Lauf lang; nur die Gattung Caloenas; Nikobaren, Philippinen, Neuguinea), Columbidae (Lauf kurz, Schwanz mit 12 Steuerfedern) und Treronidae (Lauf kurz, Schwanz mit l4 Steuerfedern). Die beiden letztgenannten Familien sind die Hauptvertreter der Gruppe.
Taubenweizen, s. Sedum.
Tauber, linksseitiger Nebenfluß des Mains, entspringt an der Frankenhöhe beim Dorf Michelbach in Württemberg aus dem Taubersee, durchfließt zunächst zwischen Rothenburg und Mergentheim den lieblichen Taubergrund im nordöstlichen Teil des württembergischen Jagstkreises, tritt unterhalb Mergentheim in den badischen Kreis Mosbach, wo ihr Thal an Tiefe zunimmt, und mündet, immer in nordwestlicher Richtung fließend, nach 120 km langem Lauf bei Wertheim. Im Tauberthal, namentlich im badischen Teil desselben, wird guter Wein gebaut.
Tauberbischofsheim, Stadt im bad. Kreis Mosbach, an der Tauber und der Linie Lauda-Wertheim der Badischen Staatsbahn, 183 m ü. M., hat eine kath. Kirche, ein Gymnasium, eine Präparanden-, eine Gewerbe- und eine landwirtschaftliche Kreisschule, ein Bezirksamt, ein Amtsgericht, eine Bezirksforstei,
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Taubert - Taubstummenanstalten.
Schuh- und Zigarrenfabrikation, Marmorschneiderei und -Schleiferei, eine Kunstmühle, Bierbrauerei, Weinbau und -Handel und (1885) 3325 meist kath. Einwohner. T. war schon 725 ein bischöflicher Hof mit Kammerkloster, welches im 13. Jahrh. in ein Spital umgewandelt wurde. Hier 24. Juli 1866 Gefecht zwischen den Preußen und Württembergern.
Taubert, 1) Wilhelm, Klavierspieler und Komponist, geb. 23. März 1811 zu Berlin, bezog in seinem 16. Jahr die Berliner Universität, wo er philosophische Kollegien hörte, zugleich aber auch unter Berger und Klein Komposition studierte, und wirkte dann hauptsächlich als Lehrer, bis ihm 1831 die Leitung der Hofkonzerte am Klavier übertragen wurde. Zehn Jahre später wurde er zum Kapellmeister der königlichen Oper ernannt, und im Winter 1842/43 rief er die Symphoniesoireen der königlichen Kapelle ins Leben, welche er auch nach seiner 1870 erfolgten Pensionierung als Opernkapellmeister zu leiten fortfuhr. Seit 1839 Mitglied der Akademie der Künste, wurde er 1882 zum Präsidenten der musikalischen Sektion derselben ernannt. Als Komponist hat T. auf allen Gebieten Beachtenswertes geleistet; von seinen dramatischen Werken verdienen die Opern: "Die Kirmes" (1832), "Macbeth" (1857), "Cesario" (1874) sowie die auf Veranlassung Friedrich Wilhelms IV. geschriebene Musik zur "Medea" des Euripides und die Musik zu Shakespeares "Sturm" Erwähnung, obwohl sie, wie auch seine zahlreichen Instrumentalwerke, nur einen Achtungserfolg erzielten. Unbedingten Beifall haben dagegen seine Lieder gefunden, welche (namentlich die Kinderlieder) durch den Vortrag einer Jenny Lind, Johanna Wagner, A. Joachim und andrer Sängerinnen ersten Ranges zu seltener Popularität gelangten.
2) Ernst Eduard, Komponist, geb. 25. Sept. 1838 zu Regenwalde in Pommern, studierte zu Bonn Theologie, bildete sich hier unter Albert Dietrichs sowie später in Berlin unter Kiels Leitung in der Komposition aus und nahm dann in letzterer Stadt seinen Wohnsitz. Als Komponist, als Lehrer wie auch als Musikkritiker nimmt T. in Berlin eine hervorragende Stellung ein. Unter seinen Werken haben die für Kammermusik sowie eine große Zahl von Liedern allgemeinen Beifall gefunden.
3) Emil, Dichter, Sohn von T. 1), geb. 23. Jan. 1844 zu Berlin, studierte daselbst Philologie und Philosophie, wurde Lehrer am Friedrich Wilhelms-Gymnasium, 1877 Oberlehrer am königlichen Lehrerinnenseminar und 1886 zum Intendanturrat bei den königlichen Schauspielen ernannt. Er veröffentlichte außer Novellen etc. in Zeitschriften: "Gedichte" (Berl. 1865); "Neue Gedichte" (das. 1867); "Jugendparadies, Gedichte für jung und alt" (das. 1869) und "Juventas. Neue Dichtungen für jung und alt" (das. 1875); "Waffenklänge" (Zeitgedichte, das. 1870). Als talentvoller Schilderer von Naturszenen und lebendiger Erzähler bewährte er sich vor allem in den poetischen Erzählungen: "Der Goldschmied zu Bagdad", "Am Kochelsee" und "Die Cikade" (Leipz. 1880), denen "Die Niobide", Novelle (das. 1880), und "Der Torso", eine Künstlergeschichte in Versen (das. 1881), das epische Gedicht "König Rother" (Berl. 1883) u. die Novellen: "Der Antiquar" (das. l882),"Sphinx Atropos"(das. 1883), "Marianne" (das. 1883), "Simson" (Gera 1886), "Laterna magika" (das. 1885) und "Langen und Bangen" (Berl. 1888) etc. nachfolgten.
4) A., Schriftstellerin, s. Hartmann 12).
Taubheit (Surditas), die höhern und höchsten Grade der Schwerhörigkeit (s. d.). Fälle von absoluter T. sind selten und beruhen immer auf vollständiger Lähmung beider Gehörnerven. Vgl. Taubstummheit.
Taubilder (Mosersche Bilder, Hauchbilder). Wenn man mit einem trocknen, nicht abfärbenden Gegenstand auf eine ebene Fläche schreibt, so treten die unsichtbaren Schriftzüge hervor, sobald man auf der Fläche durch Anhauchen eine zarte Schicht von Wasserbläschen erzeugt, weil die Wasserdämpfe auf den Schriftzügen anders kondensiert werden als auf der übrigen Fläche. Legt man auf eine polierte Metallfläche ein Petschaft, eine Münze oder einen geschnittenen Stein, so kann man nach einigen Stunden ebenfalls durch Anhauchen das Gepräge der Münzen auf der Metallfläche hervorrufen. Auf einer mit Jod geräucherten Silberplatte kann man T. mit Quecksilberdämpfen hervorbringen, indem sich diese bald vorzugsweise an denjenigen Stellen niederschlagen, an welchen eine Berührung stattfand, bald an den nicht berührten Stellen. Es bedarf sogar nicht einmal der unmittelbaren Berührung der Metallplatte und des Stempels; es genügt, wenn letzterer in sehr geringer Entfernung über der Platte aufgehängt wird. Moser nahm zur Erklärung dieser Erscheinung die Existenz eines latenten Lichts an; dagegen wies Waidele nach, daß es sich hier um Molekularwirkungen zwischen festen und gasförmigen Körpern handelt. Jeder feste Körper ist für sich mit einer Hülle verdichteter Luft umgeben, von welcher er durch Glühen, durch starkes anhaltendes Reiben oder durch Berührung mit absorbierenden Substanzen befreit werden kann. Wenn nun ein Stempel auf eine Platte gesetzt wird, so werden sich im allgemeinen die Oberflächen beider Körper nicht in einem gleichen Zustand der Reinheit befinden; an den Berührungsstellen geht also gewissermaßen ein Austausch der Atmosphären vor sich. Die Platte wird an der Stelle, wo der Stempel lag, je nach den Umständen mehr oder weniger Gase verdichtet haben als an andern Stellen, und hier werden also auch die Dämpfe stärker oder schwächer kondensiert werden. Das Bild wird mithin ein anderes, je nachdem der Stempel oder die Platte von ihrer Atmosphäre gereinigt worden war, und man erhält gar kein Bild, wenn man auf die gereinigte Platte einen gereinigten Stempel setzt.
Täubling, Pilz, s. Agaricus III.
Taubmann, Friedrich, Gelehrter, geb. 1565 zu Wonsees bei Baireuth, ward 1595 Professor der Dichtkunst in Wittenberg und starb daselbst 24. März 1613. Er that viel für Belebung der humanistischen Studien und bekämpfte mit den Waffen des Ernstes und Spottes die Verirrungen seiner Zeit. Bekannt ist die Sammlung seiner witzigen Einfälle und Aussprüche unter dem Titel: "Taubmanniana" (Frankf. 1713, Münch. 1831), die manche fremde Zuthaten enthält. Vgl. Genthe, Friedrich T. (Leipz. 1859); Ebeling, F. T. (3. Aufl., das. 1884).
Taubnessel, stinkende, s. Ballota.
Taubsein der Glieder, s. v. w. Absterben.
Taubstummenanstalten und Taubstummenunterricht. Die für Erziehung und Unterricht der Taubstummen bestimmten Anstalten verdanken ihren Ursprung den seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. hervortretenden Humanitäts- und Wohlthätigkeitsbestrebungen. Im Altertum (Aristoteles) wie im christlichen Mittelalter (Augustinus, römisches Recht) hielt man die Taubstummen für bildungsunfähig. Auch trug man öfters sogar religiöse Bedenken, Geschöpfen die Segnungen der Bildung sozusagen aufzudrängen, denen Gott die natürliche Befähigung für
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Taubstummenanstalten und Taubstummenunterricht.
diese Güter versagt habe. Doch wurden im Altertum wie im Mittelalter einzelne Fälle bekannt, in denen die geistige Ausbildung Taubstummer gelungen war. So werden im alten Rom zwei stumme Maler genannt; um 700 n. Chr. hat nach Beda dem Ehrwürdigen Bischof Johannes von Hagunstald (Hexham) einen Taubstummen zum Absehen und zum Sprechen gebracht. Rudolf Agricola (gest. 1485) berichtet als Augenzeuge, daß ein Taubstummer zum ungehinderten schriftlichen Verkehr mit seiner Umgebung herangebildet war. Der berühmteste der ältern Taubstummenlehrer ist der spanische Mönch Pedro de Ponce zu Sahagun in Leon (gest. 1584), welcher vier Taubstummen die Lautsprache beibrachte. In Deutschland unterrichtete gleichzeitig der kurbrandenburgische Hofprediger Joachim Pascha (gest. 1578) mit Erfolg seine taubstumme Tochter. Zahlreicher treten ähnliche Leistungen im 18. Jahrh. hervor, in dessen zweiter Hälfte zuerst geordnete Anstalten für den Unterricht taubstummer Kinder gegründet wurden. Dies geschah durch die menschenfreundliche Thätigkeit zweier Männer, des Abbé Charles Michel de l'Epée zu Versailles (1760, seit 1791 Staatsanstalt) und Sam. Heinickes zu Eppendorf bei Hamburg (1768), welch letztern der Kurfürst Friedrich August von Sachsen 1778 zur Einrichtung einer öffentlichen Taubstummenanstalt nach Leipzig berief. Seit jener Zeit ist die Pflicht des Staats und der Gesellschaft, für Erziehung und Unterricht der Taubstummen in besondern Anstalten Sorge zu tragen, mehr und mehr zum allgemeinen Bewußtsein gekommen. Trotz zahlreicher und großenteils gut ausgestatteter Anstalten dieser Art ist aber dem Bedürfnis selbst unter den gebildeten Völkern Europas noch bei weitem nicht Genüge geleistet. Die Unterweisung eines taubstummen Kindes muß übrigens möglichst schon im elterlichen Haus beginnen. Auch ist es rätlich, taubstumme Kinder, ehe sie in einer Anstalt Aufnahme finden können, in der Ortsschule an den technischen Übungen teilnehmen und den bildenden Umgang mit vollsinnigen Kindern genießen zu lassen.
Der Taubstummenunterricht soll zunächst und vor allem den Taubstummen dahin bringen, daß er andre verstehe und sich ihnen verständlich machen könne, woran sich dann Weckung und Übung der geistigen Kräfte des Zöglings sowie Mitteilung der nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten anknüpfen. In dieser Hinsicht empfiehlt sich, das taubstumme Kind so viel, wie es der natürliche Fehler zuläßt, nach der für gesunde Kinder geltenden natürlichen Methode zu unterrichten. Ganz besonders ist hier auch der sogen. Handfertigkeitsunterricht, d. h. die Anleitung zu äußern, zur sinnigen Beschäftigung wie zum anständigen Fortkommen im bürgerlichen Leben dienenden Fertigkeiten, am Platz. Dieser Unterricht wird in guten Taubstummenanstalten mit besonderer Aufmerksamkeit und oft mit überraschendem Erfolg betrieben (s. Industrieschulen). Die für den Taubstummenunterricht in Betracht kommenden Mittel der Verständigung sind: die Zeichen-, die Laut- und die Schriftsprache. Zu der erstern gehören: die natürliche Zeichen- und Gebärdensprache, auf welche sich alle Menschen, besonders aber die Taubstummen, von Haus aus verstehen, und welche das unentbehrliche Verständigungsmittel für den anfänglichen Verkehr der zu unterrichtenden Taubstummen mit dem Lehrer und untereinander ist; die künstliche, methodische Zeichen- oder Gebärdensprache und die Finger- oder Handsprache, bei der die Buchstaben des Alphabets durch Finger- und Handbewegungen dargestellt werden (s. Gebärdensprache [Fingersprache]). Die beiden letztern sind, als dem eigentlichen Zweck der Taubstummenbildung (Befähigung des Viersinnigen zum Verkehr in der Welt) hinderlich, heutzutage aus allen guten Anstalten verbannt. Aber auch die (leicht überwuchernde) natürliche Gebärde wird in Deutschland mißtrauisch angesehen und auf das engstmögliche Gebiet beschränkt. Bei der Laut- oder Lippensprache (Artikulation) muß der taubstumme Schüler befähigt werden, durch aufmerksames Beobachten der Bewegungen der Lippen, der Zunge und zum Teil auch der Gesichtszüge den Sprechenden zu verstehen und sich andern durch lautes Sprechen verständlich zu machen. Mit der Lautsprache geht die Schriftsprache Hand in Hand. Zu der Lautsprache den Taubstummen zu befähigen, ist zwar schwierig, muß aber als die eigentliche Aufgabe des Taubstummenunterrichts betrachtet werden; denn hat der Taubstumme dieselbe einmal erlernt, so ist er im stande, mit der menschlichen Gesellschaft in bewußte Wechselwirkung zu treten, wodurch sowohl seine weitere Bildung als sein äußeres Fortkommen ungemein erleichert wird. Da auch der ausgebildete Taubstumme weder die eignen Worte noch diejenigen andrer hört, bringt er es natürlich nicht zu einer klangvollen und wohlbetonten Aussprache, wiewohl auch hierin einzelne begabtere Zöglinge erstaunliche Fortschritte machen. Dagegen gelingt es in guten Anstalten stets, solche Kinder, die rechtzeitig eintreten (8.-12. Jahr) und nicht aus andern Ursachen bildungsunfähig sind, zu einem im wesentlichen lautrichtigen und daher verständlichen Sprechen anzuleiten. Hierin ist das Ziel angedeutet, welches sich nach Heinickes Vorgang seit Jahrzehnten alle deutschen und heutzutage alle gut eingerichteten Anstalten stecken. Der Sieg der Artikulationsmethode ist namentlich durch die Beschlüsse der internationalen Kongresse für Taubstummenwesen zu Paris (1879) und Mailand (1880) entschieden. Heinicke hatte darin schon den Spanier Ponce, den Schweizer Amann (in Holland um 1700) u. a. zu Vorgängern. Der Abbé de l'Epée dagegen und nach ihm Sicard und Guyot hatten sich für die Zeichen- und Gebärdensprache als das hauptsächliche Mittel des geistigen Verkehrs für Taubstumme entschieden, ohne die Artikulation darum ganz auszuschließen. Taubstummenanstalten gibt es gegenwärtig gegen 400, davon in Europa 340, in Deutschland 100 und von diesen in Preußen 51. Man schätzt die Anzahl der Taubstummen in Europa auf etwa 300,000, wovon 60,000 im schulpflichtigen Alter, aber nur 20,000 in regelrechter Pflege stehen. In Deutschland genießen von etwa 8000 schulpflichtigen Taubstummen gegen 6600 Anstaltserziehung, also etwa 8.2 Proz. Dagegen wachsen hier 18, in Großbritannien 43, in Frankreich gegen 40, in Österreich-Ungarn gegen 70, in Rußland und andern Ländern bis zu 90 Proz. der Taubstummen noch ohne gehörige Bildung auf. Vgl. Hill, Der gegenwärtige Zustand des Taubstummenbildungswesens in Deutschland (Weim. 1866); Derselbe, Grundzüge eines Lehrplans für Taubstummenanstalten (das. 1867); Schöttle, Lehrbuch der Taubstummenbildung (Tübing. 1874); Walther, Geschichte des Taubstummenbildungswesens (Bielef. 1882); Derselbe, Die königliche Taubstummenanstalt zu Berlin (Berl. 1888); Gude, Gesetze der Physiologie und Psychologie und Artikulationsunterricht der Taubstummen (Leipz. 1880); Hedinger, Die Taubstummen und Taubstummenanstalten (Stuttg. 1882); "Beiträge zur Geschichte und Statistik der Taubstummenbildung" (Berl. 1884): Schneider und v. Bremen, Volksschulwesen des preußischen Staats (Berl.
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Taubstummheit - Taucherapparate.
1886-87, 3 Bde.). Zeitschriften: "Blätter für Taubstumme" (hrsg. von Hirzel, Schwäb.-Gmünd, seit 1855), "Organ der Taubstummenanstalten" (hrsg. von Vatter, Friedberg, seit 1855) und "Blätter für Taubstummenbildung" (hrsg. von Walther und Töpler, Berl., seit 1887).
Taubstummheit (Aphonia surdorum, Surdomutitas), Stummheit, durch Taubheit bedingt, ist entweder angeboren oder während der Kindheit vor der Zeit entstanden, in welcher die Kinder gewöhnlich sprechen lernen, nämlich vom 1. oder 2. bis zum 6. oder 7. Jahr. Viel häufiger, als man früher annahm, entwickelt sich Taubheit nach ansteckenden Kinderkrankheiten, Masern und Scharlach, welche einen Katarrh des Mittelohrs herbeigeführt haben; allmählich verlernen solche Kinder, denen die Kontrolle der Lautbildung durch das Gehör fehlt, auch die Sprache, und so kommt volle T. zu stande. Die Stimmwerkzeuge sind in der Regel von Natur aus vollkommen gebildet und bleiben nur wegen ihres unterbliebenen Gebrauchs zum Sprechen in ihrer Ausbildung zurück; die Zunge ist dick, schwer beweglich, nur zum Kauen und Hinabschlucken geeignet; der kleine, nicht hervorspringende Kehlkopf läßt nur zeitweise unwillkürliche und unangenehm klingende Laute vernehmen; die Stimme ist rauh, unartikuliert, näselnd und pfeifend oder springt plötzlich aus dem Baß in den Sopran über; die Silben werden schwierig oder gar nicht ausgesprochen, und die Artikulation ist mangelhaft. In gebirgigen Gegenden kommt T. verhältnismäßig häufiger vor als in den mehr ebenen, denn während sie sich hier wie 1 zu 1300-1500 verhält, ist das Verhältnis in der kretinreichen Schweiz wie 1 zu 175. In Sardinien, im Schwarzwald, in Savoyen, in den Kantonen Bern, Wallis und Aargau kommt T. nach den vorhandenen Zählungen am häufigsten vor. Vgl. Hartmann, Taubheit und Taubstummenbildung (Berl. 1880). Weiteres s. Taubstummenanstalten.
Taucha, Stadt in der sächs. Kreis- und Amtshauptmannschaft Leipzig, an der Parthe und an der Linie Leipzig-Eilenburg der Preußischen Staatsbahn, hat eine evang. Kirche, ein Schloß, eine Korrektions- und Siechenanstalt, ein Amtsgericht, starke Schuhmacherei, Rauchwaren-Zurichterei und -Färberei, eine chemische Fabrik, 2 Dampfziegeleien u. (1885) 2778 Einw.
Tauchenten (Fuligulidae), Familie aus der Ordung der Schwimmvögel (s. d.).
Taucher (Urinatores), Familie aus der Ordnung der Schwimmvögel, umfaßt die Pinguine, Seetaucher, Steißfüße und Alken.
Taucherapparate, Vorrichtungen, mittels welcher man längere Zeit unter Wasser verweilen kann. Da die geschicktesten Taucher höchstens zwei Minuten in der Tiefe verharren, so hat man sich bemüht, Mittel zu finden, um das Atmen unter Wasser möglich zu machen. Hermetisch anschließende Helme, welche den ganzen Kopf des Tauchers bedecken, gewähren nur geringe Hilfe, da die in ihnen enthaltene Luft sehr schnell ihres Sauerstoffs so weit beraubt wird, daß sie nicht länger eingeatmet werden kann. Geräumige Glocken (Taucherglocken), welche mit einem Seil in die Tiefe gelassen werden, bergen für den in ihnen sitzenden Taucher mehr Luft; aber auch diese ist bald verbraucht. Für längern Aufenthalt unter Wasser wurden daher die Apparate erst geeignet, als man sie durch Röhren mit Pumpwerken in Verbindung setzte, welche sie fortwährend mit frischer Luft versorgten. Die Pumpe preßt ununterbrochen Luft in die Glocke, so daß diese ganz wasserleer wird und große Luftblasen an ihrem unteren Rand entweichen. Auf diesem Prinzip beruhen unter anderm die großen Apparate, in welchen mehrere Arbeiter zum Fundamentieren der Brückenpfeiler u. dgl. unter Wasser arbeiten. Sie bestehen aus cylindrischen oder prismatischen Gefäßen (caisons) aus Eisenblech, welche unten offen, oben aber geschlossen sind und durch ununterbrochenes Einpumpen von frischer Luft unter einem der Wassertiefe entsprechenden Druck wasserfrei gehalten werden, so daß bequem, wennschon in komprimierter Luft, darin gearbeitet werden kann. Das Ein- und Austreten der Arbeiter erfolgt durch eine sogen. Schleuse, eine enge Kammer, welche nach der freien Luft sowie nach dem Innern des Caissons durch eine Thür hermetisch abgeschlossen werden kann, so daß beim Befahren nie eine größere als dem Inhalt der Kammer entsprechende Luftmenge verloren geht. Indem der Grund tiefer ausgegraben wird, sinkt der Caisson immer weiter ein und wird, wenn man auf festem Baugrund angekommen ist, mit Beton ausgefüllt und so in einen mächtigen Steinblock verwandelt, auf welchem dann weiter gebaut wird. Der Luftdruck, unter welchem sich die Arbeiter befinden, beträgt 1 Atmosphäre für je 10 m Wassertiefe u. wirkt nachteilig auf die Gesundheit (vgl. Komprimierte Luft). Der gewöhnliche Taucherapparat, Skaphander-Apparat, besteht aus einem wasserdichten Anzug und einem Helm, der mit der Pumpe verbunden ist, und gestattet eine freie Bewegung des Tauchers, kann aber leicht durch den plötzlich auf den Taucher einwirkenden Luftdruck gefährlich werden. Beim Niedersinken enthält nämlich die Lunge des Tauchers Luft von gewöhnlicher Spannung und wird durch die eingeatmete komprimierte Luft zusammengedrückt. Steigt der Taucher auf, so nimmt der äußere Druck sehr schnell ab, und dadurch ist die Lunge der Gefahr ausgesetzt, durch die in ihr enthaltene dichtere Luft zerrissen zu werden. Sehr wichtig ist daher der Apparat von Rouquairol-Denayrouze, welcher den Taucher fortwährend mit Luft, die unter gewöhnlichem Druck in die Lungen gelangt, versorgt. Der Taucher nimmt diesen aus zwei Kammern bestehenden und mit komprimierter Luft gefüllten Apparat wie einen Tornister aufgeschnallt mit sich in die Tiefe. Die eine Kammer wird vermittelst eines Schlauchs direkt durch die Luftpumpe mit komprimierter Luft gefüllt, während die andre Kammer durch einen Schlauch und ein Mundstück mit der Lunge des Tauchers in Verbindung tritt. Beide Kammern stehen nun durch ein Kegelventil in Verbindung, welches durch den Druck der komprimierten Luft in der ersten Kammer geschlossen wird, sich aber durch Saugen an dem Mundstück oder durch Vergrößerung des Wasserdrucks öffnet. Auf dem zum Mundstück führenden Rohr ist ein Ventil zum Ausatmen angebracht. Der Apparat (Regulator) kann ohne und in Verbindung mit Helm gebraucht werden. Letzterer sowie der damit verbundene Taucheranzug dient nur als Schutz gegen die Nässe. Mit diesem Apparat kann sich der Taucher während mehr als 4-5 Stunden frei und ohne Beschwerden in der Tiefe bewegen, und da sein Körper durch keinen weitern Apparat belästigt ist, so vermag er auch anstrengende Arbeiten unter Wasser auszuführen. Ein andrer Apparat unterscheidet sich von diesem insofern, als der Taucher nur durch den Mund aus dem Regulator einatmet, die verbrauchte Luft aber durch die Nase in das Innere seines Anzugs ausstößt, aus welchem er sie von Zeit zu Zeit durch Öffnen eines Hahns am Helm ablassen kann. Wird letzteres eine Zeitlang unterlassen, so füllt sich der Anzug stark mit Luft, und der Taucher steigt von selbst empor. T. sind schon
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Taucherglocke - Tauerei.
von Aristoteles beschrieben worden. Die Taucherglocke wird schon im Altertum erwähnt, Aristoteles spricht indes nur von einer Taucherkappe, einem umgestürzten Kessel, welcher den Kopf des Tauchers aufnehmen sollte. Der Würzburger Mathematiker Kaspar Schott (1608-66) beschrieb in seiner "Technica curiosa" (1664) eine wirkliche Taucherglocke, und Sinclair beschrieb in seiner "Ars nova et magna gravitatis et levitatis" (1669) die Taucherglocke, welche 1588, 1665 u. 1687 angewandt wurde, um die Schätze der versunkenen spanischen Armada zu heben. Halley versah 1716 die Taucherglocke mit einer Vorrichtung, um dem Taucher Luft zuzuführen. Seine 1721 konstruierte Taucherkappe ist im Prinzip noch heute bei den Arbeiten auf dem Meeresgrund im Gebrauch. Die T. haben große Bedeutung gewonnen bei der Korallen-, Bernstein- und Perlenfischerei, bei Wasserbauten, bei Reparaturen an Schiffen und namentlich auch zum Torpedolegen. Für größere Tiefen als 45 m können T., welche den Aufenthalt in komprimierter Luft bedingen, nicht mehr verwendet werden. Den Taucherapparaten verwandt sind die Rettungsapparate für Feuersbrünste (Östbergs Patent), welche aus doppelwandigen Gummianzügen bestehen, aus denen nach allen Seiten Wasser ausspritzt, welches, wie auch Luft zum Atmen, durch Röhren zugeführt wird. Vgl. Respirationsapparat.
Taucherglocke, s. Taucherapparate.
Taucherkolben, s. v. w. Mönchskolben, Plunger; s. Pumpen, S. 462.
Taucherschiff, s. Unterseeische Fahrzeuge.
Tauchnitz, 1) Karl Christoph Traugott, namhafter Buchdrucker und Buchhändler, geb. 29. Okt. 1761 zu Großbardau bei Grimma, gründete 1796 zu Leipzig eine Druckerei, mit der er 1798 eine Verlagsbuchhandlung verband, und die er allmählich zu einer der größten Offizinen Deutschlands erweiterte. Seine Thätigkeit richtete er namentlich auf die Herstellung von Stereotypausgaben der griechischen und römischen Klassiker, von Wörterbüchern und Bibeln. Berühmt ist auch der von ihm in der Ursprache gedruckte Koran (1834). T. starb 14. Jan. 1836 in Leipzig. - Sein Sohn Karl Christian Philipp T., geb. 4. März 1798 zu Leipzig, führte das Geschäft in der vom Vater angebahnten Weise bis 1865 fort, in welchem Jahr dasselbe durch Kauf in den Besitz von O. Holtze überging. T. starb 16. April 1884 in Leipzig, sein bedeutendes Vermögen der Stadt Leipzig zur Errichtung einer wohlthätigen Stiftung hinterlassend.
2) Christian Bernhard, Freiherr von, Neffe von T. 1), Buchhändler, geb. 25. Aug. 1816 zu Schleinitz bei Naumburg, gründete 1837 unter der Firma Bernhard T. in Leipzig eine Verlagshandlung nebst Druckerei, besonders bekannt durch die 1841 begonnene "Collection of British authors", von welcher bis 1889 über 2550 Bände erschienen sind. Daneben pflegte T. besonders den Verlag von größern juristischen Werken und Wörterbüchern sowie von kritischen griechischen und römischen Klassikerausgaben. Seit 1866 läßt er auch eine "Collection of German authors", welche die vorzüglichsten Werke der deutsch en Litteratur in englischer Übersetzung enthält, und seit 1886 die "Student's Tauchnitz editions", Ausgaben englischer und amerikanischer Werke mit deutschen Einleitungen und Anmerkungen, erscheinen. Im J. 1860 wurde T. vom Herzog von Koburg in den erblichen Freiherrenstand erhoben und 1877 zum Mitglied der sächsischen Ersten Kammer ernannt; auch ist er großbritannischer Generalkonsul für das Königreich Sachsen.
Tauenzeichenpapier, aus alten Schiffstauen hrgestelltes Papier, dient zu Werkstattzeichnungen.
Tauenzien (Tauentzien), Boguslaw Friedrich Emanuel, Graf T. von Wittenberg, preuß. General, geb. 15. Sept. 1760 zu Potsdam, Sohn des im Siebenjährigen Krieg berühmt gewordenen Verteidigers von Breslau und Gönners Lessings, des Generals Boguslaw Friedrich von T. (geb. 18. April 1710 im Lauenburgischen, gest. 20. März 1791), trat 1775 in die preußische Armee, nahm an dem Feldzug von 1793 teil, ward 1795 Oberst und 1801 Generalmajor. Als solcher befehligte er 1806 ein vom Fürsten Hohenlohe bis Saalburg vorgeschobenes Beobachtungskorps, wurde zwar vom Marschall Soult nach Schleiz zurückgedrängt, bewerkstelligte aber dann trotz des unglücklichen Gefechts vom 9. Okt. seinen Rückzug auf die Hauptarmee. Bei Jena befehligte er die Avantgarde des Hohenloheschen Korps. Nach dem Frieden zu Tilsit erhielt er als Generalleutnant das Kommando der brandenburgischen Brigade und beteiligte sich an der Reorganisation der Armee. 1813 zum Militärgouverneur zwischen der Oder und Weichsel ernannt, leitete er die Belagerung von Stettin. Seit August kommandierte er das meist aus Landwehr bestehende 4. preußische Armeekorps und focht an der Spitze desselben bei Großbeeren (23. Aug.) und Dennewitz (6. Sept.). Im Oktober ward sein Korps zur Deckung des Übergangs über die Elbe bei Dessau zurückgelassen. Nach der Schlacht bei Leipzig zwang er Torgau zur Kapitulation (26. Dez.) und nahm Wittenberg in der Nacht vom 13. zum 14. Jan. 1814 mit Sturm, wodurch er sich das Ehrenprädikat "von Wittenberg" erwarb. Auch Magdeburg fiel nach engerer Einschließung 24. Mai. Im Feldzug des folgenden Jahrs erhielt T. das Kommando des 6. Armeekorps; doch war, als er den französischen Boden betrat, der Krieg durch die Schlacht bei Waterloo bereits entschieden. Nach dem Frieden erhielt T. den Oberbefehl über das 3. Armeekorps. Er starb als Kommandant von Berlin 20. Febr. 1824.
Tauerei (Kettenschiffahrt, Seilschiffahrt, Touage), ein System der Schleppschiffahrt, bei welchem die auf dem Schiff stehende Maschine Trommeln in Umdrehung versetzt, um welche man eine endlose Kette oder ein endloses Seil mehreremal schlingt, während Kette oder Seil längs des ganzen vom Schiff zu durchlaufenden Wegs über den Boden hin ausgespannt und an beiden Enden an letzterm entsprechend befestigt sind. Der auf diese Weise bewegte Ketten- oder Seildampfer dient in gewöhnlicher Weise als Schleppschiff (Toueur), welchem die Lastschiffe angehängt werden. Die ersten Versuche mit der T. wurden 1732 auf Veranlassung des Marschalls Moritz von Sachsen angestellt; zur Ausführung im großen kam die T. aber erst 1820 in Lyon auf der Saône durch Tourasse und Courteaut. Die hierbei verwendeten Schiffe trugen einen sechsspännigen Pferdegöpel, durch welchen ein Hanfseil auf eine Trommel aufgewunden wurde. Das andre Ende des Seils war in einer Entfernung von etwa 1 km am Ufer befestigt, und sobald das Seil vollständig aufgewunden war, mußte es wieder abgewickelt werden, während man ein zweites, in gleicher Entfernung am Ufer befestigtes Seil aufwand. Seit diesen Versuchen wurde das Prinzip beständig ausgebildet, und 1853 kam die T. in ihrer heutigen Vollkommenheit auf der Seine in Anwendung. Auch andre französische Flüsse und Kanäle wurden mit der Kette versehen, und bald folgten Belgien und Holland dem gegebenen Beispiel. In Deutschland wurde die erste T. 1866 durch die Hamburg-
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Tauerei - Tauern.
Magdeburger Dampfschiffahrtsgeschschaft in Magdeburg auf der ¾ Meile langen Elbstrecke zwischen Neustadt und Buckau ausgeführt und der Betrieb sogleich mit so großem Erfolg bewerkstelligt, daß damit die Rentabilität der T. für die meisten schiffbaren Flüsse außer Zweifel gesetzt wurde. 1871 wurde die ganze Linie von Magdeburg bis zur böhmischen Grenze eröffnet und 1873 auch die Strecke von der Mündung der Saale bis Kalbe in Betrieb gesetzt. Seitdem hat die T. auch auf andern deutschen Flüssen Verwendung gefunden, auf dem Rhein seit 1877 (zuerst Ruhrort-Emmerich), auf Havel und Spree seit 1882 etc. Am großartigsten ist der Tauereiverkehr in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf Flüssen und Seen entwickelt. Der in Magdeburg angewandte Kettendampfer ist mit Ausnahme des Verdecks vollständig aus Eisen konstruiert, 51,3 m lang, 6,7 m breit und hat 48 cm Tiefgang. Er besitzt an beiden Enden Steuerruder, welche von der Mitte des Schiffs aus gemeinsam regiert werden können. Mit Hilfe dieser Steuerung sowie zweier an jedem Schiffsende angebrachter beweglicher Arme, welche die Kette zwischen Rollen aufnehmen, dagegen in horizontaler Richtung fast um 90° drehbar sind, wird es möglich, das Schiff auch in andrer als der Richtung der Zugkette zu steuern, ohne daß dadurch die Aufwickelung der letztern gestört wird. Dies ist für die Anwendung des Kettenschiffs auf gekrümmten Stromstrecken von großer Bedeutung. Auf dem Hinterteil des Schiffs befinden sich zwei Trommeln von 1,1 m Durchmesser und 2,6 m gegenseitiger Achfenentfernung, von denen jede mit vier Rinnen versehen ist. Die Kette, welche von dem Schiff auf dessen Vorderseite aus dem Wasser emporgehoben wird, läuft in einer schräg aufsteigenden, mit Leitrollen versehenen Rinne zu den Trommeln und schlingt sich um jede 3½mal, indem sie von der ersten Rinne der ersten Trommel auf die erste Rinne der zweiten Trommel, dann auf die zweite Rinne der ersten Trommel etc. übergeht. Zuletzt wird sie in einer schräg abfallenden Rinne an das hintere Ende des Schiffs geleitet und sinkt in das Wasser zurück. Die Betriebsdampfmaschine, welche auf jeder Seite durch eine wasserdichte Wand vom übrigen Schiffsraum abgeschlossen ist, hat 60 Pferdekräfte. Das Schiff befördert eine Last, die so groß ist wie die von 4-6 Güterzügen von 100 Achsen, und überwindet ungleich größere Hindernisse als ein gewöhnlicher Schlepper. Auf der Oberelbe beträgt die mittlere Fahrgeschwindigkeit zu Berg 1,4 m pro Sekunde oder 0,66 Meile in einer Stunde. Die Kettenschiffe befördern z. B. die Lastschiffe von Magdeburg nach Dresden in 72 Stunden, während Raddampfer dazu 120 Stunden brauchen. In Belgien hat man sich bemüht, die Kette durch ein Drahtseil zu ersetzen. Man wendet hierbei die von Fowler für seine Dampfpflüge konstruierte Klappentrommel an, welche in der Mitte des Schiffs an der einen Seitenwand angebracht ist. Das Seil legt sich auf diese Trommel, fällt an jeder Seite vertikal herab und wird durch zwei kleinere Trommeln in horizontaler Richtung nach dem Vorder- und Hinterteil des Schiffs geführt, um hier von zwei kleinen Rollen aufgenommen und in das Wasser geleitet zu werden. Diese Führungsrollen sind nach allen Seiten drehbar und stellen sich daher der jedesmaligen Richtung des Schiffs entsprechend. Die Fowlersche Trommel besitzt an ihrem Umfang eine aus zwei Reihen beweglicher Backen gebildete Rinne, deren Breite sich nach der Achse der Trommel hin verringert, so daß das auf derTrommel liegende Seil um so stärker gespannt wird je tiefer es sich in die Rinne einlegt. Zur Verhinderung des Abgleitens des Seils beim Ingangsetzen des Schiffs dienen zwei in der Nähe der Trommel befindliche Friktionsrollen. Das auf der Maas angewandte Drahtseil hat 25 mm Durchmesser und ist aus 42 eisernen Drähten zusammengesetzt. Es wiegt pro Meter 2,25 kg und ist um vieles billiger als die Kette, welche bei einem Durchmesser von 26 mm 15 kg wiegt. Es gewährt auch den Vorteil, daß es sich, ohne Erschütterungen des Schiffs zu verursachen, und ohne Geräusch über die Trommel bewegt, während die Kette beides in ziemlich hohem Grad hervorbringt. Dagegen soll die Dauer der Kette 12-14, die des Seils nur 9 Jahre betragen. Die Vorteile, welche die T. gewährt, sind hauptsächlich folgende: Die Frachtspesen werden geringer teils wegen des geringern Kohlenkonsums der Kettenschiffe im Vergleich zu den gewöhnlichen Dampfschleppschiffen, teils weil die Bedienung der Fahrzeuge auf den dritten Teil reduziert werden kann. Nach Meitzen berechnen sich die Kosten der Zugkraft bei einem Schiff von 7000 Ztr. Tragkraft unter gleichen Bedingungen pro Zentner und Meile für Pferdezug auf 0,16, Schleppdampfer auf 0,04, T. auf 0,01-0,02 Pf. Die Schiffe brauchen weder Masten noch Takelage und können also um das Gewicht derselben mehr beladen werden. Der starke Wellenschlag, den die Raddampfer erzeugen, fällt weg, und die Beförderung wird eine schnellere und regelmäßigere, so daß bei leidlichem Wasserstand die Lieferungszeiten genauer innegehalten werden können. Vgl. "Bateau toueur à vapeur" in Armengauds "Publication industrielle", Bd. 14 (Par. 1862); Chanoine und Lagrène, Mémoire sur la traction des bateaux, in "Annales des ponts et chaussées" 1863; "Die Kettenschiffahrt auf der Elbe" und Ziebarth, "Über Ketten- und Seilschiffahrt", in "Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure", Bd. 11 u. 13 (Berl. 1867 u. 1869); Hoffmann, Über Kettenschleppschiffahrt und deren Einführung auf der Elbe (Dresd. 1869); Schmidt, Mitteilungen über die Kettendampfschiffahrt auf der Oberelbe (das. 1870); Eyth, On towing-boats on canals and rivers by a fixed wire rope and clip drum, in "Artisan" 1870; Werneburg, Die Kettenschiffahrt auf dem kanalisierten Main (Frankf. 1880).
Tauern, Name eines Hauptzugs der Deutschen Zentralalpen, der östlichen Fortsetzung der Zillerthaler Alpen in Salzburg, Kärnten und Steiermark. Man unterscheidet die Hohen T. und die Niedern T. Jene erstrecken sich vom Krimmler Achenthal und Ahrnthal im W. bis zum Großarlthal und Malthathal im O. Dieses große Stück Gebirgswelt zerfällt in folgende Teile: 1) Die Hohe Tauernkette im eigentlichen Sinn, an der Grenze Salzburgs einer-, Tirols und Kärntens anderseits, gehört zu den hochsten und am wenigsten tief eingeschnittenen Teilen der Alpen, da die Kammhöhe 2600-2900 m erreicht, mehr als 16 Gipfel über 3500 m und an 100 über 3200 m emporragen und auf 150 km Länge keine fahrbare Straße sich findet. Die Vergletscherung erreicht in einzelnen Fällen, wie bei der Pasterze (10 km lang, zweitlängster Gletscher der Deutschen Alpen), Schlattenkees, Obersulzbacher Gletscher, eine gewaltige Ausdehnung, erscheint jedoch im allgemeinen geringer als die der Ötzthaler und Ortlergruppe und ist namentlich in den letzten zwei Jahrzehnten ansehnlich zurückgegangen. Dagegen sind die T. teils wegen der Steilheit der Seitenwände ihrer Thäler, insbesondere aber wegen der tiefen Lage der Thalsohlen, das an Wasserfällen reichste Gebiet der Deutschen Alpen. In den höchsten Terrassen der zahlreichen
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Tauernwind - Taufe.
parallel zum wasserscheidenden Hauptkamm hinaufziehenden Tauernthäler finden sich malerische Hochseen. Bemerkenswert sind auch die von den Thalbächen gebildeten Felsenschlunde, darunter die großartigen Liechtenstein- und Kitzlochklammen. Die T. bilden wegen ihrer herrlichen, in neuerer Zeit leichter zugänglich gewordenen Naturszenerien eins der besuchtesten Reisegebiete in den Alpen. Die schönsten Punkte sind außer den erwähnten Klammen und abgesehen von den Gipfeln: Gastein mit Umgebung, Rauriser Goldberg, Fusch und Ferleiten, Kaprun mit dem Moserboden, Stubachthal, Krimmler Wasserfälle, Gschlöß, Kalser Thörl, der Pasterzengletscher. Im Volksmund heißen T. nur die hoch gelegenen Gebirgspässe, von welchen folgende in den Bereich dieses Gebirgszugs fallen: der Krimmler T., 2635 m, Übergang aus der Prettau (von Bruneck her) ins Krimmler Achenthal, zugleich die Grenze zwischen den Hohen T. und den Zillerthaler Alpen bildend; der Felber T., 2545 m, welcher, die Großglockner- von der Großvenedigergruppe scheidend, aus dem Isel- und Tauernthal (Lienz, Windischmatrei) nach dem Pinzgau (Mittersill) führt; der Kalser T., 2506 m, mlt Übergang vom Iselthal über Kals ins Stubachthal im Pinzgau; der Mallnitzer T., 2414 m, zwischen der Hochnarr- und Ankoglgruppe aus dem Möllthal über Mallnitz ins Gasteinthal führend. Die wichtigsten Berggruppen und deren Kulminationspunkte in den Hohen T. sind in der Richtung von W. nach O.: Dreiherrenspitze (3503 m), Großvenediger (3673 m), Großglockner (3797 m), Großes Wiesbachhorn (3575 m), Hochnarr (3258 m), Hochalpenspitze (3355 m). 2) Die Antholzer Gruppe, zwischen Ahrnthal einer-, Antholz, Stalleralpsattel und Stalleralpenthal anderseits; höchster Gipfel: Hochgall (3442 m). 3) Das Deferegger Gebirge, südlich des Deferegger Thals, zwischen dem Antholzer und untern Iselthal, im Weißspitz (2955 m) kulminierend. 4) Die Schobergruppe, begrenzt durch den Iselberg zwischen Lienz und Winklern, der Möll, dem Kalserbach und der Isel; höchste Punkte sind der Petzeck (3275 m) und der Hochschober (3243 m). 5) Die Kreuzeckgruppe, zwischen Iselberg, Möll und Drau, mit dem Kreuzeck (2703 m) und Polinik (2780 m). - An der Markkarspitze, dicht neben der Arlscharte (2342 m), spaltet sich der Hauptkamm der östlichen Zentralalpen in einen nördlichen und südlichen Zug: letzterer, südlich der Mur, heißt die Kärntnisch-Steirischen Alpen; ersterer, zwischen der Mur im S., der Enns im N., bildet die Niedern T. oder Steirischen Alpen, die sich bis zum Schoberpaß oder der Walder Höhe hinziehen; höchster Punkt ist der Hochgolling (2872 m). Sie haben keine Gletscher, wohl aber fahrbare Pässe: den Radstädter T. (1763 m), über den eine Straße von Radstadt nach St. Michael und in weiterer Fortsetzung über den Katschbergpaß (1641 m) nach Gmünd und Spittal in Kärnten führt, und den RottenmannerT. (1760 m), dessen Straße Lietzen an der Enns mit Judenburg an der Mur verbindet. Über die Walder Höhe führt die Rudolfsbahn. Die zentrale Hauptkette der T. besteht aus kristallinischen Schiefern (Gneis, Glimmerschiefer, Talk- und Chloritschiefer) mit eingelagertem körnigen Kalkstein und Serpentin, hier und da auch von Granit durchsetzt. Vgl. v. Sonklar, Die Gebirgsgruppe der Hohen T. (Wien 1866); Derselbe, Karte (2. Aufl., das. 1875); Heß, Führer durch die Hohen T. (das. 1886).
Tauernwind, ein in den Norischen Alpen (Tauern) auftretender kalter Nordostwind; s. Bora.
Taufe (griech. Baptisma, Baptismus), das Sakrament, durch welches der Täufling mittels Untertauchung oder Besprengung mit Wasser in die christliche Kirche aufgenommen wird. Heilige Waschungen findet man fast bei allen alten orientalischen Völkern (s. Reinigungen) und Spuren von feierlicher Lustration neben der Beschneidung auch bei den Juden (s. Proselyt), welchen die körperliche, sogen. levitische Reinheit als das Symbol, ja Surrogat der innern Reinheit galt. Durch die Wassertaufe weihte namentlich Johannes der Täufer alle, welche Buße thaten, für das nahe bevorstehende Gottesreich, und auch Jesus empfing diese T. im Jordan. Nach seinem Vorbild ließen sich dann seine Gläubigen taufen. In Paulinischen Kreisen faßte man die T. als ein mysteriöses Bad der Wiedergeburt auf und setzte sie mit dem Tod und der Auferstehung Christi in Beziehung, daher man bald in der T. eine über das Sinnbild des Unter- und Auftauchens hinausschreitende, geheimnisvolle Verbindung mit Christum fand. Weil man sie zugleich als das spezifische Organ der innerlichen Reinigung und Sündenvergebung betrachtete, verschoben viele, wie Kaiser Konstantin, ihre T. bis ans Lebensende (procrastinatio baptismi). Erst Augustin aber gab durch seine Lehre von der Erbsünde der T. eine dogmatische Unterlage und bewies ihre absolute Notwendigkeit. Die Erbsünde wird durch sie zwar als Schuld getilgt, doch bleibt die Fleischeslust noch als "Zunder der Sünde" in dem Getauften. Die Wiederholung der T. war lange eine Streitfrage, besonders mit Bezug auf die Ketzertaufe. Seit dem 3. Jahrh. sprach sich die Kirche immer bestimmter dahin aus, daß ein auf die Trinität getaufter Ketzer beim Übertritt zur orthodoxen Kirche nicht wiederum zu taufen sei. Die richtig vollzogene T. ist nach katholischer Lehre das die erstmalige Eingießung übernatürlicher Gerechtigkeit vermittelnde Sakrament. Auch nach den protestantischen symbolischen Büchern gewährt die T. Vergebung der Sünde und Mitteilung des Heiligen Geistes, kann folglich, wenn rechtmäßig vollzogen, an demselben Individuum nicht wiederholt werden. Während aber nach der lutherischen Lehre die T. durch die wunderbare Wirksamkeit des mit dem Wasser verbundenen Worts außer der Sündenvergebung auch Wiedergeburt (s. d.), Wiederherstellung der Freiheit des Willens zum Guten und sogar in Kindern den Glauben wirkt, gilt sie bei Zwingli als Pflichtzeichen und kirchlicher Einweihungsakt, überhaupt in der reformierten Kirche mehr als Symbol und Unterpfand dafür, daß Gott denen, welche zum Glauben gelangen, die verheißenen Heilsgüter auch zukommen lassen werde. Beide Kirchen haben auch die Kindertaufe beibehalten, welche schon seit etwa 200 sporadisch vorgekommen, seit Augustin allmählich herrschende Sitte geworden war. Weil für dieselbe kein Befehl Christi und der Apostel vorliegt, und weil die Kinder überdies auch zu dem Glauben, welcher in der T. vorausgesetzt ist, nicht befähigt sind, verwarfen die Wiedertäufer (Mennoniten) dieselbe völlig, indem sie eine Wiederholung der T. an den Erwachsenen statuierten. Ähnlich weisen auch die Quäker (s. d.) und die Baptisten (s. d.) Englands und Nordamerikas die Kindertaufe zurück. Dagegen soll nach der Lehre der katholischen und evangelischen Kirche die T. regelmäßig von dem ordinierten Geistlichen verrichtet werden. Nur in Notfällen soll auch die Laientaufe (Nottaufe) zugelassen werden. Die unter wörtlicher Beziehung auf die drei Personen der Trinität vorzunehmende Applikation des Wassers
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Taufe eines Schiffs - Taunus.
kann Untertauchung (immersio) oder Besprengung (adspersio oder infusio) sein. Der erstere Taufmodus ist bis in das 12. Jahrh. üblich gewesen und findet noch jetzt in der morgenländischen Kirche statt. Der Exorzismus (s. d.) ist in der protestantischen Kirche nicht überall abgeschafft worden. In der alten Kirche wurde die T. in den Kathedralkirchen vorgenommen, welche besondere Taufkapellen (Baptisterien) hatten. Nachdem aber die Bischöfe sich nur noch die Konfirmation oder Firmung (s. d.) ausschließlich vorbehalten hatten, die Verrichtung der T. dagegen den Presbytern zugewiesen worden war, brachte man in jeder Kirche Taufsteine an. Später wurden Haustaufen üblich, mehr noch bei den Lutheranern als bei den Katholiken. Bei der T. findet nach Luk. 1,59; 2,21, wie bei der jüdischen Beschneidung, eine Namengebung statt. Wo sich Staat und Kirche nicht in der Weise der modernen Gesetzgebung auseinander gesetzt haben, erscheint die T. als notwendige Handlung und kann daher auch gegen den Willen der Eltern erfolgen; über die T. selbst muß der Geistliche ein Register führen (s. Kirchenbuch); die formellen Auszüge daraus (Taufzeugnisse) gelten als öffentliche Urkunden. Vgl. Höfling, Das Sakrament der T. (Erlang. 1846-48, 2 Bde.).
Zur T. diente in den Kirchen ursprünglich ein Bassin mit Wasser, in welchem der Täufling untergetaucht wurde. An seine Stelle trat später der Taufstein, ein Becken aus Stein auf hohem Ständer, mit symbolischen Figuren oder auf die T. bezüglichen Darstellungen, bisweilen auch von Figuren (den vier Flüssen des Paradieses, Löwen u. a.) getragen. Solcher Taufsteine sind noch viele aus romanischer Zeit erhalten. In die Vertiefungen der Steine ließ man seit dem 11. Jahrh. metallene Becken ein, zu denen sich später metallene Deckel gesellten, die ebenfalls mit bildlichen Darstellungen verziert waren und durch Ketten emporgezogen oder durch Arme fortbewegt wurden, wenn Taufen vollzogen wurden. In spätgotischer Zeit wurden über die Taufsteine bisweilen Baldachine angebracht. In neuerer Zeit (seit dem 17. Jahrh.) sind die Taufbrunnen außer Gebrauch gekommen, und an ihre Stelle sind Taufschüsseln und Taufkannen getreten.
Taufe eines Schiffs, s. Ablauf.
Tauferer Thal, nördliches Seitenthal des Pusterthals in Tirol, mit seinen Seitenthälern eins der schönsten Alpenthäler, im N. und W. von den Zillerthaler Alpen, im O. und S. von den Hohen Tauern begrenzt, zieht sich von Bruneck bis zum Krimmler Tauern zuerst nördlich, dann nordöstlich hinan. Von Bruneck bis Taufers, dem Hauptort des Thals (mit Bezirksgericht), aus dem gleichnamigen hoch gelegenen Schloß und den Dörfern Sand und St. Moritzen bestehend, heißt es das T. T. im engern Sinn, von da bis gegen St. Peter Ahrnthal und von hier bis zu seinem Schluß an der Birnlucke Prettau. Nebenthäler sind das Mühlwald-Lappacher, das Rainthal, das Weißenbachthal und das Mühlbacher Thal. Vgl. Daimer, Taufers und Umgebung (Gera 1879).
Taufgesinnte, s. Mennoniten.
Taufname, s. v. w. Vorname, s. Name.
Taufstein, s. Taufe, S. 546.
Taufstein, Berg, s. Vogelsberg.
Taufzeugen, s. v. w. Paten.
Taugarn, grobes Hanfgespinst zu den schwersten Seilerwaren.
Taugras, s. Agrostis.
Tauler, Johannes, deutscher Mystiker, geboren um 1300 zu Straßburg, trat in den Dominikanerorden und wirkte als Volksprediger meist in seiner Vaterstadt bis zu seinem 1361 erfolgten Tode. Daß er sich gegen das päpstliche Verbot, welches den Gottesdienst in Straßburg während der Zeit des über die Stadt verhängten Interdikts untersagte, aufgelehnt habe, läßt sich ebensowenig festhalten, wie daß die in des "Meisters Buch" sich findende Bekehrungsgeschichte sich auf T. beziehe. Die Abfassung des bisher allgemein dem T. zugeschriebenen Buches "Von der Nachfolgung des armen Lebens Christi" muß, wie Denifle und Ritschl nachgewiesen haben, demselben abgesprochen werden. Taulers Mystik lernen wir jedoch aus seinen Predigten kennen, sie hält sich von dem Pantheismus eines Eckart (s. d.) fern. T. fordert, daß sich der Christ der Gelassenheit befleißige und innerlich von aller Kreatur frei werde. Ein Feind der von der katholischen Kirche so laut gepredigten Selbstgerechtigkeit, war T. ein Verkünder der alles wirkenden göttlichen Gnade. Der Weg aber, auf dem man nach T. zur Selbstverleugnung gelangt, ist der der Nachfolge des Lebens Jesu. Vgl. K. Schmidt, J. Tauler (Hamb. 1841); Denifle, Das Buch von der geistlichen Armut etc. (Münch. 1877); Derselbe, Taulers Bekehrung (das. 1879); Jundt, Les amis de Dieu au XIV. siècle (Par. 1879) ; Ritschl in der "Zeitschrift für Kirchengeschichte" (1880). Taulers Predigten wurden ins Hochdeutsche übertragen von Hamberger (2. Aufl., Frankf. 1872).
Taumelkäfer (Gyrinidae), s. Wasserkäfer.
Taumellolch, s. Lolium.
Taumler, an Drehkrankheit (s. d.) leidende Schafe.
Taunton (spr. tohntön), 1) Hauptstadt der Grafschaft Somerset (England), am schiffbaren Tone, hat eine gotische Kirche aus der Zeit Heinrichs VII., ein altes Schloß (jetzt Museum), eine Lateinschule, zahlreiche milde Stiftungen, etwas Seiden- und Handschuhfabrikation, lebhaften Handel und (1881) 16,614 Einw. Hier hielt der berüchtigte Jeffreys 1685 seine Blutgerichte. - 2) Stadt im nordamerikan. Staat Massachusetts, am schiffbaren Fluß T., der 25 km unterhalb in die Narragansetbai mündet, mit Gerichtshof, Irrenanstalt, bedeutender Gewerbthätigkeit (Bau von Lokomotiven, Kupfer- und Nagelschmieden, Kurzwaren) und (1885) 23,674 Einw.
Taunus (auch die Höhe, früher Einrich, auch Einrichgau genannt), ein zum niederrheinischen Gebirge gehöriger Gebirgszug im preuß. Regierungsbezirk Wiesbaden (s. Karte "Hessen-Nassau"), breitet sich mit seinen Nebenzweigen und Vorbergen zwischen dem Main, Rhein und der Lahn aus und ist ein in seiner gesamten Ausdehnung wohl 90 km langes, mit Wald bedecktes Gebirge, welches, in der Gegend von Wetzlar aus dem Lahnthal ansteigend, anfangs als ein mäßig hoher Bergrücken die Westseite der Wetterau begrenzt, dann in südwestlicher Richtung sich über Oberursel, Kronberg, Königstein und Eppstein nach Schlangenbad fortzieht, sich von da, durch ein kleines Nebenthal unterbrochen, unter dem Namen des Rheingaugebirges fortsetzt und bei Rüdesheim und Lorch am Rhein endigt. Auf der Südseite ist der Abfall des Gebirges ziemlich steil, noch steiler aber auf der Westseite von Rüdesheim bis Lahnstein, wo er mit seinen obst- und rebenreichen, von Burgruinen gekrönten Höhen einen äußerst malerischen Anblick gewährt. Auf der Nordseite treten felsige Verzweigungen des Gebirges bis hart an die Lahn vor. Der wenig geschlossene Hauptkamm des Gebirges hat eine mittlere Höhe von 480 m, über welche sich seine gerundeten oder abgestumpften Gipfel noch um 300-400 1n erheben. Der höchste Punkt
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Taunusschiefer - Taurin.
ist der Große Feldberg (880 m) bei Königstein. Südwestlich von diesem erhebt sich der Kleine Feldberg (827 m), von diesem südlich der Altkönig (798 m) mit zwei kolossalen Steinringwällen. Im mittlern Teil der Kette sind zu bemerken: der Rossert (516 m), der Staufen (452 m), der Trompeter (540 m) und die Platte nördlich von Wiesbaden (500 m); weiter nach SW. die Hohe Wurzel (618 m). Die höchste Spitze des Rheingaugebirges ist die Kalte Herberge (620 m), der südwestlichste Ausläufer der Niederwald (330 m). Die Hauptmasse des Gebirges besteht aus Thonschiefer, der hier und da in Talkschiefer übergeht und auf den Höhen von Quarz überlagert wird; nach N. schließen sich Grauwackebildungen an. Bergbau findet auf dem T. nicht statt. Überall, wo der Boden sich dazu eignet, ist das Gebirge wohl angebaut, und an den südlichen Abhängen finden sich herrliche Weinpflanzungen, Obsthaine, Kastanienwäldchen und selbst Mandelbäume. Von den zahlreichen Gewässern des T. fließt die Use östlich der Wetter, die Schwarze südlich dem Main, die Wisper westlich dem Rhein zu, während die mit längerm Lauf, wie die Aar, Ems und Weil, nach N. zur Lahn abfließen. Der T. ist besonders durch die Menge seiner Mineralquellen berühmt, deren mehr als 40 bekannt und größtenteils benutzt sind, und von denen mehrere zu den berühmtesten Deutschlands gehören (Wiesbaden, Schwalbach, Selters, Homburg, Schlangenbad, Soden, Ems etc.). Den Süd-, West- und Nordfuß des T. begleitet die Eisenbahnlinie Frankfurt a. M.-Lollar, den Ostfuß die Linie Frankfurt a. M.-Kassel, während die Linie Höchst- und Wiesbaden-Limburg das Gebirge durchschneidet und in zwei fast gleiche Teile teilt und mehrere kürzere Linien in und an das Gebirge führen. Durch die Bemühungen des Taunusklubs ist der Touristenverkehr im T. in stetem Steigen begriffen. Vgl. Schudt, Taunusbilder in Geschichten, Sagen und Liedern (Homb. 1859); Großmann u. a., Die Heilquellen des T. (Wiesb. 1887).
Taunusschiefer, s. Sericitschiefer.
Tauposee, See auf der Nordinsel von Neuseeland, 770 qkm groß, mit vielen warmen Schwefelquellen.
Taupuukt, s. Tau und Hygrometer, S. 844.
Taura, Dorf in der sächs. Kreishauptmannschaft Leipzig, Amtshauptmannschaft Rochlitz, mit evang. Kirche, Handschuhfabrikation und (1885) 2722 Einw.
Taurellus, Nikolaus (eigentlich Öchsle), Philosoph, geb. 1547 zu Mömpelgard (Montbéliard), das damals unter württembergischer Herrschaft stand, wirkte erst als Professor der Medizin in Basel, seit 1580 als Professor der Philosophie zu Altdorf und starb daselbst 1606. Er hat sich als Gegner des Aristoteles und des averrhoistischen Aristotelismus und Pantheismus des Cesalpino (s. d.), insbesondere der Lehre von der Ewigkeit der Welt, durch die Schriften: "Philosophiae triumphus" (Basel 1573), "Alpes caesae" (Frankf. a. M. 1597) und "De rerum aeternitate" (Marb. 1604) bekannt gemacht, in welchen er die Philosophie als menschliche, der Theologie als geoffenbarter Weisheit als Grundlage unterzuschieben, aber zugleich mit der letztern insbesondere durch die Rechtfertigung der zeitlichen Schöpfung aus nichts und des Sündensalls in Einklang zu bringen suchte. Vgl. Schmid aus Schwarzenberg, Nikolaus T., der erste deutsche Philosoph (Erlang. 1860).
Taurien, das südlichste Gouvernement Rußlands, umfaßt die Halbinsel Krim und einen Teil des Festlandes, wird im S. vom Schwarzen und Asowschen Meer, im W. vom Gouvernement Cherson, im N. und O. von Jekaterinoslaw begrenzt und hat ein Areal von 63,553,5 qkm (1154 QM.). Über die Bodenbeschaffenheit des letztern s. Krim und Taurisches Gebirge. Der festländische Teil des Gouvernements ist Steppe, deren Boden von Schieferthon, Quarzsand und Thon eingenommen wird; jedoch finden sich auf dem Festland auch ausgedehnte, mit schwarzer Erde bedeckte Strecken. Mineralische Reichtümer sind: Porphyr, roter und grauer Marmor und vorzügliches Salz aus den Steppenseen. Der einzige bedeutende Fluß ist der die Nordwestgrenze beruhrende Dnjepr. Auf demselben wird Holz aus den innern Gouvernements hinabgeflößt; stromaufwärts geht Salz. Das Klima ist mild und im allgemeinen gesund, außer am Faulen Meer und am Dnjeprliman. Die mittlere Jahrestemperatur am Südufer beträgt +11,6° C., in Simferopol +10°. T. ist eins der schwach bevölkerten Gouvernements, mit (1885) 1,060,004 Einw. (16 pro QKilometer), bestehend in Groß- und Kleinrussen, Tataren, deutschen Kolonisten, Bulgaren, Juden, Griechen und Armeniern. Die Zahl der Eheschließungen war 1885: 8445, der Gebornen 51,059, der Gestorbenen 29,843. Die Hauptbeschäftigung in den nördlichen Teilen ist Viehzucht, Ackerbau und Salzgewinnung, in den Bergthälern und am Abhang der Gebirge Garten- und Weinbau. Der Fortschritt im Anbau der Cerealien ist der rationellen Wirtschaft bei den deutschen Kolonisten, zumal bei den Mennoniten, aber auch bei den russischen Sektierern zu verdanken, ist aber überhaupt nicht bedeutend. Das Areal besteht aus 38,7 Proz. Acker, 47 Wiese und Weide, 6 Wald und 8,3 Proz. Unland. Die Ernte betrug 1887: 2,6 Mill. hl Weizen, ¾ Mill. hl Roggen, 1,4 Mill. hl Gerste, andres Getreide und Kartoffeln in kleinern Mengen. Die besten u. ergiebigsten Weingärten sind am Südufer der Krim vom Kap Aluschta bis Kap Laspi, und die Fruchtgärten liefern gute Äpfel und Birnen. Der Viehstand bezifferte sich 1882 auf 485,000 Stück Rindvieh, 994,600 grobwollige und 2,891,000 feinwollige Schafe, 356,279 Pferde, 118,000 Schweine und 64,900 Ziegen. Hervorragend ist die Zucht der Merinoschafe; doch auch Rinder- und Pferdezucht, Bienenzucht und Fischfang (Heringe) werden mit großem Erfolg betrieben. Der Wert der industriellen Thätigkeit wird 1885 auf 6½ Mill. Rubel angegeben. Der Handel besteht mehr in der Ausfuhr zur See (Berdjansk, Sebastopol, Feodosia) als zu Land ins Innere des Reichs. Die Haupausfuhrartikel sind: Weizen, Wolle, Fische, Salz, Früchte und Wein. Die Zahl aller Lehranstalten war 1885: 669 mit 40,186 Schülern, darunter 21 Mittelschulen und 13 Spezialschulen (vorzugsweise Navigationsschulen). Das Gouvernement zerfällt in acht Kreise, von denen die Kreise Melitopol, Berdjansk und Aleschki auf dem Festland, Perekop, Simferopol, Eupatoria, Jalta und Feodosia auf der Halbinsel Krim liegen. Hauptstadt ist Simferopol.
Taurin C2H7NSO3 findet sich frei oder mit Cholsäure verbunden (Taurocholsäure) in der Galle der Ochsen und vieler andrer Tiere, im Darminhalt und Lungengewebe, in Muskeln wirbelloser Tiere und Fische, entsteht bei Zersetzung der Taurocholsäure durch Säuren, beim Erhitzen von isäthionsaurem Ammoniak C2H9SO4, bildet farb-, geruch- und geschmacklose Kristalle und ist leicht löslich in heißem Wasser, nicht in Alkohol und Äther, schmilzt und zersetzt sich gegen 240°; es reagiert neutral, bildet aber mit Basen Salze, wird durch Kochen mit Alkalien und Säuren nicht verändert und gibt beim Schmelzen mit Kalihydrat Essigsäure, schweflige Säure, Ammoniak und Wasserstoff.
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Tauris - Tauschwert.
Tauris, Stadt, s. Tebriz.
Taurische Halbinsel, s. Krim.
Taurisches Gebirge (Krimsches Gebirge), am Südrand der Halbinsel Krim im südlichen Rußland, von Balaklawa im NO. bis zur Straße von Jenikale. Der Hauptrücken heißt Jaila Dagh (Jailagebirge) und erstreckt sich von Balaklawa bis Feodosia in einer Länge von 122 km. Das Gebirge fällt mit schroffem und wild zerrissenem Absturz nach S. in die See und sinkt unter dem Wasser noch so jäh ab, daß oft schon in geringer Entfernung vom Ufer das Senkblei keinen Grund findet; es besteht aus mehreren reichbewaldeten, durch anmutige Thäler getrennten Parallelketten. Die höchsten Gipfel sind der Tschadyr Dagh oder Zeltberg (nach Parrot und Engelhardt 1661 m), der Babugan Jaila (l655 m) und der Ai-wassilem (1627 m).
Taurisker, kelt. Volksstamm, welcher in den Ostalpen an der obern Drau wohnte, ward 13 v. Chr. durch P. Silius und Drusus der römischen Herrschaft unterworfen. Ihr Name soll sich in dem der Tauernkette erhalten haben.
Tauriskos, griech. Bildhauer und Bruder des Apollonios aus Tralles (s. Apollonios 3). Er scheint auch als Maler Bedeutung erlangt zu haben.
Taurocholsäure, s. Gallensäuren.
Tauroggen, Flecken im litauisch-russ. Gouvernement Kowno, an der Jura (Zufluß der Memel), 7 km von der preußischen Grenze, mit Grenzzollamt und 4720 Einw. Hier unter zeichnete 21. Juni 1807 Kaiser Alexander I. den dem Frieden von Tilsit vorausgehenden Waffenstillstand. Im nahen Dorf Poscherun schloß 30. Dez. 1812 der preußische General York mit dem russischen General Diebitsch die denkwürdige Waffenstillstands- u. Neutralitätskonvention (Konvention von T.).
Tauromenion, s. Naxos (Stadt) und Taormina.
Taurus (Tauros, griech. Umformung des nordsemit. tur, "Gebirge"), das südliche Randgebirge des Hochlandes von Kleinasien, zieht vom Euphrat westwärts bis an das Ägeische Meer und bildet einen ununterbrochenen Gebirgszug, der gegen S. in sehr kurzen Absätzen oder plötzlich und steil zum Meer abfällt, gegen N. sich sanft zu Hochebenen abdacht. Das unwegsame Gebirge erreicht in dem östlichen Teil der Landschaft Kilikien in seinen Gipfeln eine Höhe von über 3000 m. Der wichtigste Paß ist Gülek-Boghas, die Kilikischen Pässe der Alten, durch welche die große Heer- und Karawanenstraße von Kleinasien nach Syrien führt. Westlich davon führt das Gebirge jetzt den Namen Bulghar Dagh, östlich Ala Dagh. Hier wird es von zwei Flüssen durchbrochen, dem Seihun (Saros) und Dschihan (Pyramos), welche beide in das Mittelländische Meer münden. Noch zahlreiche andre, aber meist unbedeutende Flüsse gehen vom T. ins Mittelländische Meer. Weit wasserärmer ist die Nordseite des Gebirges, wo mehrere bedeutende, meist salzhaltige Seen liegen. Östlich vom Saros zweigt sich als mächtiger Seitenarm der Antitaurus (heute Binbogha Dagh) ab, der, anfangs gegen N., dann gegen NO. ziehend, zwischen Euphrat und Kisil Irmak (Halys) die Wasserscheide bildet.
Taus (tschech. Domazlice), Stadt im westlichen Böhmen, an der Böhmischen Westbahn, in welche hier die Staatsbahnlinie Janowitz-T. mündet, mit Beirkshauptmannschaft und Bezirksgericht, Dechanteikirche, Kommunalobergymnasium, Augustinerkonvent, Zuckerraffinerie, Bandfabrik, Bautischlerei, Strumpfwirkerei und Topferei, Bierbrauerei, besuchten Märkten und (1880) 7364 Einw. Bei T. 14. Aug. 1431 Sieg der Hussiten über das deutsche Kreuzheer. In der Umgebung Glas- und Porzellanfabriken, Brettsägen und Zündwarenfabrikation.
Tausch (Tauschgeschäft, Tauschvertrag, Permutatio), der Vertrag, durch welchen sich jeder von beiden Vertragschließenden zur wechselseitigen Hingabe einer Sache an den andern verpflichtet. Im Gegensatz zum Kaufvertrag, wobei sich der eine Vertragschließende (der Verkäufer) zur Hingabe der Ware, der andre (der Käufer) zur Übergabe einer bestimmten Geldsumme, des Preises, verpachtet, charakterisiert sich der T. eben dadurch, daß beide Leistungen zugleich den Charakter des Preises und den der Ware an sich tragen. Der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 502) erklärt denn auch: "Jeder der Vertragschließenden ist in Ansehung der von ihm versprochenen Leistung gleich einem Verkäufer und in Ansehung der ihm zugesicherten Leistung gleich einem Käufer zu beurteilen".
Tausch, bei botan. Namen für J. F. Tausch, geb. 1792 zu Taussing in Böhmen, gest. 1848 als Professor der Botanik in Prag. Beschrieb die seltenen Pflanzen des gräflich Canalschen Gartens.
Tauschaninseln, türk. Inselgruppe im Ägeischen Meer, südlich von der Dardanelleneinfahrt gelegen.
Tauschhandel, s. Barattieren.
Tauschierarbeit, eine Art eingelegter Metallarbeit, welche frühzeitig in Damaskus geübt wurde und daher auch Damaszierung (s. d. und Damaszener Stahl) genannt wird. Der Ausdruck stammt von dem italienischen Tausia her, welches wohl verwandt ist mit Tarsia; beides bedeutet eingelegte Arbeit, aber ersteres solche in Metall, letzteres solche in Holz; die französische technologische Litteratur pflegt für diese Technik noch die Ausdrücke Incrustation oder Damasquinure zu gebrauchen. Die T. wird mit Blattgold oder Blattsilber meist auf Eisen oder Bronze ausgeführt, doch kommen auch Verzierungen aus einem Edelmetall auf dem andern vor; die Befestigung der Ornamente auf dem zu diesem Zweck rauh gemachten Grund geschieht nur durch Druck oder Schlag, nicht durch Bindemittel oder Feuer. In der Regel ist die Zeichnung in die Oberfläche des Grundmetalls eingraviert, mitunter derart, daß die Vertiefungen unten ein wenig breiter sind als oben und daher die überstehenden Ränder das eingebettete Edelmetall festhalten; doch lassen sich auch die aus Gold- oder Silberfäden gebildeten oder aus feinem Blech ausgeschnittenen Ornamente frei auf den aufgerauhten Grund auflegen; ferner kann man den Grund nachträglich durch Ätzung vertiefen, so daß die Zeichnung erhaben bleibt. In Indien, China, Japan ist die T. von alters her bekannt; Theophilus handelt davon im dritten Buch seiner "Schedula" (Kap. 90: "De ferro"); später in Vergessenheit geraten, fiel Benv. Cellini diese Technik an türkischen Dolchen auf, und er ahmte sie nach (vgl. seine Selbstbiographie, Buch 1, Kap. 6). Im 16. Jahrh. war die T. besonders für Prachtrüstungen beliebt (Mailand, München, Augsburg etc.), kam jedoch auch bei Gefäßen und Geräten zur Anwendung; durch die Waffenfabrikation erhielt sie sich in Spanien (Eibar im Baskenland) und ist gegenwärtig als Zweig der Goldschmiedekunst wieder allgemein in Übung. Uneigentlich wird auch die jetzt gebräuchliche Verzierung des Eisens und der Bronze auf galvanischem Weg oder vermittelst flüssiger Metallfarben T. genannt.
Tauschlepper (Taustreicher), s. Ackerkulte.
Tauschuarre, s. Ralle.
Tauschwert, s. Wert.
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Tauschwirtschaft - Tautochronische Erscheinungen.
Tauschwirtschaft wird oft die heutige auf Privateigentum und Arbeitsteilung beruhende gesellschaftliche Ordnung genannt, bei welcher die meisten oder alle für Befriedigung der eignen Bedürfnisse erforderlichen Güter auf dem Weg des Tausches (Kaufs) beschafft werden.
Tausend, Einheit der dritten höhern Ordnung im dekadischen Zahlensystem. Beim Handel mit Stab- und Faßholz sowie mit Schieferplatten unterscheidet man das Großtausend, = 1200, von dem ordinären T., = 1000 Stück.
Tausendfuß, s. v. w. Vielfuß.
Tausendfüßer (Myriopoda, Myriopoden), Klasse der Gliederfüßer (Arthropoden), landbewohnende, flügellose Tiere mit zahlreichen Körperringen und Füßen. Der Kopf ist vom Rumpf deutlich abgesetzt, dagegen zerfällt der letztere nicht, wie bei den Insekten, in Brust und Hinterleib, sondern bildet einen gleichförmigen, runden oder platt gedrückten Cylinder. Am Kopf, welcher dem der Insekten sehr ähnlich ist, befinden sich die zwei Fühler, die Augen und zwei Kieferpaare. Am Rumpf trägt jeder Ring ein Paar sechs- bis siebengliederiger Beine, nur bei der Abteilung der Chilognathen (s. unten) ein jeder, mit Ausnahme der drei ersten, zwei Paare. Im innern Bau stimmen die T. in den meisten Punkten mit den Insekten überein. Das Nervensystem besteht aus dem Gehirn und der sehr langen Bauchganglienkette; die Augen sind nur selten echte zusammengesetzte (facettierte), gewöhnlich Gruppen von Einzelaugen, fehlen aber auch wohl gänzlich. Der Darm durchzieht fast immer in gerader Linie den Leib vom Mund zu dem am hintern Körperende gelegenen After und zerfällt in die Speiseröhre mit den in sie mündenden Speicheldrüsen, den Magendarm mit kurzen Leberschlauchen und den Enddarm, in welchen auch die zwei oder vier Harnkanäle (sogen. Malpighische Gesäße) ihren harnartigen Inhalt entleeren. Das Herz erstreckt sich als pulsierendes Rückengefäß durch den ganzen Rumpf. Zur Atmung dienen die Tracheen (s.d.), deren Luftlöcher (Stigmen) an fast allen Ringen vorhanden sind. Die Geschlechtsorgane (Hode, resp. Eierstock) sind meist lange, unpaare Schläuche und münden entweder mit einfacher Öffnung am hintern Körperende oder mit doppelter (rechter und linker) Öffnung an dem zweiten Beinpaar aus. Die Eier werden abgelegt; die aus ihnen hervorkommenden Jungen haben erst wenige (bei den Chilognathen sogar nur drei) Beinpaare und Ringe, erhalten dieselben aber durch eine Reihe von Häutungen nach und nach, indem hinten stets neue Ringe sich abschnüren. Die T. leben unter Steinen oder Baumrinde, an feuchten, dunkeln Orten und in der Erde; die Chilopoden ernähren sich räuberisch von Insekten und andern kleinen Tieren, die Chilognathen von vegetabilischer Kost, besonders von modernden Pflanzenteilen und Aas. Man kennt 500-600 Arten, welche meist den Tropen angehören. Fossile Reste findet man im Jura, viel zahlreicher aber im Bernstein. Man teilt die T. in zwei Gruppen: 1) die Schnurasseln oder Chilognathen (Chilognatha); je zwei Beinpaare an den mittlern und hintern Leibesringen; hierher unter andern die Gattung Julus (Vielfuß, s. d.); 2) die Lippenfüßer oder Chilopoden (Chilopoda); an jedem Ring nur ein Beinpaar; die beiden ersten Paare als Kieferfüße dicht an den Mund gerückt (daher der Name Lippenfüßer); hierher unter andern die Gattung Scolopendra (Skolopender, s. d.). Vgl. Latzel, Die Myriopoden der österreichisch-ungarischen Monarchie (Wien 1880-84, 2 Bde.).
Tausendgraufläschchen, f. Spezifisches Gewicht.
Tausendgüldenkraut, f. Erythraea.
Tausendjähriges Reich, s. Chiliasmus.
Tausendschön, s. Amarantus und Bellis.
Tausendundeine Nacht, berühmte alte Sammlung morgenländ. Märchen und Erzählungen, über deren Ursprung viel gestritten worden ist. Man hat sie für indischen, persischen, arabischen Ursprungs gehalten; jedenfalls haben alle diese Länder ihre Beiträge dazu geliefert. Die jetzige Gestalt des Ganzen bietet ein anschauliches Bild arabischen Lebens dar. Das Werk scheint in seinen Grundzügen im 9. Jahrh. n. Chr. entstanden zu sein, und es mag ihm die ältere persische Sammlung "Hêsar efschâne" ("Die 1000 Märchen") des Rasti zu Grunde liegen. Das Ganze in seiner jetzigen Gestalt stammt aus Ägypten und zwar aus dem 15. Jahrh. und wurde im Abendland erst durch Gallands "Les mille et une nuits" (Par. 1704-1708, 12 Bde.; in den verschiedenen Auflagen vermehrt von Caussin de Perceval u. a.) bekannt. Die vollständigste deutsche Übersetzung der Gallandschen Bearbeitung ist die von Habicht, v. d. Hagen und Schall (5. Aufl., Bresl. 1840, 15 Bde.). Neue, selbständig nach dem Original gearbeitete Übersetzungen ins Deutsche lieferten Weil (neueste Ausg., Stuttg. 1889, 4 Bde.) und König (neue Ausg., Brandenburg 1876, 4 Bde.), ins Englische Lane (neueste Ausg., Lond. 1877, 3 Bde.). Eine Ausgabe des Originals besorgten Habicht und Fleischer (Bresl. 1825-1843, 11 Bde.) sowie Macnaghten (Kalk. 1839-42, 4 Bde.). Unter den mannigfachen Nachbildungen der Sammlung sind Petit de la Croix und Lesages "Mille et un jours" (Par. 1710, 5 Bde.; deutsch von v. d. Hagen, Prenzl. 1836, 11 Bde.), ferner "Les mille et une heures" (Amsterd. 1733, 2 Bde.) und "Les mille et un quart d'heure" (Haag 1715-17, 3 Bde.) zu nennen.
Tausig, Karl, Klavierspieler, geb. 4. Nov. 1841 bei Warschau, war bis zum 14. Jahr Schüler seinem Vaters, genoß später in Wien noch den Unterricht Boklets, Thalbergs und Liszts, machte Kunstreisen, lebte dann in Dresden, 1861-62 in Wien und von 1866 an als königlicher Hofpianist in Berlin, wo er bis 1870 eine Akademie für Klavierspiel leitete. Er starb bereits 17. Juli 1871 in Leipzig. Als genialer Virtuose von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen, ließ sich T. so wenig wie sein Vorbild Liszt dazu verleiten, seine Kraft jemals anders als im Dienste der reinsten Kunst zu verwenden. Gleich groß als Interpret der klassischen wie der modernen Klaviermusik, konnte er auch als Lehrer nach allen Seiten anregend wirken und einen für die Kürze seiner Kunstlerlaufbahn außerordentlichen Einfluß ausüben. Von seinen Kompositionen sind nur wenige veröffentlicht. Weite Verbreitung fanden seine Klavierbearbeitungen Wagnerscher Opern (z. B. der Klavierauszug der "Meistersinger") und die von ihm veranstaltete Ausgabe des Clementischen "Gradus ad parnassum". Vgl. Weitzmann, Der letzte der Virtuosen (Berl. 1868).
Tautazismus (griech.), Häufung von gleichen Anfangslauten in nacheinander stehenden Silben oder Wörtern.
Tautochrone (Isochrone, griech.), Linie gleicher Fallzeit, s. Cykloide und Fall, S. 16.
Tautochronische erfcheinuugen, in der Astronomie Erscheinungen, welche für alle Beobachter in demselben absoluten Moment stattfinden, wie die Mondfinsternisse, die Verfinsterungen der Jupitermonde; auch solche, welche, wie die Schwingungen eines Pendels, in genau gleichen Zeiträumen stattfinden.
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Tautogramm - Taxation.
Tautogramm (griech.), Gedicht mit demselben Anfangsbuchstaben in allen Zeilen.
Tautologie (griech.), Bezeichnung eines Begriffs durch zwei oder mehrere gleichbedeutende Ausdrücke (z. B. einzig und allein, bereits schon). Insofern die T. ganz dasselbe noch einmal, wenn auch mit andern Worten, fagt, unterscheidet sie sich vom Pleonasmus (s. d.), der nur mehr, als zur Deutlichkeit unbedingt erforderlich ist, ausdrückt.
Tauwerk der Schiffe wird vom Reepschläger aus Hanf oder Manilahanf hergestellt. Man spinnt den Hanf zunächst in Garne von ca. 340 m Länge, die geteert und in der Anzahl von 2-18 zu Leinen oder zu 18-50 zu einem Kardeel zusammengedreht werden. 3-5 Kardeele geben eine Trosse, ausmehreren Trossen bildet man ein Kabel. Trossen und Kabel benennt man nach ihrem Umfang in Zentimetern (3-50 cm) und nach ihrer Anfertigung: drei-, vier- oder fünfschäftig; rechts oder links geschlagen (gedreht). Laufendes Gut ist dreischäftig rechts geschlagen, stehendes vierschäftig links geschlagen, während die Kardeele, aus denen letzteres besteht, ebenfalls rechts geschlagen sind. Bei Drahttauwerk treten Eisendrähte an Stelle der Garne (f. Drahtseile).
Tavannes (spr. -wánn), Gaspard de Saulx de, franz. Marschall, geb. 1509 zu Dijon, kam als Page an den französischen Hof, widmete sich dann der militärischen Laufbahn, zeichnete sich in den Kriegen unter Franz I. und Heinrich II. aus, bewies sich in der Zeit der Hugenottenkriege als eins der fanatischten Häupter der katholischen Partei, ward 1569 nach den Siegen von Jarnac und Moncontour Marschall und entflammte in der Bartholomäusnacht 1572 persönlich den Pariser Pöbel zur Ermordung der Protestanten; starb 1573 auf dem Schlosse Suilly bei Autun. Seine Briefe an Karl IX. wurden 1857 veröffentlicht, "Lettres diverses" von Barthélemy 1858. Seine Biographie verfaßte sein Sohn Jean (Lyon 1657). - Sein Sohn Guillaume de Saulx de T., geb. 1553, gest. 1633, hinterließ "Mémoires historiques", von 1560 bis 1596 reichend (Par. 1625).
Tavernikus (Tavernicorum regalium magister), Schatzmeister, ehemals Titel des ungarischen Reichswürdenträgers, der den königlichen Schatz zu verwalten hatte, und unter welchem die königlichen Städte standen. Später wurde die Verwaltung des Schatzes einem eignen Beamten übergeben, und der T. fungierte als oberster Aufseher eines Teils der königlichen Städte, der sogen. Tavernikalstädte, als Mitglied des königlichen Rats und des obersten Gerichtshofs (Tavernikalgericht). Noch später war der T. Mitglied der königlich ungarischen Statthalterei und der Septemviraltafel sowie in Verhinderung des Palatins und des Judex curiae Präsident der Magnatentafel. Gegenwärtig besteht die Würde des T.(Tavernikat) nur noch als Titel.
Tavetscher Thal, Alpenthal im schweizer. Kanton Graubünden, oberhalb Disentis, vom Vorderrhein durchflossen, mit (1880) 784 Einw. Hauptort ist Sedrun (1398 m).
Tavira, wohlgebaute Stadt in der portug. Provinz Algarve, an der Südküste, zu beiden Seiten des Rio Sequa, mit maurischem Kastell, 2 Kollegiatkirchen, Hospital, Schwefelbad (26° C.), Hafen, Sardellen- und Thunfischfang und (1878) 11,459 Einw.
Tavistock, Stadt in Devonshire (England), nördlich von Plymouth, am Tavy, der hier zwischen engen Ufern rasch dahineilt, hat eine Abteiruine, 2 Lateinschulen, Kupfer- und Bleigruben und (1881) 6914 Einw. Es ist Geburtsort von Franz Drake.
Taviuni (Vuna), eine der Fidschiinseln, südöstlich von Vanua Levu und durch die Somo Somo-Passage von demselben getrennt, 553 qkm. Der Mittelpunkt dieser schönsten und fruchtbarsten aller Inseln der Gruppe hebt sich 800 m über den Meeresfpiegel und hat auf seiner Spitze einen See, vermutlich die Ausfüllung eines erloschenen Kraters.
Tavolara (bei den Römern Bucina), unbewohnte Insel an der Nordostküste der Insel Sardinien, zur italienischen Provinz Sassari gehörig, hat einen Umfang von 22 km, beherbergt wilde Ziegen und lieferte ehemals Purpurschnecken.
Tawastehus, Gouvernement im Großfürstentum Finnland, von den Gouvernements Nyland, Abo, Wasaund St. Michel begrenzt, 21,584 qkm (392 QM.) groß mit (1886) 240,896 Einw., ist im allgemeinen gebirgig, hat eine große Menge Seen und Flüsse und ist relch bewaldet. Der Boden ist im ganzen fruchtbar, und der Ackerbau wird mit Erfolg betrieben. - Die Stadt T. (finn. Hämeenlinna), am See Wanajäjärvi gelegen, durch Zweigbahn mit der Linie St. Petersburg-Helsingfors verbunden, hat 4098 Einw. und ist Sitz des Gouverneurs. Dabei Schloß Kronoborg oder Tawasteborg, von Birger Jarl 1249 erbaut, jetzt Kaserne und Besserungsanstalt.
Tawastland, Landschaft im Innern von Finnland, etwa dem Gouvernement Tawastehus entsprechend.
Taxation (lat.), Schätzung oder Wertbestimmung einer zum Verkauf, zum Austausch oder zur Übergabe bestimmten Sache, geschieht auf Anordnung einer Staatsbehörde oder auf Veranlassung von Privatpersonen durch Taxatoren, Sachverständige, welche von den Parteien in gleicher Anzahl vorgeschlagen oder gemeinschaftlich gewählt oder von der Behörde ernannt werden. Wo eine Grundsteuer erhoben wird, stellt der Staat Taxatoren an, welche die Abschätzungen der Bodengüte (Bonitierung, s. d.) unter der Anleitung von Ökonomiekommissaren vornehmen. Gleiches geschieht unter Mitwirkung der Behörden, wenn Grundstücke auf dem Weg der Expropriation verkauft werden sollen; bei Truppenbewegungen (z. B. Manövern), durch welche Saaten vernichtet werden, beiden Vorkehrungen gegen gefährliche Feinde der Pflanzen, bei Ausbruch der Rinderpest, Hagelschaden, Viehsterben etc. Die auf Feldern etc. stehende Kreszenz oder der für diese gemachte gesamte Bestellungsaufwand wird Gegenstand einer T., um festzustellen, wieviel ein anziehender Pachter oder Käufer eines Guts dem Vorgänger an Entschädigung zu zahlen hat, soweit nicht eine Verpflichtung für ihn vorlag. Schwieriger ist die T. bei Ablösungen von Gerechtsamen, um zu ermitteln, welchen Wert die Gerechtsame für den Berechtigten hatten. Je nachdem die Zeitströmung dem Berechtigten oder dem Belasteten günstig war, hat man den ermittelten Gesamtjahreswert solcher Gerechtsame (abzüglich der Kosten) mit 14, 15, 16, 17, 18 multipliziert, um die Ablösungssumme festzustellen. Die T. bei Gewannwegsregulierungen, Separationen und Meliorationsarbeiten fordert zunächst eine Feststellung des Wertes aller Grundstücke, welche verändert oder dem Besitzer genommen werden sollen; sodann wird der gesamte Kostenaufwand entsprechend auf die Beteiligten ausgeschlagen und schließlich jedem wieder ein dem Wert seines frühern Besitztums analoger Wert überwiesen. Die T. am Schluß eines Geschäftsjahrs und zu Beginn eines Betriebs (Inventur) besteht in der Ermittelung des gesamten Vermögens, soweit solches zum Geschäft verwendet wird. Wieder eine andre Art der T. wird seitens derer, die
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Taxationsrevision - Taxodium.
Geld auf Hypothek darleihen wollen, vorgenommen: die Kredit- oder Grundwerttaxe. Da, wo eine gute Buchführung mit regelmäßiger Inventur sich findet, bedarf es einer solchen besondern Taxe nicht. In den meisten Fällen begnügt man sich aber mit einer durch ortskundige Personen gerichtlich abgegebenen Taxe der Grundstücke und der Gebäude, und das gesamte Inventarium, der bewegliche Vermögensteil, bleibt ausgeschlossen. Vielfach fertigt man jedoch auch, um die Höhe des zu gewährenden Kredits zu bemessen, einen besondern Anschlag über das zu erwartende wirtschaftliche Ergebnis und zwar in etwa derselben Weise an, wie es bei Kauf und Verpachtung üblich ist, den sogen. Ertragsanschlag (s. d.). Vgl. Birnbaum, Landwirtschaftliche Taxationslehre (Berl. 1877); Pabst, Landwirtschaftliche Taxationslehre (3 Aufl., Wien 1881); v. d. Goltz, Landwirtschaftliche Taxationslehre (Berl. 1880-82, 2 Bde.). Vorzügliche Details finden sich in Block, Beiträge zur Landgüterschätzungskunde (Bresl. 1840), und in dessen "Mitteilungen landwirtschaftlicher Erfahrungen etc." (das. 1836-39) sowie in den entsprechenden Werken von v. Flotow, Kleemann, v. Honstedt, Meyer, Kreyßig etc., in Krämer, Landwirtschaftliche Berechnungen (Stuttg. 1858), und Graf zur Lippe, Der landwirtschaftliche Ertragsanschlag (Leipz. 1862).
Taxationsrevision, die periodische Berichtigung, bez. Fortsetzung der Forsteinrichtung (s. d.) mit Rücksicht auf die im Wald- und Wirtschastszustand eingetretenen Veränderungen. Dergleichen Revisionen sollen etwa alle zehn Jahre vorgenommen werden. Taxe (franz., v. lat. taxare), Würdigung, Wertschätzung einer Sache, insbesondere durch vereidete Schätzer (Taxatoren), welche sich vielfach an bestimmte Taxgrundsätze zu halten haben; dann der öffentlich festgesetzte Preis für Waren oder Leistungen, daher auch eine besonders in Süddeutschland übliche Bezeichnung für Gebühren und verschiedene Verkehrssteuern (z. B.Taxen für Anstellung und Beförderung, Stempeltaxe etc.). Früher wurden auch für notwendige Lebensmittel von der Behörde Taxen (Polizeitaxen) festgesetzt, man hatte Fleischtaxen (s. d.), Brottaxen (s. d.), Biertaxen (s. d.) etc., dann auch Lohntaxen (s. d.) und Zinstaxen (vgl. Wucher). Doch sind viele derselben und zwar in Deutschland durch die Gewerbeordnung als eine Konsequenz der Gewerbefreiheit aufgehoben worden. Man ging hierbei von der Überzeugung aus, daß es der Polizei nicht möglich fei, einen angemessenen Preis zu bestimmen, wie er sich als Ergebnis der freien Konkurrenz bilde. Insbesondere vermag sie nicht den mannigfaltigen, rasch wechselnden Produktionsbedingungen und den veränderlichen Konjunkturen Rechnung zu tragen. Ist die T. zu hoch angesetzt, so hat sie keine praktische Bedeutung; ist sie zu niedrig bemessen, so wird sie nicht allein für den Verkäufer, sondern auch für den Käufer schädlich wirken, indem sie das Angebot herabdrückt und eine volle Deckung auch derjenigen Bedarfe verhindert, für welche gern höhere Preise gezahlt werden. Ein Fehler der Polizeitaxe ist noch der, daß sie in vielen Fällen den außerordentlich verschiedenen Qualitäten der einzelnen Waren sich nicht anzubequemen vermag und auch nicht verhüten kann, daß sich der Verkäufer durch Verschlechterung der Ware schadlos halte. Allerdings können Taxen eine Wohlthat sein, wo die freie Konkurrenz eine beschränkte und eine Ausbeutung durch monopolistische Preise nicht ausgeschlossen ist. Sie waren deshalb früher Zwangs- und Bannrechten gegenüber ein unerläßliches Mittel zum Schutz des Publikums und sind auch heute noch bei vielen Privilegien und natürlichen Monopolen (Eisenbahnen) nicht zu entbehren. Die deutsche Gewerbeordnung läßt darum Taxen zu für Personen, welche an öffentlichen Orten ihre Dienste oder Transportmittel anbieten, für Schornsteinfeger, wenn ihnen Bezirke ausschließlich zugewiesen sind, für Gewerbtreibende, welche nur in beschränkter Zahl angestellt sind, insbesondere auch für Apotheker. Die betreffenden Gewerbtreibenden können jedoch diese Taxen ermäßigen. Die Bezahlung der approbierten Ärzte bleibt der freien Vereinbarung überlassen, doch sind Taxen aufgestellt, welche in streitigen Fällen im Mangel einer Vereinbarung zur Anwendung kommen sollen. Die Gebührentaxe für Rechtsanwalte wird durch die Gewerbeordnung nicht berührt. Über die Preiskurante der Gastwirte s. Gastwirt.
Taxes assimilées (franz.), in Frankreich die den direkten Steuern zugesellten Abgaben, wie die Steuer von der Toten Hand, die Bergbauabgabe etc.
Taxidermie (griech.), die Kunst des Ausstopfens und der Zubereitung von Tieren für Sammlungen, besteht im wesentlichen in dem Abbalgen oder in der Entfernung aller fäulnisfähigen Weichteile aus dem Hautsack, Anfüllen desselben mit trocknem Sand oder Ausstopfen des Balgs mit entsprechend geformten Körpern aus Werg und Trocknen des so weit hergerichteten Tiers in einer möglichst natürlichen Stellung. Bei größern Tieren zieht man, um die nötige Festigkeit zu erzielen, Drähte oder Eisenstäbe durch das Werg, bildet auch wohl den Körper oder nur einzelne Teile desselben aus festem Stoff nach und überzieht ihn dann mit der Haut. Der Erfolg ist wesentlich von der genauen Beachtung der anatomischen Verhältnisse abhängig, und eine verbesserte Methode, die Dermoplastik, geht hierin am weitesten, indem sie die Gestalt des Tiers vor dem Überziehen der Haut durch plastischen Thon naturgetreu nachbildet. Um der Beschädigung der ausgestopften Tiere durch Insekten vorzubeugen, benutzt man Arsenikseife, auch Kampfer mit Seife und Koloquintentinktur und ähnliche Mittel. Vgl. Naumann, Taxidermie (2. Aufl., Halle 1848); Martin, Praxis der Naturgeschichte (2. Aufl., Weim. 1876-82, 3 Tle.); Eger, Der Naturaliensammler (5. Aufl., Wien 1882); Förster, Anleitung zum Ausstopfen (Osnabr. 1887).
Taxineen (Eibengewächse), Pflanzenfamilie in der Ordnung der Koniferen (s. d.).
Taxionomie (griech.), Ordnungslehre, Systematik.
Taxis (griech.), die Reposition von Eingeweidebrüchen (s. Bruch, S. 485).
Taxis, s. Thurn und Taxis.
Taxites Brongn., vorweltliche Pflanzengattung unter den Koniferen (s. d., S. 1013).
Taxodium Rchd., (Taxodie, Sumpfcypresse, Sumpfzeder, Eibencypresse), Gattung der Kupressineen, hohe Bäume mit eirund länglicher Krone und deutlich hervortretendem Stamm, zerstreut stehenden Ästen, kurzen, auf zwei Seiten mit hautartigen, linsenförmigen, hellgrünen Blättern besetzten Zweigen, welche scheinbar ein gefiedertes Blatt darstellen und meist im Herbst abfallen, monözischen Blüten und rundlichen, nicht großen Fruchtzapfen am Ende verkürzter Äste. T. distichum L. (kalifornische Zeder) ist ein 30-40 m hoher Baum mit wagerecht stehenden Hauptästen, im Winter abfallenden Zweigen und linienförmigen, oben abgerundeten, aber mit einer Spitze endigenden Blättern, deren Mittelnerv auf der Oberfläche eingesenkt ist. Die Wurzeln breiten sich zum Teil auf der Oberfläche des Bodens aus und bilden häufig über demselben bis
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Taxus - Taylor.
1,5 m hohe kegelförmige Knollen. Der Baum findet sich von Delaware und Virginia bis Florida und Mexiko, auch in Kalifornien, besonders aufsumpfigem Boden und an Flußufern und wird bei uns als einer der schönsten Bäume kultiviert. Er erreicht ein sehr hohes Alter; De Candolle schätzt das Alter der Cypresse des Montezuma auf nahe an 6000 Jahre. Man pflanzt den Baum zur Befestigung der Ufer an Kanälen und benutzt das Holz als weißes Zedernholz. Der Baum findet sich bereits in Tertiärschichten.
Taxus L. (Eibenbaum), Gattung aus der Familie der Taxineen, immergrüne Bäume oder Sträucher der gemäßigten Klimate der nördlichen Halbkugel mit weißem Splint und rotbraunem harten Kernholz, zerstreut stehenden, durch die herablaufenden Blattbasen kantigen Zweigen, lederigen, spiralig dicht gestellten und fast zweiseitswendigen, linealischen bis ovaloblongen, flachen, oft sichelförmig gekrümmten, kurz stachelspitzigen Blättern, diözischen Blüten, auf der Spitze eines Kurztriebes in den Blattachseln stehenden, fast kugeligen männlichen Blütenkätzchen und einzeln an der Spitze eines Kurztriebes stehenden weiblichen Blüten, deren kurze, napfförmige Hülle sich zu einem fleischigen, hochroten, den Samen bis fast zur Spitze umhüllenden, aber offenen Fruchtbecher entwickelt. Man kennt sechs Arten, unter denen eine europäische. T. baccata L. (gemeiner Taxbaum, Roteibe), ein bis 12-15 m hoher, meist aber niedrigerer Baum oder (in Kultur) Strauch mit 2,5 cm langen, am Rand kaum umgeschlagenen, oberseits dunkelgrünen, unterseits hellgrünen (nicht blauweiß gestreiften, wie bei der Tanne) Blättern, hell scharlachroten Scheinfrüchten u. blauvioletten Früchten, wächst in Wäldern Mittel- und Südeuropas von den britischen Inseln, dem mittlern Norwegen, Schweden und Rußland südwärts bis Spanien, Sizilien, Griechenland und zum Kaukasus, in Deutschland jetzt nur noch sehr zerstreut, besonders auf Kalkboden in der Eichen- und Buchenregion. Die Eibe findet sich ferner auf den Azoren, in Algerien, in Vorderasien, am Himalaja, am Amur; sie soll ein Alter von 2000 Jahren erreichen. Man benutzt sie zu Lauben, Hecken, und namentlich zu Ludwigs XIV. Zeiten spielte sie eine große Rolle in den Gärten. Das Holz ist ungemein fest und fein (deutsches Ebenholz, Eibenholz) und dient zu Schnitzereien, Haus- und Tischgeräten, ehemals auch zu Armbrüsten. Die Früchte sind genießbar, von fadem Geschmack, die Blätter aber giftig, Als Emmenagogum und Abortivum werden sie noch jetzt vom Volk benutzt. Bei den Alten war der T. ein Baum des Todes; die Furien trugen Fackeln von Eibenholz, und die Priester bekränzten sich im innern Heiligtum von Eleusis mit Myrten- und Taxuszweigen. Mehrere Varietäten, besonders T. hibernica Mack., mit aufrecht stehenden Zweigen, aus Irland und andre Arten aus Nordamerika und aus dem östlichen Asien werden bei uns als Ziersträucher kultiviert.
Tay (spr. teh), Fluß in Perthshire (Schottland), entspringt als Dochart im Gebirge nördlich vom Loch Lomond, fließt nordöstlich durch den Loch T., tritt bei Dunkeld in das fruchtbare Strathmore ein und mündet durch den Firth of T. in die Nordsee. Der T. ist besonders in seinem obern Lauf sehr reißend und bildet bei Mones einem schönen Wasserfall. Seeschiffe können auf ihm mit der Flut bis nach Perth fahren. Seine bedeutendsten Nebenflüsse sind: der Tummel mit Garry, die Isla und der Earn. Die großartige Eisenbahnbrücke über den T., oberhalb Dundee, die 1877 gebaut wurde und 3,2 km lang war, stürzte Weihnachten 1879 mit einem über sie hineilenden Zug in die Fluten. Seit 1883 ist indes vom Ingenieur W. H. Barlow eine neue Brücke erbaut worden, die auf eisernen, mit Zement gefüllten Cylindern ruht, 3214 m lang und 18,3 m breit ist, 85 Öffnungen hat (11 zu je 75,3 m) und in der Mitte sich 23,5 m über den mittlern Wasserstand erhebt.
Taÿgetos (auch Taygeton, jetzt Pentedaktylon, "Fünffingerberg"), Gebirge im Peloponnes, zieht sich als Grenze zwischen Lakonien und Messenien von der Grenze Arkadiens bis zum Vorgebirge Tänaron hinab, eine ununterbrochene Kette bildend, durch welche nur ein einziger, sehr beschwerlicher Paß, die sogen. Langada (von Sparta nach Kalamata), hindurchführt. Die höchsten, mit Schnee bedeckten Spitzen hießen Taleton (2409 m hoch) und Euoras.
Taylor (spr. tehler), 1) Zachary, zwölfter Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, geb. 24. Nov. 1784 in Orange County im Staat Virginia, verlebte seine Jugend in Kentucky, wohin seine Eltern als Farmer übersiedelten, ward 1808 Leutnant in einem Infanterieregiment, 1812, nachdem er mit 50 Mann im Fort Harrison am Wabashfluß 5. Sept. 1812 die Angriffe zahlreicher Indianerscharen mit Erfolg zurückgeschlagen, Major und 1832 Oberst des 6. Infanterieregiments, an dessen Spitze er im Blackhawkkrieg unter Scott focht. Auch an dem Feldzug gegen die Indianer in Florida 1836 nahm er als General mit Auszeichnung teil, und im Dezember 1837 erfocht er an der Spitze einer Brigade über die Indianer einen blutigen Sieg am See Okitschobi. Nachdem er das Oberkommando in Florida noch bis 1840 geführt, erhielt er das Kommando im ersten, die Staaten Louisiana, Mississippi und Alabama umfassenden Militärdepartement, 1845 aber den Oberbefehl über die nach Texas bestimmte Okkupationsarmee. Er überschritt 1846 im Kriege gegen Mexiko den Rio Grande, nahm nach einer Reihe kleiner Gefechte Monterey (24. Sept.), erfocht 22. und 23. Febr. 1847 mit seinen 6000 Mann über Santa Annas 21,000 Mann einen entscheidenden Sieg und schlug im April noch ein andres Korps Mexikaner bei Tula. Diese Erfolge hatten ihm solche Popularität erworben, daß er von der Whigkonvention in Philadelphia als Kandidat für die Präsidentschaft aufgestellt, 7. Nov. 1848 mit bedeutender Majorität gewählt ward und 4. März 1849 sein Amt antrat. Aber 40jährige Kriegsstrapazen hatten seine Gesundheit untergraben, und er starb nach kurzer unparteiischer Verwaltung schon 9. Juli 1850 in Washington
2) Henry, engl. Dichter und Schriftsteller, geb. 1810 in der Grafschaft Durham, trat im Kolonialamt in den Staatsdienst, verheiratete sich mit der Tochter Lord Monteagles, wurde 1873 zum Ritter erhoben und starb 27. März 1886 in Bornemouth. Als Dramatiker begann er mit "Isaac Comnenus" (1827); dann folgte die zweiteilige historische Tragödie "Philip van Artevelde" (1829), sein Hauptwerk, von ihm selbst als "historischer Roman in dramatischer und rhythmischer Form" bezeichnet, durch kräftige Charakteristik ansprechend und reich an wirkungsvollen Szenen. Von seinen übrigen, wiederholt aufgelegten Stücken nennen wir: "Edwin the Fair" (1842), "The virgin widow" (1850) und "St. Clement's eve" (1862). Außerdem schrieb er: "The statesman", eine Abhandlung voll scharfer und feiner Beobachtungen (1836); "The eve of the conquest, and other poems" (1847); "Notes from life" (1847); "Notes from books" (1849); "A Sicilian summer, and minor poems" (1868) u. a. Seine gesammelten
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Taylors Lehrsatz - Teano.
"Works" erschienen 1877-78, 5 Bde.; seine "Autobiography" 1885, 2 Bde. Seine "Correspondence" gab Dowden heraus (1888).
3) Tom, engl. Dramatiker und Humorist, geb. 1817 bei Sunderland als Sohn einer Deutschen, studierte in Glasgow und Cambridge, wurde Rechtsanwalt, dann Professor der englischen Litteratur am University College in London, trat 1850 in den Staatsdienst, ward 1854 Hauptsekretär des Gesundheitsamtes und bei Auflösung dieser Behörde nach 21jähriger Dienstzeit in Ruhestand versetzt. Inzwischen hatte er als Kunstkritiker der "Times" bedeutenden Einfluß erworben, als Mitarbeiter des "Punch" viel Heiteres geschrieben und besonders als dramatischer Schriftsteller sich hervorgethan. Mehr als 100 Stücke sind aus seiner Feder hervorgegangen, freilich viele nach fremden Mustern. "The fool's revenge", "An unequal match". "The ticket-of-leave man", "Clancarty" haben sich auf der Bühne erhalten, ebenso die historischen Dramen: "Twixt axe and crown", "Joan of Arc" und "Anne Boleyn". Während der letzten acht Jahre seines Lebens war er Herausgeber des "Punch". Er starb 12. Juli 1880 in London. Auch als Herausgeber der Biographien englischer Künstler, wie Haydons (1853), Leslies (1859), Reynolds (1865), sowie eines "Catalogue of the works of Sir J. Reynolds" (1869) hat sich T. verdient gemacht.
4) Bayard, nordamerikan. Tourist, Schriftsteller, und Dichter, geb. 11. Jan. 1825 zu Kennett Square in Pennsylvanien, wurde mit 17 Jahren Buchdruckerlehrling in Westchester, widmete sich nebenbei der Litteratur und den schönen Wissenschaften und machte mit seinen Ersparnissen 1844-46 eine Fußtour durch Europa, worüber er in "Views afoot" (1846) berichtete. Darauf lebte er zu New York als Mitredakteur an der "New York Tribune" und machte 1848, nachdem er seine "Rhymes of travel" veröffentlicht, im Auftrag des genannten Blattes eine Reise nach Kalifornien, die er in "El Dorado" (1849) beschrieb. Seine "Poems and ballads" erschienen 1851, ebenso sein "Book of romances, lyrics and songs". In demselben Jahr unternahm er eine Reise nach dem Orient und ins Innere von Afrika. Im Oktober 1852 begab er sich von England über Spanien nach Bombay und von da nach China, wo er der amerikanischen Gesandtschaft beigegeben wurde. Darauf begleitete er Kommodore Perrys Flottengeschwader nach Japan und kehrte Ende 1853 nach New York zurück. Seine Reiseberichte veröffentlichte er in der "Tribune", später in Buchform: "A journey to Central Africa" (1854), "The lands of the Saracen" (1855) und "A visit in India, Japan and China" (1856). Von 1856 bis 1858 von neuem auf Reisen, besuchte er namentlich Lappland und Norwegen, dann Griechenland und Kreta, Polen und Rußland. Früchte dieser Reisen waren die Schriften: "Northern travel" (1857) und "Travels in Greece and Russia" (1859). Nachdem sich T. 1857 mit der Tochter des Astronomen Hansen in Gotha vermählt (die in der Folge viele seiner Schriften ins Deutsche übertrug), baute er sich in Cedarcroft bei Philadelphia ein Landhaus, wo er zunächst seinen Wohnsitz aufschlug, verweilte dann 1862-63 als Gesandtschaftssekretär in Petersburg, machte 1865 einen Sommerausflug durch die Felsengebirge, war 1866-68 und wiederum 1872-1874 von neuem in Europa, vorzugsweise in Thüringen, Italien und in der Schweiz, von wo er auch Abstecher nach Ägypten und nach Island machte, und wurde im Mai 1878 vom Präsidenten Hayes zum Gesandten der Vereinigten Staaten in Berlin ernannt, wo ihn 19. Dez. 1878 ein plötzlicher und früher Tod ereilte. Von Reisebeschreibungen erschienen noch: "Home and abroad" (1859, 2. Serie 1862), "Colorado" (1867), "Byways of Europe" (1869) und "Egypt and Iceland" (1875). Seine poetischen Arbeiten umfassen noch die Sammlungen: "Poems of the Orient" (i854), "Poems of home and travel" (1855), "The poet's journal" (1862), das didaktische Gedicht "The picture of St. John" (1866), die Idylle: "Lars (1873) und "Home pastorals" (1875) sowie mehrere dramatische Dichtungen: "The masque of the gods" (1872), "The prophet" (1874), "Prince Deukalion" (1878) und eine meifterhafte Übertragung von Goethes "Faust" im Versmaß des Originals (1870-71, 2 Bde.). Außerdem schrieb T. Novellen, wie: "Hannah Thurston" (l863), "John Godfrey's fortunes" (1865), "The story of Kennett" (1866), "Joseph and his friend" (1871) u. a., sowie die Werke: "A school history of Germany" (1874), "The Echo Club" (1876), eine harmlose Satire auf englische Dichter der Neuzeit, und die nach seinem Tod erschienenen "Studies in German literature" (1879) und "Critical essays and notes" (1880). Eine Sammlung seiner Reisen erschien in 6 Bänden (New York 1881), seine "Complete poetical works" Boston 1881. Um die Verbreitung der Kenntnis deutscher Litteratur in Amerika hat sich T. große Verdienste erworben. Viele seiner Schriften erschienen auch in deutscher übersetzung, die "Gedichte" von Bleibtreu (Berl. 1879). Vgl. Conwell, Life, travels and literary career of B. T. (Boston 1879); Marie Hansen-Taylor und H. Scudder, Life and letters of Bayard T. (das. 1884, 2 Bde.; deutsch, Gotha 1885).
5) George, Pseudonym, s. Hausrath.
Taylors Lehrsatz, von dem englischen Mathematiker Brook Taylor (1685-1731) zuerst 1717 in seinem Werk "Methodus incrementorum" (Berl. 1862) aufgestellte Formel:
f(x+h) = f(x) + h/1 . f'(x) + h2/1.2 . f''(x) + ... ,
wo f'(x), f''(x), ... der erste, zweite etc. Differentialquotient (s. Differentialrechnung) der Funktion f(x) sind. Setzt man darin x = 0 und x an die Stelle von h, so erhält man die Maclaurinsche Reihe:
f(x) = f(0) + x/1 . f'(0) + x2/1.2 f''(0) + ...
welche zur Entwickelung einer Funktion in eine nach Potenzen von x fortschreitende Reihe dient.
Tayport (spr. téh-), Stadt, s. Ferry-Port on Craig.
Taytao, Halbinsel an der Ostküste Patagoniens, südlich von Chonosarchipel, dicht bewaldet, durch zahlreiche Fjorde eingeschnitten und 1200 m hoch; endet im SW. mit dem steilen Kap Tres Montes.
Tazette, s. Narcissus.
Tazie (arab., "bemitleiden"), eine Art Passionsspiele auf das tragische Schicksal Hassans und Husseins sowie der Aliden insgesamt, welche im schiitischen Persien und Hindostan während des Monats Muharrem mit besonderer Feierlichkeit aufgeführt werden. Einzelne derselben sind auch in Europa durch Übersetzung bekannt geworden. Taziechan, die Sänger und Darsteller dieser Spiele. Vgl. Gobineau, Les religions de l'Asie centrale (2. Aufl., Par. 1866).
Te, in der Chemie Zeichen für Tellur.
Teakbaum (Tikbaum), s. Tectona.
Teano (das antike Teanum), Stadt in der ital. Provinz Caserta, an der Eisenbahn Rom-Neapel, mit Calvi Sitz eines Bistums, hat eine Kathedrale mit antiken Säulen, Überreste von Bauwerken der
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Teb, El - Technische Hochschulen.
alten Stadt (zur Zeit Strabons nach Capua der beeutendste Binnenort Kampaniens), ein Gymnasium, eine technische Schule, eine Mineralquelle, Öl- und Getreidehandel und (1881) 4969 Einw.
Teb, El, Oase in Nubien, südlich von Suakin, auf dem Weg von Trinkitat am Roten Meer nach dem Fort Tokar. Hier 29. Febr. 1884 siegreiches Gefecht des englischen Generals Graham gegen die Mahdisten, worauf Tokar besetzt wurde.
Teba, Eugenie Marie de Guzman, Gräfin von, s. Eugenie 1).
Tebbes, Stadt in der pers. Provinz Irak Adschmi, dicht an der Grenze von Chorasan, liegt in einer von Bergen umrahmten Ebene, inmitten eines schmalen Kulturgürtels, besitzt Mauern und eine Citadelle, die sich aber nicht in verteidigungsfähigem Zustand befinden, hat weder Bazare noch viel Handel und produziert nur etwas Seide. Das Klima ist sehr heiß, trotzdem T. etwa 630 m ü. M. liegt. Die Einwohnerzahl dürfte 40,000 nicht erreichen.
Tebet (hebr.), im jüd. Kalender der 4. Monat des bürgerlichen, der 10. des Festjahrs, vom Neumond des Januars bis zu dem des Februars.
Tebriz (Täbris, Tauris), Hauptstadt der pers. Provinz Aserbeidschân, in einer fruchtbaren Ebene am Adschitschai 1348 m hoch gelegen, ist im allgemeinen schlecht gebaut, hat einige Befestigungen, eine verfallene mittelalterliche Burg mit Zeughaus, eine Villa des Thronfolgers, zahlreiche (angeblich 318) Moscheen (darunter sehenswert die Ruine der berühmten blauen Moschee), 5 armenische Kirchen, reiche Bazare mit fast 4000 Läden, 166 Karawanseraien, Fabrikation von seidenen und baumwollenen Zeugen, Teppichen und Lederwaren, bedeutenden Handel und 160-170,000 (darunter ca. 3000 armenische) Einw. Im 18. Jahrh. sehr heruntergekommen, verdankt die Stadt ihren erneuerten Wohlstand namentlich dem starken Transitverkehr über Eriwan, Tiflis und Poti zwischen Europa und Persien, welcher T. zur ersten Handelsstadt Persiens gemacht hat. - T. wurde 792 von Zobeide, der Gemahlin des Kalifen Harun al Raschid, gegründet. Am 6. Aug. 1605 hier Sieg der Perser über die Türken; 1725 wurde die Stadt von den Türken erobert; bis 1828 war sie die Residenz des Kronprinzen Abbas Mirza, wurde aber im Oktober 1827 von den Russen besetzt, worauf hier 2. Nov. der Friede zwischen Rußland und Persien zu stande kam, in welchem letzteres das Chanat Eriwan an Rußland abtrat. Am 23. Sept. 1854 litt die Stadt durch ein Erdbeben.
Tebu, Volksstamm, s. Tibbu.
Tecax (spr. -aß), Stadt im mexikan. Staat Yucatan, 75 km südöstlich von Merida, mit Ruinen altindianischer Bauten und (1880) 9637 Einw.
Tech (spr. teck), Küstenfluß im franz. Departement Ostpyrenäen, entspringt an der spanischen Grenze in den Pyrenäen, fließt nordöstlich durch ein malerisches Thal (Vallspire) und fällt nördlich von Argelès in das Mittelländische Meer; 82 km lang.
Technik (griech.), Inbegriff der Regeln, nach denen bei Ausübung einer Kunst verfahren wird, z. B. T. der Malerei. Daher Techniker, Kunstverständiger, einer, der mit der innern Einrichtung, dem Zweck und der Wirksamkeit praktischer Anstalten vertraut ist, wie z. B. Werkführer von chemischen und andern Fabriken, Münzmeister etc.; technisch, alles auf Gewerbe oder auf den materiellen Teil der Künste Bezügliche; technische Ausdrücke (termini technici), Kunstausdrücke, die in einzelnen Gebieten der Künste, Gewerbe oder auch der Wissenschaften in eigentümlicher Bedeutung gebräuchlichen Ausdrücke; technische Anstalten, s. v. w. polytechnische Schulen. In der Musik bezeichnet T. das Mechanische, sozusagen Handwerksmäßige der Kunst, das, was gelernt werden kann und gelernt werden muß. Man spricht daher sowohl von einer T. der Komposition als einer T. der Exekution, meint indes, wenn man den Ausdruck schlechtweg gebraucht, zumeist die letztere. Zur Ausbildung in derselben hat man in neuerer Zeit die sogen. technischen Studien aufgebracht, d. h. die Urelemente, aus denen sich musikalische Phrasen, Passagen, Läufe, Verzierungen etc. zusammensetzen, werden in kleinen Bruchstücken, ohne Zusammenhang, rein systematisch geübt.
Technische Artillerie, s. Technische Institute der Artillerie.
Technische Hochschulen, Lehranstalten zur höchsten technischen Ausbildung namentlich der auf diesem Gebiet leitenden Staatsbeamten. Nachdem während der ersten zwei Drittel unsers Jahrhunderts diese Fachschulen in Deutschland sehr verschieden organisiert waren und mancherlei Schwankungen zwischen den beiden Idealtypen der höhern Gewerbeschule und des akademischen Polytechnikums durchzumachen hatten, ist ihre Entwickelung in den letzten beiden Jahrzehnten zu einem gewissen Abschluß gelangt. über den geschichtlichen Hergang finden sich einige Andeutungen unter Polytechnikum (s. d.). Als dessen Schlußpunkt kann man die 1879 erfolgte Vereinigung der Bauakademie und der Gewerbeakademie in Berlin zu einer technischen Hochschule betrachten, der das provisorische Verfassungsstatut vom 17. März 1879 im wesentlichen den Zuschnitt der technischen Hochschulen zu Zürich und zu München gab. Von 1877 bis 1880, zuletzt März 1880 in Berlin, unter Beteiligung staatlicher Kommissare abgehaltene Konferenzen von Abgeordneten sämtlicher deutscher Anstalten (auch von Zürich, Wien, Brünn, Graz) trugen viel dazu bei, die Organisation der technischen Hochschulen einheitlich zu gestalten. Die drei preußischen Hochschulen erhielten unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Vorgänge neue Verfassungsstatute, und zwar Hannover und Aachen gleichzeitig 7. Sept. 1880, Berlin 22. Aug. 1882. Damals bezog die Berliner Anstalt auch ein neues, großartiges Gebäude in Charlottenburg. Jene Statuten stimmen in den Hauptpunkten wörtlich überein; doch ist naturgemäß auf die größere Ausdehnung und eigentümliche Stellung der hauptstädtischen Anstalt Rücksicht genommen. Die wichtigsten Vorschriften des Berliner Statuts sind folgende: § 1. Die technische Hochschule hat den Zweck, für den technischen Beruf im Staats- und Gemeindedienst wie im industriellen Leben die höhere Ausbildung zu gewähren sowie die Wissenschaften und Künste zu pflegen, welche zum technischen Unterrichtsgebiet gehören. Die technische Hochschule ist dem Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten unmittelbar unterstellt. § 2. An der technischen Hochschule bestehen fünf Abteilungen: 1) für Architektur, 2) für Bauingenieurwesen, 3) für Maschineningenieurwesen (einschießlich Schiffbau), 4) für Chemie und Hüttenkunde, 5) für allgemeine Wissenschaften, namentlich Mathematik und Naturwissenschaften. § 3. Mit den Vorträgen in den einzelnen Disziplinen sind je nach Bedürfnis praktische Übungen, Besuch der Sammlungen, Ausflüge etc. verbunden. § 4. Der Unterricht ist nach Jahreskursen geordnet; Ferien vom 1. Aug. bis 1. Okt., ferner zu Weihnachten und zu Ostern je 14
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Technische Institute der Artillerie - Technologie.
Tage. § 5. Die Wahl der Vorträge und Übungen ist bis auf gewisse naturgemäße Beschränkungen frei. Doch werden Studienpläne aufgestellt und empfohlen. § 6. Lehrer sind die Professoren (vom König ernannt), Dozenten, Assistenten und Privatdozenten. Die Habilitation dieser (§ 7) vollzieht sich bei den einzelnen Abteilungen ähnlich wie bei den Fakultäten einer Universität. Überhaupt verhalten sich Hochschule und Abteilungen wie Universität und Fakultäten; jene wird vom Rektor und Senat, diese vom Abteilungskollegium und seinem Vorsteher verwaltet. Der Rektor wird alljährlich von den vereinigten Abteilungskollegien gewählt und bedarf der Bestätigung des Königs; die Vorsteher werden auf ein Jahr gewählt und vom Minister bestätigt. Für Kassen- und Verwaltungssachen steht dem Rektor ein Syndikus zur Seite (§ 8-28). Deutsche werden als Studierende nur mit dem Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums oder eines preußischen Realgymnasiums und einer preußischen Oberrealschule ausgenommen; doch berechtigt der Besuch der technischen Hochschule auf Grund eines Oberrealschulzeugnisses allein nicht zu einer Staatsprüfung für den höhern technischen Dienst. Es muß noch mindestens die Prüfung im Lateinischen an einem Realgymnasium hinzutreten. Über das regelrechte Studium in einer der vier ersten Abteilungen werden auf Grund vorgängiger Prüfungen Diplome ausgestellt (§ 29-33). Doch können auch Hospitanten vom Rektor zugelassen werden (§ 34-36). Dieselben Grundzüge kehren in den Verfassungen sämtlicher deutscher technischer Hochschulen wieder; doch ist die Zahl der Abteilungen an mehreren dieser Anstalten größer, indem z. B. Braunschweig noch eine pharmazeutische Abteilung hat, München, Zürich u. a. eine landwirtschaftliche. In Deutschland gibt es gegenwärtig neun t. H.: Berlin, Hannover, Aachen, München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt und Braunschweig (Carolinum, jetzt Carolo-Wilhelminum). Diese neun Anstalten zählten 1878 zusammen: 535 Dozenten und 6433 Studierende. 1883 war die Zahl der Studierenden um 40 Proz. oder auf 3900 zurückgegangen. Seitdem fand eine langsame Steigerung der Besuchsziffer statt, so in den preußischen Anstalten von 1386 (1883) auf 1727 (1888), nämlich Berlin 1098 (gegen 897), Hannover 418 (gegen 318), Aachen 211 (gegen 171). Von diesen 1727 gehörten den einzelnen Abteilungen an für Architektur 326, Bauingenieurwesen 286, Maschinenwesen und Schiffbau 620, Chemie und Hüttenkunde 277, allgemeine Wissenschaften 3, woneben noch 215 Hörer im allgemeinen ohne Bezeichnung einer bestimmten Abteilung zugelassen waren. Die technische Hochschule zu München zählte 1887: 612 Hörer, die zu Dresden 370, die zu Zürich 496. Österreichs sechs t. H. zählten 1884 bei 330 Lehrern 2450 Studierende. Die Gesamtzahl der Studierenden im Winter 1888/89 betrug 1694 gegen 1619 im Vorjahr und zwar in Wien 745, Prag (deutsch) 182, Prag (tschechisch) 334, Brünn 122, Graz 154, Lemberg ebenfalls 154. Davon kamen auf die allgemeine Abteilung 18, Ingenieurwesen 696, Hochbau 136, Maschinenbau 508, chemische Technik 214 Studierende. Das ungarische Josephspolytechnikum zu Budapest hatte 1887 bei 47 Lehrkräften 619 Studierende.
Technische Institute der Artillerie sind in Deutschland die unter militärischer Leitung stehenden Fabriken zur Anfertigung von Armeematerial und zwar: Artilleriewerkstätten zu Spandau, Danzig, Deutz, Straßburg i. E., Dresden, München; Geschützgießereien zu Spandau, Augsburg; Feuerwerkslaboratorien zu Spandau, Ingolstadt; Geschoßfabriken zu Spandau, Teil der Geschützgießerei, Siegburg, Ingolstadt; Pulverfabriken zu Spandau, Hanau, Ingolstadt, Gnaschwitz (bei Bautzen); Schießwollfabrik zu Hanau. Die Arbeiter sind Zivilpersonen; Meister, Werkführer, Ingenieure etc. sind Beamte. In Österreich-Ungarn umfaßt die technische Artillerie (Handwerks-, Zeugsartillerie) das Artilleriearsenal, die Artilleriezeugsfabrik, die 24 Artilleriezeugsdepots und die Pulverfabrik in Stein.
Technische Militärakademie, in Österreich-Ungarn die Artillerie- und Genieschule.
Technisches uud administratives Militärkomitee, in Österreich-Ungarn ein Organ des Reichskriegsministeriums, besteht aus Artillerie-, Genieoffizieren und Verwaltungsbeamten und leitet alle diesen Gebieten angehörigen Versuche.
Technische Truppen, Genie-, Eisenbahn- und Telegraphentruppen; vgl. Technische Institute der Artillerie.
Technoglyphen (griech.), s. Bildstein.
Technologie (griech., Gewerbskunde), die Lehre von den Mitteln und Verfahrungsarten zur Umwandlung der rohen Naturprodukte in Gebrauchsgegenstände. Da diese Umwandlung nur durch eine Änderung des innern Wesens, d. h. der Substanz, nach den Gesetzen der Chemie oder durch eine Änderung der äußern Form oder Gestalt nach den Gesetzen der Mechanik erfolgen kann, so teilt man das Gebiet der T., das die ganze Industrie umfaßt, ein in chemische und mechanische T. Die chemische T. beschäftigt sich mit der Darstellung chemischer Materialien (Alkalien, Säuren, Salze, Farben, Teerfarben, Ultramarin etc.), der Brenn- und Leuchtstoffe (Kohle, Stearin, Leuchtgas etc.), der Nahrungs-, Genuß- und Arzneimittel (Brot, Bier, Branntwein, Zucker, Chinin etc.), mit der Färberei, Druckerei, Gerberei, Thonwaren-Fabrikation etc. Die mechanische T. zieht in ihren Bereich die Bearbeitung der Metalle, des Holzes und ähnlicher Materialien auf Grund ihrer Arbeitseigenschaften (Gießfähigkeit, Dehnbarkeit, Schmiedbarkeit, Teilbarkeit), die Verarbeitung der Faserstoffe (Spinnerei, Seilerei, Weberei, Pavierfabrikätion), die Verarbeitung der verschiedenen Produkte (Stickerei, Wirkerei, Flechterei etc.) etc. Eine Menge Gewerbe gehören selbstverständlich zum Teil der chemischen, zum Teil der mechanischen T. an, da sie ihrer Natur nach sowohl chemische als mechanische Prozesse verlangen (Glas, Thonwaren, Kautschuk etc.).
Als man anfing, den Gewerben eine wissenschaftliche Grundlage zu geben, lag es nahe, dies in der Weise zu thun, daß man den Stoff nach den einzelnen Gewerben ordnete und diese besonders behandelte (Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, Färberei, Gießerei, Schlosserei, Uhrmacherei, Tischlerei, Drechslerei, Böttcherei, Baumwoll-, Flachs-, Wollspinnerei etc.). Auf solche Weise entstand die sogen. spezielle T. als eine Lehrmethode, welche auch jetzt noch Anwendung findet, wenn es sich um die Darstellung solcher Gewerbe handelt, die wenig oder gar keine gemeinsamen Anknüpfungspunkte besitzen. Da dies namentlich in den chemischen Gewerben der Fall ist, weil in der praktischen Handhabung der chemischen Gesetze solche Verschiedenheiten obwalten, daß nur einzelne Gegenstände, z. B. Feuerungsanlagen, vielen zugleich angehören, so ist hier dle Methode der speziellen T. die Regel. In der Weiterentwickelung der T. gewann man jedoch noch eine andre Grundlage für die Behandlung dadurch, daß man Grup-
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Technopägnia - Tectona.
pen bildete, indem man alle jene Beschäftigungen, welche in ihren Prozessen, Mitteln, Manipulationen etc. viele Ähnlichkeit und Gleichheit besitzen, zusammenfaßte und ohne Rücksicht auf ihre Einzelheiten ordnete und untersuchte. Weil dadurch die Behandlung eine allgemeinere wird, so heißt diese Art der Darstellung allgemeine T. Diese Methode reiht alle Mittel zu gleichem Zweck (Gußformen, Bohrer, Drehbänke u. dgl.) aneinander, macht sie dadurch übersichtlich und stellt sie zum Vergleich nebeneinander, weshalb sie auch vergleichende T. genannt wird. Einer auf die Weise gewonnenen Gruppeneinteilung ist namentlich das Gebiet der mechanischen T. fähig, indem z. B. alle Metallarbeiten, alle Holzarbeiten, die Spinnerei aller Faserstoffe, die Weberei aller Fäden sich in einzelne Gruppen zusammenfassen lassen. Da diese Methode außerdem nicht nur die anregendste und die fruchtbarste ist, sondern es auch allein ermöglicht, das ausgedehnte Gebiet der mechanischen Industrie zu beherrschen, so hat sie allgemein als Lehrmethode in der mechanischen T. Eingang gefunden. Innerhalb der Gruppen gewinnt man in den Arbeitseigenschaften der Materialien eine weitere Grundlage für die Anordnung und somit einzelne Kapitel für die Bearbeitung auf Grund der Schmelzbarkeit (Gießerei), Dehnbarkeit (Schmieden, Walzen, Drahtziehen), Teilbarkeit (Scheren, Meißel, Hobel, Bohrer, Sägen, Fräfen etc.). Die Gewerbskunde wurde zuerst als Bestandteil der kameralistischen Studien, etwa seit 1772 an der Universität gelehrt. Beckmann (s. d. 2) wurde durch seine Schriften, in denen er die einzelnen Industriezweige nach der innern Verwandtschaft ihrer Hauptverrichtungen behandelte, der Begründer der T., welcher er auch den Namen gab. Nach ihm waren Hermbstädt in Berlin und Poppe in Tübingen bedeutend, die neuere Richtung aber erhielt die T. durch Prechtl und Altmütter in Wien und namentlich durch Karmarsch in Hannover, welcher der Begründer der allgemeinen, vergleichenden T. wurde. Die chemische T. wurde in neuester Zeit besonders durch Knapp in Braunschweig, Heeren in Hannover, Wagner in Würzburg, die mechanische durch Hartig in Dresden, Hoyer in München, Exner in Wien gefördert. Die Litteratur der T. ist außerordentlich reichhaltig. Als Hauptwerke gelten: Prechtl, Technologische Encyklopädie oder alphabetisches Handbuch der T., der technischen Chemie und des Maschinenwesens (Stuttg. 1829-55, 20 Bde.; Supplemente, hrsg. von Karmarsch 1857 bis 1869, 5 Bde.); Karmarsch und Heeren, Technisches Wörterbuch (3. Aufl. von Kick und Gintl, Prag 1874 ff.); Karmarsch, Handbuch der mechanischen T. (6. Aufl. von Fischer, Leipz. 1888 ff.); Kronauer, Atlas für mechanische T., auf Grundlage von Karmarsch' "Handbuch", mit Erklärungen (Hann. 1862); Hoyer, Lehrbuch der vergleichenden mechanischen T. (2. Aufl., Wiesb. 1888); Muspratt-Stohmann, Encyklopädisches Handbuch der technischen Chemie (4. Aufl., Braunschw. 1886 ff.); Knapp, Lehrbuch der chemischen T. (3. Aufl., das. 1865-75, 2 Bde.); Bolley-Birnbaums Sammelwerk: "Handbuch der chemischen T." (das. 1862 ff., 8 Bde., in vielen Teilen); R. Wagner, Handbuch der chemischen T. (12. Aufl., Leipz. 1886); Payen, Handbuch der technischen Chemie (deutsch von Stohmann und Engler, Stuttg. 1870-74, 2 Bde.); Wagners "Jahresbericht Über die Leistungen der chemischen T." (Leipz., seit 1855, jetzt hrsg. von Fischer); Poppe, Geschichte der T. (Götting. 1807-11, 3 Bde.); Karmarsch, Geschichte der T. seit der Mitte des 18. Jahrhunderts (Münch. 1871); Blümner, T. und Terminologie der Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern (Leipz. 1875-1884, 3 Bde.); Noiré, Das Werkzeug und seine Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Menschheit (Mainz 1880); Lazarus Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit (2. Aufl., Stuttg. 1878).
Technopagnia (griech.), Kunstspielereien, besonders Gedichte, deren äußere Form eine bestimmte Figur darstellt (s. Bilderreime).
Teck, langgestreckter Berg nördlich vor dem Schwäbischen Jura, südlich von Klrchheim, 774 m hoch. Auf dem Gipfel die Ruine des Stammschlosses der Herzöge von Teck und eine Felsengrotte (Sibyllenloch).
Teck, im Mittelalter kleines Herzogtum in Schwaben, welches von der gleichnamigen Burg auf dem ebenfalls gleichnamigen Berg im württembergischen Donaukrels den Namen führte. Dieselbe war ursprünglich im Besitz der Herzöge von Zähringen und kam 1152 an einen Sohn Konrads, Adalbert I., welcher aus dem benachbarten Gebiet und dem durch Erbschaft ihm zufallenden Ulmburg das Herzogtum T. bildete. Letzteres ging 1381 durch Kauf an Württemberg über, doch starb das herzogliche Geschlecht erst 1439 mit Ludwig, Patriarchen von Aquileja, aus. Titel und Wappen des Herzogtums wurden 1495 von Kaiser Maximilian dem Herzog von Württemberg zugesprochen und 1863 von König Wilhelm den Kindern des Herzogs Alexander von Württemberg (geb. 9. Sept. 1804, gest. 4. Juli 1885) aus seiner Ehe mit der Gräsin Rhedey (gest. 1. Okt. 1841) verliehen; der Sohn desselben, Franz, Herzog von T. (geb. 27. Aug. 1837), seit 1866 mit einer Tochter des Herzogs von Cambridge vermählt, lebt in London.
Tecklenburg, ehemalige Grafschaft im westfäl. Kreis, 330 qkm (6 QM.) groß mit 18,000 Einw., kam nach dem Aussterben der Grafen von T. 1262 an die Grafen von Bentheim, 1329 an die Grafen von Schwerin und 1562 an den Grafen Arnold III. von Bentheim, dessen Sohn Adolf 1606 eine besondere Linie T. gründete. 1699 folgte Graf Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels, der 1707 T. an Preußen verkaufte. Jetzt gehört die Grafschaft zum gleichnamigen Kreis im Regierungsbezirk Münster. Vgl. Essellen, Geschichte der Grafschaft T. (Leipz. 1877). - Die Kreisstadt T., am Teutoburger Wald, 235 m ü. M., hat eine evangelische und eine kath. Kirche, eine Schloßruine, ein Amtsgericht, Zigarrenfabrikation und (1885) 897 meist evang. Einwohner.
Tecoma Juss. (Jasmintrompete), Gattung der Bignoniaceen, Bäume oder kletternde Sträucher mit gefingerten oder unpaarig gefiederten Blättern und in Trauben oder Rispen stehenden Blüten. T. radicans Juss. (virginischer Jasmin), kletternder Strauch in Virginia, mit 10 m langen, an den Gelenken wurzelnden Zweigen, unpaarig gefiederten Blättern und scharlachroten Blüten in endständigen Doldentrauben, gedeiht bei uns in geschützter Lage im Freien, verlangt aber im Winter gute Deckung. Auch andre Arten werden als Ziergehölze kultiviert.
Tectona L. fil. (Teakbaum, indische Eiche), Gattung aus der Familie der Verbenaceen, große Bäume mit großen, gegen- oder zu drei wirtelständigen, ganzen, abfallenden Blättern, großen, endständigen Blütenrispen mit kleinen, weißlichen oder bläulichen Blüten und vierfächeriger, vom aufgeblasenen Kelch umgebener Steinfrucht. Drei tropisch asiatische Arten. T. grandis L. fil. ein schlanker Baum von 40 m Höhe, mit großen, eiförmigen, unterseits weißfilzigen Blättern, weißen Blüten und haselnußgroßen Früchten, findet sich als Waldbaum in Ostindien
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Tecuciu - Teer.
zwischen 25° nördl. bis 2° südl. Br. und 73-120° östl. L. v. Gr., in Hinterindien und auf den Malaiischen Inseln, liefert vortreffliches Nutzholz, welches besonders für den Schiffbau von höchstem Wert ist, und wird in neuerer Zeit sorgfältig kultiviert. Man fällt die Bäume gewöhnlich zwischen dem 40. und 60. Jahr, wo sie eine Höhe von 17-20 und eine Stärke von 1,3 m besitzen. Das Holz wird zum Teil in Asien verarbeitet, kommt aber auch in großen Mengen nach Europa; das siamesische gilt als das beste. Es ist hell braunrötlich, wird an der Luft braun bis braunschwarz, riecht stark, angenehm, besitzt das spez. Gew. 0,89, ist hart, spaltet sich nicht schwer, läßt sich gut verarbeiten, soll Eichenholz an Dauer um das Dreifache übertreffen, wird von Insekten und Pilzen nicht angegriffen. Es dient auch in Indien zu Tempelbauten, zu Dammkonstruktionen etc. Die Rinde benutzt man zum Gerben, mit den Blättern färbt man Seide und Baumwolle purpurrot; auch dienen sie, wie die Blüten, als Heilmittel.
Tecuciu, s. Tekutsch.
Teda, Volk in Nordafrika, s. Tibbu.
Teddington, Dorf in der engl. Grafschaft Middlesex, an der Themse, 30 km oberhalb London, bis wohin die Flut steigt, mit (1881) 6599 Einw.
Tedesco (ital.), deutsch.
Tedeum (lat.), s. v. w. Hymnus auf die Worte des sogen. Ambrosianischen Lobgesangs (Tedeum laudamus etc.), dessen ursprüngliche Komposition eine würdige Choralmelodie ist, während das T. in neuerer Zeit gern für mehrere Chöre und großes Orchester (nebst Orgel) im großen Stil komponiert wird. Vgl. Bone, Das T. (Frankf. 1881).
Tedschen, Bezirk in der Transkaspischen Provinz des asiatisch-russ. Generalgouvernements Turkistan, eine vom Herirud bewässerte Oase, die früher nur von Tekke-Turkmenen aus Merw und Atok während des Sommers besucht wurde, um den fruchtbaren Boden mit Getreide zu besäen, seit 1884 aber in ihrem nördlichen Teil besiedelt wird und schon 7500 Einw. (Tekinzen) zählt.
Teer, Produkt der trocknen Destillation vieler organischer Körper, entsteht stets neben einer wässerigen, sauren oder ammoniakalischen Flüssigkeit und einem Gasgemisch. Man gewinnt den T. häufig als Nebenprodukt, wenn es sich um die Darstellung andrer Produkte der trocknen Destillation handelt, z. B. bei der Leuchtgasfabrikation, bei der Darstellung von Holzessig etc.; in andern Fällen ist der T. das Hauptprodukt, und stets besitzt er großen Wert, seitdem man zahlreiche in verschiedenster Weise verwertbare Substanzen in ihm entdeckt hat. Je nach der Natur des der Destillation unterworfenen Körpers ist der T. von sehr verschiedener Beschaffenheit; stets aber ist er braun bis schwarz, dickflüssig, von empyreumatischem Geruch, schwerer als Wasser, entzündlich, er brennt mit rußender Flamme und gibt an Wasser und Alkohol lösliche Stoffe ab. Alle Teere sind Gemenge verschiedenartiger Körper und enthalten stets Kohlenwasserstoffe, sowohl flüssige als starre, von sehr verschiedener Flüchtigkeit (wie Benzol, Toluol, Paraffin, Naphthalin etc.), ferner säureartige Körper (die Phenole, Karbolsäure etc.) und Basen (Anilin, Chinolin etc.), dann auch pech- oder asphaltbildende Substanzen von nicht näher bekannter Beschaffenheit. Wegen ihres Gehalts an Phenolen wirken die Teere stark fäulniswidrig. Holzteer gewinnt man als Nebenprodukt bei der Darstellung von Holzkohle, Holzgas (s. Leuchtgas, S. 735) und Holzessig; doch ist die Teerschwelerei bisweilen auch Hauptzweck und verarbeitet dann harzreiche Nadelhölzer teils in Meilern mit trichterförmiger Sohle, von welcher der T. in ein Sammelgefäß abgeleitet wird, teils eingemauerte, stehende große eiserne Kessel, in welchen das Holz erhitzt wird, während man die Teerdämpfe in einem durch Luft gekühlten Apparat zur Verdichtung bringt. Man erhält etwa 17 Proz. T. Der Holzteer ist dunkelbraun, riecht durchdringend, schmeckt widrig scharf und bitter, vom spez. Gew. 1,075-1,160, löst sich größtenteils in Alkohol und Äther, mischt sich mit Fetten und gibt an Wasser Essigsäure und brenzlige Stoffe ab. Man benutzt ihn zu konservierenden Anstrichen, zum Kalfatern der Schiffe, zum Teeren der Taue etc.; zur Darstellung von Pech und Ruß, auch wird er destilliert, und man gewinnt hierbei leichte Teeröle (Holzöl), die wenig Benzol enthalten und meist als Fleckwasser benutzt werden, schwere Öle, die man auf Ruß verarbeitet oder zum Imprägnieren von Holz verwertet, auch wohl Paraffin und Kreosot. Letzteres wird besonders aus Buchenholzteer dargestellt. Birkenholzteer dient zur Bereitung des Juftenleders. Torfteer wird durch trockne Destillation des Torfs in Schachtöfen oder Retorten, ähnlich wie Braunkohlenteer, dargestellt, auch bei der Verkohlung des Torfs als Nebenprodukt gewonnen. Er ist ölartig, braun bis schwarzbraun, von sehr unangenehmem Geruch und dem spez. Gew. 0,896-0,965. Man gewinnt aus demselben durch Destillation leichte Kohlenwasserstoffe, die wie Benzin und Photogen benutzt werden (Turfol), schwere, noch als Leuchtöle verwendbare Öle, Schmieröle, Paraffin und sehr schwer flüchtige, flüssige Kohlenwasserstoffe, aus welchen Leuchtgas bereitet wird, als Rückstand Asphalt. Braunkohlenteer ist sehr verschieden je nach der Beschaffenheit der Kohle. Im allgemeinen ist er dunkelbraun, riecht widerlich kreosotartig und erstarrt leicht durch hohen Paraffingehalt. Der aus Pyropissit gewonnene T. ist butterartig, wachsgelb und bildet das Rohmaterial der Paraffinfabriken. Man gewinnt daraus durch Destillation leichte und schwere Öle (Benzin, Photogen, deutsches Petroleum, Solaröl), Schmieröl und namentlich Paraffin (s. d.). In ähnlicher Weise gewinnt und verwertet man T. aus bituminösen Schiefern. Am wichtigsten ist der Steinkohlenteer (Kohlenteer), den man in Leuchtgasanstalten, bisweilen auch bei der Koksbereitung als Nebenprodukt gewinnt. Er ist schwarz bis braunschwarz, übelriechend, dickflüssig, vom spez. Gew. 1,15-1,22. Er besteht aus flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen (Benzol, Toluol, Cumol, Cymol, Anthracen, Naphthalin etc.), Säuren (Phenol, Kresol, Phlorol, Rosolsäure), Basen (Anilin, Chinolin, Toluidin etc.) und Asphalt bildenden Substanzen. Die quantitative Zusammensetzung des Teers schwankt je nach der Beschaffenheit der Kohle und der Ausführung der Destillation. Im allgemeinen entsteht bei schneller Destillation in hoher Temperatur viel Gas und wenig T., welcher arm an Ölen, aber reich an Naphthalin ist. Die Bestandteile des Steinkohlenteers bilden das Rohmaterial für mehrere wichtige Industriezweige. Um sie zu gewinnen, unterwirft man den T. in sehr großen Blasen, liegenden Cylindern oder kofferförmigen Retorten aus Eisenblech einer Destillation über freiem Feuer. Es entweichen zuerst Gase, dann gehen mit steigender Temperatur ammoniakalisches Wasser, leichte Öle, schwere Öle und feste Kohlenwafferstoffe über, und als Rückstand bleibt Steinkohlenasphalt, welcher um so härter ausfällt, je weiter die Destillation bei immer gesteigerter Temperatur getrieben wurde. Bisweilen treibt man die flüchtigsten Öle durch Wasserdampf ab, den man di-
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Teerbutt - Tegel.
rekt in den T. leitet. Der Wasserdampf reißt die flüchtigen Kohlenwasserstoffe dampfförmig mit sich fort und wird mit ihnen zugleich in Kühlapparaten verdichtet. Die erste Verwertung des Teers zur Gewinnung von Leuchtölen datiert von 1839, wo Selligue und de la Haye in Autun den T. von bituminösem Schiefer in dieser Weise verarbeiteten. Zu Ende der 40er Jahre stellte Young bei Glasgow aus Bogheadkohlenteer ein Mineralöl (Hydrokarbür) und Paraffin dar, und um dieselbe Zeit entstanden die irischen Öl- und Parafsinfabriken, welche Torf verarbeiteten. Seit 1850 entwickelte sich die Paraffinindustrie in Deutschland (vgl. Paraffin). Steinkohlenteer wurde zuerst etwa 1846 destilliert, um karbolsäurehaltiges Teeröl zur Imprägnierung von Eisenbahnschwellen zugewinnen. Das leichte Teeröl wurde nur von Brönner als Fleckwasser benutzt und galt als lästiges Nebenprodukt, bis es um 1856 durch die Entwickelung der Anilinfarbenindustrie allmählich der wichtigste Bestandteil des Teers wurde. Die erste größere Fabrik zur Verarbeitung von Steinkohlenteer in Deutschland wurde 1860 in Erkner bei Berlin gegründet. Erst später gewannen wieder die schwerer flüchtigen Teerbestandteile, wie Karbolsäure, Naphthalin und Anthracen, erhöhte Bedeutung. Die leichten Steinkohlenteeröle werden wegen ihres Gehalts an Benzol und Toluol hauptsächlich in der Farben-Industrie benutzt, schwerere karbolsäurehaltige Öle dienen zum Imprägnieren des Holzes, schwere Kohlenwasserstoffe als Schmieröl, Naphthalin und Anthracen finden Verwendung inder Farbenindustrie, ebenso das Phenol, welches aber auch zu sehr vielen andern Zwecken, namentlich zur Darstellung von Salicylsäure und in der Medizin, benutzt wird. Aus Toluol und Naphthalin stellt man auch Benzoesäure dar. Der Asphalt wird zur Darstellung von Asphaltröhren und Briketten, zum Belegen von Fußböden etc. benutzt, außerdem dient Steinkohlenteer auch zu konservierenden Anstrichen, zum Vertreiben von Ungeziefer, und wo er keinen Absatz findet, verbrennt man ihn in Gasanstalten zum Heizen der Retorten. Der Steinkohlenteer der Berliner Gasanstalten liefert:
Benzol und Toluol ... 0,80
Sonstige wasserhelle Öle ... 0,60
Kristallisierte Karbolsäure ... 0,20
Kresol etc. ... 0,30
Naphthalin ... 3,70
Anthracen ... 0,20
Schwere Öle ... 24,00
Steinkohlenpech ... 55,00
Wasser und Verlust ... 15,20
Die Teermenge beträgt bei der Leuchtgasfabrikation 5 Proz. vom Gewicht der Steinkohlen, und da nun in Berlin jährlich 6 Mill. Ztr. Kohle verarbeitet werden, so erhält man 300,000 Ztr. T., dessen Beschaffenheit aber von der Beschaffenheit der Kohle abhängig ist. In England verarbeitet man jährlich 3,5, in Frankreich 1, in Deutschland 0,75, in Belgien und Holland 0,45, zusammen 5,7 Mill. Ztr. T., welche an Ausbeute ergeben: Anthracen 19,000, Benzol 57,000, Naphtha 42,700 Ztr. Von großer Bedeutung dürfte der T. werden, welcher beim Raffinieren des Erdöls als Rückstand bleibt, insofern derselbe, wenigstens derjenige von südrussischem Erdöl, Produkte liefert, die reich an Benzol, Toluol und Anthracen sind und daher für die Teerfarbenindustrie ein wertvolles Rohmaterial bilden. Vgl. Lunge, Destillation des Steinkohlenteers (Braunschw. 1867); Derselbe, Industrie der Steinkohlenteerfabrikation (3. Aufl., das. 1888); Bolley-Kopp, Chemische Verarbeitung der Pflanzen- und Tierfasern (das. 1867-74); Wagner, übersicht der Produkte der trocknen Destillation der Steinkohlen (Würzb. 1873); Schultz, Chemie des Steinkohlenteers (2. Aufl., Braunschw. 1887 ff., 2 Bde.),
Teerbutt, f. v. w. Flunder, s. Schollen.
Teerfarben, aus Teerbestandteilen dargestellte Farben, also die farbigen Derivate des Anilins (welches aus Benzol gewonnen wird), Naphthalins, Anthracens, Phenols etc. Vgl. Schultz, Chemie des Steinkohlenteers, Bd. 2 (2. Aufl., Braunschw. 1887 ff., 2 Bde.); Nietzki, Organische Farbstoffe (Bresl. 1886); Schultz und Julius, Übersicht der künstlichen organischen Farbstoffe (Berl. 1888); Heumann, Die Anilinfarben und ihre Fabrikation (Braunschw. 1888).
Teerfeuer (Blüse), Feuerzeichen in der Nähe von Sandbänken, Untiefen, Klippen.
Teergalle, s. v. w. Harzgalle, s. Harzfluß.
Teerjacke, Spitzname der Matrosen (vgl. Jack).
Teeröl, s. Teer.
Teerpappe, s. Dachpappe.
Teerseife, Hebras flüssige, s. Kaddigöl.
Tees (spr. tihs), Fluß im nördlichen England, entspringt am Croß Fell in Westmoreland, durchfließt das romantische Teesdale und mündet nach einem Laufe von 153 km unterhalb Middlesbrough in die Nordsee. Seine Einfahrt schützen zwei große aus Schlacken gebildete Wellenbrecher, je 3292 m lang.
Teetotalismus (neuengl., spr. ti-), das System der vollständigen Enthaltsamkeit von dem Genuß alkoholischer Getränke, wie es Joseph Livesay 1. Sept. 1832 zu Preston begründete. Die Vorsilbe scheint auf den an die Stelle des streng verbotenen Branntweingenusses empfohlenen Thee hindeuten zu sollen. Vgl. Mäßigkeitsvereine.
Tef, s. Eragrostis.
Teffe (früher Ega), kleine Stadt in der brasil. Provinz Amazonas, an einer seeartigen Erweiterung des Flusses T., der 10 km unterhalb in den Amazonenstrom mündet. Handel mit Waldprodukten und Viehzucht bilden die Haupterwerbsquellen.
Tefilla (hebr.), s. Siddur.
Tefnut, ägypt. Göttin, löwenköpfig und mit dem Diskus auf dem Haupte dargestellt, gewöhnlich die Gefährtin des Gottes Schu.
Tegal (Tagal), niederländ. Residentschaft auf der Nordküste der Insel Java, 3800 qkm (69 QM.) groß mit (1885) 986,544 Einw., worunter 706 Europäer, 6859 Chinesen und 380 Araber. Das Land ist außerordentlich fruchtbar und vortrefflich kultiviert. Die gleichnamige Hauptstadt hat einen Hafen, ein Fort, nicht unbedeutenden Handel und 30,000 Einw.
Tegea, feste Stadt im alten Arkadien, mit eignem Gebiet (Tegeatis), hatte früher eigne Könige und war die bedeutendste Stadt Arkadiens, öfters (560, 479, 464) mit Sparta im Kampf, aber im Peloponnesischen Krieg dessen treuer Verbündeter. Nach der Schlacht von Leuktra trat es gezwungen in den Achäischen Bund. Ruinen 6 km sudöstlich von Tripolitsa (s. d.). In T. stand ein berühmter Prachttempel der Athene Alea, von Skopas 394 v. Chr. gebaut.
Tegel, Lokalname für einen kalkhaltigen Tertiärthon des Wiener Beckens, s. Tertiärformation.
Tegel, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, Kreis Niederbarnim, am gleichnamigen Havelsee, 11 km von Berlin und mit diesem durch eine Pferdebahn verbunden, hat eine evang. Kirche, eine Schiff- und Maschinenbauanstalt, eine große Mühle, Wasserwerke für die Stadt Berlin und (1885) 1652 meist evang. Einwohner. Dabei das durch Schinkel 1822 bis 1824 umgebaute Schloß T., ehedem Besitzung und Wohnstätte Wilhelms v. Humboldt, mit sehenswerten Kunstschätzen und schönem Park, welcher die Grabstätte der Brüder Humboldt enthält. Vgl. Waagen, Schloß T. und seine Kunstwerke (Berl. 1859).
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Tegernsee - Tegner.
Tegernsee, See im bayr. Regierungsbezirk Oberbayern, Bezirksamt Miesbach, in reizender Gebirgsgegend, 732 m ü. M., ist 6 km lang, 2 km breit, 72 m tief, nimmt mehrere kleine Flüsse auf und ergießt sein Wasser durch die Mangfall in den Inn. Das gleichnamige Pfarrdorf, an der Ostseite des Sees und an der Eisenbahn Schaftlach-Gmund, hat eine kath. Kirche, ein Schloß mit prächtigem Garten und einer Gemäldesammlung, eine Musik- und eine Zeichenschule, ein Amtsgericht, ein Forstamt, eine diätetische Naturheilanstalt, eine Dampfbrauerei und (1885) 1022 kath. Einwohner. Das Schloß T. war sonst eine gefürstete Benediktinerabtei, welche zur Zeit Pippins 736 von den Agilolfingern gegründet und 1803 aufgehoben wurde. Dabei der Parapluieberg mit prächtiger Fernsicht. Am nördlichen Ende des Sees liegt der Musterökonomiehof Kaltenbrunn und südlich vom See im Thal der Weißach Bad Kreuth (s. d.). Vgl. Freyberg, Älteste Geschichte von T. (Münch. 1822); Krempelhuber, Der T. und seine Umgebungen (3. Aufl., Münch. 1862).
Tegetthoff, Wilhelm, Freiherr von, österreich. Admiral, geb. 23. Dez. 1827 zu Marburg in Steiermark, wurde im Marinekollegium zu Venedig erzogen und trat 1845 als Kadett in die österreichische Marine ein. 1848-49 machte er die Blockade von Venedig mit, dann, 1851 zum Fregatten-, 1852 zum Linienschiffsleutnant befördert, größere Seeexpeditionen im Mittelländischen Meer, namentlich nach der Levante, gegen die Barbareskenstaaten und nach verschiedenen Punkten der afrikanischen Westküste. 1857 zum Korvettenkapitän ernannt, führte er auf Veranlassung des Erzherzogs Maximilian eine Expedition an die Küsten des Roten Meers aus. 1859 begleitete er den Erzherzog auf einer Reise nach Brasilien, wurde 1860 Fregatten-, 1861 Linienschiffskapitän und befehligte 1862 das österreichische Geschwader, welches nach König Ottos Absetzung in den griechischen und levantischen Gewässern kreuzte. Seine erste eigentliche Waffenthat war das für die österreichische Flagge ehrenvolle Seegefecht bei Helgoland gegen die Dänen 9. Mai 1864, wobei er auf dem Flaggenschiff Schwarzenberg bis zu dessen Brand ausharrte. T. wurde darauf zum Konteradmiral ernannt. Zu einer glänzenden Rolle war T. im Krieg des Jahres 1866 berufen; die Seeschlacht von Lissa (s. d.) 20. Juli d. J. endete trotz der bedeutenden Überlegenheit der Italiener mit einem glänzenden Sieg der Österreicher. T., welcher hierbei geniale Begabung für Flottenführung bewiesen, ward durch seine Ernennung zum Vizeadmiral belohnt. Im Juli 1867 erhielt er den Befehl, die Leiche des erschossenen Kaisers Maximilian von Mexiko nach Europa überzuführen, und ward Ende Februar 1868 an Stelle des Erzherzogs Leopold zum Generalinspektor und Kommandanten der Marine, 1. April 1868 zum Geheimrat und Mitglied des Herrenhauses ernannt, in welchem er zur liberalen Verfassungspartei gehörte, starb aber plötzlich nach kurzer Krankheit 7. April 1871 in Wien. In Marburg, Pola und Wien wurden ihm Denkmäler errichtet. Vgl. "Admiral T. und die öfterreichische Kriegsmarine" (Meran 1867); A. Beer, Aus Wilhelm v. Tegetthoffs Nachlaß (Wien 1882).
Tegetthoff-Expedition, 1872-74, s. Maritime wissenschaftliche Expeditionen, S. 257.
Tegnér, Esaias, berühmter schwed. Dichter, geb. 13. Nov. 1782 zu Kyrkerud in Wermland, Sohn eines Pfarrers, ward als Knabe auf einem Kontor beschäftigt, fand aber hier Gelegenheit zu weiterer Bildung, die er mit solchem Erfolg benutzte, daß er schon 1799 die Universität Lund beziehen konnte, wo er sich theologischen und philologischen Studien widmete und 1805 zum Adjunkten der Ästhetik, 1812 zum Professor der griechischen Sprache ernannt wurde. Nachdem er 1818 Mitglied der Akademie geworden und die theologische Doktorwürde erhalten hatte, erfolgte 1824 seine Ernennung zum Bischof von Wexiö, wo er, gegen das Ende seines Lebens an zeitweiliger Geistesstörung leidend, 2. Nov. 1846 starb. Seine ersten größern poetischen Produkte waren das von der Akademie gekrönte Gedicht "Svea" (1811), das durch tiefen religiösen Ernst und anmutige Naturschilderungen ergreifende Idyll "Nattvardsbarnen" (1821; deutsch von Mohnike: "Die Nachtmahlskinder", 5. Aufl., Halle 1876) und die etwas sentimentale, aber an schönen lyrischen Episoden reiche poetische Erzählung "Axel" (1822; deutsch von Vogel, Leipz. 1876), deren Stoff dem Zeitalter Karls XII. entnommen ist. Ein bereits in Lund begonnenes großes Gedicht: "Helgonabacken", kam nicht zur Vollendung, ebensowenig seine letzten größern Dichtungen: "Gerda", deren Fabel der Zeit Waldemars d. Gr. angehört, und "Kronbruden". Als die vorzüglichsten unter seinen zahlreichen kleinern Gedichten sind "Carl XII", der "Epilog vid magister promotionen 1826" und "Sång till solen" ("Gesang an die Sonne") hervorzuheben. Den größten Ruhm aber erwarb ihm seine allbekannte Dichtung "Frithjofs Saga" (Stockh. 1825 u. öfter; Prachtausgabe mit Illustrationen von J. A. Malmström, das. 1868; mit Wörterbuch hrsg. von Silberstein, Frankf. 1873), die fast in alle lebenden Sprachen Europas übersetzt worden ist, ins Deutsche über 20 mal, unter andern von Amalie v. Helwig (Stuttg. 1826, neue Ausg. 1879), Mohnike (19. Aufl., Halle 1885), Berger (11. Aufl., Stuttg. 1887), v. Leinburg (14. Aufl., Leipz. 1885), Viehoff (Hildburgh. 1865), Simrock (mit den "Abendmahlskindern", 4. Aufl., Stuttg. 1883), Zoller (Leipz. 1875), Freytag (3. Aufl., Norden 1883). Eine Auswahl der kleinern Gedichte übersetzten Zeller (Stuttg. 1862) und G. v. Leinburg (2. Aufl., Leipz. 1885), der auch die "Lyrischen Gedichte" übertrug (das. 1882). T. schlug in seinen Poesien frei und unabhängig seinen eignen Weg ein, ebenso fern sich haltend von der blinden Sucht, die Franzosen nachzuahmen, wie von der neuern Schule, die nach dem Vorbild Atterboms die deutsche Romantik als alleiniges Muster der Nachahmung aufstellte. Seine bilderreiche, bewegliche, leicht erregbare Phantasie, seine reiche Witzesader, sein lebendiges poetisches Gefühl ließen sich in keine Fesseln schlagen. Diese Eigenschaften, verbunden mit einer schönen, echt dichterischen Sprache und rhythmischer Vollendung, stellen Tegnérs Gedichte unter die bedeutendsten Erscheinungen auf dem Gebiet der neuern Poesie. Seine kleinern Gedichte sind entweder Gelegenheitsgedichte voll schöner Gedanken, männlicher Gesinnung und religiöser Weihe oder Naturschilderungen voll Gemütlichkeit und Sinn für das Idyllische. Außer den poetischen Arbeiten sind Tegnérs "Reden" (deutsch von Mohnike, Strals. 1829) und seine Aufsehen erregenden, trefflichen "Schulreden" (in Auswahl deutsch von Mohnike, 2. Aufl., Jena 1882) als Zeugnisse einer eminenten Rednergabe hervorzuheben. Tegnérs sämtliche Werke wurden von seinem Schwiegersohn Böttiger gesammelt (Stockh. 1847-50, 7 Bde.; Jubelausgabe, das. 1882 bis 1885, 8 Bde.); seine nachgelassenen Schriften gab sein Enkel Elof Tegnér (das. 1873-74, 3 Bde.) heraus. Eine Auswahl seiner poetischen und prosaischen Werke in deutscher Übersetzung gab G. v. Lein-
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Tegucigalpa - Teichmüller.
burg (Leipz. 1882, 7 Bde.) heraus. 1853 ward in Lund eine Kolossalstatue des Dichters errichtet. Vgl. Böttiger, Tegnérs Leben (deutsch, Leipz. 1885); Waldeck, Tegnérs Stellung zur Theologie und Philosophie (Stuttg. 1863); Brandes, E. Tegnér (in "Moderne Geister", Frankf. 1882), und die biographischen Schriften von Christensen (2. Aufl., Leipz. 1883), Peschier (Lahr 1882), Kippenberg (Leipz. 1884).
Tegucigalpa, Hauptstadt des mittelamerikan. Staats Honduras, Rio Grande, 1036 m ü. M., von Bergen umgeben, mit vielen schönen Privathäusern, einer in edlem Stil erbauten Hauptkirche, einer 1847 gegründeten Academia Literaria (Hochschule) und 12,000 Einw. Die Stadt hat lebhaften Handel; früher hatte sie auch viel Bergbau.
Tegumént (lat.), s. v. w. Knospendecke, s. Knospe.
Teheran, Hauptstadt des pers. Reichs, liegt in der Provinz Irak Adschmi auf einer baumlosen Hochebene, 1170 m ü. M., südlich vom Elburz, hat an Stelle der frühern unansehnlichen Häuser und engen, unregelmäßigen Straßen im letzten Vierteljahrhundert mit Bäumen bepflanzte Boulevards, Plätze und befahrbare Straßen erhalten, und die alten Stadtmauern sind durch Erdwälle ersetzt, welche fast das doppelte Areal umschließen. In der Mitte der Nordseite liegt der große befestigte Palast des Schahs mit Gärten, Teichen, dem Zeughaus, den Gefängnissen, der Militärschule etc. Die Stadt hat 11 Moscheen, eine 1850 gegründete Gelehrtenschule mit Bibliothek, mehrere theologische Hochschulen, große moderne Bazare, zahlreiche Karawanseraien und Bäder, Fabrikation von Eisenwaren, Teppichweberei, Seiden- und Baumwollmanufakturen. Innerhalb der Stadt, besonders an ihrer Nordseite, finden sich schöne Gärten. Im Winter, wo der Hof in T. ist, beträgt die Zahl der Einwohner gegen 200,000 (nach andern nur 120,000), fast lauter Schiiten, von denen im Sommer wegen der unerträglichen Hitze ein großer Teil (darunter auch die europäischen Gesandtschaften) nach der am Fuß des Elburz gelegenen gesündern Landsihaft Schemiran übersiedelt. Die Stadt ist für den europäischen Verkehr, der vornehmlich auf der Straße von Poti über Tiflis, Eriwan, Tebriz und Kazwin hierher stattfindet, wie als Sitz des Hofs, der Großen des Reichs und der fremden Gesandten von Wichtigkeit. Durch Neuanlage vieler unterirdischer Wasserleitungen hat sich die früher steppenartige Umgegend neuerdings in bebautes Land umgewandelt mit zahlreichen Ansiedelungen, Dörfern und Palästen. In der Nähe von T. liegen unter andern die königlichen Lustschlösser Negristan mit schönen Gärten, Kasr Kadschar, ein kühner, von Feth Ali ausgeführter terrassenförmiger Bau, und Niaveran im N.; südlich die Trümmer des alten Rhagä (s. d.).
Tehl, s. v. w. Tael.
Tehri (Tiri), Staat und Stadt in Britisch-Indien, s. Garwhal 2).
Tehuacan de las Granádos, Stadt im mexikan. Staat Puebla, südöstlich von der Hauptstadt, 1640 m Ü. M., ehemals ein besuchter heiliger Ort der Azteken, mit (1880) 9173 Einw. im Munizipium.
Tehuantepec, Stadt im mexikan. Staat Oajaca, 20 km oberhalb der Mündung des gleichnamigen Flusses in den Stillen Ozean und 22 km westlich von einem geräumigen, aber seichten Haff, mit (1880) 24,438 Einw. in seinem Munizipium (meist Indianer), liegt an der schmälsten Stelle des nordamerikanischen Kontinents, auf dem nur 190 km breiten Isthmus von T., der sich zwischen dem Golf von T. im S. und dem Golf von Guazacualca des Mexikanischen Meerbusens im N. erstreckt, und dessen Einsenkung das Hochland von Guatemala von dem Plateau von Anahuac trennt. Die niedrigste Stelle der Wasserscheide (bei Tarifa) liegt 207 m ü. M. Diese Stelle veranlaßte schon frühzeitig das Projekt einer Verbindungsstraße zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ozean. Nachdem bereits Cortez 1520 einen Kanalbau vorgeschlagen, ließ der Vizekönig Bucareli 1771 Vermessungen zu diesem Zweck anstellen. Ein Gleiches geschah 1825 im Auftrag der mexikanischen Regierung. Am 25. Febr. 1842 erhielt endlich der Mexikaner José Garay ein Privilegium zur Herstellung eines Kanals oder einer Eisenbahn über den Isthmus. Er trat sein Privilegium (1846) an Engländer ab, diese (1850) an die Louisiana-Tehuantepec Company, die auch wirklich, nachdem die Regierungen von England und Amerika sich 1853 vereinigt hatten, das Unternehmen zu schützen, einige Dampfer auf den Guazacualca setzte und einen Überlanddienst nach Ventosa am Stillen Ozean ins Werk setzte. Die politische Unsicherheit und die erfolgte Eröffnung der Panamabahn hinderten aber die Ausführung eines Kanals oder auch einer Eisenbahn. Im J. 1879 wurde abermals eine T. Interoceanic Railway Company gegründet, und als auch das Privilegium dieser Gesellschaft ablief, ohne daß etwas geschehen war, nahm die Regierung das Werk selbst in die Hand. Der Plan des Kapitän J. B. Eads (1881), eine Eisenbahn zu bauen, vermöge welcher auch beladene Schiffe von Meer zu Meer geschafft werden könnten, ist nie mehr als Projekt geworden. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Vgl. Shufeldt, T., explorations and surveys (Washingt. 1873).
Tehueltschen ("Südvolk") nennen die Araukanier die Patagonier, während sie die Pampasindianer in Argentinien Pueltschen ("Ostvolk") nennen.
Teich, größere Ansammlung von Wasser, welche durch natürliche oder künstliche Ufer eingeschlossen ist und mittels gewisser Vorrichtungen abgelassen und gespannt (angefüllt) werden kann. Die Teiche dienen vorzüglich zur Zucht von Fischen, außerdem zur Bewegung von Rädern und Maschinenwerken und zur Bereithaltung eines Wasservorrats. Die Teichfischerei (Teichwirtschaft, s. Fischerei, S. 305) hat infolge der Vervollkommnung der Bodenkultur an Ausdehnung sehr verloren und dem einträglichen Feld- und Wiesenbau weichen müssen. Am ausgedehntesten wird sie noch in Schlesien, Böhmen, in der Oberlausitz, im Vogtland, im Altenburgischen, Thüringischen, Halberstädtischen, in Bayern und Holstein und zwar vornehmlich auf Karpfen betrieben. Große Teiche kann man bald zur Fischerei, bald auch zum Feld- und Wiesenbau anwenden (Sämerung). Man legt zu dem Ende den T. im Herbste trocken, ackert den Grund um, bestellt ihn ein bis drei Jahre lang mit Feldfrüchten und benutzt ihn dann wieder zur Fischerei, um nach sechs Jahren das Besäen zu wiederholen. Vgl. D e l i u s, Die Teichwirtschaft (Berl. 1875); Nicklas, Lehrbuch der Teichwirtschaft (Stett. 1879); Benecke, Die Teichwirtschaft (2. Aufl., Berl. 1889); v. dem Borne, Handbuch der Fischzucht und Fischerei (das. 1886).
Teichhuhn, s. Wasserhuhn.
Teichkolben, s. Typha.
Teichlilie, s. Iris.
Teichlinse, s. v. w. Lemna.
Teichmüller, Gustav, philosoph. Schriftsteller, geb. 19. Nov. 1832 zu Braunschweig, studierte in Tübingen und vorzugsweise in Berlin unter Trendelenburg Philosophie, veröffentlichte als Lehrer am
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Teichmuschel - Teilbarkeit.
Annengymnasium in St. Petersburg 1859 seine philosophische Erstlingsschrift: "Die Einheit der Aristotelischen Eudämonie", habilitierte sich 1860 als Privatdozent in Göttingen und ward 1868 als außerordentlicher Professor nach Basel, 1871 als ordentlicher Professor der Philosophie nach Dorpat berufen, wo er 23. Mai 1888 starb. Neben einer Reihe Aristotelischer Forschungen: "Beiträge zur Erklärung von Aristoteles' Poetik" (Halle 1866), "Aristoteles' Philosophie der Kunst" (das. 1869) und "Geschichte des Begriffs der Parusie" (das. 1873), schrieb er: "Über die Unsterblichkeit der Seele" (Leipz. 1874, 2. Aufl. 1879); "Studien zur Geschichte der Begriffe" (Berl. 1874); "Herakleitos"(Gotha 1876); "Die Platonische Frage", eine Streitschrift gegen Zeller (das. 1876); "Frauenemanzipation" (Dorp. 1877); "Darwinismus und Philosophie" (das. 1877) und die humoristische, gegen den Neukantianismus gerichtete Schrift "Wahrheitsgetreuer Bericht über meine Reise in den Himmel von Immanuel Kant" (das. 1878); ferner: die "Neuen Studien zur Geschichte der Begriffe" (Gotha 1876-79, 3 Bde.); "Über das Wesen der Liebe" (Leipz. 1879); "Die wirkliche und die scheinbare Welt; neue Grundlegung der Metaphysik" (Bresl. 1882); "Chronologie der Platonischen Dialoge" (das. 1881); "Zu Platons Schriften, Leben und Lehre" (das. 1884); "Religionsphilosophie" (das. 1886); "Neue Grundlegung der Psychologie und Logik" (das. 1889). Der Grundgedanke der geschichtlichen Arbeiten Teichmüllers ist der, die Abhängigkeit des Aristoteles von Platon nachzuweisen und das Platonische System durch strengere Verknüpfung der Ideen mit dem Prinzip der Bewegung in Einklang zu bringen, daneben aber eine eigne, von ihm als "vierte Weltansicht" bezeichnete, dem Leibnizschen System mannigfach verwandte philosophische Anschauung geltend zu machen.
Teichmuschel (Entenmuschel, Anodonta Lam.), Gattung aus der Familie der Flußmuscheln, hat ein dünnes, zerbrechliches Gehäuse und längliche, ungleichseitige Schalen mit glatter, brauner Oberhaut. Sie lebt besonders in stehenden, schlammigen Gewässern, einzelne Arten auch in Flüssen. Je nach Wohnort, Alter, Nahrung und Geschlecht weichen die Individuen ungemein voneinander ab, und die Unterscheidung der zahlreichen Arten ist daher sehr schwierig und noch keineswegs festgestellt. Die beiden wichtigsten sind die große Schwanenteichmuschel (A. cygnea L.), breit-eiförmig, mit geradem oder meist aufsteigend gebogenem Oberrand und gerundetem, sehr krummlinigem Unterrand, bis 18 cm breit, und die Cellenser T. (A. cellensis Schröt.), länglich-eiförmig, mit fast geradem, parallelem Ober- und Unterrand. Die T. findet sich fast in ganz Europa und vermehrt sich sehr stark; ein Tier enthält bisweilen an 40,000 junge Muscheln. Diese entwickeln sich zuerst innerhalb der Kiemen des Muttertiers, schwärmen dann als kleine, sehr unreife Larven aus und heften sich mittels eines Byssusfadens an die Flossen von Fischen an. Der von ihnen als Fremdkörpern verursachte Reiz hat eine Schwellung in ihrer Umgebung zur Folge; die Haut erhebt sich zu einem Wall und schließt in 3-4 Tagen die Larve völlig ein. In einem solchen Gefängnis nun bleibt letztere über 70 Tage und entwickelt sich dabei bedeutend. Ursprünglich mit nur einem Schließmuskel versehen, büßt sie diesen ein und erhält dafür zwei neue; ferner wachsen ihr Kiemen, Herz, Geschlechtsorgane etc. Endlich öffnet sich die Haut des Fisches, und die junge Muschel tritt hervor, um von da ab frei um herzukriechen.
Teichrohr, s. Arundo.
Teichrohrgras, s. Calamagrostis.
Teichrohrfänger, s.Schilffänger.
Teichrose, s. v. w. Nymphaea alba; gelbe T., s. v. w. Nuphar luteum (Nymphaea lutea).
Teichunke, s. v. w. Feuerkröte, s. Frösche, S. 752.
Teichwirtschaft, s. Teich.
Teichwolframsdorf, Dorf im sachsen-weimar. Verwaltungsbezirk Neustadt a. O., an der Linie Werdau-Mehltheuer der Sächsischen Staatsbahn, 311 m ü. M., hat eine evang. Kirche, eine Burgruine, Kammgarnspinnerei, Harmonikafabrikation u. (1885) 1946 Einw.
Teifun (Taifun, Tyfon, Typhon), Wirbelstürme in den chinesischen und japanischen Meeren, kommen zur Zeit des Wechsels der Monsune (s. d.) vom Juni bis November, am häufigsten im September und Oktober, vor und unterscheiden sich von den andern Wirbelstürmen dadurch, daß sie gewöhnlich einen sehr kleinen Durchmesser (d. h. Breite) besitzen. Ihre Zentra (die Punkte der Windstille innerhalb des Sturmwirbels), die oft beinahe stillzustehen scheinen, bewegen sich von O. nach W. oder von OSO. nach WNW., während die Rotationsrichtung wie bei allen Wirbelwinden auf der nördlichen Halbkugel, entgegengesetzt der des Uhrzeigers ist. Sie sind, weil bei ihnen alle sonstigen Vorzeichen eines herannahenden Sturms fehlen, und weil innerhalb eines so eng begrenzten Raums, wie ihn der T. einnimmt, die Winde in ihren Richtungen ungewöhnlich rasch wechseln, für die Schiffe äußerst gefährlich. Das Wort T. (tai-fung) ist chinesischen Ursprungs, und zwar heißt fung Wind, und tai ist eine Bezeichnung der alten Bewohner von Formosa für einen äußerst heftigen Wind während der Monate Juni bis September.
Teigdrucke, Abdrücke in einer Teigmasse von mäßig tief eingeschnittenen Metallplatten mit biblischen Darstellungen, welche als Vorläufer des von der gestochenen Kupferplatte genommenen Abzugs gelten. Sie gehören der Frühzeit des 15. Jahrh. an und sind meist auf Deckeln von Andachtsbüchern geklebt gefunden worden. Sie sind teilweise bemalt und vergoldet. Man kennt bis jetzt etwa 20 T.
Teigfarben, s. Pastellfarben.
Teignmouth (spr. tannmoth oder tinn-), Seestadt in Devonshire (England), an der Mündung des Teign in den Kanal, hat einen Kursaal für Badegäste, Marmorschleiferei, Ausfuhr von Granit (aus den Heytorbrüchen), Töpferthon und Apfelwein und (1881) 7120 Einw. Zum Hafen gehören (1888) 23 Seeschiffe von 2456 Ton. und 76 Fischerboote; Wert der Einfuhr 18,302, der Ausfuhr 7330 Pfd. Sterl. T. ist Sitz eines deutschen Konsulats.
Teigwaren, Nudeln, Maccaroni, Biskuits.
Teilaccept, s. Accept.
Teilbarkeit, allgemeine Eigenschaft der Körper, zufolge welcher sich dieselben in kleinere gleichartige Teile auf mechanischem Weg trennen lassen. Ob die physikalische T. der Körper bis ins Unendliche gehe, oder ob dieselbe bei gewissen kleinsten Teilchen (Atomen), die nicht mehr teilbar seien, ihre Grenze habe, darüber hat man vorzüglich auf dem Gebiet der Philosophie bis jetzt viel gestritten, weil man hierin einen wichtigen Schlüssel zur Erforschung des Wesens der Materie zu finden hoffte (s. Atom). Die Bemühungen um Auffindung der Grenze, bis zu welcher faktisch die Teilung der Körper getrieben werden kann, hat zwar noch nicht eine derartige Grenze ergeben, aber doch gezeigt, daß, wenn eine solche vorhanden ist, die kleinsten Teilchen nicht mehr meßbar sind. Man nimmt gegenwärtig an, die mechanische Teilung führe schließlich auf die Mole, während als die
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Teilbau - Teiresias.
wirklich kleinsten Teile, in welchen ein Körper im freien Zustand existieren kann, die Moleküle gelten. Diese bestehen mit wenigen Ausnahmen aus mindestens zwei Atomen, welche nur durch chemische Mittel voneinander getrennt werden können.
Teilbau, s. Halbpacht.
Teilfrüchtchen, s. Frucht, S. 755.
Teilhaberschaft, s. Arbeitslohn, S. 759, und Handelsgesellschaft.
Teilmaschine, Vorrichtung zur Ausführung von Kreis- oder Längenteilungen, namentlich zur Herstellung der Grad- und Längenteilungen an Meßinstrumenten. Beide haben den zu teilenden Kreis oder Stab periodisch um eine genau bestimmte Strecke zu bewegen und dann durch ein feststehendes sogen. Reißerwerk einen Strich von bestimmter Länge auszuführen. Bei der Kreisteilmaschine wird nach Reichenbach die Originalteilung eines Mutterkreises unter Benutzung des Mikroskops kopiert oder nach Ramsden der zu teilende Kreis mit Schraube und Schraubenrad gleichmäßig gedreht und in passenden Momenten durch das Reißerwerk eingeritzt und endlich nach Örtling eine Kombination beider Prinzipien vorgenommen. Reichenbachs Prinzip ist genau, aber zeitraubend, das von Ramsden ziemlich ungenau; die Kombination nach Örtling gestattet verhältnismäßig schnelles und genaues Arbeiten. Vgl. "Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen", Bd. 29, 1850, S. 133. Bei den Längenteilmaschinen wird die Bewegung des auf einem Schlitten befestigten Maßstabs in der Regel durch Mikrometerschraube bewirkt, z. B. die T. von Gebrüder Ehrlich in Dresden und ähnlich die von Breithaupt in Kassel. Bei der T. ohne Führungsschraube von Meyerstein in Göttingen und ähnlich bei der von Nasmyth wird ein Normalmaßstab zu Hilfe gezogen, dessen Teilung gewissermaßen kopiert werden muß.
Teilnahme am Verbrechen (Mitschuld, Concursus ad delictum), die Beteiligung mehrerer Personen an einer strafbaren Handlung; und zwar spricht man von einer notwendigen T., wenn zu dem Begriff eines Verbrechens, z. B. zu dem Verbrechen des Aufruhrs, das Vorhandensein mehrerer Thäter (Mitschuldige, Komplicen) erforderlich ist, während eine freiwillige T. vorliegt, wenn ein Verbrechen, z. B. ein Diebstahl, von mehreren gemeinschaftlich begangen wird, welches aber auch von einer einzelnen Person verübt werden kann. Die der gemeinschaftlichen Ausführung vorangehende Verabredung eines oder mehrerer einzeln bestimmter Verbrechen wird Komplott genannt. Handelt es sich dagegen um eine Verbindung, welche auf die Wiederholung von einzeln noch nicht bestimmten Verbrechen gerichtet ist, so wird dieselbe als eine Bande bezeichnet. Keine T. ist die Begünstigung (s. o.), weil es sich dabei um einen nachträglichen Beistand handelt. Nur wenn die Begünstigung vor Begehung der That zugesagt war, soll sie als Beihilfe bestraft werden. Im übrigen werden in dem deutschen Strafgesetzbuch Mitthäter, Anstifter und Gehilfen unterschieden. Mitthäter sind diejenigen, welche ein Verbrechen gemeinschaftlich ausführen. Wird dagegen die verbrecherische That von einer Person (dem physischen Urheber) ausgeführt, welche hierzu von einer andern (dem intellektuellen Urheber) durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andre Mittel vorsätzlich bestimmt worden war, so erscheint die letztere als Anstifter (mittelbarer, intellektueller, moralischer, physischer Urheber). Hat dagegen der Teilnehmer dem Thäter nur wissentlich durch Rat oder That Beihilfe geleistet, so wird er als Gehilfe bestraft, und zwar kennt das deutsche Strafgesetzbuch eine strafbare Beihilfe nur bei eigentlichen Verbrechen und Vergehen, nicht auch bei bloßen Übertretungen. Von den Mitthätern wird jeder als Thäter bestraft (§ 47); ebenso wird der Anstifter gleich dem Thäter bestraft (§ 48). Die Strafe des Gehilfen dagegen ist geringer als diejenige des Thäters; sie soll sich nach den Grundsätzen des Versuchs richten und diesen entsprechend ermäßigt werden (§ 49). Übrigens ist auch der Versuch der Anstiftung für strafbar erklärt, wofern es sich um ein eigentliches (schweres) Verbrechen handelt, zu welchem der Anstifter einen andern, wenn auch ohne Erfolg, aufforderte. Die lediglich mündlich ausgedrückte Aufforderung zum Verbrechen wird nur dann bestraft, wenn diese Aufforderung an die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art geknüpft war. Auch die Annahme einer solchen Aufforderung ist strafbar. Das Komplott, bei welchem es noch nicht zum Beginn der Ausführung der verbrecherischen That gekommen, ist beim Hochverrat (§ 83) strafbar. Im deutschen Militärstrafgesetzbuch (§ 59) ist auch die Verabredung eines Kriegsverrats mit Strafe bedroht. Die Komplotthäupter (Rädelsführer) sind beim Hochverrat und beim Landfriedensbruch vom Gesetz als besonders strafbar bezeichnet. Die Bande ist nach dem Reichsstrafgesetzbuch an und für sich nicht strafbar. Dagegen macht die bandenmäßige Ausführung den Diebstahl und den Raub zum schweren Diebstahl, resp. Raub. Vgl. v. Bar, Zur Lehre vom Versuch und Teilnahme am Verbrechen (Hannov. 1859); Langenbeck, Die Lehre von der T. (Jena 1867); Schütze, Die notwendige T. (Leipz. 1869).
Teilscheibe, Vorrichtung an Räderschneidmaschinen, Drehbänken etc. zur Zerlegung von Kreisen in eine bestimmte Anzahl genau gleicher Teile.
Teilung, Bezeichnung für eine Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung (s. d.).
Teilung der Arbeit, s. Arbeitsteilung.
Teilungsgewebe, s. Meristem.
Teilungslager, s. Zollniederlagen.
Teilungszeichen, s. Divis.
Teilungszwang, s. Gemeinheitsteilung.
Teilurteil, s. Urteil.
Teilzahlung, s. Abschlagszahlung.
Teinach, Dorf und Badeort im württemberg. Schwarzwaldkreis in einem schönen, waldreichen Thal an der Teinach und der Linie Pforzheim-Horb der Württembergischen Staatsbahn, 398 m ü. M., hat eine evang. Kirche, kohlensäurehaltige Stahlquellen und alkalisch-erdige Säuerlinge, welche bei Katarrh der Luftwege, Tuberkulose, Gicht, Blasenkatarrh etc. getrunken werden, und 405 Einw. Von dem Wasser werden jährlich gegen 1 Mill. Krüge versandt. In der Nähe die Stadt Zavelstein (s. d.). Vgl. Wurm, Das Bad T. (5. Aufl., Stuttg. 1884).
Teint (franz., spr. täng), Gesichts- oder Hautfarbe.
Teiresias (Tiresias), griech., der Ödipussage angehöriger Seher, ward in seinen Jünglingsjahren von den Göttern mit Blindheit geschlagen, weil er den Menschen Geheimnisse der Götter mitteilte (oder weil er Athene im Bad gesehen hatte), dann von Zeus mit der Gabe der Weissagung und einem Leben von sieben Menschenaltern beschenkt. Bei dem Zug der Epigonen gegen Theben als Gefangener abgeführt, starb er unterwegs an der Quelle Tilphussa. Er weissagte auch noch in der Unterwelt.
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Teirich - Telaw.
Teirich, Valentin, Zeichner und Kunstschriftsteller, geb. 23. Aug. 1844 zu Wien, besuchte unter Fr. Schmidt die Kunstakademie daselbst und bildete sich darauf im Atelier van der Nülls und auf Reisen zu einem gediegenen Kenner der deutschen und italienischen Renaissance. Er ward 1868 Dozent, später Professor an der Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums und zugleich Dozent am Polytechnikum. In dieser Stellung schuf er eine große Anzahl von trefflichen Entwürfen für die Möbel-, Bronze- und Thonwarenindustrie, begründete 1872 die "Blätter für Kunstgewerbe", die später von Storck fortgeführt wurden, starb aber schon 8. Febr. 1877. Er schrieb: "Die moderne Richtung in der Bronze- und Möbelindustrie" (Wien 1868) und gab heraus: "Die Ornamente aus der Blütezeit der italienischen Renaissance" (das. 1871); "Marmorornamente des Mittelalters und der Renaissance in Italien" (das. 1874; "Kabinett, im Auftrag Sr. Majestät des Kaisers Franz Joseph I. entworfen" (das. 1874). Nach seinem Tod erschienen. "Bronzen der italienischen Renaissance" (1878).
Teisendorf, Flecken im bayr. Regierungsbezirk Oberbayern, Bezirksamt Laufen, an der Sur und dem Fuß der Alpen sowie an der Linie München-Rosenheim-Salzburg der Bayrischen Staatsbahn, hat eine kath. Kirche, Öberförsterei, Bierbrauerei und 630 Einw. In der Nähe die Schloßruine Raschenberg und Spuren der Römerstraße von Augsburg nach Salzburg.
Teisserenc de Bort (spr. täß'rang d'bor), Pierre Edmond, franz. Staatsmann, geb. 1814 zu Chateauroux, ward auf der polytechnischen Schule gebildet, dann Ingenieur bei der Verwaltung des Tabaksmonopols, darauf Regierungskommissar bei verschiedenen Eisenbahngesellschaften, Mitgründer der Bahn Paris-Lyon-Mittelmeer, im Februar 1871 Mitglied der Nationalversammlung, wo er sich den konservativen Republikanern anschloß, war vom April 1872 bis 24. Mai 1873 Minister der öffentlichen Arbeiten, wurde 1876 Mitglied des Senats und war vom März 1876 bis 16. Mai 1877 und 13. Dez. 1877 bis Februar 1879 wieder Minister der öffentlichen Arbeiten. Er bekleidete darauf bis 1880 den Botschafterposten in Wien.
Teiste (Stechente), s. Lumme.
Teja, Stadt in Marokko, s. Thesa.
Tejada, Staatsmann, s. Lerdo de Tejada.
Tejas, letzter König der Ostgoten, war Feldherr des Totilas, nach dessen Fall bei Tagina 552 er in Pavia zum König erhoben wurde, sammelte in Oberitalien die Reste der Goten und zog darauf nach Unteritalien seinem in Cumä von den Römern belagerten Bruder Aligern zu Hilfe. Hier am Sarnus kämpfte er einen 60tägigen Verzweiflungskampf gegen die Römer, in dem er endlich nach heldenhaftem Widerstand mit dem größten Teil seines Volkes fiel.
Tejo (spr. teschu), Fluß, s. Tajo.
Teju (Tejus Gray), Eidechsengattung aus der Ordnung der Saurier (Sauria) und der Familie der Schienenechsen (Ameivae), amerikanische Reptilien mit gestrecktem Körper, meist 2-3 Querfalten an der Kehle, glatten, in quere Binden geordneten Rückenschuppen, glatten, vierseitigen, in der Fünfform stehenden Bauchschuppen, an der Basis einstülpbarer Zunge, mit zwei oder drei Einschnitten versehenen obern Schneidezähnen und in der Jugend dreispitzigen, im Alter höckerigen Backenzähnen. Der T. (Salompenter, T. teguixin Gray), bis 2 m lang, oberseits bräunlichschwarz mit weißgelben und weißen Flecken und Binden, unterseits rötlichgelb, schwarz gebändert, bewohnt Südamerika von Guayana bis Paraguay, lebt hauptsächlich in der Nähe der Küste, in Plantagen, Gebüschen, Wäldern, gräbt sich Erdhöhlen unter Baumwurzeln, nährt sich von Früchten und allerlei kleinen Tieren und wird auf Hühnerhöfen schädlich durch das Rauben von Eiern und jungem Geflügel. Er ist sehr schüchtern und flüchtig, leistet aber im Notfall tapfere Gegenwehr und beißt äußerst scharf. Man jagt ihn eifrig auch des wohlschmeckenden Fleisches halber und benutzt dies und besonders das Fett gegen Schlangenbiß.
Tejuco, Stadt, s. Diamantina.
Tekendorf (ungar. Teke), Stadt im ungar. Komitat Klausenburg (Siebenbürgen), mit 3 Kirchen, (1881) 2032 ungarischen, rumänischen und deutschen Einwohnern, Bezirksgericht und Weinbau.
Tekiëh, ein mohammedan. Mönchskloster.
Tekke-Turkmenen (Tekinzen), ein Stamm der Turkmenen, nördlich vom Kopet Dagh bis zur Sandwüste Karakum und südöstlich bis Merw in einem mit zahlreichen Festungen besetzten Gebiet wohnhaft; sie zerfallen in drei Stämme: die Achal-T., die Tetschen-T. und die Merw-T. Die erstern wurden nach zweijährigem hartnäckigen Widerstand von den Russen unterworfen, indem General Skobelew 24. Jan. 1881 ihre Hauptfestung Gök-Tepe erstürmte. Durch Ukas vom 18. Mai 1881 wurde das Gebiet der Achaltekinzen mit dem transkaspischen Gebiet vereinigt und 31. Jan. 1884 auch Merw von den Russen in Besitz genommen.
Tekrit, kleine, früher bedeutendere, von Arabern bewohnte Stadt im türk. Wilajet Bagdad, am rechten User des Tigris, etwa 160 km nordnordwestlich von Bagdad auf mehreren Hügeln, die zum Flusse steil abfallen, mit Ruinen einer alten Festung und angeblich 2000 Einw.
Tekrur, der einheimische Name für die Osthälfte des Sudân vom Niger bis Kordofan.
Tektonik (griech.), die Kunst, Räume herzustellen, in welchen man wohnt, die Baukunst im weitern Sinn; dann auch die Kunst, Geräte und Möbel unter Berücksichtigung des Verhältnisses der tragenden und getragenen Teile aus Holz und andern Materialien zu verfertigen (Möbeltischlerei, Zimmermannskunst, Gefäßbildnerei etc.).
Tektur (lat.), Decke, Umschlag eines Aktenstücks.
Tekutsch (rumän. Tecuciu), Kreishauptstadt in Rumänien (Moldau), am Berlad, Knotenpunkt der Eisenbahnen nach Galatz, Berlad und Marasesti (Linie Roman-Verciorova), Sitz der Präfektur und eines Tribunals, mit einem Gymnasium, Weinbau, Handel und 9081 Einw.
Tela (lat.), Gewebe, z. B. T. cartilaginea, Knorpelgewebe.
Telabun, s. Eleusine.
Telamon, griech. Heros, Sohn des Äakos und der Endeis, Bruder des Peleus, flüchtete wegen des an seinem Halbbruder Phokos verübten Mordes nach Salamis zum Kychreus, der ihn zum Schwiegersohn erkor und ihm bei seinem Tode die Herrschaft hinterließ. Seine spätere Gattin Periböa gebar ihm den Aias. T. begleitete Herakles nach Troja, wo er die Tochter des Luomedon, Hesione, zum Geschenk erhielt, die ihm den Teukros gebar, und nahm auch teil an der kalydonischen Jagd und der Argonautenfahrt.
Telamonen (griech.), in der Architektur, s. Karyatiden.
Telaw, Kreisstadt im russisch-kaukas. Gouvernement Tiflis, Hauptort der Landschaft Kachetien, in obst- und weinreicher Gegend, mit Palästen und den Ruinen alter Befestigungen, einem Bazar, lebhaftem Handel mit Wein und (1879) 7022 Einw.
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Telchinen - Telegraph.
Telchinen, in der griech. Mythologie ein aus dem Meer entsprossenes Urgeschlecht auf der Insel Rhodos. Sie galten für die ältestem Metallarbeiter und Verfertiger von Götterbildern und mythischen Waffen und Geräten, namentlich der Sichel des Kronos und des Dreizacks des Poseidon (welch letzterer ihnen von Rhea zur Erziehung anvertraut sein sollte, wie Zeus den rhodischen Kureten), aber auch für neidische Zauberer und Göttern wie Menschen feindliche Dämonen. Sie wurden daher von Apollon getötet, nach andrer Sage von Zeus durch eine Überschwemmung der Insel vernichtet; nach noch andrer Tradition wanderten sie von Rhodos aus und zerstreuten sich nach Lykien, Cypern, Kreta und Griechenland.
Teleangiëktasie (griech.), s. Feuermal.
Telega, russ. Fuhrwerk, s. Kibitka.
Telegonos, im griech. Mythus Sohn des Odysseus und der Kirke, zog auf Geheiß seiner Mutter aus, den Vater zu suchen, und ward durch einen Sturm nach Ithaka verschlagen. Als er hier, von Hunger getrieben, auf den Feldern des Odysseus raubte und dieser ihm entgegentrat, tötete er seinen Vater, ohne ihn zu kennen. Auf Geheiß der Athene ging er darauf mit Telemachos und Penelope zur Kirke zurück und vermählte sich dort mit Penelope, die ihm den Italos gebar. Er soll Präneste und Tusculum gegründet haben.
Telegramm (griech.), aus Amerika (1852) stammende Bezeichnung einer telegraphischen Nachricht (sprachlich richtiger Telegraphem, wie im heutigen Griechenland üblich). Man unterscheidet: 1) T. in offener Sprache mit allgemein verständlichem Inhalt in einer gebräuchlichen Sprache; 2) T. in verabredeter Sprache in Wörtern, die nur für den Eingeweihten einen Sinn geben. Die Wörter werden für die internationale Korrespondenz zugelassenen Wörterbüchern entnommen und bezeichnen oft ganze Sätze, so daß das T. sehr kurz und billig wird; 3) T. in chiffrierter Sprache, d. h. aus Ziffern oder Buchstaben bestehend, zu deren Deutung ein Schlüssel nötig ist (s. Chifferschrift). Die Gebühren werden nach einem Einheitssatz für das Wort berechnet. Größte Länge eines Wortes für T. 1) im europäischen Verkehr 15, im außereuropäischen Verkehr 10 Buchstaben, für T. 2) höchstens 10 Buchstaben. Bei T. 3) sind je 5 Ziffern oder Buchstaben = ein Wort. Worttaxe (1889) im innern Verkehr Deutschlands 6, für Stadttelegramme 3 Pfennig und im Verkehr mit Algerien-Tunis 27, Belgien 10, Bosnien-Herzegowina 20, Bulgarien 25, Dänemark 10, Frankreich 15, Gibraltar 25, Griechenland mit Euböa und Poros 40, griechische Inseln 45, Großbritannien 20 (Grundtaxe 40), Helgoland 15, Italien 20, Luxemburg 6, Malta 40, Marokko 40, Montenegro 20, Niederlande 10, Norwegen 20, Österreich-Ungarn 10, Portugal 25, Rumänien 20, Rußland (europäisches und kaukasisches) 25, Schweden 20, Schweiz 10, Serbien 20, Spanien 25, Tripolis 105, Türkei 45 Pfennig. Dringende Telegramme (dringend, urgent, D.) werden gegen dreifache Gebühr vor andern befördert. Bezahlte Antwort (Antwort bezahlt, reponse payee, R. P.) wird für zehn Worte berechnet, man kann aber auch für mehr Worte und für dringende Antwort (R. P. D.) bezahlen. Verglichene Telegramme (Vergleichung, collation, T. C.) werden von der Ankunftsstelle zurücktelegraphiert, Gebühr für Vergleichung ein Viertel der Gebühr für das T. Empfangsanzeige (Empfangsanzeige bezahlt, accuser réception C. R.), Gebühr gleich T. von zehn Worten. Nachzusendendes T. (nachzusenden, faire suivre, F. S.) wird innerhalb Europas dem Empfänger nachgesandt und die Gebühr von letzterm erhoben. Zu vervielfältigendes T. an mehrere Empfänger in demselben oder an mehrere Wohnungen desselben Empfängers in demselben Ort. Gebühr für jede Abschrift 40 Pf. Offen zu bestellendes T. (remettre ouvert, R. O.) wird unverschlossen übergeben. P. P. = poste payée, Post bezahlt; X. P. = exprés payé, Eilbote bezahlt. Seetelegramm (sémaphorique) für Schiffe in See muß Empfänger, Namen des Schiffs und der zu benutzenden Seetelegraphenanstalt enthalten. Berichtigungs- oder Ergänzungstelegramm: 72 Stunden nach Empfang, resp. Absenduug eines Telegramms kann man Richtigstellung zweifelhaft erscheinender Wörter fordern, hat die Gebühr für die erforderlichen Telegramme zu hinterlegen, erhält dieselbe aber zurück, wenn Entstellung durch Schuld des Telegraphendienstes sich ergibt. Die für diese besondern Telegramme angegebenen Bezeichnungen sind vor das T. zu setzen, sie sind gleich dem Inhalt des Telegramms gebührenpflichtig, die Abkürzungen zählen aber nur als ein Wort.
Telegraph (griech., "Fernschreiber", hierzu Tafeln "Telegraph I u. II"), jede Vorrichtung, welche den Austausch von Nachrichten zwischen entfernten Orten ohne Zuhilfenahme eines Transportmittels ermöglicht. Licht, Schall und Elektrizität sind die Mittel, deren man sich zur Erreichung dieses Zwecks bedienen kann; doch finden die optischen und akustischen Telegraphen nur noch zu Signalen, im Eisenbahnbetrieb, bei der Schiffahrt und im Kriegswesen Verwendung. Optische Telegraphen sind schon im Altertum angewandt worden; nach Äschylos erfuhr Klytämnestra die Eroberung von Troja durch Feuerzeichen auf den Bergen noch in derselben Nacht, obwohl eine Strecke von 70 Meilen dazwischenlag. Ähnliche Alarmfeuer waren bei den Feldzügen Hannibals, insbesondere bei den Schotten, aber auch bei den germanischen und andern Völkerschaften gewöhnliche Mittel der Telegraphie, worüber sich unter andern bei Polybios, I. Africanus und sonstigen Schriftstellern Nachrichten finden. Kleoxenos und Demokleitos (450 v. Chr.) sollen die Buchstaben des griechischen Alphabets auf fünf Tafeln verteilt und dann durch Erheben von Fackeln nach links oder rechts zuerst die Tafel, auf welcher der zu telegraphierende Buchstabe stand, darauf die Nummer des letztern selbst bezeichnet haben. Polybios (196) ließ diese Feuerzeichen durch Röhren beobachten, welche in gewissen Stellungen fixiert waren. Weitere Ausbildung erhielt der optische T. erst 1793 durch die Gebrüder Chappe, welche drei Balken an einem weithin sichtbaren Ort so an einem Gestell befestigten, daß sie in vielfachen Kombinationen eine große Zahl bestimmter Zeichen geben konnten. Zwischen Paris und Lille telegraphierte man mit diesem Apparat, unter Benutzung von 20 Stationen, in 2 Minuten, und seitdem verbreitete sich derselbe sehr schnell. In neuerer Zeit benutzt man nach dem Vorgang der Amerikaner während des Bürgerkriegs auch bei der optischen Telegraphie die Zeichen des Morsealphabets und stellt sie durch kurze und lange Lichtblitze, Stellung beweglicher Arme, Tafeln an Stangen oder Flaggen dar. Die Engländer haben im Kapland und Afghanistan den Heliographen (s. d.) angewendet. Mackenzie hat mit dem Heliographen den Taster des Morse-Apparats verbunden und fixierte auf der Empfangsstation die Lichtblitze photographisch. Spankowski hat die Lichtblitze durch Verbrennung zerstäubten Petroleums in einer Spiritusflamme, und auf
Telegraph I.
Fig. 3. Schaltung für Kabelstation.
Fig. 13. Korrektionsrad.
Fig. 5. Schriftprobe des Heberschreibapparats.
Fig. 18. Isolier-Doppelglocke.
Fig. 17. Gegensprechschaltung von Canter.
Fig. 16. Gegensprechschaltung von Fuchs.
Fig. 4. Thomsons Heberschreibapparat.
Fig. 19. Querschnitte der Kabel
Zum Artikel »Telegraph«.
Telegraph.
Fig. 1. Casellis Pantelegraph.
Fig. 12. Druckvorrichtung des Hughes-Apparats.
Fig. 10. Hughes-Apparat.
Telegraph II.
Fig. 11. Elektromagnetsystem und Verkuppelung des Hughes-Apparats.
Fig. 7 Morse-Taste.
Fig. 6. Normalfarbschreiber.
Fig. 2. Thomsons Spiegelgalvanometer.
Fig. 9. Plattenblitzableiter.
Fig. 8. Galvanoskop.
Fig. 14. Stiftbüchse des Hughes-Apparats.
Fig. 15. Schlitten des Hughes-Apparats mit seitlichem Kontakt.
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Telegraph (elektrische Telegraphie).
kurze Entfernungen hat man sie durch Öffnen und Schließen einer hellleuchtenden Lampe hervorgebracht. In Deutschland, Rußland u. a. O. hat man in gefesselten Luftballons durch elektrisches Licht ähnliche Zeichen gegeben. Bruce benutzte einen aus dünnem Stoff gefertigten Luftballon von 4-5 m Durchmesser, in welchem eine oder mehrere Glühlampen aufgehängt sind, deren Erglühen durch eine Leitung im Haltetau hervorgerufen wird; der Luftballon erscheint dann als glühende Kugel. Die Franzosen haben zwischen Mauritius und Réunion auf 180 km Entfernung einen optischen Telegraphen eingerichtet, bei dem die Lichtblitze einer Petroleumflamme durch Prismen verstärkt werden. Zur Zeichengebung durch bewegliche Arme bedient man sich im Festungskrieg, auch auf den Schießplätzen der Artillerie, der vierarmigen Semaphoren. In gleicher Weise erfolgt die Zeichengebung durch zwei nebeneinander stehende Leute, die in jeder Hand eine Tafel mit kurzem Stiel halten; die senkrechte Stellung derselben bedeutet Punkte, die wagerechte die Striche des Alphabets. Nachts treten an Stelle der Tafeln farbige Laternen; je nach Vereinbarung bedeutet die eine Farbe Punkte, die andre Striche. Diese Art des Telegraphierens bildet den Übergang zum Signalisieren (s. Signale), wobei gewisse Zeichen oder Armstellungen gewisse Bedeutung erhalten, die durch ein Signalbuch festgestellt sind.
Die elektrische Telegraphie
beruht auf der schnellen Fortpflanzung der Elektrizität in metallischen Leitern. Die Versuche, die Reibungselektrizität zum Telegraphieren zu benutzen, führten zu keinem praktischen Ergebnis; nachdem aber in der galvanischen oder Berührungselektrizität eine viel geeignetere Kraftform entdeckt war, benutzte Sömmerring 1809 die durch die Voltasche Säule bewirkte Wasserzersetzung zum Telegraphieren, indem er 35 Drähte zu ebenso vielen mit Buchstaben und Ziffern bezeichneten Wassergefäßen der entfernten Station leitete. Die hohen Kosten einer solchen Leitung sowie die Schwierigkeit, einen Strom von erforderlicher Stärke auf größere Entfernungen zu entsenden, ließen auch diese Idee als im großen unausführbar erscheinen. In späterer Zeit hat man die chemische Wirkung des elektrischen Stroms zur Herstellung von Schreib- und Kopiertelegraphen zu verwenden gesucht, indem man Papierstreifen mit einer farblosen Flüssigkeit tränkte, welche durch den Strom in gefärbte Bestandteile zerlegt ward, z. B. mit einer Lösung von Jodkalium oder Blutlaugensalz. Derartige Telegraphen sind angegeben worden von Davy (1838), Bain (1847), Gintl und Stöhrer (1852), haben aber keine Verbreitung gefunden.
Der Pantelegraph von Caselli (Fig. 1, Tafel I) war 1865 zwischen Paris und Lyon im Gebrauch. Ein innerhalb eines eisernen Rahmens bei D befestigtes langes Pendel mit der Eisenlinse E schwingt unter Mitwirkung eines Chronometers F und der Batterie B zwischen den Elektromagneten M M1 und überträgt durch die Zugstange de seine Bewegung auf die an dem Schlitten f befestigten Schreibstifte. Letztere bewegen sich demnach hin und her über den auf den gekrümmten Blechpulten A A1 aufliegenden, chemisch zubereiteten Papierblättern und rücken zugleich bei jeder Schwingung um eine Linienbreite auf ihrer Achse vor. Der eine Stift arbeitet nur auf dem Hingang, der andre auf dem Rückgang; es können mithin zwei Telegramme zugleich abgegeben werden. Die Epoche der elektromagnetischen Telegraphie begann 1820 mit Örsteds Entdeckung, daß eine in der Nähe des Schließungsdrahts einer Voltaschen Säule aufgestellte Magnetnadel je nach der Richtung des Stroms nach der einen oder der andern Seite hin abgelenkt wird. Da hierzu, wenn die Nadel von zahlreichen Drahtwindungen (Multiplikator) umgeben ist, ein schwacher Strom ausreicht, so war die Möglichkeit, auf große Entfernungen zu telegraphieren, gegeben. Jedoch weder das Telegraphenmodell von Ampère und Ritchie (1820) mit 30 Nadeln und 60 Leitungsdrähten noch dasjenige von Fechner (1829) mit 24 Nadeln und 48 Drähten eignete sich zur Ausführung im großen. Erst 1832 versuchte Schilling von Canstadt, Eine Nadel mit nur zwei Leitungsdrähten anzuwenden und die verschiedenen Buchstaben durch Kombination mehrerer Ablenkungen nach rechts und links auszudrücken. Aber schon 1833 hatten Gauß und Weber zu Göttingen zwischen der Sternwarte und dem physikalischen Kabinett eine auf derselben von ihnen selbständig gefundenen Idee beruhende telegraphische Verbindung hergestellt. Von ihnen angeregt, legte Steinheil 1837 zwischen München und Bogenhausen eine ¾ Meile lange Telegraphenleitung an; er wandte, wie Gauß und Weber, statt der gewöhnlichen galvanischen Ströme die Magnetinduktionsströme an und fixierte die Zeichen in Form einer Schrift, indem seine zwei Magnetnadeln, wenn sie abgelenkt wurden, auf einen durch ein Uhrwerk vorübergeführten Papierstreifen Punkte zeichneten. In England wurde der Nadeltelegraph durch Cooke und Wheatstone eingeführt; ersterer hatte 1836 in Heidelberg ein Modell des Schillingschen Apparats gesehen und verband sich 1837 mit Wheatstone zur Verbesserung und praktischen Verwertung der Schillingschen Erfindung.
Der Nadeltelegraph von Wheatstone und Cooke, welcher auf englischen Eisenbahnlinien noch gegenwärtig vereinzelt in Gebrauch ist, enthält zwei auf gemeinschaftlicher horizontaler Achse befestigte, im Ruhestand vertikal stehende Magnetnadeln, deren eine sich innerhalb einer Multiplikatorrolle, die andre als Zeiger auf der Vorderseite des Apparatgehäuses befindet; sie bilden ein sogen. astatisches Nadelsystem, indem ihre gleichnamigen Pole nach entgegengesetzten Seiten gekehrt sind. Zum Zeichengeben dient der im untern Teil des Apparats angebrachte sogen. Schlüssel, durch dessen Drehung die Nadeln sämtlicher in die Leitung eingeschalteter Apparate so abgelenkt werden, daß sie mit der Stellung, die man dem Handgriff jeweilig gegeben hat, parallel stehen. Durch Kombinationen von Ablenkungen nach rechts und links werden die Buchstaben ausgedrückt. Der Doppelnadeltelegraph derselben beiden Erfinder, eine Zusammensetzung zweier Nadelapparate der eben beschriebenen Art, erfordert eine doppelte Drahtleitung, gestattet aber eine raschere Korrespondenz. Die Nadeltelegraphen haben den Vorteil, daß zu ihrem Betrieb schon sehr schwache Ströme ausreichen; sie eignen sich deshalb vorzugsweise zur Verwendung auf Kabellinien, wo sie in der Form empfindlicher Galvanometer auch heute noch benutzt werden.
Das Spiegelgalvanometer von Thomson (Fig. 2 auf Tafel II), welches auf den meisten längern Unterseekabeln als Empfänger dient, besteht aus einer Multiplikatorrolle mit vielen Umwindungen, innerhalb deren eine ungemein leichte, kleine Magnetnadel an einem Kokonfaden freischwebend aufgehängt ist. An der Magnetnadel ist ein kleiner Spiegel befestigt, welcher das in der Richtung von D einfallende Bild einer dem Instrument gegenübergestellten Lichtquelle C (gewöhnlich einer Petroleumflamme) nach E auf einen dunkel gehaltenen Schirm AB reflektiert. Die
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Telegraph (Wheatstones Zeigertelegraph, Morses Schreibapparat).
Schraube s dient dazu, das Lichtbild im Ruhezustand auf den Nullpunkt einzustellen, der gekrümmte Magnet NS, den Einfluß des Erdmagnetismus zu neutralisieren, indem man denselben längs des Stäbchens t verschiebt. Jeder noch so schwache Strom, welcher die Umwindungen des Galvanometers durchläuft, lenkt die Nadel ab; mit dieser dreht sich auch der Spiegel, und das Lichtbild auf der Wand bewegt sich dem entsprechend von seinem Ruhepunkt nach rechts oder links. Ein bei x eintretender und bei y zur Erde geführter positiver Strom bewegt die Nadel und den Lichtschein nach der einen, ein negativer nach der andern Seite; durch passende Gruppierung der Ablenkungen wird das Alphabet gebildet. Das Abtelegraphieren erfolgt mit einer Doppeltaste, welche nach Belieben positive oder negative Ströme in die Leitung zu schicken gestattet. Fig. 3 (Tafel I) zeigt die gebräuchlichste Schaltung für zwei durch ein Unterseekabel K verbundene Stationen A und B. T1 T2 sind die Doppeltasten, G1G2 die Spiegelinstrumente, B1B2 die Batterien; C1C2 stellen Kondensatoren von beträchtlichem Ladungsvermögen dar, die behufs Unschädlichmachung der Erdströme zwischen Kabel und Apparaten eingeschaltet werden; U1U2 endlich sind Kurbelumschalter, welche beim Geben die Doppeltaste, beim Empfangen das Galvanometer mit dem Kondensator in Verbindung bringen. Die Doppeltaste besteht aus zwei Hebeln mit Knöpfen, welche im Ruhezustand gegen eine obere Querschiene federn, beim Tastendruck aber diese verlassen und mit der untern Querschiene in leitende Verbindung treten. Da zwischen beiden Querschienen die Batterie eingeschaltet ist, während der eine Tastenhebel mit der Erde E, der andre mit der Leitung in Verbindung steht, so wird beim Niederdrücken der einen oder der andern Taste entweder ein + oder ein - Strom in die Leitung fließen.
An die Stelle des Spiegelgalvanometers ist jetzt vielfach der Heberschreibapparat (Syphon recorder) von Thomson (Fig. 4, Tafel I) getreten. Eine Multiplikatorolle S aus feinem Drahte, die um einen Rahmen gewickelt ist, hängt freischwebend und leichtbeweglich zwischen den Polen eines kräftigen Elektromagnets MM; sie verhält sich genau wie die Nadel des Spiegelinstruments. Der ankommende Strom durchläuft die Spule und lenkt sie nach rechts oder links ab; diese nimmt dabei einen feinen Glasheber t mit, der durch Kokonfäden mit ihr verbunden ist, und dessen Spitze einem bewegten Papierstreifen unmittelbar gegenübersteht, ohne ihn jedoch zu berühren. Der Glasheber taucht mit feinem kürzern Ende in ein Tintenfaß aus Metall K, welchem durch eine eigenartig konstruierte, im Apparat selbst angebrachte Elektrisiermaschine B stets eine elektrische Ladung erteilt wird, die genügt, um aus der Heberöffnung nach dem Papierstreifen hin beständig kleine Tintentröpfchen abzuspritzen. In der Ruhelage des Multiplikators steht die Heberöffnung über der Mitte des Streifens; die übergeriffenen Tintentröpfchen zeichnen mithin eine punktierte gerade Linie mitten auf den Streifen. Lenkt ein ankommender Stromimpuls die Multiplikatorrolle und mit ihr den Heber ab, so verwandelt sich die Gerade in eine Schlangenlinie, und zwar weicht die Punktreihe je nach der Stromrichtung oberhalb und unterhalb ab (Fig. 5, Tafel I).
Die wichtigste Förderung hat die Telegraphie erfahren durch die Anwendung von Elektromagneten. Wheatstone bediente sich derselben zuerst zur Herstellung eines Läutwerkes, welches seinem Nadeltelegraphen als Alarmvorrichtung beigegeben war, bald aber auch zur Konstruktion seines Zeigertelegraphen (1839), bei welchem ein durch ein Uhrwerk getriebener Zeiger durch eine am Anker eines Elektromagnets angebrachte Hemmungsvorrichtung von der entfernten Abgangsstation aus nach Belieben vor jedem der am Rande des Zifferblattes verzeichneten Buchstaben angehalten werden kann. Auch Kramer, Siemens u. Halske, Froment, Breguet u. a. haben Zeigertelegraphen konstruiert, die indessen nur selten noch benutzt werden.
Die größte Verbreitung erlangte der 1836 von Morse erfundene Schreibapparat. Derselbe besteht aus einem Elektromagnet mit beweglichem Anker, dessen Hebel auf einem durch Uhrwerk vorübergeführten Papierstreifen Punkte und Striche erzeugt. In den Reliefschreibern geschah dies durch einen an dem freien Ende des Ankerhebels befestigten stählernen Stift, welcher, sobald der Anker von dem Elektromagnet angezogen wurde, sich gegen den zwischen zwei Walzen des Laufwerkes durchgezogenen Papierstreifen anlegte und in demselben kürzere oder längere Eindrücke hinterließ, je nachdem die zum Schließen der Batterie dienende Taste nur einen Augenblick oder längere Zeit niedergedrückt wurde. In neuerer Zeit finden die Morseapparate vorzugsweise als Farbschreiber Verwendung, in welchen die Hebelbewegung des Ankers benutzt wird, um den Papierstreifen gegen ein Farbrädchen oder umgekehrt ein Farbrädchen gegenden Papierstreifen anzudrücken. Der Siemenssche Normalfarbschreiber der deutschen Reichstelegraphenanstalten mit Morsebetrieb ist in Fig. 6 auf Tafel II abgebildet. E ist der hufeisenförmige Elektromagnet, dessen Kerne mit Polschuhen U versehen sind. Den Polen gegenüber befindet sich der hohle, oben aufgeschlitzte Eisenanker K, der durch eine Preßschraube in dem Messinghebel H1 befestigt ist; letzterer hat seine Achse im Innern des Apparatgehäuses W. Die Auf- und Abwärtsbewegung des Ankerhebels wird begrenzt durch die Kontaktschrauben C1C2 des Messingständers T. In dem Rohr B befindet sich eine regulierbare Abreißfeder, während durch Drehung der Mutter M1 das ganze Elektromagnetsystem gehoben oder gesenkt werden kann. Der federnde Ansatz F2 des Ankerhebels läßt sich durch die Stahlschraube s höher oder tiefer stellen; er trägt den Stift t1 und die Achse q1, um welche sich ein zweiarmiger Hebel H4 gelenkartig bewegen läßt. Unterhalb H4 befindet sich ein in die vordere Apparatwange eingeschraubter Stahlstift t2, auf welchen der längere Arm von H4 sich auflegt, wenn die Schraube s angezogen wird; der kürzere Arm verläßt dann den Stift t1, und die beiden Teile F2H4 bilden einen Knickhebel, so daß H4 sich hebt, wenn F2 sich senkt, und umgekehrt. Wird dagegen die Schraube s nachgelassen, so legt sich der kürzere Arm von H4 gegen t1, und die Bewegungen von F2 und H4 erfolgen im gleichen Sinn. Im letztern Fall ist der Apparat für Arbeitsstrom verwendbar, wobei die telegraphischen Zeichen durch das Entsenden eines Batteriestroms in die vorher stromfreie Leitung gebildet werden, während die erstere Stellung der Schraube s dem Arbeiten mit Ruhestrom entspricht, bei welchem die Zeichen durch Unterbrechungen der für gewöhnlich vom Strom durchflossenen Leitung entstehen. Der Hebel H4 trägt in seinem hakenförmig gestalteten Ende die Achse des vom Laufwerk in drehender Bewegung erhaltenen Farbrädchens O3, welches mit seinem untern Rand in die Öffnung des Farbgefäßes F taucht. Durch die Führungswalzen O1O2 wird der Papierstreifen über r3x1 t oberhalb des Farbrädchens vorübergeführt,
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Telegraph (Relais, Morse- und Estienneschrift).
um über die Platte P nach links abzulaufen. T1 ist die Federtrommel des Laufwerkes mit der Handhabe G zum Aufziehen und dem Kontrollstern C zur Begrenzung der Federspannung.
Zum Schließen und Öffnen des Stroms dient die in Fig. 7 auf Tafel II abgebildete Taste, ein um die Achse q in dem Ständer L drehbarer Messinghebel B mit zwei Kontakten R und T, von denen R im Zustand der Ruhe durch die Wirkung der Spiralfeder F gegen die Schiene s3 gepreßt wird, während beim Drucken auf den Knopf O die leitende Verbindung zwischen R und s3 aufgehoben, dagegen zwischen T und s1 hergestellt wird. Ob Strom vorhanden ist, erkennt man an dem Galvanoskop (Fig. 8, Tafel II), dessen Zeiger n an einem zwischen Drahtumwindungen in senkrechter Ebene drehbar aufgehängten Winkelmagnet befestigt ist und je nach der Richtung des Stroms nach rechts oder links ausschlägt. Als Schutzmittel gegen Beschädigungen der Apparate durch den Blitz (s. Blitzableiter) dient der Plattenblitzableiter (Fig. 9, Tafel II). Die mit den Leitungen und den Apparaten verbundenen Messingplatten P1P2 haben Querreifeln und sind innerhalb des Rahmens R mit dem abnehmbaren, auf der Unterseite mit Längsreifeln versehenen Deckel d so angeordnet, daß sie für gewöhnlich sowohl untereinander als von Rahmen und Deckel isoliert bleiben, aber im Bedarfsfall mittels des Stöpsels s gegenseitig und mit dem Deckel leitend verbunden werden können. Letzterer steht über den Rahmen und die Klemmschraube k mit der Erde in Verbindung; etwanige aus der Leitung kommende Blitzschläge vermögende geringe Entfernung zwischen Leitungs- und Deckplatte leicht zu überspringen und werden von dort unschädlich zur Erde abgeleitet.
Die Verbindung der beschriebenen Apparate untereinander und mit der Batterie ergibt sich aus den Stromläufen (Textfig. I für Arbeitsstrom und Textfigur II für Ruhestrom), in welchen T die Taste, A den Schreibapparat, G das Galvanoskop, B den Blitzableiter, L B die Linienbatterie, E den zur Erde und L den zur Leitung führenden Draht bezeichnen.
Wo die Stärke des ankommenden Stroms zur Ingangsetzung der Schreibapparate nicht ausreicht, schaltet man in die Leitung ein Relais. Dasselbe besteht aus einem Elektromagnet mit leicht beweglichem Ankerhebel, welcher durch die anziehende Kraft des Stroms an eine Kontaktschraube gelegt wird und dadurch eine Ortsbatterie schließt, deren Strom dann den Schreibapparat in Bewegung setzt. Relais mit besonders lautem Anschlag dienen unter dem Namen Klopfer auch zum Aufnehmen von Telegrammen nach dem Gehör. In den sehr empfindlichen polarisierten Relais sind die Eisenkerne der Elektromagnetrollen auf Stahlmagneten befestigt und dadurch dauernd magnetisiert.
Das durch internationale Vereinbarungen festgesetzte Morsealphabet besteht aus Punkten und Strichen in nachstehender Gruppierung: [siehe Grafik]
Die wagerechten Elementarzeichen erscheinen auf dem Papierstreifen sehr gestreckt, was die Leichtigkeit des Ablesens beeinträchtigt; auch nimmt die Darstellung der Striche durch längern Tastendruck eine größere Zeit in Anspruch und vermindert die Leistungsfähigkeit der Apparate. Der Apparat von Estienne, welcher in neuerer Zeit von der deutschen Reichstelegraphenverwaltung vielfach verwendet wird, stellt die Striche und Halbstriche senkrecht zur Längsrichtung des Papierstreifens und benutzt zur Erzeugung derselben je einen Strom von gleicher Dauer, aber entgegengesetzter Richtung. An nachstehendem Wort (Berlin) in Morse- und in Estienneschrift kann der Unterschied erkannt werden: [siehe Grafik]
Der Estienne-Apparat besitzt an Stelle des Schreibrädchens zwei Schreibfedern, welche die Farbe durch Kapillarwirkung aus dem Farbebehälter entnehmen
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Telegraph (Wheatstones automatischer Apparat, Hughes' Typendrucktelegraph).
und auf den Streifen übertragen. Sie werden durch die beiden Zinken eines gabelförmigen Hebels in Bewegung gesetzt, der sich unter dem Einfluß der Stromwirkungen nach rechts oder links anlegt. Die Schreibfläche der einen Feder ist doppelt so breit als diejenige der andern; erstere dient zur Darstellung der Striche, letztere zur Erzeugung der Punkte. Die Gabelwelle trägt auf der Rückseite des Apparats eine Zunge aus weichem Eisen, deren oberes Ende zwischen die Polschuhe eines Elektromagnets ragt, während das untere Ende durch den beweglichen Polschuh eines unterhalb des Apparatgehäuses gelagerten Stahlmagnets eine magnetische Polarisation erhält, so daß Ströme verschiedener Richtung die Zunge in entgegengesetztem Sinn ablenken. Zum Betrieb des Apparats dienen Wechselströme, deren Entsendung mittels einer Doppeltaste erfolgt.
Eine ausgiebigere Benutzung der Telegraphenleitungen wird auch durch die automatische Telegraphie erreicht. Sie überträgt die Abtelegraphierung der Zeichen einer mechanischen Vorrichtung, die bei vollkommner Regelmäßigkeit der Schrift eine beträchtlich größere Geschwindigkeit zu erreichen gestattet, als dies der menschlichen Hand möglich ist. Wheatstone, dessen automatischer Apparat in England mit großem Erfolg verwendet wird, benutzt zum Geben einen gelochten Papierstreifen und zum Empfangen einen schnell laufenden polarisierten Farbschreiben. Das Lochen des Streifens geschieht unabhängig von der eigentlichen Abtelegraphierung an besondern Stanzapparater. Der vorbereitete Streifen durchläuft sodann den Geber, dessen Thätigkeit er mittels zweier vertikal stehender Nadeln reguliert, die auf Kontakthebel wirken und jedesmal in Thätigkeit treten, sobald ein ausgestanztes Loch dem Nadelende den Durchgang gestattet. Der Apparat arbeitet mit Wechselströmen, wobei jedem Elementarzeichen zwei entgegengesetzt gerichtete Ströme von gleicher Dauer entsprechen, von denen der eine den Schreibhebel des Empfängers wider den Papierstreifen legt, der andre die Zurückführung bewirkt. Außer Wheatstone haben noch Bain, Siemens, Little u. a. automatische Telegraphen konstruiert.
Nächst dem Morse-Apparat findet im Betrieb der europäischen Telegraphenverwaltungen der Typendrucktelegraph von Hughes (Fig. 10, Tafel I) die ausgedehnteste Verwendung. Sein Mechanismus ist weniger einfach, aber seine Leistungsfähigkeit bedeutend größer als diejenige des Morse-Apparats, vor welchem er außerdem den Vorzug besitzt, daß die Telegramme in gewöhnlicher Druckschrift ankommen, mithin für jedermann ohne Übersetzung lesbar sind. An der Vorderseite des Tisches befindet sich die Klaviatur, bestehend aus 28 Tasten, welche mit den Buchstaben, Ziffern und Interpunktionszeichen beschrieben sind und beim Niederdrücken die Verbindung zwischen Batterie und Leitung herstellen; dahinter, zwischen den aufrecht stehenden Apparatwangen, ist das mit einem Gewicht von 60kg bewegte Laufwerk, verbunden mit einer Bremsvorrichtung und der in einem gußeisernen Ansatzstück des Apparattisches gelagerten Regulierlamelle, angeordnet; links neben dem Laufwerk das Elektromagnetsystem, und an der Vorderwand des Apparats sieht man die Druckvorrichtung mit dem Typenrad, wozu noch die auf der rechten Seite befestigte Papierrolle gehört. Die Vorrichtung auf der linken hintern Ecke der Tischplatte ist ein Umschalter, welcher die Richtung des Telegraphierstroms beliebig zu wechseln gestattet. Vgl. Sack, Der Drucktelegraph Hughes (2. Aufl., Wien 1884).
Das Elektromagnetsystem des Hughes-Apparats (Fig. 11 der Tafel II) besteht aus einem kräftigen Stahlmagnet in Hufeisenform, auf dessen Pole zwei von Elektromagnetrollen E umgebene hohle Kerne von weichem Eisen so aufgesetzt sind, daß dieselben die Verlängerung der Pole bilden und an ihren obern, mit Polschuhen versehenen Enden selber entgegengesetzte Magnetpole besitzen. Den Polschuhen gegenüber und im Ruhezustand auf diesen aufliegend, befindet sich der flache Eisenanker E1E2, welcher zwischen zwei Messingständern T um die Zapfenschrauben s leicht drehbar eingelagert und mit zwei nach unten reichenden Stahlfedern ee versehen ist, die sich gegen die Stellschrauben b1 b2 anlegen. Unter Mitwirkung dieser Federn erfolgt das Abschnellen des Ankers, sobald ein Strom von solcher Richtung den Elektromagnet durchfließt, daß dessen Polarität dadurch geschwächt wird. Der Anker stößt bei seinem Abfallen gegen den Hebel einer Sperrvorrichtung, löst diese aus und bewirkt dadurch die Verkuppelung der Druckvorrichtung mit dem Laufwerk und den Abdruck desjenigen Zeichens, welches sich in diesem Moment an der untersten Stelle des Typenrades befindet. Weil nun die anziehende Kraft des Magnets nicht ausreicht, um den abgeschnellten Anker unter Überwindung der durch die Spannfedern ausgeübten Gegenkraft wieder auf die Polschuhe zurückzuführen, so überträgt Hughes diese Arbeit der Mechanik des Apparats, indem er durch ein auf der Druckachse befestigtes Exzenter F1 den rechtsseitigen Arm des Auslösehebels G wieder emporheben und dadurch den Anker auf die Polschuhe niederdrücken läßt, die ihn dann bis zum nächsten Stromimpuls festhalten. Gleichzeitig wird während dieses Vorganges die Kuppelung selbstthätig wieder aufgehoben, die Druckachse bleibt stillstehen, und der Auslösehebel nimmt, nachdem er den Anker zurückgeführt hat, seine alte Stellung wieder ein.
Die Druckachse bildet die vordere Verlängerung der Schwungradwelle. Letztere trägt auf ihrem freien Ende ein mit feinen, schief geschnittenen Zähnen versehenes Sperrrad z und einen Zapfen, auf welchen die Druckachse mit ihrem hintern, entsprechend ausgehöhlten Ende aufgeschoben ist. Auf dem hintern Ende der Druckachse ist das zweiarmige Querstück FF befestigt, welches einerseits die drehbare Sperrklinke n, anderseits die gegen die Sperrklinke drückende Feder f trägt. Ein Ansatzstück F2 legt sich im Ruhestand gegen den Anschlag G2 des Auslösehebels G, während ein an der Sperrklinke angebrachter kegelförmiger Ansatz auf einem an dem Winkel p befestigten prismatischen Stahlstück m, der sogen. schiefen Ebene, ruht. Senkt sich der rechte Arm des Auslösehebels G, so gleitet der kegelförmige Ansatz der Sperrklinke von der schiefen Ebene herunter, die Sperrklinke gelangt dadurch zum Eingriff in die Zähne des Sperrrades, und die Verkuppelung der Druckachse mit der an der Bewegung des Laufwerkes beständig teilnehmenden Schwungradachse tritt ein. Nach Vollendung einer Umdrehung trifft indessen der Sperrkegel von rechts her wieder auf den prismatischen Ansatz m, steigt an demselben in die Höhe u. hebt dadurch den Sperrkamm aus den Zähnen des Sperrrades; die Verkuppelung wird mithin jedesmal selbstthätig wieder aufgehoben. Die Druckachse c (Fig. 12, Tafel I) ist an ihrem vordern, außerhalb des Äpparatgehäuses L1 befindlichen, in dem Messingwinkel J gelagerten Teil mit mehreren verschiedenartig geformten Nasen versehen, welche die Druckvorrichtung in Thätigkeit setzen. Das Typenrad A trägt auf seiner Peripherie die Buchstaben, Ziffern und Satzzeichen in erhabener Gravierung;
569
Telegraph (Hughes' Typendrucktelegraph).
es sitzt mit noch zwei andern Rädern, dem in der Figur sichtbaren Korrektionsrad B und dem sogen. Friktionsrad, auf derselben Achse, jedoch so, daß nur das Friktionsrad an der Bewegung des Laufwerkes teilnimmt, während die auf einer Buchse befestigten vordern Räder sich vollständig frei um die Achse bewegen und an deren Umdrehungen nur dann sich beteiligen, wenn sie mit dem Friktionsrad durch eine ähnliche Einrückvorrichtung, wie sie zur Verkuppelung der Schwungradwelle mit der Druckachse dient, verbunden werden.
An dem mit 28 scharfen Zähnen versehenen Korrektionsrad B (Fig. 13, Tafel I) befindet sich der mit dem Typenrad durch eine besondere Buchse verbundene Figurenwechsel. Letzterer besteht aus dem zweiarmigen Hebel hh1, dessen Arm h innerhalb eines runden Ausschnitts der Stahlscheibe w spielt. Je nachdem der eine oder der andre Vorsprung dieser Scheibe eine Zahnlücke bedeckt, nimmt der Hebel und damit das Typenrad eine um ein Feld der Zeichenfolge verschobene Stellung ein. Da nun auf dem Umfang des Typenrades Buchstaben und Ziffern, bez. Satzzeichen miteinander abwechseln, erfolgt in dem einen Fall der Abdruck vom Buchstaben, im andern von Ziffern und Satzzeichen. Das Umlegen des Wechselhebels bewirkt ein Daumen der Druckachse c, welcher bei jeder Umdrehung in eine Zahnlücke des Korrektionsrades trifft und dessen Stellung in der Weise berichtigt, daß er durch den auf die abgerundeten Zähne desselben ausgeübten Druck das Korrektionsrad und mit ihm das Typenrad etwas vorschiebt, wenn es zurückgeblieben, und zurückdrückt, wenn es vorangeeilt war. Die Lücken unter den Vorsprüngen des Wechselhebels entsprechen zwei freien Feldern des Typenrades, welche zur Herstellung der Zwischenräume dienen. Im Ruhezustand liegt der Korrektionsdaumen auf der an dem Ebonitwinkel T1 (Fig. 12) befestigten isolierten Feder und stellt dadurch eine leitende Verbindung zwischen dem Körper des Apparats und dem Elektromagnet her.
Der Abdruck der Zeichen geht in der Weise vor sich, daß das Papierband wider die in voller Drehung begriffene Typenscheibe geschleudert wird und von den mit Druckerschwärze befeuchteten Typen diejenige abdrückt, welche in dem betreffenden Augenblick an der tiefsten Stelle des Rades sich befindet. Dieses Emporschnellen des über die Druckrolle D2 (Fig. 12) geführten Papierbandes bewirkt ein Daumen der Druckachse, welcher gegen die obere Nase des um S drehbaren Druckhebels D1 trifft; gleichzeitig findet ein Fortrücken des Papierstreifens um eine Typenbreite statt, indem durch einen andern Ansatz der Druckachse der Hebel K1K2 und mit ihm der Arm K4 niedergedrückt wird, wobei dessen hakenförmiger Ansatz in die Zähne eines mit der Druckrolle verbundenen Sperrrades eingreift und hierdurch die Druckrolle dreht.
Der dreiarmige Einstellhebel U1U2U3 dient dazu, das Korrektionsrad und das Typenrad außer Verbindung mit dem Laufwerk zu bringen und in der Ruhelage festzuhalten. Ein auf den Knopf o des horizontalen Hebelarms U1 ausgeübter Druck bringt zunächst den als Träger von o dienenden Stift in Berührung mit der darunter befindlichen, an dem Ebonitstück e befestigten Blattfeder, welche über t2T2 unmittelbar mit der Leitung in Verbindung steht; erst wenn hierdurch der Elektromagnet ausgeschaltet ist, folgt der Hebel dem Druck nach unten und bewirkt durch einen Ansatz des Arms U2, welcher die Blattfeder a mit ihrem Stahlansatz v in den Bereich eines an der Sperrklinke des Korrektionsrades angebrachten Stiftes bringt, die Aufhebung der Verbindung zwischen dem Korrektions- und Typenrad und dem Laufwerk. Die Auslösung des Einstellhebels und Einlösung der Verkuppelung mit dem Sperrrad erfolgt durch Anschlagen eines Ansatzstiftes der Druckachse wider das verlängerte Ende von U2.
Die Stromgebung beim Hughes-Apparat erfolgt mittels einer Klaviatur von 28 Tasten, die in zwei Reihen übereinander angeordnet sind (Fig. 10); die obere Reihe ist schwarz, die untere weiß. Alle Tasten, mit Ausnahme der ersten und fünften weißen, von links anfangend, sind mit je einem Buchstaben und einem Ziffer-, bez. Satzzeichen versehen. Die weißen Tasten dienen zur Herstellung der Zwischenräume; sie entsprechen den Nasen des Wechselhebels und werden deshalb auch angeschlagen, wenn von Buchstaben auf Ziffern oder umgekehrt übergegangen werden soll. Die Tastenhebel T (Fig. 14 der Tafel II) haben ihren Drehpunkt in Achsen, welche an der untern Fläche einer starken Gußeisenplatte P1 befestigt sind; auf dieser Platte ruht mittels des flantschartigen Ansatzes R die Stiftbüchse P, welche an ihrem untern Rand J mit senkrechten Einschnitten versehen ist. Beim Niederdrücken einer Taste hebt das durch einen Einschnitt in die Stiftbüchse eingreifende freie Ende des Tastenhebels T einen darüber ruhenden Kontaktstift S mit seinem obern hakenförmigen Ende längs der schrägen Fläche des konischen Ringes k aus der Stiftscheibe N und bringt ihn in den Weg des um eine senkrechte, innerhalb der Stahlhülse b gelagerte Achse w über der Stiftscheibe kreisenden Schlittens, welchem durch konische Verzahnung mit der Typenradachse gleiche Winkelbewegung mit dem Typenrad erteilt wird. Beim Loslassen der Taste wird der Stift durch die Feder f in seine Ruhelage zurückgezogen.
Auf die Schlittenachse w (Fig. 15 der Tafel II) ist eine Stahlbuchse B mit vorspringenden Rändern aufgeschoben. An der Achse unwandelbar befestigt, befindet sich das gabelförmig ausgeschnittene Messingstück G, dessen mittlerer vorragender Teil an seinem untern Ende ein geschweiftes Stahlstück R1, die sogen. Streichschiene, trägt. Die beiden äußern Arme dienen als Achslager für den beweglichen Teil g1, dessennach außen liegendes Mittelstück den abwärts gekehrten, abgeschrägten Stahlstreifen e, die Lippe, enthält. Das andre Ende des beweglichen Teils bildet einen Winkelhebel, welcher mit einem seitlich angebrachten Stahlstift a auf dem weitern Rande der Buchse B ruht und diese bei aufsteigender Bewegung der Lippe e abwärts drückt. An der linken Seite der vordern Apparatwange unterhalb der Achse des Auslösehebels ist der Messingwinkel P1 angeschraubt; er bildet das Lager für den zweiarmigen Kontakthebel HH1. Rechts trägt dieser Hebel einen seitlich angebrachten Stahlstift, welcher unter den obern vorspringenden Rand der Hülse greift, so daß beim Auf- und Niedergang derselben die an dem linken Hebelarm angebrachte Blattfeder F1 abwechselnd die Kontaktschrauben c1 und c2 berührt, von denen jene mit der Batterie, diese mit der Erde verbunden ist, während der Hebel selber über den Körper des Apparats und die Elektromagnetrollen mit der Leitung in Verbindung steht. Jedesmal, wenn der Schlitten einen gehobenen Kontaktstift passiert, wird mithin durch das Niedergehen der Buchse B und des Hebelarms H1 ein Strom in die Leitung gesandt, der sowohl auf dem gebenden als auf dem empfangenden Amte die Apparate zum Ansprechen bringt und den Abdruck des betreffenden Buchstabens bewirkt. Die Umlaufgeschwindigkeit des Schlittens beträgt 100-120 Umdrehungen in der Minute.
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Telegraph (Multiplexapparate, Doppel- u. Gegensprechen; Land- u. Seeleitungen).
Bei allen bis jetzt beschriebenen Telegraphenapparaten bleibt zur Trennung der einzelnen Buchstaben oder Schriftzeichen die Leitung eine Zeitlang unbenutzt. In der Multiplex- oder Vielfachtelegraphie werden diese notwendigen Pausen ausgefüllt mit der Schriftbildung auf einem zweiten, dritten etc. Apparat, wobei die Leitung nacheinander mit sämtlichen Apparaten in Verbindung tritt. Allen Vielfachapparaten gemeinsam ist die Einrichtung einer kreisförmigen Verteilerscheibe aus isolierendem Material, auf welcher je nach Anzahl der Apparate eine größere oder geringere Menge metallischer Sektoren befestigt sind, die mit den einzelnen Apparatsätzen in Verbindung stehen. Über diesen Sektoren schleift eine metallische Feder, an welcher die Leitung liegt; letztere nimmt bei jeder Umdrehung einmal aus jedem Apparatsatz die entsprechend vorbereiteten Telegraphierströme auf und führt sie auf dem andern Amt über eine gleichlaufende Verteilereinrichtung dem betreffenden Empfangsapparat zu.
Der vierfache T. von Meyer ist auf die Übermittelung von Morsezeichen berechnet, die an vier Klaviaturen mit je acht Tasten vorbereitet werden. Der Verteiler enthält 50 voneinander isolierte Lamellen verschiedener Breite, von denen 32 mit den Tasten der Klaviaturen verbunden sind, während die übrigen teils mit der Erde in Verbindung stehen und die nötigen Zwischenräume bewirken, teils für die Herstellung des Synchronismus benutzt werden. Die Schriftbildung erfolgt senkrecht zur Längsrichtung des Papierstreifens in polarisierten Empfangsapparaten.
Während Meyer und Baudot bei ihrem sechsfachen Typendruckapparat die Leitung jedesmal für eine Zeit an ein Apparatpaar legen, welche zur Erzeugung eines telegraphischen Zeichens ausreicht, läßt Delany die Wechsel so rasch aufeinander folgen, daß die Nachwirkung in den Elektromagneten sozusagen die stromlosen Pausen überbrückt und jeder Apparat ohne Rücksicht auf die andern arbeitet. Eine schwingende Stimmgabel vermittelt die Stromsendung durch den Elektromagnet eines phonischen Rades, dessen Achse eine über der Verteilerscheibe schleifende Kontaktfeder trägt. Je nach der Anzahl der einzuschaltenden Apparate sind die Kontaktplatten der Verteilerscheibe untereinander zu Gruppen vereinigt, so daß jeder Apparat in der Sekunde gleich oft mit der Leitung in Verbindung tritt. Erfolgt diese Verbindung häufig genug, z. B. 30 mal in der Sekunde, so wirkt dies bezüglich des Telegraphierens ebenso, als ob die Leitung beständig am Apparat läge. Die Delanysche Einrichtung kann teils mit Morse, teils mit Typendruckapparaten betrieben werden und vermag angeblich bis zu 72 Telegrammen gleichzeitig zu befördern.
Den gleichen Zweck einer bessern Ausnutzung der Telegraphenleitungen hat man auch zu erreichen gesucht durch das Doppelsprechen (gleichzeitige Beförderung zweier Telegramme auf demselben Draht in gleicher Richtung) und das Gegensprechen (gleichzeitige Beförderung in entgegengesetzter Richtung). Bis jetzt hat sich nur das Gegensprechen bleibenden Eingang erringen können. Die erste diesem Zweck entsprechende Schaltung wurde 1853 von Gintl vorgeschlagen; ihm folgten Frischen, Siemens u. Halske, Edlund, Maron u. a. In neuerer Zeit sind einfache Methoden von Gattino, Fuchs und Canter angegeben worden. Fuchs, dessen Schaltung in Fig. 16 (Tafel I) schematisch dargestellt ist, schaltet eine mit einem Hilfshebel a versehene Taste zwischen die beiden Elektromagnetrollen mm des Schreibapparats, so daß der abgehende Strom nur die eine, der ankommende aber beide Rollen durchläuft: bei entsprechender Regulierrung bleibt daher der Apparat des gebenden Amtes in Ruhe, während der Empfangsapparat anspricht. Drücken beide Ämter gleichzeitig Taste, so geben die mit entgegengesetzten Polen an Leitung liegenden Batterien einen doppelt so starken Strom, der die magnetisierende Wirkung der einen Rolle entsprechend verstärkt und auf beiden Ämtern das Ansprechen der Apparate herbeiführt, wobei jeder Apparat dem Batteriestrom des andern Amtes gehorcht.
In der Schaltung von Canter (Fig. 17, Tafel I) sind die beiden Elektromagnetrollen mm des Farbschreibers ebenfalls getrennt, und die Taste, hier eine gewöhnliche, liegt zwischen ihnen; außerdem ist zwischen Mittelschiene und Ruheschiene der Taste ein Rheostat R angebracht, in welchen so viel Widerstand eingeschaltet wird, daß beim Niederdrücken der Taste der eigne Apparat nicht anspricht und die magnetisierende Kraft im Empfangsapparat die gleiche bleibt, ob nur auf einer oder auf beiden Seiten gearbeitet wird. Die Batterien liegen mit gleichen Polen an der Leitung. In oberirdischen Leitungen bis zu 350 km Länge sind mit diesen Schaltungen befriedigende Resultate erzielt worden; auf größere Entfernungen und in Kabelleitungen wird ihre Verwendung durch das Auftreten der Ladungserscheinungen erschwert.
Als Elektrizitätsquellen werden in der Telegraphie vorzugsweise galvanische Elemente (s. Galvanische Batterie) benutzt; doch beginnt man neuerdings auch die Dynamomaschinen als Stromerzeuger für telegraphische Zwecke nutzbar zu machen.
Zum Bau der oberirdischen Telegraphenlinien bedient man sich imprägnierter Stangen von 7-10 m Länge und 12-15 cm Zopfstärke, an welche Isolationsvorrichtungen von Porzellan auf eisernen Stützen festgeschraubt werden. Die deutsche Reichstelegraphenverwaltung verwendet die von Chauvin angegebene Doppelglocke (Fig. 18, Tafel I) auf hakenförmiger Schraubenstütze. Zur Herstellung der Leitungen wird in der Regel verzinkter Eisendraht von 2,5-5 mm Durchmesser benutzt; in neuerer Zeit kommt auch Bronze zur Verwendung. Die unterirdischen Linien bestehen aus Kupferdrähten oder Kupferlitzen, die mit Guttapercha isoliert sind; gewöhnlich werden 4 oder 7 solcher Adern zu einem Kabel verseilt und mit einer Schutzhülle von verzinkten Eisendrähten umgeben. Die in der Reichstelegraphenverwaltung gebräuchlichen Querschnitte sind aus Fig. 19 (Tafel I), zu ersehen. Für die Überschreitung von Gewässern gibt man den Kabeln eine zweite Schutzhülle von stärkern Drähten und schließt sie außerdem in verzinkte gußeiserne Gelenkmuffen ein. Unterirdische Leitungen sind weniger Beschädigungen ausgesetzt, erfordern aber vorzügliche Isolation und bedeutende Anlagekosten, während ihre Benutzbarkeit auf längern Strecken durch die den Kabeln anhaftenden Ladungserscheinungen eine gewisse Einschränkung erfährt. Schon bei Entstehung der elektrischen Telegraphie angewendet, haben dieselben erst seit 1876 eine größere Verbreitung erlangt, nachdem die deutsche Reichstelegraphenverwaltung mit der Anlage ihres ausgedehnten unterirdischen Liniennetzes bahnbrechend vorangegangen war. 1886 besaß Deutschland 5648 km, Frankreich 1661 km, Großbritannien 1146 km und Rußland 289 km unterirdische Linien.
Ungleich rascher und kräftiger haben sich die unterseeischen Verbindungen entwickelt. Die großen Seekabel sind ähnlich konstruiert wie die Landkabel, enthalten aber wegen der unvermeidlichen Induktion nur Einen Leiter. 1851 wurde das erste brauchbare
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Telegraph (Haustelegraphie, pneumatischer T.; Volkswirtschaftliches, Gesetzgebung).
Seekabel zwischen Dover und Calais ausgelegt, 1866 die erste Kabelverbindung zwischen Europa u. Amerika hergestellt. 1886 dienten bereits 12 Kabel dem telegraphischen Verkehr beider Weltteile: 8 davon gehen aus von Großbritannien und Irland, 2 von Frankreich nach Nordamerika; 2 Kabel endlich verbinden Portugal mit Südamerika. 1887 betrug die Gesamtlänge der bestehenden unterseeischen Kabel 113,565 Seemeilen, darunter 103,396 Seemeilen im Besitz von Privatgesellschaften und nur 10,169 unter staatlicher Verwaltung.
Besondere Gestaltung erfährt die Telegraphie für bestimmte Zwecke, namentlich im Eisenbahnwesen, in der Feuerwehr und im Haus. Die Benutzung im Haus beschränkt sich meist auf die Anlage von Läutwerken (s. d.), welche mit Tableauanzeiger verbunden werden, um dort, wo das Läutwerk ertönt, den Aufgabeort des Signals zu erkennen. Diese Vorrichtungen gestalten sich zu Diebssicherungen, wenn das Läutwerk bei unbefugter Öffnung eines Fensters oder einer Thür in Thätigkeit tritt. Man bringt hier Kontakte an, die am Tag bei offener Thür, aufgezogenem Rollladen etc. geschlossen sind, dann aber nicht auf das Läutwerk wirken, weil noch an einer andern Stelle durch eine Einstellvorrichtung der Strom unterbrochen ist. Werden nun abends Thüren und Fenster geschlossen (die Kontakte geöffnet), so schließt man bei der Einstellvorrichtung den Strom, und das Läutwerk schlägt an, sobald nun eine Thür oder ein Fenster geöffnet wird; das Tableau zeigt den Angriffspunkt. Derartige Vorrichtungen können auch zu andern Zwecken benutzt werden: sie melden an einer entfernten Stelle, wenn im Dampfkessel der Wasserstand zu niedrig steht, wenn im Gewächshaus oder in der Trockenkammer eine bestimmte Temperatur erreicht ist etc. Für manche dieser Zwecke wird die elektrische durch pneumatische Telegraphie ersetzt. Diese benutzt dünne, starkwandige Bleiröhren, welche von einem Ort zum andern eine vollkommen luftdichte Leitung herstellen. Am Aufgabeort ist in diese ein hohler Gummiball eingeschaltet, der beim Zusammendrücken die in ihm enthaltene Luft durch das Bleirohr in eine aus ebenen Wänden gebildete Gummikapsel am andern Ende der Leitung treibt und dieselbe aufbläst. Diese Volumveränderung der Kapsel kann leicht benutzt werden, um ein sichtbares oder, wie bei der pneumatischen Klingel, ein hörbares Zeichen zu geben. Vorteilhafte Anwendung findet die pneumatische Verbindung zur Verbindung von Uhren mit einer Normaluhr (vgl. Uhr).
Volkswirtschaftliches. Gesetzgebung und Verwaltung.
Für die finanzielle Behandlung des Telegraphen kommt wesentlich in Betracht, daß der T. nur von einzelnen Klassen, nicht, wie Post und Eisenbahn, von der Gesamtheit aller benutzt wird. Zur Zeit haben an dem Telegrammverkehr etwa teil: die Regierungs- und Staatstelegramme mit 12 Proz., die Handelstelegramme mit 52, die Börsentelegramme mit 13, die Zeitungstelegramme mit 8 und die Familientelegramme mit 15 Proz. In Europa entfällt gegenwärtig nur auf 3 Einw. ein jährlich abgesandtes Telegramm; mindestens drei Viertel der Bevölkerung stehen dem Telegrammverkehr ganz fern, und es ist daher zu fordern, daß die Kosten der Telegraphie durch den Tarif vollständig gedeckt und Zuschüsse aus Staatsmitteln ausgeschlossen sind.
Die Telegraphie wurde von vornherein durch die meisten Staaten in öffentliche Verwaltungen genommen; außer Nordamerika befinden sich nur noch in wenigen andern überseeischen Ländern die dem öffentlichen Verkehr dienenden Telegraphen in Privathänden. Großbritannien, der einzige europäische Staat, wo der Telegraphenbetrieb in Privathänden länger das Feld behauptete, sah sich 1868 veranlaßt, ungeachtet der Abneigung gegen jede Art staatlicher Einmischung, welcher in dem englischen Volkscharakter liegt, die Telegraphen in Staatsverwaltung zu übernehmen. Die Entschädigung, welche England damals für die noch dazu unzulänglichen Anlagen der vormaligen Privatgesellschaften zahlen mußte, betrug erheblich mehr als der Aufwand, welchen das ganze übrige Europa bis dahin für den Telegraphenbau verwendet hatte. Die großen überseeischen Kabelverbindungen sind mit wenigen Ausnahmen im Betrieb von Privatgesellschaften. Hier begünstigt den Privatbetrieb der Umstand, daß ein einzelner Staat völkerrechtlich nicht befugt ist, Telegraphenverbindungen zwischen zwei durch das Meer getrennten Ländern für sich allein zu monopolisieren, ferner, daß das mit den Kabelverbindungen verknüpfte ungewöhnlich hohe Risiko die Bedeutung des spekulativen Moments erhöht und die Privatthätigkeit besser an die Stelle der Thätigkeit der öffentlichen Gewalten treten läßt.
Die Gesetzgebung hat die Regalität der Telegraphen in Frankreich, Österreich, Großbritannien, Italien, der Schweiz, Niederlande, Portugal, Serbien, Rumänien, Griechenland, Britisch- und Niederländisch-Indien festgestellt, wobei Eingriffe in das staatliche Alleinbetriebsrecht meist mit Strafe gegen diejenigen, welche einen Telegraphen ohne Konzession anlegen, bedroht sind. In Deutschland gründet sich das Telegraphenregal auf Art. 48 der Reichsverfassung, wonach das Telegraphenwesen für das gesamte Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrsanstalt einzurichten ist. Eine kodifizierte Gesetzgebung wie die der Post besteht für die deutsche Telegraphie nicht; vielmehr ist die Regelung des Verhältnisses zum Publikum verfassungsmäßig der reglementären Anordnung vorbehalten. Diese Anordnungen sind durch die Telegraphenordnung vom 13. Aug. 1880 erlassen.
Die Fernsprechanlagen werden in Deutschland ebenfalls als unter das Telegraphenregal fallend betrachtet, und es werden nach § 28 der Telegraphenordnung die Bedingungen für derartige Anlagen vom Reichspostamt festgesetzt. Die Berechtigung von Behörden und Privatpersonen zum Betrieb von Telegraphen ist neuerdings in Deutschland im Verordnungsweg dahin festgestellt worden, daß ohne Kontrolle der Telegraphenverwaltung zugelassen werden können: a) den Landesbehörden die Anlage von Telegraphen zu Zwecken, welche nicht unter das Ressort der Telegraphenverwaltung fallen, solange die Anlagen nicht als Verkehrsanstalten gebraucht werden; b) Privatpersonen die Anlage von Telegraphen innerhalb der eignen Gebäude und Grundstücke, vorausgesetzt, daß der Besitzer innerhalb seiner Grenzen bleibt und mit der Anlage fremde Grundstücke sowie öffentliche Wege und Straßen nicht überschreitet.
Das Telegraphenfreiheitswesen (Gebührenbefreiung für Reichsdiensttelegramme etc.) ist durch kaiserliche Verordnung vom 2. Juni 1877 geregelt. Durch Gesetz sind in Bezug auf das Telegraphenwesen nur hinsichtlich der Sicherung der öffentlichen Telegraphenanlagen Bestimmungen in den § 317 bis 320 des Reichsstrafgesetzbuchs getroffen, wonach die vorsätzliche Beschädigung der Telegraphenanstalten mit Gefängnis von 1 Monat bis 3 Jahren und die fahrlässige Störung des Betriebes mit Ge-
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Telegraph (Verwaltung und Betrieb).
fängnis bis zu 1 Jahr oder mit Geldbuße bis 900 Mk. bedroht ist.
Die Haftpflicht der Telegraphenverwaltung für die Beförderung von Telegrammen richtet sich nach den internationalen Verträgen und nach der Gesetzgebung der einzelnen Staaten. In Art. 2 und 3 des internationalen Telegraphenvertrags von St. Petersburg vom 10. (22.) Juni 1875 haben die Telegraphenverwaltungen erklärt, in Bezug auf den internationalen Telegraphendienst keine Verantwortung zu übernehmen. In gleicher Weise haben auch die einzelnen Staaten die Garantie für Telegramme teils durch Gesetz, wie in Frankreich, Niederlande, Belgien und der Schweiz, teils durch Verordnung abgelehnt. Die deutsche Telegraphenordnung vom 13. Aug. 1880 bestimmt in § 24 über die Gewährleistung, daß die Telegraphenverwaltung für die richtige Überkunft der Telegramme oder deren Zustellung innerhalb bestimmter Frist nicht garantiert und Nachteile, welche durch Verlust, Verstümmelung oder Verspätung der Telegramme entstehen, nicht vertritt. Die entrichtete Gebühr wird jedoch erstattet: a) für Telegramme, welche durch Schuld des Telegraphenbetriebs gar nicht oder mit bedeutender Verzögerung in die Hände des Empfängers gelangt sind, b) für verglichene Telegramme, welche infolge Verstummelung nachweislich ihren Zweck nicht haben erfüllen können. Die zivilrechtliche Haftbarkeit, welche den Telegraphenbeamten nach den allgemein rechtlichen Grundsätzen für dolus und culpa obliegt, wird durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. Die Verwaltung und der Betrieb der Telegraphie ist gegenwärtig in allen größern Staaten, in Deutschland seit 1876, mit der Postverwaltung vereinigt (s. Post, S. 275), und besonders in Deutschland wurden erhebliche Erfolge durch diese Vereinigung erzielt. Nicht nur wurde der Geschäftsbetrieb der Telegraphenanstalten durchgehend reorganisiert, sondern es trat auch eine durchgreifende Vervollkommnung der technischen Telegraphenbetriebseinrichtungen ein, für deren Ausbildung bei der Finanznot der frühern selbständigen Telegraphenverwaltungen nicht immer die erforderlichen Mittel zu Gebote gestanden hatten. In dieser Beziehung ist namentlich hervorzuheben: die Anlage unterirdischer Telegraphenlinien; die frühzeitige Einführung des Fernsprechwesens; die Steigerung des Schnellverkehrs innerhalb der Reichshauptstadt durch Anlage einer Rohrposteinrichtung, seiner Zeit der ersten Anlage dieser Art, welche zugleich den telegrafischen und den brieflichen Verkehr vermittelt; endlich die Förderung der Anlage neuer internationaler Telegraphenverbindungen und die Vermehrung der unterseeischen Kabelverbindungen etc. Weiteres über die Telegraphengebühren, die internationalen Abkürzungen im Telegraphenverkehr etc. s. Telegramm. Die gegenwärtige Entwickelung des Telegraphenwesens in Europa zeigt die nachfolgende Tabelle:
Übersicht des Telegraphenverkehrs der Länder Europas im Jahr 1887.
Länder | Staatstelegraphen | Eisenbahn- und Privattelegraphen | Staatstelegraphenanstalten | Eisenbahn- und Privattelegraphenanstalten | Eine Telegraphenanstalt entfällt auf | Beförderte Telegramme (in- und ausländische) | Auf 100 Einw. entfallen aufgelief. Telegramme
| Linien Kilom. _ Leitungen Kilom. | Linien Kilom. _ Leitungen Kilom. | | |QKilo- _ Einwohner | |
Belgien ........ 6596 2649 4206 89197 31854 3902 11226 317143 2006 24328 1153 5132 70224 822 65 165 11071 109 267 3919 31,6 91,7 36,0 6418 4585 3126 4631470 525071 1346315 21750348 54,8 22,5 37,3 38,0
Bulgarien (1885) ....
Dänemark .......
Deutschland ......
Frankreich (1887/88) . . . 101654 324919 16390 115984 5945 3430 56,4 4151 37435585 80,3
Griechenland (1886) .... 5520 6618 1378 1378 166 7 367,7 12068 845707 34,5
Großbritannien und Irland. 48659 260679 ...- 27149 5208 1602 46,5 5447 55 182 775 140,2
Italien ........ 30932 401 338 86757 718 338 2334 81 26787 690 2192 30 15 1637 ^ 77,4 35,4 628.9 7561 2922 19067 8796264 85843 26,7 27,0
Luxemburg. ......
Montenegro (1885) ....
Niederlande ...... 4903 7494 25706 2790 17234 13987 69510 5568 2797 1583 14142 483 7589 2531 35241 585 358 149 1635 79 299 179 1724 25 50.2 970,1 89,3 491,3 6775 6049 6593 12847 3734065 968833 7 195 146 314234 58,2 37,8 22,9 14,9
Norwegen .......
Österreich (1886) .....
Bosnien, Herzegowina (1886)
Portugal ....... 5137 11948 ^ - 274 1 335,4 16548 919560 14,2
Rumänien (1886) .... 5245 9880 2402 5518 122 195 521,0 15899 1225857 26,4
Rußland (1886) ..... 107571 8345 7060 2843 17853 204033 21304 17102 4035 43446 30645 3844 991 431 8252 62891 12484 5723 86l 20629 1694 179 1115 68 542 1836 765 178 46 340 6293,5 458,7 32,0 427,0 574,9 28765 5016 2190 16936 18970 10290791 1242374 3331155 485398 2481420 9,^ 17,0 85,3 22,5 14,8
Schweden .......
Schweiz ........
Serbien (1886) .....
Spanien (1886) .....
Türkei, europäische (1882) . 23388 41688 ..^... ...... 443 21 565,5 14294 1133286 17,^
Ungarn ........ 17633 45381 1479 23794 702 930 197,5 9644 6196830 17,5
[Litteratur.] Rother, Der Telegraphenbau (4. Aufl., Berl. 1876); Ludewig, Der Bau von Telegraphenlinien (2. Aufl., Leipz. 1870); Derselbe, Der Reichstelegraphist (4. Aufl., Dresd. 1877); Zetzsche (Galle), Katechismus der elektrischen Telegraphie (6. Aufl., das. 1883); Derselbe, Handbuch der elektrischen Telegraphie (Berl. 1877-87, Bd. 1-4); Derselbe, Die Kopiertelegraphen, Typendrucktelegraphen und Doppeltelegraphie (Leipz. 1865); Derselbe, Die Entwickelung der automatischen Telegraphie (Berl. 1875); Weidenbach, Kompendium der elektrischen Telegraphie (2. Ausg., Wiesb. 1881); Grawinkel, Die Telegraphentechnik (Berl. 1876); Merling, Die Telegraphentechnik (Hannov. 1879); Canter, Der technische Telegraphendienst (3. Aufl., Bresl. 1886); Schellen, Der elektromagnetische T. (6. Aufl. von Kareis, Braunschw. 1882-88); Derselbe, Das atlantische Kabel (das. 1867); Calgary u. Teufelhart, Der elektromagnetische T. (Wien 1886); "Beschreibung der in der Reichstelegraphenverwaltung gebräuchlichen Apparate" (Berl. 1888); Wünschendorff, Traité de télégraphie sous-marine (Par. 1888; Sack, Verkehrstelegraphie (Wien 1883; v. Weber, Das Telegraphen- und Signalwesen der
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Telegraphenanstalten - Telegraphenschulen.
Eisenbahnen (Weim. 1867); Schmitt, Das Signalwesen der Eisenbahnen (Prag 1878); Kohlfürst, Die elektrischen Einrichtungen der Eisenbahnen und das Signalwesen (Wien 1883); Zetzsche, Geschichte der elektrischen Telegraphie (Bd. 1 des erwähnten Handbuchs Berl. 1876); Derselbe, Kurzer Abriß der Geschichte der elektrischen Telegraphie (das. 1874); Telegraphenbauordnung (Wien 1876); Dambach, Das Telegraphenstrafrecht (das. 1871); Ludewig, Die Telegraphie in staats- und privatrechtlicher Beziehung (Leipz.1872); Meili, Das Telegraphenrecht (2. Aufl., Zürich 1873); Fischer, Die Telegraphie und das Völkerrecht (Leipz. 1876); Schöttle, Der T. in administrativer und finanzieller Beziehung (Stuttg. 1883); Über die Militärtelegraphie s. d., über Haustelegraphie s. Läutewerke, elektrische.
Telegraphenanstalten, die für die Wahrnehmung des öffentlichen Telegraphendienstes bestimmten Betriebsstellen, sind jetzt meist mit den Postanstalten (s. d.) vereinigt und, wie die Postämter, der Oberpostdirektion des Bezirks untergeordnet.
Telegraphenbeamte. Für den Eintritt in den Beamtendienst der Telegraphie sind im allgemeinen dieselben Bedingungen wie für den Postdienst zu erfüllen (s. Postbeamte); in Deutschland ist jedoch der Eintritt in die ausschließlich für den technischen Telegraphendienst bestimmten Beamtenstellen in weiterm Umfang als bei der Post den versorgungsberechtigten Militärpersonen vorbehalten.
Telegraphenkongresse, internationale Vereinigungen von Vertretern der Telegraphenverwaltungen im Interesse der Fortentwickelung der internationalen Telegrapheneinrichtungen. Dem durch den Deutsch-österreichischen Telegraphenverein, begründet 25. Juli 1850, gegebenen Beispiel folgten bald die romanischen Staaten, von denen 1852 Frankreich, Belgien, die Schweiz und Sardinien einen besondern Verein bildeten, und nachdem die beiden Vereinsgruppen durch Konferenzen zu Brüssel und Friedrichshafen 1858 eine gegenseitige Annäherung erstrebt hatten, traten sie 1865 in Paris zu einem ersten internationalen Telegraphenkongreß zusammen, durch welchen der internationale Telegraphenverkehr in einem für ganz Europa gültigen Vertrag seine Regelung erhielt. Als Einheit des Tarifs nahm er das Telegramm von 20 Worten (Zwanzigworttarif) an. Die Gebühren von einem Land zu dem andern wurden im allgemeinen gleich gemacht, und nur bei Ländern von ausgedehntem Flächenraum wurden mehrere Tarifzonen gebildet. Der zweite internationale Telegraphenkongreß zu Wien 1868 vereinigte die asiatischen Verwaltungen mit der europäischen Vereinsgruppe. Er schuf das internationale Büreau in Bern als Zentralorgan, welches die auf die internationale Telegraphie bezüglichen Nachrichten zu sammeln, die Arbeit der periodischen Konferenzen vorzubereiten hat und durch Herausgabe des "Journal télégraphique" auch die Wissenschaft fördert. Auf dem dritten Kongreß zu Rom 1872 kam man überein, die großen Privatkabelgesellschaften zu den Kongressen zuzulassen, ohne ihnen jedoch Stimmrecht einzuräumen. Der vierte Kongreß, 1875 zu St. Petersburg, teilte das internationale Vertragsinstrument in zwei Urkunden, von welchen die erstere, welche sich mit unveränderlichen Rechtsverhältnissen der Verwaltungen untereinander und dem Publikum gegenüber befaßt, von den diplomatischen Vertretern der Staatsregierungen unterzeichnet wurde, während der Abschluß der zweiten, welche die reglementären Bestimmungen betraf, nur von den technischen Delegierten erfolgte. Der St. Petersburger Vertrag ist noch heute in Gültigkeit; die folgenden Kongresse haben sich nur mit Abänderung der Ausführungsbestimmungen (Reglement) zu diesem Vertrag befaßt. Auf dem fünften Kongreß, London 1879, vereinbarte man das in Deutschland von Stephan ins Leben gerufene Worttarifsystem, und auf dem sechsten Kongreß, Berlin 1885, wurde von Stephan der Antrag auf Schaffung eines Einheitstarifs, wenigstens für den europäischen Verkehr, eingebracht. Dieser Antrag fand zwar nicht allgemeine Annahme, doch beschloß der Kongreß weitere Vereinfachungen des Tarifs, um die spätere Einführung eines Einheitstarifs vorzubereiten. Nach den Bestimmungen des Berliner Vertrags bildet sich der internationale Tarif aus einer Gebühr für das Wort, welche der Staat des Aufgabegebiets und der Staat des Bestimmungsgegebiets (Terminaltaxen) und die etwa zwischen dem Aufgabe- und Bestimmungsgebiet liegenden Staaten (Transittaxen) jeder für sich erhebt. Die Terminaltaxen und die Transittaxen sind für jeden Staat einheitlich festgestellt. Die Terminaltaxe wurde einheitlich auf 10 Cent., die Transittaxe auf 8 Cent. für jedes Wort mit der Ermäßigung auf 6¡½ u. 4 Cent. für kleinere Staaten festgesetzt. Dem internationalen Telegraphenverein gehören zur Zeit an: Australien (Neuseeland, Neusüdwales, Südaustralien, Tasmania, Victoria), Belgien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Britisch-Indien, Bulgarien, Kap der Guten Hoffnung, Dänemark, Deutschland, Ägypten, Frankreich (zugleich für Algerien, Tunis, Kotschinchina u. Senegal), Griechenland, Großbritannien nebst Gibraltar und Malta, Italien, Japan, Luxemburg, Montenegro, Natal, Niederlande (zugleich für Niederländisch-Indien), Norwegen, Österreich-Ungarn, Persien, Portugal, Rumänien, Rußland, Schweden, Schweiz, Serbien, Siam, Spanien und Türkei. Außerdem alle größern Kabelgesellschaften. Im Oktober 1882 trat in Paris eine Konferenz zusammen, deren Arbeiten zum Abschluß einer Konvention vom 14. März 1884 über den Schutz der unterseeischen Kabel führte, welcher 28 Staaten beigetreten sind.
Telegraphenschulen, Anstalten zur wissenschaftlich-technischen Ausbildung von Telegraphenbeamten. Die Telegraphenschule in Berlin ist aus einer 1859 von der preußischen Telegraphenverwaltung errichteten Fachschule hervorgegangen, welche den Zweck hatte, sämtliche Beamte der Telegraphie, nachdem sie bei einem Telegraphenamt die notwendigen Vorkenntnisse und Fertigkeiten sich angeeignet hatten, für den Dienst theoretisch und praktisch auszubilden. Infolge der auf dem wissenschaftlichen Gebiet der Telegraphie errungenen Fortschritte übertrug die Telegraphenverwaltung die für den lokalen Telegraphenbetriebsdienst erforderliche theoretische und praktische Ausbildung der Beamten den Oberpostdirektionen und ließ zum Besuch der Telegraphenschule nur eine beschränkte Anzahl solcher Beamten zu, welche eine genügende wissenschaftliche Vorbildung besitzen und nach ihrem dienstlichen Verhalten zu der Erwartung berechtigen, daß sie den auf einen höhern Bildungsgrad berechneten Vorträgen mit Nutzen folgen und sich später nach Ablegung der höhern Telegraphenverwaltungsprüfung für die höhern Stellen der Verwaltung eignen. 1879 wurde die Telegraphenschule in Berlin zu dem Rang einer technischen Hochschule erhoben. Der Kursus ist sechsmonatlich und währt vom 1. Okt. bis 1. April. Jährlich werden zum Besuch der Schule etwa 40 Beamte einberufen. Eine ähnliche Anstalt besteht in Paris.
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Telegraphentruppen - Telemeter.
Telegraphentruppen dienen zum Bau wie zur Zerstörung von Telegraphenanlagen im Krieg. Deutschland und Frankreich besitzen im Frieden keine T., s. Militärtelegraphie. England hat im Frieden 1 Telegraphenbataillon in 2 Divisionen, von denen die eine stets kriegsbereit vollzählig und ausgerüstet, die andre von der Staatstelegraphenverwaltung beschäftigt ist. Italien hat 3 Telegraphenabteilungen von je 2 Kompanien zum 3. Genieregiment gehörig; Österreich besitzt 1 Eisenbahn- und Telegraphenregiment von 2 Bataillonen zu 4 Kompanien; Rußland besitzt 17 Kriegs- (Feld-) Telegraphenparke, welche den Sappeurbrigaden unterstellt sind. Belgien, die Niederlande, Rumänien, Schweden, Spanien etc. haben im Frieden 1 Telegraphenkompanie.
Telegraphisches Sehen. Bald nach der Erfindung des Telephons haben viele Physiker versucht, dem Auge auf elektrischem Weg entfernte Bilder sichtbar zu machen. Die Eigenschaft des Sehens, unter wechselnder Beleuchtung seinen Widerstand zu verändern, schien zur Lösung dieser weitern Aufgabe ein geeignetes Mittel an die Hand zugeben. Das Telektroskop von Senlecq d'Ardres (1877) und der Telephotograph von Shelford Bidwell (1881) sind Apparate, welche diesem Gedankengang ihre Entstehung verdanken, aber nicht leisten, was ihr Name verspricht (s. Telephotographie). Nipkow in Schöneberg machte einen Vorschlag zu einem elektrischen Teleskop, welcher auf der Beobachtung beruht, daß Ruß in intermittierender Bestrahlung tönt. Unter Zuhilfenahme eines Mikrophons sollen die Schwingungen von berußter Drahtgaze in elektrische umgewandelt und auf der Empfangsstelle durch ein Telephon geleitet werden, dessen polierte Membran einen auffallenden Lichtstrahl in entsprechende Schwingungen versetzt und dadurch im Auge des Beobachters den Eindruck des übermittelten Bildes erzeugt. Den Synchronismus der Apparate will Nipkow durch Anwendung des phonischen Rades erzielen.
Teleki, 1) Joseph, Graf, ungar. Staatsmann und Historiker, aus der protestantischen siebenbürgischen Familie T. von Szék, geb. 24. Okt. 1790 zu Pest, studierte in Göttingen, trat, nachdem er den Westen Europas bereist hatte, als Sekretär der ungarischen Statthaltern 1818 in den Staatsdienst und war zuletzt (1842-48) Gouverneur von Siebenbürgen. Er erwarb sich große Verdienste um die Gründung und Organisierung der ungarischen Akademie der Wissenschaften, deren Präsident er viele Jahre hindurch war. Außer mehreren kleinen Abhandlungen schrieb er als sein Hauptwerk: "A Hunyadiak kora Magyarországban" ("Das Zeitalter der Hunyades in Ungarn"), ein nach Quellen bearbeitetes Werk, von dem 1852-55 fünf Bände wie von der dazu gehörenden Urkundensammlung drei Bände erschienen sind. T. starb 16. Febr. 1855.
2) Wladislaw, Graf, ungar. Patriot, geb. 11. Febr. 1811 zu Pest, studierte die Rechte und Staatswifsenschaften, ward 1839 Mitglied des siebenbürgischen Landtags, trat 1843 als Magnat in die Magnatentafel des ungarischen Reichstags und stellte sich mit an die Spitze der Opposition. Im September 1848 ward er vom ungarischen Ministerium nach Paris gesandt, um dort die ungarischen Interessen zu vertreten, und, da er nach der Niederwerfung der ungarischen Insurrektion im Namen Ungarns gegen die Maßregeln Österreichs protestierte, in contumaciam verurteilt und in effigie gehenkt, Er lebte seitdem abwechselnd in Paris und Genf und wirkte nach Ausbruch des italienischen Kriegs 1859 zu Turin im Interesse der ungarischen Nationalpartei. Im Dezember 1860 ward er zu Dresden verhaftet und nach Wien ausgeliefert, dort aber begnadigt. Im April 1861 in den ungarischen Reichstag gewählt, hielt er sich zur Linken, geriet aber bei seiner politischen Richtung mit dem bei seiner Begnadigung gegebenen Versprechen in Konflikt und erschoß sich in Verzweiflung darüber 8. Mai 1861 in Pest. T. hinterließ auch eine Tragödie: "A kegyencz" ("Der Günstling").
Telelog (griech., "Fernsprecher"), ein von Ackermann für die Mitteilung beobachteter Treffergebnisse beim Schießen der Artillerie erfundener elektrischer Telegraph, besteht aus einer Drahtleitung, einer Batterie Meidingerscher Elemente und einem Apparat zur Zeichengebung durch einfache und dreifache Glockenschläge, die als Elementarzeichen zu einem Alphabet gruppiert sind. Vgl. Ackermann, Der T. (Rastatt 1877).
Telemachos, im griech. Mythus Sohn des Odysseus und der Penelope, war bei der Abreise des Vaters zum Trojanischen Krieg noch ein Kind. Herangewachsen, erhielt er von Athene den Rat, bei Nestor in Pylos und Menelaos in Sparta Erkundigungen über den Vater einzuziehen; am letztern Ort erfuhr er, daß derselbe noch lebe. Nach Hause zurückgekehrt, traf er bei dem Sauhirten Eumäos seinen von Athene in einen Bettler verwandelten Vater. Dieser entdeckte sich ihm, und T. stand hierauf dem Vater bei der Tötung der Freier bei. Seine spätere Geschichte wird verschieden erzählt (vgl. Telegonos). Die Schicksale des T. behandelt der berühmte Roman von Fénelon: "Les aventures de Télémaque".
Telemann, Georg Philipp, Komponist, geb. 14. März 1681 zu Magdeburg, bezog zum Studium der Rechte 1700 die Universität Leipzig, widmete sich aber hier der Musik mit solchem Erfolg, daß er schon vier Jahre später die Organistenstelle an der Neuen Kirche und die Leitung des studentischen Gesangvereins Collegium musicum übernehmen konnte. In der Folge wirkte er als Kapellmeister erst in Sorau (an der Kapelle des Grafen Promnitz), dann in Eisenach, endlich von 1712 an in Frankfurt a. M. Von hier wurde er 1721 als städtischer Musikdirektor nach Hamburg berufen, wo er 25. Juli 1767 starb. T. stand als ebenso fleißiger wie gewandter Komponist und als Mann von reicher wissenschaftlicher Bildung bei seinen Zeitgenossen in höchstem Ansehen. Als er die ihm 1722 angetragene Stellung eines Thomaskantors in Leipzig ausschlug, war der dortige Rat sehr enttäuscht, auch dann noch, als J. S. Bach für dies Amt gewonnen war. Die Hoffnungen, welche Hamburg auf ihn gesetzt, konnte er nur teilweise erfüllen, sofern man erwartet hatte, er werde die am Anfang des Jahrhunderts blühende nationale Oper von ihrem inzwischen eingetretenen Niedergang wieder emporheben, was ihm nicht gelingen sollte. Von seinen fast unzählbaren Werken (darunter 44 Passionsmusiken und an 40 Opern) hat nicht ein einziges ihren Schöpfer zu überleben vermocht.
Telemarken, Landschaft, s. Thelemarken.
Telemeteorograph (griech.), s. Meteorograph.
Telemeter (griech., "Fernmesser"), eine von C. L. Clarke in New York erfundene Vorrichtung, um die Ablenkungen eines Manometers, Wasserstandszeigers etc. telegraphisch auf einen entfernten Zeigerapparat zu übertragen. Der Geber ist mit dem Empfänger durch drei Leitungen verbunden; ersterer enthält den Zeiger des Meßinstruments, der sich zwischen zwei mit ihm um dieselbe Achse mittels eines Sperrrades verschiebbaren Kontaktfedern bewegt und, je
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Telemssen - Telesio.
nachdem er sich links oder rechts anlegt, in der einen oder andern von zwei Leitungen den Stromweg der am Empfangsort aufgestellten Batterie schließt. In jedem dieser Stromwege liegen auf der gebenden Seite zwei Elektromagnete, auf der Empfangsstelle ein dritter, welche beim Stromschluß nacheinander in Wirksamkeit treten. Der erste stellt einen Nebenweg zu dem unsichern Zeigerkontakt her und erhöht dadurch die Sicherheit des Ansprechens; der andre schiebt das Sperrrad des Gebers um einen Zahn vorwärts, wodurch die Kontaktfedern dem Zeiger nachgedreht werden, bis dieser wieder frei zwischen beiden spielt; der Elektromagnet auf der Empfangsstelle endlich bewirkt, ebenfalls durch Einwirkung aus ein Sperrrad, daß der Zeiger des Empfangsapparats eine gleiche Ablenkung erfährt. Infolge der Bewegung beider Sperrräder wird ein neuer Stromweg durch die dritte Leitung und den dritten Elektromagnet des Empfangsapparats geschlossen, dessen Anker beim Anziehen demnächst die Batterieverbindung unterbricht und alle Elektromagnete in die Ruhelage zurückführt, so daß bei einem neuen Kontakt des Zeigers nach der einen oder andern Seite das Spiel sich wiederholen kann. Die Telemeterapparate verlangen eine sorgfältige Einstellung, sind aber dann gegen zufällige Erschütterungen unempfindlich. Vgl. Distanzmesser.
Telemssen, Stadt, s. Tlemsen.
Teleologie (v. griech. telos, Ziel, Zweck), "Lehre von den Zwecken", diejenige Vorstellungsart der Dinge, d. h. der Natur und der sozialen Welt, der zufolge die einzelnen Erscheinungen, Existenzen und Vorgänge auf die in ihnen enthaltenen oder doch vorausgesetzten zweckmäßigen Beziehungen hin betrachtet werden. Dieselbe wird neuerlich in dem Maß, als die exakten Wissenschaften emporkamen, für unfruchtbar, ja dem Fortschritt des Wissens hinderlich angesehen. Spinoza (s. d.) bezeichnete die Zwecke, die man in der Natur angetroffen haben wollte, als menschliche Hineindichtungen; Bacon (s. d. 3) nannte die Zweckbetrachtung im Gegensatz zu der Erforschung der wirkenden Ursachen eine gottgeweihte Jungfrau, die nichts gebären könne. Noch Kant richtete einen Abschnitt seiner "Kritik der Urteilskraft" gegen die Gültigkeit der Zweckvorstellungen. Neuerdings hat man in Anknüpfung an Aristoteles, in dessen Philosophie die den Naturdingen innewohnenden Zwecke eine große Rolle spielen, die Wiederherstellung einer Art von T. insofern versucht, als in gewissen Naturerscheinungen, wie im Instinkt (s. d.) und Trieb (s. d.), Zwecke, die von keinem Bewußtsein begleitet und also nicht als eigentliche Absichten gedacht werden (immanente Zwecke), anzutreten sein sollen. In der sogen. natürlichen Religion hat die T. sowohl bei den englischen Deiften als in der deutschen Aufklärungsphilosophie des Reimarus (s. d.) eine Rolle gespielt; aus der Naturwissenschaft ist sie seit Darwin (s. d.), der an die Stelle des Kanons: Es ist zweckmäßig, darum ist es, den umgekehrten setzte: Es ist, darum ist es zweckmäßig, so gut wie verschwunden.
Teleorman, Kreis in der Großen Walachei, an der Donau, benannt nach dem Fluß T.; Hauptstadt Turnu-Magurele.
Teleosaurier, krokodilähnliche Reptilien der Juraperiode.
Teleostei (Knochenfische), Ordnung der Fische (s.d., S. 298).
Telepathie (griech., "Fernfühlung, Fernegefühl"), neuerdings in Aufnahme gekommene Bezeichnung für das angebliche Vermögen einzelner Personen, räumlich oder zeitlich entfernte Vorgänge zu empfinden. Vgl. Gedankenlesen und Zweites Gesicht.
Telephon (griech.), s. Fernsprecher.
Telephorus, s. Schneewürmer.
Telephos, im griech. Mythus ein Arkadier, Sohn des Herakles und der Auge, einer Priesterin der Athene, ward von seiner Mutter ausgesetzt, aber von einer Hirschkuh gesäugt und von dem König Korythos erzogen. Beim König Teuthras von Mysien fand er später die Mutter und ward Schwiegersohn und Nachfolger des Königs. Als auf dem Zuge gegen Troja die Hellenen Mysien angriffen, besiegte sie T., ward aber dabei von Achilleus verwundet. Da die Wunde nicht heilen will und das Orakel verkündet, daß sie nur der heilen könne, der sie geschlagen habe, wendet er sich nach Argos, wohin die Griechen durch Sturm zurückverschlagen sind, flüchtet auf Klytämnestras Rat mit dem aus der Wiege geraubten Orestes, dem kleinen Sohn des Agamemnon, auf den Hausaltar und droht, das Kind zu töten, wenn ihm keine Hilfe würde, worauf Achilleus mit dem Rost oder den Spänen seiner Lanze die Wunde heilt. Vom Orakel als Führer nach Troja bezeichnet, zeigt T. den Griechen den Weg dorthin, weigert sich aber, als Gemahl der Astyoche, einer Schwester des Priamos, an dem Krieg selbst teilzunehmen. T. wurde in Pergamon und besonders von den Königen aus dem Haus des Attalos als Heros verehrt. Auf den in Pergamon jüngst ausgegrabenen Reliefs des Zeusaltars ist seine Geschichte dargestellt. Vgl. O. Jahn, T. und Troilos (Kiel 1841 u. Bonn 1859); Pilling, Quomodo Telephi fabulam veteres tractaverint (Halle 1886).
Telephotographie, die Reproduktion von Bildern durch den elektrischen Strom in der Ferne. Zuerst 1847 von Bakewell versucht, hat die Ausführung dieser Idee durch Bidwell 1881 praktische Gestaltung erhalten. In den Schließungskreis zweier galvanischer Batterien, die einander entgegenwirken, ist an der einen Station eine lichtempfindliche Selenzelle, an der andern Station eine mit befeuchtetem Jodkaliumpapier bedeckte Messingplatte eingeschaltet, aus welcher ein Messingstift schleift. Der Widerstand im Schließungskreis wird durch Rheostate so reguliert, daß kein Strom durchfließt, wenn die Selenzelle nicht beleuchtet ist. Durch Uhrwerke wird die Messingplatte mit dem Jodkaliumpapier an dem Stift und ganz entsprechend eine durchsichtige Glasplatte mit dunkeln Zeichnungen an der Selenzelle vorbei bewegt. Geht eine helle Stelle der Glasplatte an der Selenzelle vorbei, so wird unter der Einwirkung des Lichts ihr Widerstand kleiner, ein der Lichtwirkung entsprechender Strom geht von der Messingspitze, welche als positive Elektrode dient, durch das Jodkaliumpapier und bringt durch Abscheidung von Jod eine dunkle Färbung hervor; man erhält also eine negative Kopie der Zeichnung, welche die hellen Stellen des Originals dunkel zeigt.
Telerpeton, s. Eidechsen.
Telesio, Bernardino, ital. Philosoph, geb. 1508 zu Cosenza in Kalabrien, gest. 1588 daselbst, nachdem er zu Padua, Rom und Neapel gelehrt und an letzterm Orte die noch heute bestehende Accademia Telesiana der Naturforscher zur Verdrängung der Aristotelischen Physik gegründet hatte, hat sich als Gegner des Aristoteles und Begründer einer neuen, angeblich auf Erfahrung gestützten Naturphilosophie bekannt gemacht. In derselben führt er (nach Art der griechischen Naturphilosophen) die gesamte Erscheinungswelt auf drei Hauptprinzipien, ein leidendes und körperliches (Materie) und zwei thätige unkörperliche (Wärme und
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Teleskop - Tell.
Kälte), zurück, von welchen das erste, welches beweglich ist, den Himmel und die Gestirne, die letztern, welche unbeweglich sind, die Erde und deren Bewohner, der Kampf zwischen beiden aber den Ursprung und das Leben aller Dinge, der seelenlosen wie der beseelten, den Menschen inbegriffen, bestimmt. Seine Hauptschrift: "De natura", erschien unvollständig Rom 1568, vollständig Neapel 1586, seine übrigen Werke Venedig 1590. Vgl. Rixner und Fieber, Leben berühmter Physiker, Heft 3 (Sulzb. 1821); Fiorentino, Bernardino T. (Flor. 1872-74, 2 Bde.).
Teleskop (griech., "Fernschauer"), s. v. w. Fernrohr, besonders katoptrisches; s. Fernrohr.
Telesphoros (griech., "Vollender"), in der griech. Mythologie der Gott der Genesung, gewöhnlicher Begleiter des Asklepios, neben dem er als kleiner, in einen Mantel gehüllter Knabe erscheint.
Tel est notre plaisir (franz.), "das ist unser Wille", "so beliebt es uns", vor der Revolution der gewöhnliche Schluß in Reskripten und Befehlen der Könige von Frankreich an ihre Beamten.
Telëuten (Tulungut, weiße Kalmücken, auch Kumanelinzen), mongolischer, aber türkisierter, ackerbautreibender Volksstamm im sibir. Gouvernement Tomsk, an der Beja und den Telezker Seen.
Teleutosporen (griech.), eine Art Sporen bei den Pilzen (s. Pilze, S. 66, und Rostpilze).
Telford, Thomas, Ingenieur, geb. 9. Aug. 1757 zu Eskdale (Dumfriesshire), erlernte das Maurerhandwerk, ging 1781 nach Edinburg, 1782 nach London, wo er unter Chambers und Adams weitere Studien machte. Hier lernte er zugleich die Anlagen der Docks und Werften kennen, welche 1787 unter seiner Leitung vollendet wurden. 1793 wandte er sich dem Bau von Brücken zu, unter welchen die gewölbten Brücken über den Severn bei Montfort und Bewdley sowie über den Dee bei Tongueland und die gußeiserne Brücke von Buildwas hervorzuheben sind. Bei dem Bau des Ellesmerekanals (mit den bemerkenswerten Aquädukten im Chirkthal und von Pont y Cyssylte) 1793 konstruierte T. zuerst gußeiserne Schleusenthore und dann ganze Schleusen aus Gußeisen. Noch bedeutender war der T. übertragene Bau des 1823 für die Schiffahrt eröffneten Kaledonischen Kanals (s. d.). Auch der Macclesfieldkanal und Birmingham-Liverpool-Junctionkanal sind Werke Telfords. Unter seinen Hafenbauten sind die von Aberdeen und Dundee die bedeutendsten. Unter den auswärtigen Aufträgen Telfords ist der Plan des zur Verbindung des Wenersees mit der Ostsee bestimmten Götakanals in Schweden hervorzuheben. Das bedeutendste Werk Telfords ist die 1819-26 erbaute großartige, zur Verbindung der Insel Anglesea mit dem Festland von Carnarvon bestimmte Kettenbrücke über die Menaistraße bei Bangor. Nach demselben System ist die zur gleichen Zeit von ihm ausgeführte Conwaybrücke erbaut. T. starb 1831.
Telfs, Dorf in Tirol, Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, in weiter Ebene des Oberinnthals an der Arlbergbahn gelegen, hat eine hübsche Pfarrkirche mit Freskomalerei, ein Bezirksgericht, Franziskanerkloster, Bierbrauerei, Baumwollspinnerei, Tuch- und mechanische Leinweberei und (1880) 2261 Einw.
Telgte, Stadt im preuß. Regierungsbezirk und Landkreis Münster, an der Ems, zwischen ausgedehnten Heiden, 56 m ü. M., hat eine kath. Kirche mit wunderthätigem Marienbild, eine Privatirrenanstalt (Rochushospiz), Wollspinnerei und Wollwarenfabrikation, Bierbrauerei, Mahl-, Walk-, Öl- und Sägemühlen und (1885) 2271 Einw. T. ist seit 1238 Stadt.
Telinga, ein zu den Drawida (s. d.) gehöriger Volksstamm in Ostindien, dessen Sprache das Telugu (s. d.), von ältern Reisenden auch Gentoo ("Heidensprache") genannt, ist.
Teliosádik (v. griech. telos, "Vollendung"), das vollkommenste Zahlensystem, nämlich das duodezimale mit der Grundzahl 12, dessen Verbreitung und gesetzliche Einführung Joh. Friedrich Werneburg (geb. 1777 zu Eisenach, gest. 1851 als Professor in Jena) in seiner gleichnamigen Schrift (Leipz. 1800) "jedem redlichen Mann, ja jeder gebildeten, vernünftigen Regierung zur Pflicht" gemacht hat.
Tell, das (arab.), das fruchtbare, den Getreidebau gestattende Land am Atlas in Nordwestafrika, im Gegensatz zu der unfruchtbaren Sahara. Das T. hat von Marokko bis Biskra in Algerien eine fast durchgehends gleiche Breite von etwa 190 km.
Tell, Wilhelm, der besonders durch Schillers Dichtung verherrlichte Held der Schweizersage, angeblich ein Landmann aus Bürglen im Kanton Uri, Schwiegersohn Walther Fürsts von Uri. Als er 18. Nov. 1307 dem vom Landvogt Geßler zu Altorf als Zeichen der österreichischen Hoheit aufgesteckten Hute die befohlene Reverenz nicht erwies, gebot ihm der Vogt als berühmtem Armbrustschützen, einen Apfel von dem Haupt seines Söhnleins zu schießen. Auf die Drohung, das Kind müsse sonst mit ihm sterben, that T. den Schuß und traf den Apfel. Als er aber auf die Frage nach dem Zweck des zweiten Pfeils, den er zu sich gesteckt hatte, antwortete, daß derselbe, wenn er sein Kind getroffen, für den Vogt bestimmt gewesen, befahl dieser, ihn gefesselt auf seine Burg nach Küßnacht überzuführen. Auf dem Vierwaldstätter See aber brachte ein Sturm das Fahrzeug in Gefahr, und T. ward seiner Fesseln entledigt, um dasselbe zu lenken. Geschickt wußte er das Schiff gegen das Ufer, wo der Axenberg sich erhebt, zu treiben, sprang dort vom Bord auf eine hervorragende Felsplatte, welche noch jetzt die Tellsplatte heißt, eilte darauf über das Gebirge nach Küßnacht zu, erwartete den Vogt in einem Hohlweg, Hohle Gasse genannt, und erschoß ihn aus sicherm Versteck mit der Armbrust. Von Tells weitern Lebensschicksalen wird nur noch berichtet, daß er 1315 in der Schlacht bei Morgarten mit gefochten und 1354 in dem Schächenbach beim Versuch der Rettung eines Kindes den Tod gefunden habe. Nachdem schon der Freiburger Guillimann 1607, dann die Baseler Christian und Isaak Iselin, der Berner Pfarrer Freudenberger 1752 sowie Voltaire ("Annales de l'Empire") die Geschichte Tells als Fabel bezeichnet hatten, ist in neuerer Zeit durch die Forschungen Kopps (s. d.) u. a. in unzweifelhafter Weise aufgezeigt worden, daß dieselbe, wie überhaupt die gewöhnliche Tradition von der Befreiung der Waldstätte, einerseits im Widerspruch mit der urkundlich beglaubigten Geschichte (s. Schweiz, S. 757) steht, und daß sie anderseits in keinen zeitgenössischen oder der Zeit näher stehenden Quellen mit irgend einer Silbe erwähnt wird. Erst gegen Ende des 15. Jahrh. taucht die Tellsage auf und zwar in zwei Versionen. Die eine, repräsentiert durch ein um 1470 entstandenes Volkslied, die 1482-88 geschriebene Chronik des Luzerners Melchior Ruß, ein 1512 in Uri verfaßtes Volksschauspiel u. a., erblickt in T. den Haupturheber der Befreiung und Stifter des Bundes; die andre, die zuerst in dem um 1470 geschriebenen anonymen "Weißen Buch" zu Sarnen, dann in der 1507 gedruckten Chronik des Luzerners Etterlin erscheint, gibt Tells Geschichte nur als zufällige Episode und schreibt die Verschwörung
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Tell el Kebir - Tellereisen.
vornehmlich den Stauffacher zu. Erst Tschudi (s. d.) hat die beiden Traditionen zu der stehend gewordenen Gesamtsage verknüpft, die dann im Lauf der Jahrhunderte noch mancherlei Zusätze bekam und durch J. v. Müller und Schiller Gemeingut geworden ist. Die sogen. Tellskapellen auf der Tellsplatte, in Bürglen, in der Hohlen Gasse stammen sämtlich erst aus dem 16. Jahrh. und sind zum Teil nachweislich zu Ehren von Kirchenheiligen gestiftet worden. In Uri ließ sich keine Familie T. ermitteln; die Erkenntnisse der Urnerlandsgemeinden von 1387 und 1388, welche Tells Existenz bezeugen sollten, sowie die den Namen "Tello" und "Täll" enthaltenden Totenregister und Jahrzeitbücher von Schaddorf und Attinghausen sind als Erdichtungen und Fälschungen nachgewiesen. Die Sage vom Apfelschuß ist ein uralter indogermanischer Mythus, welcher in anderm Gewand auch in der persischen, dänischen, norwegischen und isländischen Heldensage, in welch letzterer der Held Eigil genannt wird, von dessen Sohn, König Orentel, T. vielleicht den Namen erhalten hat, vorkommt und in der Schweiz von den Chronisten des 15. Jahrh. zur Ausschmückung der Befreiungssage verwendet worden ist. Vgl. Häusser, Die Sage vom T. (Heidelb. 1840); Huber, Die Waldstätte (mit einem Anhang über die geschichtliche Bedeutung des Wilhelm T., Innsbr. 1861); Liebenau, Die Tellsage (Aarau 1864); W. Vischer, Die Sage von der Befreiung der Waldstädte (Leipz. 1867); Rilliet, Der Ursprung der Schweizer Eidgenossenschaft (deutsch, 2. Aufl., Aarau 1873); Hungerbühler, Étude critique sur les traditions relatives aux origines de la Confédération suisse (Genf 1869); Meyer v. Knonau, Die Sage von der Befreiung der Waldstätte (Basel 1873); Rochholz, T. und Geßler in Sage und Geschichte (Heilbr. 1876); Derselbe, Die Aargauer Geßler in Urkunden (das. 1877).
Tell el Kebir (Gasassin), ägypt. Dorf, an der Eisenbahn von Ismailia nach Zagazig und am Süßwasserkanal, bei dem die Engländer unter Wolseley 13. Sept. 1882 das Heer Arabi Paschas vernichteten.
Teller kommen bei den german. Völkern schon in den ältesten Zeiten vor und zwar aus Thon wie aus Metall und Holz; doch wurden anfangs die Speisen darin bloß aufgetragen, worauf jeder Tischgenosse sein Stück Fleisch auf eine Brotschnitte gelegt erhielt, das er mit dem Messer dann zerkleinerte. Erst im 12. Jahrh. fing man an, den Gästen noch besondere T. vorzusetzen und zwar anfänglich je einen für zwei Tischgenossen; dieselben waren bei den Wohlhabenden von Zinn oder von Silber, im übrigen von gleicher Form wie die unsern.
Teller, Wilhelm Abraham, protest. Theolog, geb. 9. Jan. 1734 zu Leipzig, ward 1755 Katechet an der Peterskirche daselbst, 1761 Professor der Theologie und Generalsuperintendent in Helmstädt, 1767 Oberkonsistorialrat und Propst an der Peterskirche zu Berlin, als welcher er auch unter dem Ministerium Wöllner die unerschütterliche Säule des Rationalismus bildete. Seit 1786 Mitglied der Akademie, starb er 9. Dez. 1804. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: das "Lehrbuch des christlichen Glaubens" (Halle 1764) und das "Wörterbuch des Neuen Testaments" (Berl. 1772, 6. Aufl. 1805).
Tellereisen (Tritteisen), Fangeisen, an welchem ein rundliches, tellerförmiges, in einem Kranz b b (Fig. 1) befestigtes Brett (Teller c) die Bügel a auseinander hält, indem es zwischen dieselben mittels der Stellhaken eingeklemmt wird. Sobald das Wild auf den Teller tritt, wird dieser heruntergedrückt, und zugleich schlagen die Bügel durch die Triebkraft einer mit ihnen in Verbindung stehenden Feder d zusammen. Das Wild wird dadurch an dem den Teller niederdrückenden Lauf gefaßt und dieser zwischen den Bügeln festgeklemmt. Der Anker an der Kette e hindert das Entkommen des gefangenen Wildes. Man hat auch Eisen, an welchen der von Eisenblech gefertigte Teller in der Mitte getrennt, durch bewegliche Scharniere zusammengehalten wird (Eisen mit gebrochenem Teller), so daß beim Auftreten dieser in der Mitte nach unten zusammenklappt und dadurch das Zuschlagen der Bügel bewirkt. Man verwendet die T. zum Fang von Wölfen, Dachsen, Füchsen, Ottern, Mardern und kleinem Raubzeug sowie von Raubvögeln und fertigt sie dazu in sehr verschiedener Größe. Man legt die T. entweder auf den Wechsel des Wildes, auf den Eingang zum Bau, auf den Absprung des Marders und den Ausstieg des Fischotters (s. d.) gut verdeckt in die Erde gebettet und braucht dann keine Kirrbrocken. Andernfalls
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Tellerrot - Tellur.
legt man, nachdem das Wild dadurch vorher angekirrt ist, solche aus und bindet den Fangbrocken auf den Teller, lockt auch durch eine Schleppe (s. d.) das Raubtier an den Fangplatz. Für Marder bindet man ein Ei auf den Teller oder hängt einen Vogel darüber. Um Raubvögel zu fangen, hat der Teller eine konische Form und wird auf einem in Feld- oder Wiesenstücke eingeschlagenen Pfahl befestigt (Fig. 2 u. 3), weil sich dieselben zur Beobachtung der Umgegend gern hierauf niederzulassen (aufzuhacken) pflegen. Bei Frostwetter ist der Fang unsicher, weil der Teller festfriert und die Bügel am Losschlagen hindert. Oft beißen sich auch die gefangenen Tiere, wenn der Knochen durchgeschlagen ist, den Lauf ab und entkommen. Vgl. v. d. Bosch, Fang des einheimischen Raubzeugs (Berl. 1879).
Tellerrot (Tassenrot), s. Safflor.
Tellerschnecke, s. Lungenschnecken und Planorbis multiformis.
Tellez (spr. telljeds), Gabriel, genannt Tirso de Molina, berühmter span. Dramatiker, von dessen Lebensumständen nur wenig bekannt ist. Er war um 1585 zu Madrid geboren, trat noch vor 1613 in den Orden der Barmherzigen Brüder zu Toledo und bekleidete nach und nach die wichtigsten Stellen in demselben. 1645 wurde er Prior des Klosters Soria und soll als solcher 1648 gestorben sein. T. gehört zu den größten dramatischen Dichtern Spaniens und nimmt seinen Platz unmittelbar neben Lope und Calderon ein. Seine Stücke sind teils Schauspiele (Comedias), teils Zwischenspiele und Autos sacramentales (im ganzen ursprünglich gegen 300, von denen jedoch nur der kleinste Teil erhalten ist); sie zeichnen sich durch ungemeine Originalität und Mannigfaltigkeit der Erfindung, Kühnheit des Plans, meisterhafte Charakterzeichnung und hochpoetische Diktion aus. Besonders hervorragend ist T. in seinen Lustspielen, von denen mehrere sich bis auf den heutigen Tag auf der spanischen Bühne erhalten haben. Zu den vorzüglichsten derselben gehören: "Don Gil de las calzas verdes" (deutsch in Dohrns "Spanischen Dramen", Bd. 1, Berl. 1841), "La celosa de si misma", "La villana de Vallecas". "No hay peor sordo que el que no quiere oir", "Marta la piadosa" (deutsch in Rapps "Spanischem Theater", Bd. 5, Hildburgh. 1870), die geniale Farce "El amor medico" u. a. Von den ernstern Stücken sind besonders das hochtragische "Escarmientos para el cuerdo", das großartige "La prudencia en la mujer", das mystisch-asketische Drama "El condenado por desconfiado" und der "Burlador de Sevilla o el convidado de piedra" (franz. bearbeitet von Molière; deutsch bei Dohrn, Bd. 1, und bei Rapp, Bd. 5), als die erste dramatische Bearbeitung der Don Juan-Sage, hervorzuheben. Eine erste (jetzt sehr seltene) Sammlung von T.' Stücken erschien in 5 Bänden Madrid und Tortosa 1631-36; andre sind einzeln gedruckt und mehrere noch handschriftlich vorhanden. Eine neuere Ausgabe der "Comedias" besorgte Hartzenbusch (Madr. 1839-42, 12 Bde.; Auswahl in der "Biblioteca de autores españoles", Bd. 5, das. 1850). Die "Autos" von T. finden sich in der unter seinem wahren Namen herausgegebenen Mischsammlung "Deleytar a provechando" (Madr. 1635; das. 1775, 2 Bde.).
Tellkampf, Johann Ludwig, Nationalökonom, geb. 28. Jan. 1808 zu Bückeburg, studierte in Göttingen, woselbst er sich 1835 als Dozent niederließ, ging 1838 infolge des Umsturzes der hannöverschen Verfassung nach Amerika und bekleidete hier bis 1846 die Professur der Staatswissenschaften erst am Union College, dann am Columbia College in New York und schrieb außer verschiedenen handelspolitischen Abhandlungen eine Schrift: "Über die Besserungsgefängnisse in Nordamerika und England" (Berl. 1844). Im Auftrag der preußischen Regierung, welche ihn schon zu einer Beratung über Gefängnisreform hinzugezogen hatte, studierte er 1846 das Gefängniswesen in England, Frankreich und Nordamerika und wurde in demselben Jahr zum Professor der Nationalökonomie in Breslau ernannt. 1848 gehörte T. dem Verfassungsausschuß des Frankfurter Parlaments an, 1849-51 war er Mitglied der preußischen Zweiten Kammer, seit 1855 auf Präsentation der Universität Breslau Mitglied des preußischen Herrenhauses, wo er zur liberalen Minorität gehörte. Im Reichstag, dem er seit 1871 angehörte, zählte er zur national-liberalen Fraktion. Er starb 15. Febr. 1876. Von seinen zahlreichen Schriften sind zu nennen: "Beiträge zur Nationalökonomie und Handelspolitik" (Leipz. 1851-53, 2 Hefte); "Der Norddeutsche Bund und die Verfassung des Deutschen Reichs" (Berl. 1866); "Die Prinzipien des Geld- und Bankwesens" (das. 1867); "Essays on law reform, commercial policy, banks, penitentiaries etc." (Lond. 1857; 2. Aufl., Berl. 1875); "Selbstverwaltung und Reform der Gemeinde- und Kreisordnungen in Preußen und Selfgovernment in England und Nordamerika" (das. 1872). Mit Bergius übersetzte er MacCullochs "Geld u. Banken" (Lpz. 1859).
Tellskapelle, eine der Lokalitäten, die mit der Urgeschichte der vier schweizerischen Waldstätte in Verbindung gebracht sind. Hierher versetzt nämlich die Tradition jenen Moment, wo der von dem Landvogt Geßler gebundene Tell, als der Sturm alle Schiffsleute verzagen ließ, seiner Bande los wurde, das Fahrzeug sicher nach einem Felsvorsprung hinleitete und, mit seiner Armbrust bewaffnet, dem Schiff entsprang (1307). Die Kapelle wurde 1880 von neuem erbaut und von Stückelberg mit Fresken geschmückt. Der Ort ist eine der Dampfschiffstationen des Vierwaldstätter Sees. Eine zweite T. befindet sich in Bürglen neben dem Hotel "Wilhelm Tell", eine dritte in der Hohlen Gasse, zwischen Arth und Küßnacht.
Tellur Te, chemisch einfacher Körper, findet sich in geringen Mengen gediegen bei Valathna in Siebenbürgen, gewöhnlich mit Metallen verbunden, z. B. mit Gold als Schrifttellur, mit Silber als Weißtellur, mit Wismut und Schwefel als Tetradymit und mit Blei, Antimon und Schwefel als Blättererz. Einige dieser Mineralien werden auf Silber und Gold verhüttet. Zur Gewinnung des Tellurs zieht man Tellurgold oder Tellursilber mit warmer Salzsäure aus, behandelt den Rückstand mit Königswasser, fällt aus der klaren Lösung das Gold durch Eisenvitriol und nach dem Filtrieren das T. durch schweflige Säure. Es ist silberweiß, glänzend, blätterig-kristallinisch, spröde, Atomgew. 127,7, spez. Gew. 6,24, schmilzt so leicht wie Antimon, ist flüchtig, verbrennt an der Luft zu farblosem, kristallinischem, wenig in Wasser löslichem Tellurigsäureanhydrid TeO2 unter Verbreitung eines eigentümlichen, schwach säuerlichen Geruchs, löst sich mit roter Farbe in heißer Kalilauge zu Tellurkalium und tellurigsaurem Kali, scheidet sich aber beim Erkalten der Lösung wieder vollständig aus, wird von konzentrierter Schwefelsäure und Salpetersäure zu farbloser, erdiger, scharf metallisch schmeckender telluriger Säure H2TeO3 und von schmelzendem Salpeter zu farbloser, kristallinischer, metallisch schmeckender Tellursäure H2TeO4 oxydiert. Es verbindet sich direkt mit den Haloiden, mit Schwefel und vielen Metallen, ist zweiwertig und in
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Tellurblei - Temes.
seinem chemischen Verhalten dem Schwefel und Selen ähnlich. Das gediegene T. wurde von den alten Metallurgen Aurum paradoxum, Metallum problematicum genannt, Klaproth erkannte es 1798 als neues Element, und Berzelius studierte es 1832 genauer, stellte es aber zu den Metallen.
Tellurblei (Altait), seltenes, regulär kristallisierendes, zinnweißes Mineral aus der Ordnung der einfachen Sulfuride, besteht aus Blei und Tellur PbTe mit 38,21 Tellur und etwas Silber, findet sich am Altai, in Kalifornien, Colorado und Chile.
Tellurisch (lat.), was sich auf die Erde (tellus) bezieht, von dieser abstammt; daher tellurische Einflüsse, Einwirkung der Erde auf den menschlichen Körper als Krankheitsursache etc.
Tellurismus (lat.), s. Magnetische Kuren.
Tellurit (Tellurocker), Mineral, natürlich vorkommendes Anhydrid der tellurigen Säure, TeO2, äußerst selten mit gediegenem Tellur in Quarz auf einigen siebenbürgischen Gruben, auch mit andern Tellurerzen in Colorado vorkommend.
Tellurium (lat.), Maschine zur Versinnlichung der bei der täglichen Rotation und dem jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne eintretenden Erscheinungen, besonders des durch den Parallelismus der Erdachse bedingten Wechsels der Jahreszeiten. Vgl. Wittsack, Das T. (2. Aufl., Berl. 1875).
Tellus ("Erde"), die italische Gottheit der mütterlichen Erde, daher auch oft T. mater genannt, entspricht der griech. Gäa (s. d.). Man rief sie bei Erdbeben an (wie denn ihr Tempel in Rom, am Abhang des vornehmen Quartiers der Carinen gelegen, 268 v. Chr. infolge eines Erdbebens im Kriege gelobt worden war), bei feierlichen Eiden zusammen mit dem Himmelsgott Jupiter, als das allgemeine Grab der Dinge neben den Manen. Wie die griechische Demeter, galt sie auch als Göttin der Ordnung der Ehe, insbesondere aber verehrte man sie vielfach in Verbindung mit Ceres als Göttin der Erdfruchtbarkeit. So galten ihr die im Januar am Beschluß der Winteraussaat vom Pontifex an zwei aufeinander folgenden Markttagen angesetzte Saatfeier (feriae sementivae) und die gleichzeitig auf dem Land gefeierten Paganalien, bei denen ihr mit Ceres ein trächtiges Schwein geopfert wurde, ferner das am 15. April für die Fruchtbarkeit des Jahrs teils auf dem Kapitol, teils in den 30 Kurien, teils außerhalb der Stadt unter Beteiligung der Pontifices und der Vestalinnen begangene Fest der Fordicidien oder Hordicidien, bei denen ihr trächtige Kühe (fordae) geopfert wurden; die Asche der ungebornen Kälber verwahrten die Vestalinnen bis zum Feste der Palilien (s. Pales), an welchem sie als Reinigungsmittel verwendet wurde. Neben der weiblichen Gottheit verehrte man auch einen Gott Tellumo. Vgl. Stark, De Tellure dea (Jena 1848).
Telmann, Konrad, Pseudonym, s. Zitelmann.
Telmessos (Telmissos), im Altertum Hafenstadt an der Westküste von Lykien, nahe der Grenze von Karien, als Sitz von Wahrsagern berühmt. Ruinen beim heutigen Makri (s. Tafel "Baukunst II", Fig. 14).
Telpherage (spr. téllferidsch, Telpher), von Fleeming Jenkin erfundene elektrische Eisenbahn, bei welcher die Wagen wie bei der Seilbahn an Stahldrahtseilen hängend sich fortbewegen. Die zwei Seile sind an jeder Tragsäule übers Kreuz stromleitend miteinander verbunden. Die Säulen stehen je 20 m voneinander entfernt, und jeder Zug besteht aus Lokomotive und zehn Kasten im Gesamtgewicht von 570 und mit einer Tragkraft von 1400 kg. Eine Versuchsbahn wurde 1883 zu Weston bei Hitchin in England gebaut, eine größere Anlage 1885 zu Glynde in der Grafschaft Sussex.
Tel-pos (Töll-pos), Berg des nördlichen sogen. Wüsten Urals im russ. Gouvernement Wologda, gipfelt in zwei Piks (1687 und 1640 m hoch). Auf der höchsten Terrasse befindet sich ein See, aus dem ein breiter Bach hinabstürzt.
Telschi (lit. Telszei), Kreisstadt im litauisch-russ. Gouvernement Kowno, am See Mastis, hat 2 Synagogen, eine griechisch-russ. Kirche, eine Adelsschule, eine hebräische Kreisschule, Handel mit Getreide und Leinsaat und (1886) 11,393 Einw.
Teltow, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, mit Berlin durch eine Dampfstraßenbahn verbunden, hat eine evang. Kirche, berühmten Rübenbau (Teltower Rüben) und (1885) 2667 Einw. T. wird zuerst 1232 urkundlich erwähnt. Der Kreis T. hat Berlin zur Kreisstadt.
Teltower Rübe, s. Raps.
Teltsch, Stadt in der mähr. Bezirkshauptmannschaft Datschitz, nahe am Ursprung der Thaya, hat ein Bezirksgericht, ein altes Schloß, eine gotische Dekanats- und 5 andre Kirchen, eine Landesoberrealschule, eine Dampfmühle, Schneidemühle, Spiritusbrennerei, Tuchmacherei, Flachsbau und (1880) 5116 Einw.
Telugu, Sprache des zu den Drawida (s. d.) gehörigen Volkes der Telinga in Ostindien, an der Ostküste des Dekhan von Orissa südwärts bis beinahe Madras von ca. 20 Mill. Menschen gesprochen. Die eigentümliche Teluguschrift ist aus dem alten Sanskritalphabet abgeleitet, und die mindestens bis ins 12. Jahrh. v. Chr. zurückreichende, nicht unbedeutende, aber noch wenig gekannte Litteratur besteht ebenfalls zumeist in Übersetzungen von und Kommentaren zu bekannten Sanskritwerken. Bearbeitet wurde das T. am besten durch Brown ("T. grammar", Madras 1858; "T. dictionary", das. 1852-53, 2 Bde.); neuere Grammatiken lieferten Arden (Lond. 1873) und Morris (das. 1889).
Telut, Insel, s. Jaluit.
Telyu, die cymbrische Harfe, s. Harfe.
Tem., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für J. E. Temminck, geb. 1778, gest. 1858 in Leiden (Vögel, Säugetiere).
Temascaltepec, Stadt im mexikan. Staat Mexiko, 30 km südwestlich von Toluca, in tiefem Thal, hat Weberei großer Baumwolltücher, verlassene Bergwerke und (1880) 10,267 Einw. (im Munizipium).
Tembek, eine in Persien erzeugte Sorte Tabak, welche nur aus der Wasserpfeife geraucht wird.
Tembuland, Dependenz des brit. Kaplandes, an der Südostküste zwischen den Flüssen Bashee und Umtata, 10,502 qkm (191 QM.) groß mit (1885) 122,638 Einw., worunter 8320 Weiße.
Temen, Getreidemaß, s. Ueba.
Temenos (griech.), geweihter Tempelbezirk.
Temes (spr. témesch, bei den Alten Tibiscus), Fluß in Ungarn, entspringt im Banater Gebirge, fließt meist durch ein enges Gebirgsthal, tritt bei Lugos in die ungarische Tiefebene, fließt hier in einem großen, gegen S. geöffneten Bogen in südwestlicher Richtung und mündet bei Pancsova in die Donau. Ihr Lauf beträgt 430 km. Anfangs wird sie bloß zum Holzflößen, von Tomaschevatz an auch zur Schiffahrt benutzt. Sie nimmt links die Bogonicz und Berzava, rechts die Bistra und Bega auf und speist den Begakanal. - Das ungar. Komitat T. längs der Maros und Theiß grenzt im W. an das Komitat Torontál,
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Temesvar - Tempe.
im N. an Arad, im O. an Krassó-Szörény und im S. an Serbien, umfaßt 7136 qkm (129,6 QM.) mit (1881) 396,045 Einw. (meist Rumänen und Serben), ist fast durchaus eben, wird an der Nordgrenze von der Maros, im Innern von der Berzava, der T., dem Krassó und der Nera, an der Südgrenze von der Donau bewässert, hat viele Sümpfe, ein heißes, teilweise ungesundes Klima, aber sehr fruchtbaren Boden. Getreide und Obst werden in Fülle gewonnen. Vieh-, Seidenraupen- und Bienenzucht blühen. Das Komitat wird von den Bahnlinien Arad-Bazias und Szegedin-Orsova durchschnitten. Sitz desselben ist Temesvár. Hervorragend ist die Mühlenindustrie (259 Mühlen mit einer Jahresproduktion von 1,644,000 metr. Ztr. Mehl).
Temesvár (spr. témeschwar), königliche Freistadt und Festung im ungar. Komitat Temes und Knotenpunkt der Österreichisch-Ungarischen Staatsbahnlinien Wien-Orsova und T.-Bazias sowie der Arad-Temesvárer Bahn, liegt am Begakanal in sumpfiger Gegend, besteht aus der von breiten Glacis- und Parkanlagen (Stadtpark und Scudierpark) umgebenen Festung (innere Stadt) und vier Vorstädten. Die Stadt T., welche 13 Kirchen, 4 Klöster und 3 Synagogen besitzt, hat hübsche Straßen, große Plätze und schöne öffentliche und Privatbauten, viele Kasernen und elektrische Beleuchtung. Nennenswert sind die beiden Kathedralen sowie das Komitatshaus am Losonczyplatz (daselbst steht eine Mariensäule), das alte Schloß Joh. Hunyadys (jetzt Zeughaus), ferner das Rathaus und die Militärgebäude am Prinz Eugen-Platz, wo sich eine 1852 zur Erinnerung an die Verteidigung Temesvárs errichtete 20 m hohe gotische Spitzsäule (von Max) erhebt, das Dikasterialgebäude, das Theater, die neue Synagoge und die Staatsoberrealschule etc. Die Einwohner (1881: 33,694) sind Deutsche, Rumänen, Serben und Ungarn und betreiben lebhaften Handel und zahlreiche Gewerbe. T. hat eine bedeutende Fabrikindustrie: 1 königliche Tabaksfabrik, 3 Dampfmühlen (darunter die Elisabeth- und Pannoniamühle mit 200,000 und 100,000 metr. Ztr. Jahresproduktion), 4 große Spiritusfabriken und -Raffinerien, ein großes Brauhaus; ferner Fabriken für Tuch, Papier, Leder, Wolle, Soda, Öl etc., eine Dampfsäge- und viele Wassermühlen am Begakanal; endlich besitzt T. ein Obergymnasium, eine Oberreal- und eine höhere Mädchenschule, eine Handelsschule, mehrere Spitäler, 2 Waisenhäuser, eine Handels- und Gewerbekammer, eine Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank, ein südungarisches Museum und einen Tramway, welcher den Verkehr zwischen der Festung und den Vorstädten vermittelt. T. ist Sitz des Komitats, des Csanáder römisch-katholischen und eines griechisch-orientalischen (serbisch-rumänischen) Bischofs, eines General- und Festungskommandos, eines Gerichtshofs, einer Finanzdirektion und sonstiger Behörden. - T. ist das Zambara der Römer. Unter der Avarenherrschaft hieß es Beguey; unter der ungarischen war es Sitz eigner Grafen und unter dem ungarischen König Karl Robert eine so blühende Stadt, daß derselbe 1316 fein Hoflager hierher verlegte. 1443 erbaute Hunyady das Schloß; 1552 ward T. von den Türken erobert, 1716 durch den Prinzen Eugen vom türkischen Joch befreit. Damals wurde die jetzige Festung angelegt, die alte Stadt größtenteils niedergerissen und nach einem neuen Plan wieder aufgebaut. 1781 ward T. zur königlichen Freistadt erhoben. 1849 ward es vom ungarischen General Grafen Vecsey seit 25. April belagert, aber durch den Sieg Haynaus über Bem und Dembinski (9. Aug.) entsetzt. Vgl. Preyer, Monographie der königlichen Freistadt T. (Temesv. 1853).
Temir-Chan Schura, Gebietsstadt im Gebiet Daghestan der russ. Statthalterschast Kaukasien, 466 m ü. M., in ungesunder Gegend, stark befestigt, mit (1879) 4650 Einw.; von alters her berühmt durch seine ausgezeichneten Dolche und Säbel.
Temme, Jodocus Donatus Hubertus, deutscher Rechtsgelehrter und belletristischer Schriststeller, geb. 22. Okt. 1798 zu Lette in Westfalen, studierte zu Münster und Göttingen die Rechte, besuchte dann als Erzieher eines Prinzen von Bentheim-Tecklenburg noch Heidelberg, Bonn, Marburg, bekleidete seit 1832 verschiedene richterliche Ämter, ward 1839 Direktor des Stadt- und Landgerichts zu Berlin, 1844 nach Tilsit versetzt und wurde 1848 Oberlandesgerichtsdirektor zu Münster. Er saß in der preußischen wie in der deutschen Nationalversammlung auf der äußersten Linken und ward 1849 wegen selner Teilnahme an den Stuttgarter Beschlüssen in einen Hochverratsprozeß verwickelt, zwar nach neunmonatlicher Haft vom Schwurgericht freigesprochen, aber im Disziplinarweg 1851 aus dem Staatsdienst entlassen. Vgl. "Die Prozesse gegen J. T." (Braunschw. 1851). Von 1851 bis 1852 redigierte er die "Neue Oderzeitung" in Breslau, 1852 folgte er einem Ruf als Professor des Kriminalrechts nach Zürich, wo er 14. Nov. 1881 starb. Von seinen juristischen Werken sind hervorzuheben: "Lehrbuch des preußischen Zivilrechts" (2. Aufl., Leipz. 1846, 2 Bde.); "Lehrbuch des preußischen Strafrechts" (Beri. 1853); "Archiv für die strafrechtlichen Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe Deutschlands" (Erlang. 1854-59, 6 Bde.); "Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts" (Aarau 1855); "Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts" (Stuttg. 1876). Daneben trat er mit Glück als Novellist auf und entwickelte besonders im Fach der Kriminalnovelle eine ungewöhnliche Produktivität. Vgl. seine "Erinnerungen" (hrsg. von Born, Leipz. 1882).
Temne (Timmene), Negerstamm in Westafrika, am Rokellefluß in Sierra Leone. Die Sprache der T., grammatisch dargestellt von Schlenker (Lond. 1864), ist nahe verwandt mit der des benachbarten kleinen Stammes der Bullom (grammatisch und lexikalisch bearbeitet von Nyländer, das. 1814); nach Bleek und Lepsius steht sie auch zu dem großen südafrikanischen Bantusprachstamm (s. Bantu) in Beziehungen.
Temnikow, Kreisstadt im russ. Gouvernement Tambow, an der Mokscha, hat 8 griechisch-russ. Kirchen, Gußeisen- u. Fayencefabriken u. (1885) 7107 Einw.
Tempe ("die Einschnitte"), von den alten Dichtern vielfach gefeiertes, 100-2000 Schritt breites, etwa 10 km langes, vom Peneios durchströmtes Felsenthal mit üppiger Vegetation zwischen dem Ossa und dem Olympos in Thessalien. Wo der Peneios das Gebirge durchbricht, rücken die Berge sehr nahe zusammen; weiterhin öffnet sich stellenweise das Thal, so daß der Fluß in Windungen sanft hindurchströmt; aber in der Nähe des Meers bilden die Felsen eine enge, wilde Schlucht, um dann ganz am Meer wieder auseinander zu treten. Die Straße, zum Teil in den Felsen gehauen, liegt am rechten Ufer. Das Thal war einer der wichtigsten Pässe Nordgriechenlands. Philipp von Makedonien ließ am Eingang Kastelle errichten, die nach ihm verfielen, von den Römern aber wiederhergestellt wurden. Noch jetzt sind Trümmer eines Kastells auf dem rechten Peneiosufer vorhanden. Im Passe selbst stand ein hochheiliger Altar des Apollon, unweit des Meers ein solcher des Poseidon Peträos, als dessen Werk die Thalspalte an-
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Tempel (kunstgeschichtlich).
gesehen wurde. Vgl. Kriegk, Das thessalische T. (Leipz. 1835).
Tempel (v. lat. templum), bei den Völkern des Altertums ein der Gottheit geweihter Bezirk, dann das auf demselben stehende Gebäude, zur Aufnahme der Götterbilder, des Altars und der Priester, aber nur selten des Volkes bestimmt. Im Innern des eigentlichen Tempelhauses oder der Zelle (cella) stand die Bildsäule oder das Bild der Gottheit, welcher der T. gewidmet war, auf einem Postament an der dem Eingang gegenüberliegenden Mauer, vor ihm ein entweder runder oder viereckiger Opfer- und Betaltar. Die Decke bestand aus Holz, selten aus Stein und war gewöhnlich eben, später bisweilen auch gewölbt. Der Fußboden war anfangs aus Steinplatten, später aus Mosaik hergestellt. Die Säulen des Portikus schmückte man oft mit erbeuteten feindlichen Schilden. Stufen hatten die griechischen T. in der Regel, und zwar liefen sie stets ringsherum. Der dadurch geschaffene Stufenunterbau hieß Krepidoma. Der Platz um den T., soweit er der Gottheit geweiht war, hieß Peribolus. Mit einer Mauer umgeben, enthielt er Altäre, Statuen, Monumente aller Art. Über die T. der alten Ägypter s.Baukunst, S. 482, und über die der Inder s. Höhlentempel. Die Hebräer besaßen nur einen einzigen T., den berühmten T. zu Jerusalem, ihr Nationalheiligtum. Der erste T. (Salomonischer T.), von Salomo seit 990 v. Chr. auf dem Berg Moria mit Hilfe phönikischer Meister errichtet, war ein steinernes Gebäude von 60 Ellen Länge, 20 Ellen Breite und 30 Ellen Höhe, an drei Seiten mit Seitenzimmern umgeben, welche, in drei Stockwerken übereinander, zur Bewahrung der Schätze und Gerätschaften des Tempels dienten, an der vordern Seite aber mit einer 10 Ellen breiten Vorhalle geziert, welche von zwei ehernen Säulen, Jachin und Boas ("Festigkeit und Stärke"), getragen wurde. Das Innere enthielt einen 40 Ellen langen Vorderraum, das Heilige, worin die goldenen Leuchter, der Schaubrottisch und der Räucheraltar standen, und einen durch einen Vorhang davon geschiedenen Hinterraum von 20 Ellen Länge, das Allerheiligste, mit der Bundeslade. Beide Räume waren an den Wänden, das Allerheiligste (Adyton) auch am Boden und an der Decke mit Holzwerk getäfelt. Letzteres war nur dem Hohenpriester, das Heilige nur den Priestern zugänglich. Das Tempelgebäude war von einem innern Vorhof der Priester mit dem Brandopferaltar, dem Reinigungsbecken und andern Gerätschaften umgeben und dieser durch Säulengänge mit ehernen Thoren von dem für das Volk bestimmten und von einer Mauer umschlossenen äußern Vorhof geschieden. Nachdem er 586 durch Nebukadnezar zerstört worden war, erhob sich an seiner Stelle nach der Rückkehr der Juden aus der Babylonischen Gefangenschaft der zweite, nach Serubabel gekannte T., der wahrscheinlich wie auf der Stätte, so auch nach dem Plan des ersten errichtet und 516 vollendet wurde, diesem aber an Größe und Pracht nachstand. Durch Antiochos Epiphanes 169 entweiht, ward er von Judas Makkabäus wiederhergestellt und befestigt. Unter Herodes d. Gr. begann seit 21 v. Chr. eine gänzliche Umgestaltung des Tempels in großartigerm Maßstab im griechischen Stil (daher Herodianischer T.). Dieser Tempelbau war nach Josephus eine Stadie lang und eine Stadie breit. Im jüdisch-römischen Krieg, 70 n. Chr., war der T. die letzte Schutzwehr der Juden. Seit 644 steht auf der Tempelstätte eine Moschee. Die Aufzeichnungen über den Salomonischen Tempelbau finden sich, außer einzelnen Notizen bei Jeremias 52 und im 2. Buch der Könige 25, im 1. Buch der Könige, Kap. 5-7, und 2. Chron., Kap. 2-4. Vgl. Vogué, Le temple de Jérusalem (Par. 1864, Prachtwerk), außerdem die Schriften über den Salomonischen T. von Keil (Dorp. 1839), Bähr (Karlsr. 1848), Rosen (Gotha 1866), Fergusson (Lond. 1878), Spieß (Berl. 1881), Wolff (Graz 1887). - Die höchste künstlerische Ausbildung erfuhr der Tempelbau durch die Griechen, welche, von der einfachsten Form ausgehend, allmählich zu einer Anzahl von Typen gelangten, die nicht nur für die Römer maßgebend gewesen sind, sondern auch auf die Baukunst der neuern Zeit Einfluß geübt haben. Man unterschied die einzelnen Gattungen der T. entweder nach der Anordnung der Säulenstellungen vor und hinter der Tempelfronte oder an den Seiten des Tempels oder
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1. Antentempel. 2. Prostylos. 3. Ampyiprostylos.
[siehe Graphik] [siehe Graphik] [siehe Graphik]
4. Peripteros. 5. Dipteros. 6. Pseudodipteros.
nach der Zahl der Säulen an der Tempelfronte (vgl. auch Baukunst, S. 486). Die erstere Einteilung ist die geläufigere. Man unterschied demnach: 1) T. in antis (Antentempel), bei welchen zwischen den über den Haupteingang zur Cella vorgeschobenen Seitenmauern (antae) des Tempels zwei Säulen standen. Die dadurch gewonnene Vorhalle hieß Pronaos. Um die Cella auch von hinten zugänglich zu machen, wurde die Rückseite des Tempels später mit einer gleichen Anlage (Opisthodomos, Hinterhaus) versehen (Fig. 1). 2) Prostylos hieß der T., wenn die Stirnseiten der Seitenmauern bis zur Eingangsthür der Cella zurücktraten und die Vorhalle des Tempels allein durch Säulen getragen wurde (Fig. 2). 3) Der Amphiprostylos entsteht, wenn diese Säulenstellung sich am Hinterhaus des Tempels wiederholt (Fig. 3). 4) Der Peripteros ist die Erweiterung des Amphiprostylos durch eine Säulenhalle, welche um alle vier Seiten des Tempels als freier Umgang herumgeführt wird. Es ist die edelste Form des griechischen Tempelbaues, dessen klassisches Beispiel der Parthenon ist (Fig. 4). Eine römische Abart ist der Pseudoperipteros, bei welchem die Säulen in Form von Halbsäulen und Pilastern den Seitenwänden angefügt waren und das Gebälk tru-
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Tempel - Tempelherren
gen, im wesentlichen also nur einen dekorativen Zweck hatten. 5) Der Dipteros entsteht, wenn um den T. eine doppelte Säulenstellung herumgeführt wird, also an der Vorder- und Rückseite vier Reihen von Säulen stehen (Fig. 5). Der Pseudodipteros (Fig. 6) unterscheidet sich von dem Dipteros dadurch, daß die innere Säulenstellung fehlt, aber der Zwischenraum zwischen der äußern Säulenstellung und der Cellawand der gleiche geblieben ist. Je nach der Zahl der Säulen an der Vorderseite, welche immer eine gerade war, unterscheidet man: Naos (T.) tetra-, hexa-, okta-, deka- und dodekastylos (d. h. 4-, 6-, 8-, 10- und 12säulige T.). Eine besondere Abart der T. waren die Rundtempel, welche bisweilen auch von Säulen umgeben waren und dann Monopteros hießen. Vgl. Nissen, Das Templum (Berl. 1869).
Tempel, 1) Abraham van den, holländ. Maler, geboren um 1622 zu Leeuwarden, war ein Schüler von Joris van Schooten in Leiden und daselbst bis 1660 thätig und starb 1672 in Amsterdam. Er hat Bildnisse und Porträtgruppen von vornehmer Aufsassung, aber konventioneller Detailbehandlung gemalt. Gemälde von ihm befinden sich zu Amsterdam, im Haag, in Berlin, Kassel u. a. O.
2) Ernst Wilhelm Leberecht, Astronom, geb. 4. Dez. 1821 zu Niederkunnersdorf in der Oberlausitz, ließ sich als Lithograph in Venedig nieder und begann 1859 sich mit astronomischen Beobachtungen zu beschäftigen, wandte sich dann 1860 nach Marseiile, wo er kurze Zeit an der Sternwarte, dann aber als Lithograph thätig war; 1870 als Deutscher vertrieben, ging er nach Italien, wo er anfangs an der Sternwarte in Mailand beschäftigt war, 1875 aber Observator an der Sternwarte zu Arcetri bei Florenz wurde; hier starb er 16. März 1889. T. hat sich namentlich durch zahlreiche Kometen- und Planetoiden-Entdeckungen und Beobachtung der Nebelflecke bekannt gemacht.
Tempelburg, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Köslin, Kreis Neustettin, zwischen Zeppliner und Dratzigsee und an der Linie Ruhnow-Konitz der Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine kath. Kirche, ein Amtsgericht, Zündholz- und Dachpappenfabrikation, eine Dampfsägemühle, Bierbrauerei und (1885) 4510 Einw. Die Stadt ward um 1291 von den Tempelrittern gegründet und kam 1668 von Polen an Brandenburg.
Tempeldiener, s. Hierodusen.
Tempelgesellschaft, eine 1854 in Württemberg entstandene, 1861 aus der Kirche ausgetretene religiöse Sekte, welche sich seit 1868 in Palästina angesiedelt und die drei an der syrischen Küste gelegenen "Tempelkolonien" Haifa, Jafa und Sarona samt einer vierten in Jerusalem gegründet hat. Die Zahl der dort lebenden deutschen Templer belief sich 1878 etwa auf 850, 1884 auf 1300; 1886 waren 362 Mitglieder in Haifa, 203 zu Jafa, 256 zu Sarona. Die Gemeinden sind gut organisiert und besitzen in Jerusalem eine höhere Schule, in Jafa ein Töchterinstitut und ein Krankenhaus; ihre Glieder haben sich in Bezug auf die Bodenkultur als tüchtige Kolonisten bewährt und auch um Weg- und Straßenbau verdient gemacht. Haupt der T. war bis zu seinem Tod Christoph Hoffmann (s. d. 10), der 1878 den Zentralsitz der T. nach Jerusalem verlegte. Vgl. dessen Schriften: "Occident und Orient. Eine kulturgeschichtliche Betrachtung vom Standpunkt der Tempelgemeinden in Palästina" (Stuttg. 1875) und "Mein Weg nach Jerusalem" (das. 1881-85, 2 Bde.). Nachdem er in christologische Ketzereien verfallen war, sagte sich 1876 der Reichs-Bruderbund zu Haifa unter Hardegg von dem Haupttempel los. Hardegg starb 1879, Hoffmann 8. Dez. 1885. Sein Nachfolger ist Chr. Paulus geworden. Ein Mitglied der Gemeinde zu Haifa, G. Schumacher, ist seit 1885 als türkischer Beamter für Straßen- und Brückenbau thätig.
Tempelherren (Templer, Tempelbrüder, Milites templi, Templarii), geistlicher Ritterorden, entstand zur Zeit der Kreuzzüge in Palästina, indem 1119 neun französische Ritter, an ihrer Spitze Hugo von Payens und Gottfried von St.-Omer, zu einer Gesellschaft zusammentraten, um zur Ehre der süßen Mutter Gottes Mönchtum und Rittertum miteinander zu verbinden und am Grab des Heilands sich zugleich dem keuschen und andächtigen Leben sowie der tapfern Beschirmung des Heiligen Landes und der Geleitung der Waller durch die gefährlichen und unsichern Gegenden zu widmen. Sie erhielten vom König Balduin II. einen Teil seiner auf dem Platz des ehemaligen Salomonischen Tempels erbauten Residenz und zur Beherbergung armer Pilger von den Kanonikern des Heiligen Grabes mehrere Gebäude in der Nähe und nannten sich daher T. oder Templer. Ihre Kleidung bestand in einem weißen leinenen Mantel mit einem achteckigen blutroten Kreuz und in einem weißen leinenen Gürtel; ihr Ordenssiegel zeigte den Tempel, später zwei Reiter (einen Templer und einen hilflosen Pilger) auf Einem Pferd. Papst Honorius II. erteilte dem Orden 1127 die Bestätigung. Bernhard von Clairvaux entwarf 1128 in Troyes die erste Ordensregel, welche den spätern Ordensstatuten (72 Artikel) zu Grunde lag, und schrieb eine Schrift zum Lob des Ordens ("Liber de lande[statt laude] novae militiae admilites templi"). Auf einer Reise in das Abendland bewirkte Hugo von Payens den Eintritt vieler Ritter in den Orden und die Schenkung reicher Besitzungen. Während sich der aristokratische Teil des Ordens dem Kampf gegen die Ungläubigen widmete, beschäftigte sich eine Anzahl von Brüdern mit dem religiösen Dienst, andre mit dem Pilgerschutz und der Pilgerpflege; aber erst bei der Revision der Statuten in der Mitte des 13. Jahrh. wurden die Ordensmitglieder förmlich in Ritter, Priester und dienende Brüder (Waffenknechte und Hausleute) eingeteilt. An der Spitze des Ordens stand der Großmeister (magister Templariorum), der fürstlichen Rang hatte, unter ihm die Großprioren, welche den Provinzen vorstanden, dann die Baillifs, Prioren und Komture. Der Großmeister hatte zur Seite das Generalkapitel oder an dessen Stelle den Konvent zu Jerusalem und durfte nur mit dessen Zustimmung über Krieg und Frieden, Käufe und Veräußerungen etc. beschließen. In den Provinzen des Ordens hatten die Vorsteher der einzelnen Landschaften ähnliche Kapitel zur Seite. Der Orden der T. entsprach am meisten dem Ideal des Rittertums und genoß deswegen besonders die Gunst der Großen, weshalb er sich rasch vermehrte und durch Schenkungen großen Besitz und Vorrechte erwarb. Um 1260 zählte er an 20,000 Ritter und besaß 9000 Komtureien, Balleien, Tempelhöfe etc. mit liegendem Besitz, der zehntfrei war. Unter den Nachfolgern Hugos von Payens (gest. 1136) in der Großmeisterwürde sind hervorzuheben: Bernhard von Tremelay, der 1153 bei einem Angriff auf Askalon fiel; Odo de Saint-Amand (gest. 1179), der viel für die Erweiterung der Macht des Ordens that; Wilhelm von Beaujeu, unter dem Akka, das letzte Bollwerk der Christen in Palästina, im Mai 1291 in die Hände der Sarazenen fiel, und Gaudini, unter dem sich der Orden nach Cypern zurückzog. Schon im 12. Jahrh. waren Klagen über Anmaßlichkeit, Treulosigkeit und
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Tempellhof - Tempeltey.
Ausschweifungen der T. laut geworden. Bibere templariter (saufen wie ein Templer) wurde fast sprichwörtlich gebraucht. Ohne Rücksicht auf die allgemeinen Interessen verfolgten sie aus Habgier und Herrschsucht eine nicht selten verderbliche Sonderpolitik. Oft standen sie mit den Sarazenen im geheimen Bunde, den Kaiser Friedrich II. wollten sie auf seinem Kreuzzug an dieselben verraten; mit den Johannitern lebten sie in beständigem, oft blutigem Streit, und von den Bischöfen wurden sie, weil deren Aufsicht seit 1162 vom Papst entzogen, ohne dies gehaßt. Dazu waren die Fürsten schon lange auf dle Macht des Ordens eifersüchtig. Der Orden gab auch dem Neid und der Mißgunst aufs neue Nahrung, als er den Kampf gegen die Ungläubigen aufgab und 1306 unter dem Großmeister Jakob von Molay nach Paris übersiedelte, um sich anscheinend müßigem Wohlleben zu ergeben. Hiermit gab er sich in die Gewalt Philipps IV. von Frankreich, der nach den Schätzen des Ordens lüstern und wegen der Haltung desselben in seinem Streit mit Bonifacius VIII. und wegen seiner Unabhängigkeit gegen ihn erbittert war. Auf Grund der Aussagen zweier verdächtiger Männer erhob er gegen die T. die Anklage wegen Verleugnung Christi, Verehrung des Götzenbildes Baphomet (s. d.), Verspottung des Abendmahls, unnatürlicher Wollust etc., - Beschuldigungen, welche durch manche Umstände, durch frivole Äußerungen mancher Templer, durch frühere Anklagen seitens der Päpste, so 1208 Innocenz' III. u. a., unterstützt werden, aber durch unwiderlegliche Zeugnisse noch nicht bewiesen sind. Namentlich ist die Behauptung von einer förmlichen ketzerischen Geheimlehre der T. (vgl. Prutz, Geheimlehre und Geheimstatuten des Tempelherrenordens, Berl. 1879), wonach sie an einen Doppelgott, den wahren himmlischen und den andern, der die Freuden der Welt erteile, geglaubt und letztern im Bild eines aus edlem Metall geformten Menschenkopfs verehrt hätten, keineswegs unbestritten. Am 13. Okt. 1307 wurden die T. in Frankreich mit ihrem Großmeister verhaftet. Gleichzeitig begann die Einziehung ihrer Güter. Man erpreßte von den Rittern durch die Folter Geständnisse, die dann als unverwerfliche Beweise der Strafbarkeit aller Mitglieder angesehen wurden. Nicht bloß die Reichsversammlung in Tours, auch Papst Clemens V. erklärte die Anklage gegen die T. für begründet und befahl 12. Aug. 1308 überall das gerichtliche Einschreiten gegen sie. Der Prozeß dauerte bis 5. Juni 1311, worauf dann das Konzil von Vienne das Urteil fällen sollte, aber zu fällen sich weigerte. Noch vor dem Schluß der Akten ließ Philipp 54 Ritter verbrennen (12. Mai 1310), denen die Folter kein Geständnis abgezwungen hatte. Papst Clemens V. hob den Orden durch eine Bulle vom 22. März 1312 auf, ohne jedoch ein Verdammungsurteil zu wagen. Der Großmeister wurde mit dem 80jährigen Großprior Guido von der Normandie und mehreren andern Rittern auf einer Insel der Seine zu Paris 18. März 1313 auf des Königs Befehl, weil er die auf der Folter erzwungenen Geständnisse öffentlich zurückgenommen, bei langsamem Feuer verbrannt. Die Güter der T. wurden in Frankreich, in Kastilien und einem Teil von England von der Krone eingezogen, in Aragonien und Portugal aber dem Orden von Calatrava, in Deutschland den Johannitern und Deutschen Rittern überwiesen. In Portugal bestand der Orden unter dem Namen Christusorden, in Schottland unter dem Namen Ritter von der Distel fort. In der Mitte des 18. Jahrh. bemühten sich die Jesniten, das auftauchende Freimaurerwesen mit dem alten Templerorden in Verbindung zu bringen, um den Bund in katholisch-hierarchischem Sinn zu lenken. So entstand der neue Templerorden in Frankreich, dessen Haupttendenzen die Bewahrung des ritterlichen Geistes und das Bekenntnis eines aufgeklärten, in der Zeitphilosophie wurzelnden Deismus waren, und dem die ersten Personen des Hofs und der Pariser Gesellschaft beitraten. Nachdem derselbe während der Revolution sich aufgelöst hatte, sammelte in den letzten Jahren das Direktorium seine Trümmer wieder, und man suchte nun dem Bund eine politische Richtung zu geben. Napoleon I. begünstigte ihn als ein Adelsinstitut. Die Restauration sah den aufgeklärte Tendenzen verfolgenden Bund zwar mit argwöhnischen Augen an, doch bestand derselbe fort. Die Philhellenenvereine fanden in ihm eifrige Teilnehmer. Nach der Julirevolution trat der Bund sogar in Paris wieder öffentlich hervor und zwar mit kommunistischen Tendenzen, und seine Mitglieder nannten sich Chrétiens catholiques primitifs. Seine Geheimlehre war in einem "Johannisevangelium" zusammengefaßt. Der Orden erlosch 1837. Vgl. Wilcke, Geschichte des Ordens der T. (2. Ausg., Halle 1860, 2 Bde.); Michelet, Procès des Templiers (Par. 1841-51, 2 Bde.); Havemann, Geschichte des Ausgangs des Tempelherrenordens (Stuttg. 1846); Merzdorf, Geheimstatuten des Ordens der T. (Halle 1877); Schottmüller, Der Untergang des Templerordens (Berl. 1887, 2 Bde.); Prutz, Entwickelung und Untergang des Tempelherrenordens (das. 1888).
Tempelhof, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, Kreis Teltow, südlich bei Berlin, an der Berliner Ringbahn und mit Berlin durch eine Pferdebahn verbunden, hat eine evang. Kirche, ein Garnisonlazarett, das Elisabeth-Kinderhospital, eine Gardetrainkaserne, ein Proviantamt, Elfenbeinbleicherei und (1885) 3522 Einw. Nördlich dabei das Tempelhofer Feld, Übungsplatz der Berliner Garnison. T. kam 1318 aus dem Besitz des Templerordens in den der Johanniter; seit 1435 gehörte es längere Zeit den Städten Berlin-Kölln.
Tempelkolonien, s. Tempelgesellschaft.
Tempeln, sehr einfaches Hasardspiel mit Karte, vom Pharo im Grund nur durch Weglassung der Lappe, Paroli etc. unterschieden. 13 durch Kreidestriche bezeichnete Felder (für Zwei bis As) nehmen die Einsätze auf, und der Bankier zieht die Karte ab wie beim Pharo. Links gewinnt die Bank, rechts verliert sie.
Tempeltey, Eduard, Dichter, geb. 13. Okt. 1832 zu Berlin, studierte daselbst Philologie und Geschichte, war dann längere Zeit bei der "Nationalzeitung" beschäftigt und lebt seit 1861 am Hof des Herzogs Ernst von Koburg-Gotha, der ihn zunächst provisorisch mit der Leitung des Theaters betraute und 1871 definitiv zum Hoftheater-Intendanten ernannte. Seine beiden Dramen: "Klytämnestra" (Berl. 1857) und "Hie Welf - hie Waiblingen" (Leipz. 1859), erregten ihrer Zeit großes Aufsehen wegen der klassischen Formvollendung und verrieten ein bedeutendes dramatisches Talent; 1882 folgte ein Drama: "Cromwell", das ebenfalls seinen Weg über die großen deutschen Bühnen nahm. Außerdem veröffentlichte er einen Liederkranz: "Mariengarn" (5. Aufl., Leipz. 1866), worin das Liebesleben in seinen verschiedenen Phasen mit tiefer Empfindung und in makelloser Form geschildert wird, und eine kleine Schrift: "Th. Storms Dichtungen" (Kiel 1867). T. war inzwischen zum Geheimen Kabinettsrat ernannt worden und erhielt 1887 das Prädikat "Präsident".
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Tempera - Temple.
Tempera (ital.), eigentlich jede Flüssigkeit, mit welcher der Maler die trocknen Farben vermischt, um sie mittels des Pinsels auftragen zu können; dann insbesondere eine im Mittelalter gebräuchliche Art der Malerei (Temperamalerei), wobei die Farben mit verdünntem Eigelb und Leim von gekochten Pergamentschnitzeln vermischt wurden (peinture en détrempe). Seit Cimabue verdrängte die T. in Italien die altbyzantinische Manier. In Deutschland malte man mit einer verwandten Technik, bis die von den van Eycks verbesserte Ölmalerei dieselbe im Lauf des 15. Jahrh. verdrängte. In Italien hielt sich die T. teilweise bis um 1500, wo die Ölmalerei auch hier vollkommen durchdrang.
Temperament (lat.), ursprünglich ein gewisser spezifischer Wärmegrad (Temperatur) des Körpers. Man glaubte früher, daß dieser spezifische Wärmegrad abhängig sei von der Mischung der Säfte, und stellte daher so viel Temperamente auf, als man Kardinalsäfte des Körpers (rotes Arterienblut, schwarze Galle, gelbe Galle oder der Schleim und Lymphe) annahm. Je nach dem Vorherrschen des einen oder andern Safts im Körper hat der Mensch ein sanguinisches, melancholisches, cholerisches oder lymphatisches (phlegmatisches) T. Das sanguinische T. hieß auch das warme, das melancholische das kalte, das cholerische das trockne, das phlegmatische auch das feuchte T. Obgleich sich dieser Ideengang keineswegs auf positive Thatsachen gründen läßt und als eine zusammenhängende Reihe von Irrtümern erscheint, so hat sich doch das Wort T. in der Umgangssprache erhalten, weil man das Bedürfnis fühlte, für gewisse Zustände und Erscheinungen am Körper, deren Wesen und innere Bedingungen nicht klar vor uns liegen (wie für andre unbestimmte Begriffe), ein einfaches Wort zur Hand zu haben. Die wissenschaftliche Medizin macht in Deutschland wenigstens keinen Gebrauch mehr von dem Wort und dem Begriff T., wohl aber geschieht dies noch in Frankreich. Um so mehr findet das Wort T. von seiten der Laien Verwendung, und man versteht darunter einen gewissen Teil der Konstitution, nämlich die Stimmung und die Weise der Thätigkeitsäußerung des Gehirns. Man hat die Temperamente folgendermaßen charakterisiert. Das sanguinische, warme T. ist mit Körperfülle, weicher, zarter Haut, angenehmer frischer Gesichtsfarbe, starker Füllung der Blutgefäße verbunden. Die körperlichen wie geistigen Funktionen sind leicht anzuregen; die Individuen von sanguinischem T. sind reizbar und empfindlich, meist heiter und fröhlich, aber veränderlich in ihrer Stimmung. Das melancholische oder sentimentale T. ist gekennzeichnet durch festen, straffen Körperbau, größere oder geringere Magerkeit, durch dicke, trockne, kühle Haut, die mit dunkeln Haaren besetzt ist. In allen Bewegungen und Handlungen zeigt sich eine gewisse Langsamkeit, die aber von großer Ausdauer begleitet ist. Die melancholischen Individuen sind ernst, mehr zu trüber Stimmung geneigt, verfallen verhältnismäßig oft in Geisteskrankheiten. Das cholerische oder trockne T. steht zwischen dem sanguinischen und melancholischen gleichsam in der Mitte. Es zeichnet sich durch einen leichtern und beweglichern Körperbau, durch weniger braune und behaarte Haut und eine lebhaftere Gesichtsfarbe aus, als diese dem melancholischen T. zukommen. Die cholerischen Individuen sind beweglich, erhalten leicht ein wildes Aussehen, sind zum Zorn geneigt, zeigen dabei Stärke und Nachhaltigkeit der Erregungen, Leidenschaftlichkeit. Die Kennzeichen des phlegmatischen, feuchten Temperaments sind: ein schlaffer, weicher Körperbau, weiche, weiße Haut, die wenig Haare zeigt, blondes Kopfhaar, hervorstehende Augen, gleichgültige Gesichtszüge; die geistigen und körperlichen Funktionen gehen träge von statten, geringe und langsame Reaktion gegen geistige Erregungen, geringe Empfindlichkeit gegen eigne und fremde Leiden; die phlegmatischen Individuen neigen zu Fettbildung. Man hat diese Temperamente auch untereinander kombiniert zu einem melancholisch-phlegmatischen etc. T., womit der Willkür in der Anwendung dieses ohnehin unbestimmten Begriffs vollkommene Freiheit gegeben wurde. Auch ein nervöses T. hat man aufgestellt, welches sich durch Muskelschwäche und große Nervenreizbarkeit kennzeichnen soll. Man hat auch versucht, den verschiedenen Temperamenten einen Einfluß auf die Entstehung gewisser Krankheiten zuzuschreiben.
Temperantia (sc. remedia, lat.), mildernde Arzneimittel, s. Einhüllende Mittel.
Temperánzgesellschaften (engl. temperance societies), s. Mäßigkeitsvereine.
Temperatur (lat.), der dem Gesühl und durch das Thermometer (s. d.) sich kundgebende Erwärmungszustand eines Körpers; kritische T., s. Gase, S. 930; mittlere T., s. Lufttemperatur. - In der Musik heißt T. die von der absoluten akustischen Reinheit abweichende Stimmung der zwölf Halbtöne einer Oktave, welche es ermöglicht, von jedem beliebigen Ton als Grundton auszugehen. Es wird dies erreicht, indem man unter Beibehaltung der Reinheit der Oktave die übrigen Töne etwas oberhalb oder unterhalb der von der reinen Stimmung geforderten Höhe "schweben" läßt. Die T. heißt gleichschwebend, wenn alle Intervalle durch die ganze Tonleiter einander gleich, ungleichschwebend, wenn sie voneinander verschieden angenommen werden.
Temperatursinn, s. Tastsinn.
Temperguß, s. v. w. hämmerbares Gußeisen.
Temperieren (lat.), mäßigen, mildern.
Tempern, s. v. w. Adoucieren.
Tempésta (ital.), Sturm, Seesturm (auch als Gemälde); tempestoso, stürmisch, ungestüm.
Tempesta, Maler, s. Molyn 2).
Tempête (franz., spr. tangpäht, "Sturm"), gesellschaftlicher Tanz, an dem viele Paare teilnehmen. Die Aufstellung geschieht in Reihen zu je zwei Paaren, die sich an die mittlern wie an die gegenüberstehenden Paare nach beiden Seiten anschließen. Die mittlern vier Paare beginnen den Tanz mit Rond, Chassé, Croisé, Balancé und ähnlichen Touren, die dann nach beiden Seiten der Reihe nach wiederholt werden. Die ziemlich lebhafte Melodie steht im Zweivierteltakt und besteht aus mehreren Reprisen von acht Takten.
Tempieren, den Zünder für Hohlgeschosse auf eine bestimmte Brennzeit stellen; s. Zündung.
Tempio Pausania, Kreishauptstadt in der ital. Provinz Sassari (Sardinien), am Nordabhang des Limbaragebirges, bildet mit Ampurias ein Bistum, hat ein Gymnasium, eine technische Schule, ein Seminar und (1881) 5452 Einw.
Tempi passati! (ital.), vergangene Zeiten!
Temple, 1) (le Temple, spr. tangpl) ehemals Ordenshaus der Tempelherren in Paris, in der Revolutionszeit Staatsgefängnis, in welchem auch Ludwig XVI. und seine Familie im Winter 1792/93 bis zur Hinrichtung (21. Jan.) gefangen gehalten wurde. Unter Napoleon III. ward der T. abgebrochen und an dessen Stelle ein 7500 qm großes Square mit Trödlerhallen anlegt. Vgl. Curzon, La maison du T. (Par. 1888). - 2) (spr. tempel) ehemaliges Ordens-
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Temple - Tenasserim.
haus der Tempelherren in London, welches 1346 den Rechtsgelehrten überlassen wurde, seither die wichtigste der sogen. Inns of Court; s. London, S. 900.
Temple (spt. tempel), 1) Sir William, engl. Staatsmann und Schriftsteller, geb. 1628 zu London, studierte in Cambridge, ward nach der Restauration 1660 Mitglied der irischen Konvention, 1661 des irischen Parlaments und 1662 zu einem der königlichen Kommissare desselben ernannt. Seit 1665 englischer Resident in Brüssel, schloß er 1668 im Haag mit Holland und Schweden die Trivelallianz und vermittelte dann den Aachener Frieden (2. Mai 1668) zwischen Frankreich und Spanien, worauf er zum ordentlichen Gesandten im Haag ernannt wurde. 1671 entlassen, lebte er mehrere Jahre zurückgezogen auf seinem Gut Sheen bei Richmond in Surrey, ging 1673 abermals als Gesandter nach dem Haag und vertrat England auf dem Friedenskongreß von Nimwegen. 1679 kehrte er nach England zurück und trat in den von Karl II. nach Temples Entwurf organisierten Geheimen Rat sowie für die Universität Cambridge ins Parlament, zog sich aber, mit der königlichen Politik unzufrieden, 1682 nach Sheen zurück und starb 27. Jan. 1699. Seine durch Form und Inhalt ausgezeichneten "Works" erschienen London 1814 in 4 Bänden. Swift gab seine "Memoirs" (Lond. 1709, 2 Bde.) und "Letters" (das. 1702, 2 Bde.) heraus. Sein Leben beschrieben Luden (in "Kleine Aufsätze", Bd. 2, Götting. 1808) und Courtenay (Lond. 1836, 2 Bde.). Vgl. Emerton, Sir W. T. und die Tripelallianz (Berl. 1877).
2) Launcelot, Pseudonym, s. Armstrong 1).
Templeisen, die Ritter des Grals (s. d.).
Templemore (spr. templmóhr), Stadt in der irischen Grafschaft Tipperary, am Suir lieblich gelegen, mit (l881) 2800 Einw.
Templer, s. v. w. Tempelherren; auch die Mitglieder der Tempelgesellschaft (s. d.).
Templin, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, zwischen mehreren Seen, die durch den 13,5 km langen Templiner Kanal mit der Havel in schiffbarer Verbindung stehen, und an der Linie Löwenberg-T. der Preußischen Staatsbahn, 67 m ü. M., hat 2 evang. Kirchen, eine Stadtmauer aus Feldsteinen und 3 Stadtthore aus dem Mittelalter, ein Amtsgericht, ein Dampfhammerwerk mit Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen, Schiffahrt und (1885) 4028 meist evang. Einwohner.
Tempo (ital., "Zeit"), Zeitmaß, die Bestimmung, welche im einzelnen Fall die absolute Geltung der Notenwerte regelt. Vor dem 17. Jahrh. waren die Mittel, ein verschiedenes T. zu fordern, sehr beschränkt; die Noten hatten aber damals eine ziemlich bestimmte mittlere Geltung, den "integer valor" (s. d.), der sich aber doch im Lauf der Jahrhunderte sehr verschob, so daß man heute bei Übertragungen von Musikwerken des 16. Jahrh. die Werte wenigstens auf die Hälfte, bei denen des 14.-15. Jahrh. auf den vierten Teil und bei noch ältern auf den achten Teil reduzieren muß, wenn man ein ungefähr richtiges Bild gewinnen will. Um 1600 kamen die noch heute üblichen Bestimmungen Allegro, Adagio, Andante auf, denen sich bald Presto und die Unterarten: Allegretto, Andantino, Prestissimo zugesellten. Da sich im Gebrauch dieser Bezeichnungen vielfach Willkür einschlich, so sann man gegen das Ende des 18. Jahrh. auf feste, unwandelbare Bestimmungen und gelangte zur Erfindung des Taktmessers (s. d.). Vielfach sind heute auch Tempobezeichnungen beliebt, die auf Tonstücke von bestimmtem Charakter der Bewegungsart hinweisen, so T. di marcia (Marschtempo = Andante), T. di minuetto (Menuetttempo, etwa = Allegretto), T. di valsa (Walzertempo = Allegro moderato) u. s. f. Über die kleinen Modifikationen des T., welche der musikalische Ausdruck bedingt (agogische Schattierungen), s. Agoge.
Temporal (lat.), zeitlich; weltlich; auf die Schläfe bezüglich, z. B. arteria temporales, Schläfenschlagader, muscullis temporalis, Schläfenmuskel, etc.
Temporalien (Bona temporalia, "weltliche Vorteile"), alle mit der Verwaltung eines bestimmten kirchlichen Amtes verbundenen Einkünfte an Geld, Naturalien und sonstigen Gefällen, die materiellen Rechte im Gegensatz zu den mit dem Kirchenamt verbundenen geistlichen Befugnissen (Spiritualien). Die Beschlagnahme dieser Einkünfte seitens der Staatsgewalt heißt Temporaliensperre.
Tempora mutantur et nos mutamur in illis (lat.), die Zeiten ändern sich, und wir verändern uns in oder mit ihnen.
Temporär (lat.), zeitweilig, vorübergehend.
Temporäre Sterne, s. Fixsterne, S. 324.
Temporal (franz.), zeitlich, weltlich.
Temporisieren (lat.), sich nach den Zeitumständen richten; in Erwerbung eines günstigen Zeitpunktes etwas hinhalten.
Temps, le (spr. tang, "die Zeit"), eine der angesehensten Pariser Zeitungen, 1861 begründet, hielt sich unter Napoleon III. zur gemäßigten Opposition und vertritt jetzt den gemäßigten Republikanismus.
Tempus (lat., Plur. tempora), Zeit; in der Grammatik der Ausdruck der Zeitbeziehung am Verbum oder in konkreter Bedeutung eine Gruppe von Verbalformen, die je ein bestimmtes Zeitverhältnis ausdrücken. S. Verbum.
Temrjuk, Kreisstadt im kubanischen Gebiet in Kaukasien, am Nordufer der Halbinsel Taman und an dem den Liman Achtanisow mit der Bucht von T. verbindenden Kanal, mit (1883) 10,496 Einw. 6 km von der Stadt wird der temrjuksche Mineralschlamm aus fünf Gruppen kleiner Krater in Zwischenräumen von ½-¼ Minute in großen Massen ausgeworfen, dessen Gebrauch in Bädern bei Rheumatismen, Skrofeln u. a. sich sehr heilsam erwiesen hat.
Temuco, Departement der chilen. Provinz Cantion, 4600 qkm groß mit (1885) l6,111 Einw. Die gleichnamige Hauptstadt hat 3000 Einw.
Temulénz (lat.), Trunkenheit.
Temurdschi, s. Dschengis-Chan.
Tenaille (franz., spr. -náj, "Zange"), ein Festungswerk, dessen Linien abwechselnd ein- und ausspringende Winkel bilden. Über die Tenaillensysteme von Landsberg und Montalembert s. Festung, S. 182. T. ist auch s. v. w. Grabenschere (s. d.).
Tenakel (lat.), "Halter", Blatthalter der Schriftsetzer; auch Vorrichtung zur Befestigung von Seihtüchern, Filtrierbeuteln etc.
Tenancingo, Stadt im mexikan. Staat Mexiko, südlich von Toiuca, 1840 m ü. M., in reizender, fruchtbarer Gegend, wo Weizen neben Zuckerrohr gedeiht, hat Weberei von wollenen Tüchern (Panos) und (1880) 15,906 Einw. (im Munizivium).
Tenant (engl., spr. ténnänt), Pachter oder Mieter; T.-at-will ("aus freiem Willen"), Mieter, dem nach Belieben des Eigentümers geendigt werden kann (wogegen der lease-holder auf die abgemachte Reihe von Jahren im Besitz nicht zu stören ist, solange er die bedungene Pacht oder Miete zahlt).
Tenasserim (Tanengthari), Regierungsbezirk der britisch-ind. Provinz Birma, im südlichstem Teil
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Tenazität - Teneramente.
derselben an der Küste gelegen, 121,026 qkm (1280 QM.) groß mit (1881) 825,741 Einw. (meist Buddhisten). Das Land wird durch 1500 m hohe Gebirge von Siam geschieden, ist sonst fruchtbar, wohlbewässert und zum Reisbau trefflich geeignet. Der Hauptfluß T. ist für große Boote 53 km aufwärts bis zu der früher bedeutenden, jetzt zu einem elenden Dorf herabgesunkenen Stadt T. schiffbar.
Tenazität (lat.), Zähigkeit (vgl. Dehnbarkeit), hartnäckiges Festhalten an etwas.
Tenbrink-Feuerung, s. Dampfkessel, S. 451, und Lokomotive, S. 885.
Tenby (spr. tennbi), beliebtes Seebad in Pembrokeshire (Südwales), mit Ruinen eines normännischen Schlosses, Ausfuhr von Fischen, Austern und Geflügel und (1881) 4750 Einw.
Tence (spr. tangs), Stadt im franz. Departement Oberloire, Arrondissement Yssingeaux, am Lignon, mit Hengstedepot, Fabrikation von Papier, Hüten, Seide, Blonden und Spitzen und (1881) 1520 Einw.
Tencin (spr. tangssang), Claudine Alexandrine Guérin, Marquise de, franz. Schriftstellerin, geb. 1681 zu Grenoble, entfloh 1714 aus dem Kloster nach Paris, gewann dort durch ihre Schönheit und ihren Geist mächtige Freunde, mischte sich in Staats-und Liebesintrigen, ging nacheinander mit d'Argenson, Bolingbroke, dem Regenten, dem Kardinal Dubois u. a. intime Verbindungen ein und wußte dieselben geschickt zu ihrem und ihres Bruders (des Kardinals Pierre Guérin de T., gest. 1758; vgl. über ihn die biographische Schrift von Audouy, Lyon 1881) Vorteil zu benutzen. Eins ihrer illegitimen Kinder, das sie aussetzen ließ, war der berühmte d'Alembert. Eine bedeutende Rolle spielte sie in den Streitigkeiten der Jansenisten, deren heftige Gegnerin sie war. Später (1726) mußte sie auf einige Zeit in die Bastille wandern, als sich einer ihrer Liebhaber in ihrer Wohnung erschossen hatte. Seitdem führte sie ein unanstößiges Leben und machte ihren Salon zum Mittelpunkt der eleganten und gebildeten Gesellschaft. Sie starb 4. Dez. 1749. Ihre Romane, besonders "Mémoires du comte de Comminges" (1735, 1885) und "Le siége de Calais" (1739), tragen ganz das Gepräge des 18. Jahrh. und gleichen auffallend denen der Mad. de Lafayette, mit deren Schriften die ihrigen auch zusammen herausgegeben wurden (Par. 1786, 8 Bde.; 1825, 5 Bde.; 1864). Die "Correspondance" mit ihrem Bruder erschien Paris 1790, 2 Bde.; die "Lettres au duc de Richelieu" daselbst 1806. Vgl. Barthélemy, Mémoires secrets de Madame de T. (Grenoble 1790).
Tendelti, Name eines Teichs, an welchem Fascher, die Hauptstadt von Dar Fur, liegt, und nach welchem diese Stadt selbst bisher auf den Karten bezeichnet wurde. Der Ort liegt 2000 In ü. M., am Wadi el Ko, war früher Sitz des ägyptischen Gouverneurs und hat 8000 Einw., welche lebhaften Handel mit Wadai und Kordofan treiben. Bis 1874 war T. Hauptstadt des selbständigen Reichs Dar Fur, wurde damals von den Ägyptern erobert, die in neuester Zeit aber den Anhängern des Mahdi weichen mußten. Die letztern sollen Dar Fur wieder an die Anhänger der Snussisekte von Kufra verloren haben.
Tendénz (lat.), Streben in bestimmter Absicht oder Richtung, auf einen bestimmten Zweck hin; daher Tendenzdichtungen, solche, die nicht bloß auf die eigentlich poetische Wirkung berechnet sind, sondern noch andre (politische, religiöse etc.) Interessen verfolgen; tendenziös, bestimmten Zwecken gemäß.
Tender (engl.), das einem größern Schiff oder Geschwader zur Überbringung von Befehlen etc. beigegebene Begleitschiff; dann der der Lokomotive angehängte Vorratswagen für Kohlen und Wasser.
Tendo (lat.), Sehne, z. B. T. Achillis. Achillessehne.
Tendovaginitis (lat.-griech.), Sehnenscheidenentzündung.
Tendre (franz., spr. tangdr), zart, empfindlich; als Substantiv s. v. w. Vorliebe, zärtliche Schwäche für etwas; Tendresse, Zärtlichkeit, zärtliche Zuneigung.
Tendrons (franz., spr. tangdróng), in der Kochkunst die Brustknorpel vom Kalb und Lamm.
Tenê (Tenneh), Fluß, s. Faleme.
Tenebrae (lat., "Finsternis"), s. Finstermetten.
Tenebrio, Mehlkäfer.
Tenebrionen (Schwarzkäfer, Melasoma Latr., Tenebrionidae Leach), Käferfamilie aus der Gruppe der Heteromeren, düster, gewöhnlich ganz schwarz gefärbte Käfer mit fünfgliederigen Tarsen an den Vorder- und Mittel- und viergliederigen an den Hinterbeinen, kurzem, kräftigem Oberkiefer, quer gestellten, vorn ausgebuchteten Augen, elf-, selten zehngliederigen Fühlern, sehr häufig verkümmerten Hinterflügeln und dann verwachsenen Flügeldecken. Die sehr übereinstimmend geformten Larven sind langgestreckt, schmal, etwas niedergedrückt, ganz hornig, mit sechs fünfgliederigen Beinen, viergliederigen Fühlern, einer Lade am Unterkiefer und am letzten Hinterleibssegment meist mit zwei Hornfortsätzen versehen. Viele T. sondern aus ihren Körperbedeckungen ein Sekret ab, welches sie wie bereift oder behaucht erscheinen läßt; auch entwickeln die meisten einen starken widerlichen Geruch. Die metallisch oder lichter gefärbten Arten sind am Tag an Pflanzen zu treffen; die dunkeln sind meist lichtscheu, träge und halten sich am Tag an dunkeln Orten auf. Man unterscheidet gegen 400 Gattungen, deren Artenzahl derjenigen der Laufkäfer fast gleichkommt. Die sehr artenreiche Gattung Blaps Fab. umfaßt zahlreiche, besonders in Südeuropa und Nordasien heimische, große Käfer mit länglichem Körper, ohne Flügel, die Männchen mit zapfenförmig ausgezogenen Flügeldecken. Der gemeine Trauerkäfer (Totenkäfer, Blaps mortisaga L., s. Tafel "Käfer"), 20-25 mm lang, mattschwarz, fein und zerstreut punktiert, mit fast quadratischem Halsschild, hinter der Mitte schwach erweiterten, lang geschwänzten und undeutlich gestreiften Flügeldecken, ist häufig in Häusern, besonders in Kellern, und nährt sich von allerlei Unrat. Zu derselben Familie gehört der Mehlkäfer (s. d.).
Tenedos, griech. Insel im Ägeischen Meer, an der Küste der alten Landschaft Troas, war berühmt im Altertum wegen der Rolle, welche sie im Trojanischen Krieg spielte, sowie durch ihre Töpferwaren und ihren Wein. Sie stand abwechselnd unter der Herrschaft der Perser, Athener und Römer. Jetzt Tenedo oder Bosdscha Ada genannt, gehört sie zum türkischen Wilajet Dschesair und bildet den Schlüssel zu der Dardanellenstraße. Die Insel ist 13 km lang, 3-6 km breit und ziemlich gebirgig, liefert trefflichen Muskatwein und rötlichen Marmor und hat gegen 7000 Einw. Die Stadt Tenedo, auf der Nordostküste, ist Sitz eines Kaimakams und eines griechischen Bischofs, hat einen Hafen, eine Citadelle und 2000 Einw. (drei Viertel Griechen). Am 21. März 1807 erfochten hier die Russen unter Siniavin über Seid Ali Pascha und 10. Nov. 1822 die Ipsarioten Kanaris und Kyriakos einen Seesieg über den Kapudan-Pascha.
Teneramente (ital.), zart.
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Tenerani - Teniers.
Tenerani, Pietro, ital. Bildhauer, geb. 11. Nov. 1789 zu Torano bei Carrara, bildete sich in Rom bei Canova und später bei Thorwaldsen, der ihm die Hauptfiguren des Grabmals des Prinzen Eugen zur Ausführung übertrug. Schon Teneranis erste Werke: Psyche mit der Büchse der Pandora, dann Amor, der Venus einen Dorn ausziehend, erwarben ihm zahlreiche Aufträge. Er ward zum Professor der Akademie von San Luca ernannt, an welcher Anstalt er bis zu seinem Tod mit größtem Erfolg wirkte. 1860 wurde er Generaldirektor der römischen Museen und Galerien. Er starb 14. Dez. 1869. T. schuf eine große Zahl von Gruppen, Einzelstatuen und Porträtbüsten, Werke, die sich alle durch Schönheit und Weichheit der Form und vortreffliche, gewöhnlich nur allzu glatte Ausführung auszeichnen. Ein von ihm modellierter Christus am Kreuz ward 1823 für die Kirche San Stefano zu Pisa in Silber getrieben. Seine vorzüglichsten Werke sind das 1842 vollendete Marmorrelief der Kreuzabnahme in der Kapelle Torlonia im Lateran, das Relief für das Grabmal der Herzogin von Lante und das christliche Liebespaar, den Märtyrertod erleidend.
Teneriffa (Tenerife), die größte, reichste und bevölkertste der Kanarischen Inseln, an der Nordküste Afrikas zwischen Canaria, Gomera und Palma gelegen, 2026 qkm (41,4 QM.) groß mit (1877) 105,052 Einw. Die Küsten, fast ohne Buchten, fallen steil zum Meer ab und bilden viele Vorgebirge. Der Boden ist, außer im NO., trefflich bewässert und äußerst fruchtbar. Den Strand schmücken Dattel- u. Kokospalmen, höher hinauf wachsen Bananen, Drachenbäume und Pisang; die Abhänge der Höhen sind mit Reben bepflanzt, welche den vorzüglichen Kanariensekt liefern. Im südlichen Teil der Insel erhebt sich in gewaltiger Großartigkeit der berühmte Pik von T. (Pico de Teyde) zu 3715 m Höhe, so daß er zuzeiten auf 300 km Entfernung gesehen wird. Ein Ausbruch dieses Vulkans von der Spitze aus ist nicht bekannt, wiewohl ein Krater vorhanden ist; dagegen haben seit 1385 wiederholte Ausbrüche an den Seiten stattgefunden, von welchen der vom 5. Mai 1706 die Stadt Guarachico zerstörte. Der letzte Ausbruch ereignete sich 1798. Am Fuß zeigt der Berg eine reiche Vegetation, höher hinauf nur Gestrüppe und Pfriemkräuter und ganz oben nur Lava, Bimsstein und vulkanische Asche. In seinem obern Teil enthält er die sogen. Eishöhle (Cueva del yelo) und Spalten (narizes), aus denen heiße Dämpfe hervordringen. Die Spitze bildet der auf einem Felsenwall sich ungefähr noch um 300 m erhebende Piton (Pan de azucar, "Zuckerhut"), der vom November bis April eine Schneedecke trägt. Die Besteigung des Bergs geschieht gewöhnlich von Orotava (s. d.) aus, tn dessen Nähe auch der berühmte ungeheure Drachenbaum stand, dessen Alter von A. v. Humboldt auf 6000 Jahre geschätzt ward. Das Klima von T. ist mild und gesund. Hauptstadt ist Santa Cruz. Vgl. Schacht, Madeira und Tenerife mit ihrer Vegetation (Berl. 1859); Fritsch und Reiß, Geologische Beschreibung der Insel Tenerife (Winterthur 1868); Stone, Tenerife and its six satellites (Lond. 1887, 2 Bde.), und die Litteratur bei Art. Kanarische Inseln.
Tenes (Tennes), Sohn des Kyknos (s. d.).
Tenésmus (griech.), s. Stuhlzwang.
Teng ("Korb"), in Birma Getreidemaß, enthält von geschältem Reis 26,49 kg; als Raummaß ungefähr 8 alte englische Weingallons.
Tenga, Münze in Mittelasien, à 40-44 Pul = 0,567-0,60 Mk. Vgl. Tilla.
Teniers (spr. tenjeh), 1) David, der ältere, niederländ. Maler, geb. 1582 zu Antwerpen, war Schüler seines ältern Bruders, Julian, bildete sich dann in Rom bei A. Elsheimer weiter und wurde 1606 als Freimeister in die Lukasgilde zu Antwerpen aufgenommen, wo er 29. Juli 1649 starb. Nachdem er anfangs große Kirchenbilder von trockner Färbung gemalt, wandte er sich später der Landschaft, dem phantastischen und bäuerlichen Genre zu, demselben Gebiet, welches sein berühmterer Sohn behandelte. Die Bilder des Vaters unterscheiden sich von denen des Sohns durch eine härtere und trocknere Behandlung und spitzigere Pinselführung bei minder geistvoller Charakteristik. Hervorzuheben sind: der Auszug der Hexen (im Museum zu Douai), die zechenden Bauern vor der Dorfschenke (in der Galerie zu Darmstadt), die Versuchung des heil. Antonius (in den Galerien zu Berlin und Schwerin), acht Landschaften mit biblischer und mythologischer Staffage (in der kaiserlichen Galerie zu Wien) und eine Berglandschaft mit einem Schloß (im Museum zu Braunschweig).
2) David, der jüngere, Sohn des vorigen, Maler, geboren im Dezember 1610 zu Antwerpen, war anfangs Schüler seines Vaters und bildete sich dann unter den Einflüssen von Rubens und Brouwer weiter. 1633 wurde er in die Lukasgilde zu Antwerpen aufgenommen und um 1650 als Hofmaler nach Brüssel berufen, wo er 25. April 1690 starb. T. ist der fruchtbarste der vlämischen Bauernmaler, der sich jedoch von seinen Kunstgenossen durch eine maßvollere, minder derbe und ausgelassene Auffassung der bäuerlichen Vergnügungen unterschied. Seine Bilder sind durch gemütlichen Humor, eine reiche, wohldurchdachte Komposition, eine leuchtende, frische, bisweilen an das Bunte streifende Färbung, durch geistreiche Charakteristik und frische Lebendigkeit der Darstellung ausgezeichnet. Außer Bauerntänzen, Dorfkirmessen, Schlägereien und Wirtshausszenen malte er genrehaft aufgefaßte Szenen aus der Bibel, phantastische Szenen, wie die Versuchung des heil. Antonius, Alchimisten in ihren Laboratorien, Wachtstuben mit Soldaten, das Thun und Treiben der Menschen parodierende Tierstücke (Affen, Katzen etc.), Landschaften mit Figuren u. dgl. m. Anfangs in einem kräftigen, bräunlichen Ton malend, eignete er sich in seiner besten Zeit einen warmen Goldton an, an dessen Stelle seit etwa 1650 ein feiner Silberton trat. Er hat etwa 800 Bilder hinterlassen, von denen wir zur Charakteristik seines Stoffsgebiets die folgenden hervorheben: ein Alchimist, die Puffspieler, der Künstler mit seiner Familie, Versuchung des heil. Antonius, vlämische Kirmes und die Marter der Reichen im Fegefeuer (im Berliner Museum), die Kirmes im Halbmond, die Rauchgesellschaft, die Würfler, die Befreiung Petri aus dem Gefängnis und der Zahnarzt (in der Galerie zu Dresden), die Bauernküche (in den Uffizien zu Florenz), eine Wachtstube, eine Schützengesellschaft vor dem Rathaus zu Antwerpen, das Wirtshaus zum Engel, ein Raucher und ein Hochzeitsmahl (in der Eremitage zu St. Petersburg), die Tricktrackspieler, die Belustigung im Wirtshanshof, zwölf Bilder aus Tassos "Befreitem Jerusalem" und Affen- und Katzenszenen (im Museum zu Madrid), der verlorne Sohn unter den Dirnen, die Verleugnung Petri, die Reiherjagd des Erzherzogs Leopold Wilhelm und der Raucher (im Louvre zu Paris), der Tanz in der Wirtsstube und eine Bauernhochzeit (in der Münchener Pinakothek), eine Räuberszene, das Brüsseler Vogelschießen und Abrahams Dankopfer (in der kaiserlichen Galerie zu Wien), dle Ausstellung Christi
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Teniet - Tenngler.
und zwei feierliche Einzüge der Erzherzogin Isabella (in der Kasseler Galerie). T. war Direktor der Gemäldegalerie des Erzherzogs Leopold Wilhelm, die 1657 nach Wien kam, und hat mehrfach das Innere derselben mit getreuer Nachbildung des Stils der einzelnen Bilder gemalt (Darstellungen dieser Art in Brüssel, München und Wien). Er hat auch radiert. - Sein Bruder Abraham T. (1629-70) hat Bauern-und Tierszenen in ähnlicher Art gemalt.
Teniet (arab.), s. v. w. Übergang, Paß.
Tenimberinseln, zur niederländ. Residentschaft Amboina gehörende Inselgruppe des Indischen Archipels, zwischen den Kleinen Sundainseln und Neuguinea, enthält als Hauptbestandteil die große bergige und waldige Insel Timorlaut ("Nordost"), die durch die Egeronstraße in eine Nord- und eine Südhälfte getrennt wird und von zahlreichen kleinen Inseln (Larat, Vordate, Malu etc.) umgeben ist. Das Areal beträgt 5782 qkm (105 QM.) mit 25,000 Einw.
Tenkitten, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Königsberg, Kreis Fischhausen, an der Ostsee, hat (1885) 78 Einw. und ist bekannt durch den Märtyrertod des Bischofs Adalbert von Prag 997. Zum Gedächtnis ist daselbst ein 8 m hohes Kreuz errichtet.
Tenkterer (Tenchterer), german. Völkerschaft, die auf dem rechten Rheinufer zwischen Lahn und Wipper wohnte. Sie waren berühmt als ausgezeichnete Reiter. Sie vereinigten sich 59 v. Chr. mit den Usipetern, gewannen Sitze am Niederrhein im Gebiet der Menapier, überschritten im Winter 56-55 den Rhein, wurden aber 55 in der Nähe von Nimwegen von Cäsar fast vernichtet. 69-70 n. Chr. nahmen die T. am Aufstand des Claudius Civilis teil.
Tenn., Abkürzung für Tennessee (Staat).
Tennantit, s. v. w. Arsenfahlerz, s. Fahlerz.
Tenne, s. Scheune.
Tenneberg, Amtsgericht, s. Waltershausen.
Tennemann, Wilhelm Gottlieb, Geschichtschreiber der Philosophie, geb. 7. Dez. 1761 zu Kleinbrembach bei Weimar, studierte in Erfurt und Jena Kantsche Philosophie, habilitierte sich 1788 an letzterer Universität, folgte 1804 einem Ruf nach Marburg, wo er 30. Sept. 1819 starb. Sein Hauptwerk ist die nicht ganz vollendete (in Kants Geist abgefaßte, bis auf Thomasius reichende) "Geschichte der Philosophie" (Leipz. 1798-1819, 11 Bde.), woraus der "Grundriß der Geschichte der Philosophie" (das. 1812; 5. Aufl. von Wendt, 1828) ein Auszug ist.
Tennessee (spr. -ssih), Fluß in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, entspringt als Holston in den Iron Mountains von Westvirginia, nimmt den von den Black Mountains in Nordcarolina kommenden Frenchroad River auf, tritt unterhalb Chattanooga vom Staate Tennessee nach Alabama über und mündet schließlich, einen weiten Bogen durch Tennessee nach N. beschreibend, bei Paducah (in Kentucky) in den Ohio. Dampfer befahren ihn 440 km aufwärts bis Florence in Alabama, wo er die Stromschnelle der Muscle Shells bildet. Oberhalb ist er noch 500 km weit schiffbar. Sein gesamter Lauf ist 1600 km lang.
Tennessee (spr. -ssih, abgekürzt Tenn.), einer der Vereinigten Staaten von Nordamerika, grenzt gegen N. an Kentucky und Virginia, gegen O. an Nordcarolina, gegen S. an Georgia, Alabama und Mississippi, gegen W. an Arkansas und Missouri. Der Osten von T. ist ein Gebirgsland, gebildet von Parallelzügen der Appalachischen Gebirge, die im Clingman's Dome (2080 m) kulminieren, und zwischen welchen sich die teilweise sehr fruchtbaren Thäler des obern Tennessee und seiner Nebenflüsse ausdehnen. Das mittlere T. ist wellenförmig und vorzüglich zum Ackerbau geeignet, der westliche Teil fast durchgehend eben, mit ausgedehnten Strecken Alluviallandes, auf welchem Baumwolle und Tabak gut gedeihen. Der Mississippi bildet die Westgrenze, und der bedeutendste Fluß des Staats ist der ihm indes nur teilweise angehörende Tennessee; er sowie der Cumberland münden in den Ohio. Das Klima ist verhältnismäßig sehr mild und angenehm. T. hat ein Areal von 108,905 qkm (1977,8 QM.) mit (1880) 1,542,329 Einw., worunter 103,151 Farbige. Die öffentlichen Schulen wurden 1886 von 383,507 Kindern besucht; 27 Proz. der über zehn Jahre alten Weißen und 71 Proz. der Neger können nicht lesen. An höhern Bildungsanstalten bestehen 18 Universitäten und Colleges. Die Landwirtschaft beschäftigt 66, die Industrie nur 8 Proz. der Bevölkerung. 3,440,000 Hektar waren 1880 landwirtschaftlich verwertet. Neben Mais, Weizen, Hafer, Bataten und Kartoffeln baut man namentlich Tabak (1880: 29 Mill. Pfd.) und Baumwolle (33,621 Ballen). An Vieh zählte man 1880: 266,000 Pferde, 173,000 Maultiere, 783,000 Rinder, 673,000 Schafe und 2,160,000 Schweine. Der Bergbau befaßt sich mit Förderung von Steinkohlen (1886: 1,700,000 Ton.), Eisenerz (199,166 T. Roheisen), Zinkerz (1880: 3699 T.), Bleierz (60 T.), Kupfer (1370 Ztr.) und Gold (1998 Doll.). Die 4326 gewerblichen Anstalten beschäftigten 1880: 22,446 Arbeiter. Am wichtigsten sind die Getreidemühlen, Sägemühlen, Eisen- und Stahlwerke (3077 Arbeiter), Wagenbauwerkstätten, Gießereien u. Lederfabriken. Auch die Baumrvoll- und Wollefabrikation (zusammen 1480 Arbeiter) fängt an von Bedeutung zu werden. An Eisenbahnen hat der Staat 1887: 4520 km. Die gegenwärtige Verfassung ist die 26. März 1870 angenommene, nach welcher alle männlichen, über 21 Jahre alten Einwohner, ohne Unterschied der Farbe, das Stimmrecht haben. Die General Assembly besteht aus einem Senat von 33 und einem Repräsentantenhaus von 66 Mitgliedern, welche alle zwei Jahre neu gewählt werden. Die fünf Richter des Obergerichts sowohl als die Richter der Kreisgerichte werden vom Volk auf acht Jahre gewählt. Die Finanzen waren bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs in gutem Zustand, aber infolge desselben und der darauf eingetretenen Anarchie war die Staatsschuld 1874 auf 24 Mill. Doll. angewachsen. Man fundierte dieselbe 1883 auf die Hälfte, so daß dieselbe 1888 nur 18 Mill. Doll. betrug, und hat überhaupt erfolgreiche Anstrengungen gemacht, geordnete Zustände herbeizuführen. Die politische Hauptstadt ist Nashville. - Das Gebiet des Staats T. war ursprünglich in den 1664 von Karl II. für Nordcarolina erteilten Freibrief mit eingeschlossen, doch fanden bis 1757 keine Ansiedelungen jenseit der Alleghanies statt. 1790 trat Nordcarolina das Gebiet an die Bundesregierung ab, welche eine Territorialregierung daselbst errichtete. 1796 wurde T. als Staat in die Union aufgenommen. Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1862 erklärte sich T. nur vorübergehend und teilweise für die konföderierten Staaten, war aber 1862 und 1863 mehrfach der Schauplatz blutiger Kämpfe. Vgl. Phelan, History of T. (Boston 1888).
Tenngler, Ulrich, deutscher Jurist, geboren um die Mitte des 15. Jahrh. zu Haidenheim bei Nördlingen, bekleidete 1479-83 das Amt eines Stadtschreibers zu Nördlingen und war dann bis zu seinem 1510 oder 1511 erfolgten Tod Landvogt in Höchstädt. Er versaßte den sogen. "Layenspiegel" (Augsb. 1509 u. öfter, seit 1516 häufig mit dem von Seba-
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Tennis - Tenorino.
stian Brant herausgegebenen "Klagspiegel" gedruckt), eine systematische Realencyklopädie der populären Jurisprudenz für die Praxis, welche länger als ein halbes Jahrhundert die deutsche Rechtsprechung beherrschte und am nachhaltigsten für die Einbürgerung der fremden Rechte gewirkt hat.
Tennis, Ballspiel, s. Lawn Tennis.
Tennstedt, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Erfurt, Kreis Langensalza, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, ein Schwefelbad, eine Papierfabrik, eine Dampfbierbrauerei und (1885) 2952 evang. Einwohner. Vgl. Roßbach, Das Schwefelbad T. (Erf. 1880).
Tennyson (spr. tennis'n), Alfred, engl. Dichter, geb. 6. Aug. 1809 zu Somerby in Lincolnshire als der Sohn eines Geistlichen, studierte zu Cambridge und gab bereits 1827 anonym mit seinem Bruder Charles die "Poems of two brothers", dann 1830 die Sammlung "Poems, chiefly lyrical" heraus, die aber wenig Beifall fand, obschon in Einzelheiten, wie in "Mariana, recollections of the Arabian nights" und "Claribel", poetischer Genius nicht zu verkennen war. Auch ein zweiter Band Gedichte (1833) erfuhr von der Kritik ziemlich unfreundliche Behandlung. Erst mit den zwei Bänden "Poems", die 1842 erschienen, viele Auflagen erlebten und zum Teil Überarbeirungen früherer Poesien, zum Teil Neues enthielten, hatte T. Erfolg, und verschiedene darunter, wie "Morte d'Arthur", "Godiva" (deutsch von Feldmann, 2. Aufl., Hamb. 1872), "The May Queen", "The gardener's daughter", gehören zu den schönsten Schöpfungen Tennysons. Insbesondere ist "Locksley Hall" (deutsch von Freiligrath) durch Tiefe und Großartigkeit ausgezeichnet. Tennysons nächstes Werk: "The princess, a medley" (1847), das reizende lyrische Bestandteile hat, erzählt von einem Prinzen und einer Prinzessin, die nach dem Willen der Eltern einander heiraten sollen, ohne sich gesehen zu haben, und ist halb realistisch, halb phantastisch gehalten. 1850 gab er einen Band Gedichte unter dem Titel: "In memoriam" (deutsch von Waldmüller, 4. Aufl. 1879) heraus, welche, dem Andenken an einen verstorbenen Freund (Arthur Hallam, den Sohn des Historikers) gewidmet, das Seelenleben des Dichters und die Weichheit seines Gemüts entfalten. Neuen Beifall erwarb der inzwischen (1851) zum Poet laureate ernannte Dichter mit der "Ode on the death of the duke of Wellington" (1852), der Dichtung "Maude" (1855, darin die gewaltige "Charge of the light brigade"), namentlich aber mit den "Idylls of the king" (1858; deutsch von Feldmann, 2. Aufl., Hamb. 1872), einem auf den sagenhaften Britenkönig Arthur bezüglichen Romanzencyklus, der eine Ergänzung fand durch die Bände: "The Holy Grail" (1869), "Tristam and Iseult" (1871), "Gareth and Lynette" und "The last tournament" (1872), welch letztere aber in der Lesewelt nicht mehr den Anteil erweckten, dessen die frühern Stücke sich erfreuten. Diese in fünffüßigen Jamben geschriebenen Idylle bilden ein großes Ganze. Zwischen das Erscheinen der Arthur-Idyllen fallen die Dichtungen: "Enoch Arden" (1864) und "The Window, or the songs of the Wren" (1870). Später versuchte er sich auch im Drama mit "Queen Mary" (1875) und "Harold" (1876; deutsch vom Grafen Wickenburg, Hamb. 1880), "The Falcon" (1879), "The Cup" (1881), "The promise of May" (1882) und "Beckett" (1884). Weitere Veröffentlichungen Tennysons sind: "The lover's tale" (1879), worin er auf Jugenderzeugnisse zurückgreift, um sich unberechtigter Publikation durch Dritte zu erwehren; "Ballads and other poems" (1880); die poetische Erzählung "Tiresias" (1885) und "Locksley Hall, sixty years after" (1886; deutsch, Gotha 1888). Tennysons poetische Richtung ist vorwiegend kontemplativ, weniger aufs Erhabene gerichtet; meisterhaft sind seine Schilderungen des Natur- und Seelenlebens. Die Universität Cambridge hat T., der seit 1869 auf einem Landsitz in der Nähe von Petersfield in Hampshire lebt, durch Aufstellung seiner Büste in der Bibliothek der Trinity Hall geehrt, Oxford durch Verleihung des Doktorgrades; 1884 wurde er von der Königin als Baron T. von Altworth zum Peer ernannt. Seine gesammelten Werke: "Poetical works", erschienen zuletzt 1886 in 10 Bänden, die "Dramatic works" 1887 in 4 Bänden. Ausgewählte Dichtungen von T. in deutscher Übersetzung gaben Freiligrath (in "Englische Gedichte aus neuerer Zeit", Stuttg. 1846), Hertzberg (Dess. 1854) und Strodtmann (Hildburgh. 1867) heraus. Letztere Ausgabe enthält auch das ungemein beliebte Gedicht "Enoch Arden", welches außerdem noch von R. Waldmüller (30. Aufl., Hamb. 1888) u. a. übersetzt ward. Vgl. Wace, Alfred T. (Lond. 1881).
Tenor (lat.), der ununterbrochene Lauf einer Sache; Haltung, Inhalt (eines Aktenstücks, eines Gesetzes etc.). Uno tenore, in einem fort.
Tenor (ital. Tenore, franz. Taille), die hohe Mannerstimme, die sich jedoch von der tiefern (dem Baß) nicht wie der Sopran vom Alt durch das Überwiegen eines hohen Registers über ein tiefes unterscheidet; die sogen. Kopfstimme kommt bei Männerstimmen nur ausnahmsweise und als Surrogat zur Verwendung, die eigentlichen vollen Töne des Männergesangs vom tiefsten Baß bis zum höchsten T. werden durch dieselbe Funktion der Stimmbänder erzeugt wie die sogen. Brusttöne der Frauenstimmen (vgl. Register). Man unterscheidet zwei Hauptgattuugen von Tenorstimmen, sogen. lyrische und Heldentenöre. Der Heldentenor entspricht etwa dem Mezzosopran, d. h. er hat nur einen mäßigen Umfang (vom klein c-b'), zeichnet sich durch eine kräftige Mittellage und ein baritonartiges Timbre aus; der lyrische T. hat ein viel helleres, fast an den Sopran gemahnendes Timbre und in der Regel eine kraftlosere Tiefe, dafür aber nach der Höhe einen ausgiebigern Umfang (c'', cis''). - T. heißt auch der Part in Vokal-und Instrumentalkompositionen, welcher für die Tenorstimme bestimmt ist, resp. ihr der Höhenlage nach entspricht; auch Instrumente, welche diesen Umfang haben, heißen Tenorinstrumente, so die Tenorposaune, das Tenorhorn, früher die Tenorviola etc. - Der Name T. (eigentlich s. v. w. fortlaufender Faden) wurde zuerst im 12. Jahrh., als der Diskantus aufkam, der dem Gregorianischen Gesang entnommenen Hauptmelodie beigelegt, gegen welche eine höhere diskantierte (abweichend sang); so wurde T. der Name der normalen Mittelstimme und Diskantus der der hohen Gegenstimme. Später gesellte sich als Stütze (basis) der Baß und als weitere Füllstimme der contratenor (Gegentenor), welcher auch alta vox, altus (hohe Stimme) genannt wurde, während der Diskant dann zum supremus, soprano (der "höchste") wurde.
Tenorhorn (ital. Corno cromatico), tubaartiges Messinginstrument mit dem Umfang vom großen As bis zum zweigestrichenen c, hauptsächlich bei Militärmusik gebräuchlich.
Tenorino (ital., "kleiner Tenor"), Bezeichnung der facettierenden Tenore (spanischen Falsettisten), welche vor Zulassung der Kastraten (s. d.) die Knabenftimmen in der Sixtinischen Kapelle und anderweit vertraten. Später nannte man sie im Gegenssatz
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Tenorist - Teplitz.
zu den auf widernatürliche Weise konservierten Sopranisten und Altisten Alti naturali (vgl. Alt).
Tenorist, Tenorsänger (s. Tenor).
Tenorit, s. v. w. Schwarzkupfererz, s. Kupferschwärze.
Tenorschlüssel, der c'-Schlüssel auf der vierten Linie, welche dadurch Sitz des c' wird:
[Siehe Graphik]
gleich:
[Siehe Graphik]
Tenos, Insel, s. Tinos.
Tenotomie (griech.), Sehnendurchschneidung (s. d.).
Tension (lat.), Spannung der Gase und Dämpfe.
Tentacuiites, s. Schnecken, S. 573.
Tentakeln (Fühlfäden), s. Fühler.
Tentakulitenschiefer, s. Silurische Formation.
Tentamen (lat.), s. v. w. Examen, jedoch gewöhnlich eine nur vorläufige, minder eingehende Prüfung, die als solche hier und da dem eigentlichen Examen vorausgeschickt zu werden pflegt.
Tente d'abri (franz., spr. tangt dabrih, "Schutzzelt"), das im franz. Heer bisher gebräuchliche Lagerzelt für 2 Mann, 1878 für Europa abgeschafft.
Tenthredinidae, Familie aus der Ordnung der Hautflügler, s. Blattwespen.
Tentyris, alte ägypt. Stadt, s. Dendrah.
Tenue (franz., spr. t'nüh), Haltung, Führung; Kleidung; en (grande) t., im Paradeanzug, in Gala; petite t., Dienst-, Interimsuniform.
Tenuirostres, s. Dünnschnäbler.
Tenuis (lat.), alte Bezeichnung der tonlosen Konsonanten p, t, k. Vgl. Media.
Tennität (lat.), Dünnheit; Geringfügigkeit.
Tenuta (ital.), Landgut, Gehöft.
Tenuto (ital., abgek. ten., "ausgehalten"), musikalische Vortragsbezeichnung besonders in Verbindung mit einem dynamischen Zeichen, z. B. f ten., in gleicher Stärke ausgehalten (nicht diminuendo), gilt stets nur für einen Ton oder Akkord.
Tenzone (ital.), Wett- oder Streitgesang; bei den Provençalen eine Art poetischer Witzspiele (s. Provençalische Sprache und Litteratur, S. 425). Vgl. Zenker, Die provenzalische T. (Leipz. 1888).
Teokalli, die Tempelbauten der alten Mexikaner, s. Amerikanische Altertümer, S. 482.
Teong, Längenmaß in Birma, = 0,485 m.
Teos, im Altertum ionische Stadt an der Küste von Lydien in Kleinasien, nordwestlich von Ephesos, mit berühmtem Dionysostempel, war Geburtsort des Anakreon (des "teischen Sängers") und trieb bedeutenden Handel bis nach Ägypten. Ruinen beim heutigen Sighadschik.
Teotihuacan (San Juan de T.), Indianerortschaft, 50 km nordöstlich von Mexiko, mit zwei 55 m hohen und zahlreichen kleinern Opferpyramiden und (1880) 4028 Einw. (im Munizipium).
Tepe (türk.), Spitze, Anhöhe.
Tepejilote, s. Chamaedorea.
Tepekermen, Berg auf der Halbinsel Krim, unweit Baktschisarai, erhebt sich in Gestalt eines einzeln stehenden Kegels, auf dessen kahlem Gipfel Überreste alter Bauwerte sichtbar und etwas niedriger auf einer nach N. gerichteten Böschung einige Reihen Höhlen sind, zu denen der Zugang sehr schwierig ist. In einer derselben hat man viele Knochen, in einer andern Spuren einer Kirche entdeckt.
Tepeleni, heruntergekommenes Städtchen im türk. Wilajet Janina, links an der Viosa unterhalb Argyrokastrons, bekannt als Geburtsort und Lieblingsaufenthalt Ali Paschas von Janina, dessen dortiger prächtiger Palast heute in Ruinen liegt, mit 600 Einw.
Tephrite, Eruptivgesteine, in welchen die eisenfreien thonerdereichen Mineralien aus Plagioktas und Leucit oder Nephelin bestehen, welchen sich vorwiegend Augit zugesellt.
Tepic, Stadt im mexikan. Staat Jalisco, 50 km von San Blas, 880 m ü. M., in fruchtbarem Thal, wo Kaffee, Zuckerrohr und Baumwolle gedeihen, hat (1880) 24,788 Einw. (im Munizipium), die von den 56 in der Nähe liegenden Bergwerken abhängen. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls.
Tepidarium (lat.), in den altrömischen Bädern das Zimmer für lauwarme Bäder (s. Bad, S. 222); auch Räumlichkeit mit lauer Temperatur (5-9° R.), besonders für Gewächse (s. Gewächshäuser).
Tepl, Stadt in Böhmen, am gleichnamigen Fluß, welcher unweit südlich entspringt und unterhalb Karlsbad in die Eger mündet, ist Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, hat eine Dechanteikirche, Bierbrauerei und (1880) 2733 Einw. Dabei das 1l93 gegründete reiche Prämonstratenserstift T. mit Kirche, Bibliothek (60,000 Bände), Archiv und theologischer Lehranstalt.
Teplitz (Töplitz), 1) Stadt und berühmter Kurort im nördlichen Böhmen, in dem reizenden, zwischen dem Erzgebirge und dem böhmischen Mittelgebirge sich ausbreitenden Bielathal 230 m ü. M. gelegen, Station der Eisenbahnen Aussig-T.-Komotau und Dux-Bodenbach, ist Sitz einer Bezirkshauptmannschaft, eines Bezirksgerichts, Hauptzoll- und Revierbergamtes, hat ein Schloß des Fürsten Clary mit schönem Park, eine Dechanteikirche, eine evang. Kirche (1862 erbaut), einen israelitischen Tempel (1882), ein Realgymnasium, eine Handelsschule, eine Fachzeichenschule für Keramik, ein schönes Stadttheater (seit 1874), einen Gewerbeverein, eine Sparkasse (Einlagen 5 Mill. Gulden), eine Filiale der Öfterreichisch-Ungarischen Bank, ein österreichisches, ein sächsisches und preußisches Militärbadeinstitut, 3 Spitäler und (1880) 14,841, mit dem angrenzenden Badeort Schönau 16,750 Einw. In neuerer Zeit hat sich die Stadt, begünstigt durch die in der Umgegend befindlichen reichen Braunkohlenlager (1887 wurden im Revierbergamtsbezirk T. 23,9 Mill. metr. Ztr. Kohlen gefördert), zu einem bedeutenden Industrie- und Handelsplatz emporgeschwungen. Es bestehen hier insbesondere Fabriken für Wirkwaren, Knöpfe, Baumwoll- und Gummiwaren, chemische Produkte, Glas, Siderolith, Töpferwaren, Spiritus, Mehl, Bretter, Möbel, ein Walzwerk mit Bessemerhütte, eine Maschinenbauwerkstätte und eine Gasanstalt. Die gegenwärtig benutzten Heilquellen von T.-Schönau (die Stadtbadquellen, nämlich die Urquelle und die Frauenbadquelle, 48° C., die Steinbadquelle 34,6°, die Stephansquelle 36,75, die Sandbadquelle 32,5° und die Wiesenquelle 32,7° in T., die Schlangenbadquelle 39° und die Neubadquelle 44,75° C. in Schönau) führen meist alkalisch-salinisches Wasser, mit nur geringen festen Bestandteilen, vorzugsweise kohlensaurem Natron, vermischt. 10,000 Volumteile der Urquelle enthalten 1110 Teile halb gebundene, 34 wirklich freie Kohlensäure, 51 Stickstoff, 18 Sauerstoff, 4,144 kohlensaures Natron, 0,630 Chlornatrium, 0,018 phosphorsaures Natron, 0,228 schwefelsaures Kali, 0,175 Teile Kieselsäure etc. Das Wasser ist farblos und hat einen matten Geschmack. Die Quellen werden fast ausschließlich zum Baden gebraucht und zwar vorzugsweise gegen chronischen Rheumatismus, Gicht, Lähmungen, bei skrofulösen Anschwellungen und Geschwüren, Neuralgien, beginnenden Rückenmarksleiden, namentlich aber bei den Nachkrankheiten aus Schuß- und Hiebwunden, nach Knochenbrüchen ("Bad der Krieger").
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Teppichbeete - Teppiche.
Die Urquelle dient auch zur Trinkkur. Von den Quellen werden 10 Badehäuser gespeist. Die Frequenz von T.-Schönau belief sich 1887 auf 7351 Kurgäste nebst 19,224 Passanten. Der Badegesellschaft dienen als Versammlungs- und Vergnügungsorte: der in der Mitte der Stadt gelegene Kurgarten, in welchem sich das neue Stadttheater, die Trinkhallen, der Kursalon und das palastartige Kaiserbad befinden; der Garten und Park des fürstlich Claryschen Schlosses; die 264 m hohe Königshöhe mit dem Schießhaus, der Schlackenburg und dem Denkmal König Friedrich Wilhelms III.; das Belvedere; der Seumepark mit dem Grabmal Joh. Gottfr. Seumes (gest. 1810); der Kaiserpark; die Payer-und Humboldtanlagen; der 392 m hohe Schloßberg mit Schloßruinen; der Turner und Propstauer Park etc. In der Nähe Eichwald, inmitten prächtiger Waldungen, in neuerer Zeit als Sommeraufenthalt und klimatischer Kurort vielbesucht, mit Kaltwasserheilanstalt, Porzellan- und Siderolithfabrik. - Die Quellen von T. sollen der Sage nach 762 entdeckt worden sein, waren aber zweifellos viel früher bekannt. Urkundlich wird der Stadt erst im 12., der Bäder im 16. Jahrh. gedacht. Um 1630 gehörten Stadt und Schloß dem Herrn v. Kinsky, der in Wallensteins Sturz verwickelt ward. Darauf belieh der Kaiser Ferdinand II. den Generalfeldmarschall Grafen von Aldringer damit, und als 1634 der Mannesstamm dieses Geschlechts erlosch, kamen Stadt und Schloß an die Clarys. Im September und Oktober 1813 war T. das Hauptquartier der drei alliierten Monarchen. Im September 1835 hatten die Monarchen von Österreich, Rußland und Preußen, im Herbst 1849 der Kaiser von Österreich, die Könige von Preußen und Sachsen und 25. Juli 1860 der Kaiser von Österreich und der Prinz-Regent von Preußen eine Zusammenkunft in T. 1862 wurde das 1100jährige Jubelfest der Thermen gefeiert und dabei ein Denkmal enthüllt. Durch eine Katastrophe in den benachbarten Kohlenwerken von Ossegg (10. Febr. 1879), welche das Thermalwasser dorthin abführte, war die Fortexistenz von T. als Badeort in Frage gestellt. Doch wurde das Verhängnis glücklich abgewendet und die Quellen in kurzer Zeit (3. März) an ihren alten Austrittsöffnungen wieder zu Tage gefördert. Vgl. Friedenthal, Der Kurort T.-Schönau, topographisch und medizinisch dargestellt (Wien 1877); Herold, Studien über die Bäder zu T. (das. 1886); Delhaes, Der Badeort T.-Schönau (3. Aufl., Prag 1886); Lustig, Karlsbad und T., balneo-therapeutisch (2. Aufl., Wien 1886); Hallwich, T., eine deutschböhmische Stadtgeschichte (Leipz. 1886).
2) Ungar. Badeort, s. Trentschin.
Teppichbeete, s. Blumenbeete.
Teppiche, meist gemusterte Gewebe, welche seit dem Altertum zum Bekleiden der Wände (die spätern Tapeten), zum Bedecken der Fußböden, Polster etc. dienen. Diese vielseitige Verwendung finden die T. gegenwärtig nur noch im Orient, während sie in Europa fast ausschließlich zum Bedecken der Fußböden benutzt werden. Man unterscheidet orientalische T., welche auf rahmenartigen Vorrichtungen durch Handarbeit, und europäische, welche auf Webstühlen angefertigt werden. Orientalische T. liefern Indien, Persien, die Türkei, aber auch der Kaukasus, Siebenbürgen, Kroatien, Slawonien und Rumänien. Sie zeichnen sich durch vortreffliche Arbeit und besonders durch das Muster aus, welches auf dem Prinzip der Flächendekoration beruht, die Perspektive und die naturalistische Nachahmung vegetabilischer und animalischer Körper beiseite läßt und aus zierlichen Ornamenten in harmonischer Färbung besteht. Die orientalischen T. sind geflochten oder geknüpft. Erstere, nach einer französischen Nachahmung gobelinartige genannt, bilden ein glattes Gewebe, dessen Kette aus Leinen- oder Baumwollgarn durch einen dicht angeschlagenen wollenen Schuß vollständig bedeckt wird, so daß ein ripsartiger Stoff entsteht. Der Schuß wird indes nicht auf die ganze Breite des Stoffes eingetragen, sondern nur an den Stellen, wo er wirken soll, mit der Kette verbunden. Die geknüpften, plüschartigen T. werden auf baumwollener, leinener oder wollener Kette durch das Einknüpfen von Flormaschen hergestellt, die man jede einzeln durch die Breite des Teppichs einlegt. Nach Vollendung des Teppichs wird der Flor desselben mit einfachen Handscheren egalisiert. Das Material des Flors ist Schafwolle, für feinere T. auch Ziegenhaare und Seide. Die schönsten orientalischen T. sind die persischen (s. Tafel "Ornamente IV", Fig. 11, und Tafel "Weberei", Fig. 16) und von diesen wieder die von Farahan in der Provinz Arak; sie enthalten auf 1 m Breite 400-500 Flormaschen. Die indischen (s. Tafel "Weberei", Fig. 22) haben einen ansehnlich höhern Flor und 300-350 Maschen auf 1 m, für den europäischen Handel sind aber bei weitem wichtiger die ungleich billigern türkischen T., von denen die Smyrnaer mit 120-200 Maschen am geschätztesten sind; sie besitzen stets eine wollene Kette, während die der persischen und indischen aus Baumwolle besteht. Die orientalischen T., und namentlich die geknüpften Smyrnateppiche, werden mit gutem Erfolg in Europa, speziell in Deutschland (Schmiedeberg seit 1856, Kottbus, Wurzen, Springe, Linden etc.) und Wien, nachgeahmt und zwar unter Anwendung derselben Methode. Man arbeitet aber mit Kette aus Leinengarn und Grundschuß aus Jute, erreicht eine große technische Vollkommenheit und versteht auch die Muster und Farben so getreu nachzubilden, daß ein großer Unterschied zwischen echten und nachgeahmten Smyrnateppichen nicht mehr besteht. Nachahmungen der orientalischen geflochtenen T. sind die Gobelins (s. Tapeten). Die eigentlichen europäischen T. werden auf mechanischen Webstühlen, die bessern auf der Jacquardmaschine hergestellt. Die glatten T. bilden in Europa wie im Orient gewöhnlich die geringere Sorte; man verfertigt sie aus Kuh- oder Ziegenhaar, ordinärem Streichgarn oder Jute und benutzt sie als Laufteppiche zum Bedecken von Treppen, Fluren etc. Hierher gehören auch die Kidderminsterteppiche aus Doppelgewebe, wollener oder baumwollener Kette und viel stärkerm wollenen Schuß; das Muster erzeugt sich rechts und links in gleicher Weise. Die Plüschteppiche haben entweder einen ungeschnittenen Flor, welcher kleine, geschlossene Noppen bildet (Brüsseler T.), oder einen aufgeschnittenen Flor, der eine samtartige Oberfläche bildet (Velours-, Tournai-, Wilton-, Axminsterteppiche). Die Herstellung ist im wesentlichen die der Plüsche und Samte. Das Muster wird meist mit der Jacquardmaschine hervorgebracht, und je nachdem es mehr oder weniger Farben enthält, zieht man zwischen je zwei leinenen Grundfäden mehr oder weniger Polfäden in jedes Riet ein und unterscheidet nach der Zahl derselben die T. als drei-, vier-, fünf- etc. chörige oder teilige. Billigere T. erzielt man durch Aufdrucken des Musters, indem man entweder das gewebte Stuck bedruckt, oder das Muster der Polkette vor der Verarbeitung appliziert. Das letztere Verfahren liefert eine sehr gute Ware, welche die im Stück bedruckten
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Teptjären - Terceira.
T. weit übertrifft. Die Ornamentation der T. ahmt entweder die orientalische Sitte nach (besonders die Jacquardteppiche), oder sie bedeckt die ganze Fläche mit Blumen, Tieren, Architektur etc. (besonders bedruckte T.). Das erste Prinzip hat sich als das für T. ästhetisch angemessenste immer mehr Bahn gebrochen, so daß der Naturalismus in Deutschland, England und Österreich nur noch die billige Ware beherrscht. In Frankreich ist dagegen das naturalistische Dessin in den extravagantesten Formen noch vorherrschend. Gegenwärtig werden in England, Österreich und Deutschland orientalische T. aller Art nachgebildet. In Deutschland, welches früher größtenteils Kettendruckteppiche lieferte, werden auch T. in Brüsseler und Axminsterart fabriziert (Berlin). Vgl. Lessing, Alt-orientalische Teppichmuster (Berl. 1877).
Teptjären, eine aus flüchtigen Wolgasinnen und Tschuwaschen hervorgegangene, jetzt ganz tatarisierte Völkerschaft im europäischen Rußland, unter den Baschkiren in den Gouvernements Orenburg und Ufa lebend, 126,000 Köpfe stark.
Ter, Fluß in der span. Provinz Gerona, entspringt auf den Ostpyrenäen und mündet unterhalb Torroella in das Mittelländische Meer; 155 km lang.
Teramo, ital. Provinz in der Landschaft der Abruzzen, grenzt im N. an die Provinz Ascoli-Piceno, im W. an Aquila, im S. an Chieti und im O. an das Adriatische Meer und hat einen Flächenraum von 3325, nach Strelbitsky nur 2875 qkm (52,22 QM.) mit (1881) 254,806 Einw. Die Provinz enthält an der westlichen Grenze den Hauptzug der Abruzzen mit dem Gran Sasso d'Italia und wird vom Tronto, Tordino, Vomano, Piomba und Pescara bewässert. Erwerbszweige sind Getreide- (1887: 545,028 hl Mais, 522,751 hl Weizen), Wein- (483,891 l.l) und Ölbau (34,852 hl Öl), Seidenzucht, Seefischerei und etwas Industrie. Längs der Küste zieht die Eisenbahn Ancona-Brindisi hin. Die Provinz zerfällt in die zwei Kreise Penne und T. - Die Hauptstadt T., am Tordino und an der Eisenbahn Giulanova-T., hat eine Kathedrale aus dem 14. Jahrh., ein bischöfliches Kollegium, Seidenspinnerei, Fabriken für Strohhüte, Leder, Thonwaren, Möbel etc. und (1881) 8634 Einw., ist Sitz der Präfektur, eines Zivil- und Korrektionstribunals, einer Finanzintendanz, eines Bistums und einer Handelskammer. T. gilt für das alte Interamna (Reste von Thermen, eines Theaters etc.).
Teras, s. Gallwespen.
Teratolith (Eisensteinmark, sächsische Wundererde), Mineral, kommt in derben, bläulichen und grauen, matten und undurchsichtigen Massen vor, Härte 2,5-3, spez. Gew. 2,5, besteht im wesentlichen aus wasserhaltigem Eisenaluminiumsilikat und stellt ein Zersetzungsprodukt des sogen. Porzellanjaspis, eines durch Kohlenbrände umgewandelten Schieferthons, dar, dessen Pflanzenabdrücke bisweilen noch erkennbar sind. T. findet sich in der Steinkohle von Zwickau und in der Braunkohle von Zittau und wurde früher medizinisch benutzt.
Teratologie (griech.), die Lehre von den Mißbildungen der Pflanzen und Tiere; s. Mißbildung.
Teratom (griech.), eine Balggeschwulst, welche durch abnorme fötale Entwickelung entsteht und ganze Organe oder Organteile, Haare, Knorpel, Muskelfasern, Epithelien etc. einschließt.
Teratoskopie (griech.), s. Zeichendeuter.
Terbene, s. Kamphene und Ätherische Öle.
Terborch (früher Terburg genannt), Gerard, niederländ. Maler, geboren um 1617 zu Zwolle, war Schüler seines Vaters Gerard (1584-1662), von dem sich nur Handzeichnungen erhalten haben, ging 1632 nach Amsterdam und von da nach Haarlem, wo er zu P. Molyn dem ältern in die Lehre trat, aber mehr von Frans und Dirk Hals beeinflußt wurde, was sich sowohl in seinen Bildnissen als in seinen eleganten Sittenbildern zeigt. 1635 trat er in die Lukasgilde zu Haarlem ein, ging aber noch in demselben Jahr nach England und von da nach Italien. Zurückgekehrt, hielt er sich eine Zeitlang in Amsterdam auf, wo er von Rembrandt Einflüsse erhielt, und 1646 ging er nach Münster, wo er als Porträtmaler während der Friedensverhandlungen thätig war und unter anderm das berühmte Bild des Friedenskongresses mit 60 Bildnissen (jetzt in der Nationalgalerie zu London) malte. Von da ging er nach Madrid, wo er sich ein Jahr aufhielt und seinen Stil durch das Studium des Velazquez vervollkommte. 1650 war er wieder in Holland und ließ sich 1654 in Deventer nieder, wo er später Bürgermeister wurde und 8. Dez. 1681 starb. T. ist der geistvollste holländische Sittenmaler, welcher psychologische Feinheit der Charakteristik mit vornehmer, anmutiger Darstellung und glänzender koloristischer Behandlung der Stoffe verband und seinen Genrebildern aus den Kreisen des höhern Bürgerstandes gern einen novellistischen Inhalt gab. Seine Hauptwerke dieser Gattung sind: die väterliche Ermahnung (im Reichsmuseum zu Amsterdam, ein zweites Exemplar in Berlin), die Konsultation (im Museum zu Berlin), die Lautenspielerin und der brieflesende Offizier mit dem Trompeter (in der Dresdener Galerie), die Depesche (im Museum des Haag), die Lautenspielerin und das musizierende Paar (in der Galerie zu Kassel), die Musikstunde (in der Nationalgalerie zu London), der Leseunterricht, die Musikstunde und der Offizier und das Mädchen (im Louvre zu Paris), der Bote vom Lande, der Liebesantrag, das Glas Limonade und das Konzert (in der Eremitage zu St. Petersburg) und die Äpfelschälerin (in der kaiserlichen Galerle zu Wien). Ausgezeichnete Bildnisse von T. besitzen die Galerien in Amsterdam, Berlin und im Haag. T. hat auch zahlreiche Handzeichnungen hinterlassen. Vgl. Bode, Studien zur Geschichte der holländischen Malerei (Braunschw. 1883); Mons, G. T. en zijne familie (in der Zeitschrift "Oud Holland" 1886); Lemcke in Dohmes "Kunst und Künstler", Bd. 2; Michel, G. Terburg et sa famille (Par. 1888).
Terburg, Maler, s. Terborch.
Terceira (spr. tersse-ira), Insel, s. Azoren.
Terceira (spr. tersse-ira), Antonio José de Souza, Herzog von, Graf von Villaflor, portug. Marschall, geb. 10. März 1792 zu Lissabon, stieg im Kriege gegen Napoleon I. bis zum Stabsoffizier, ging 1817 nach Brasilien, wo er Gouverneur der Provinz Pará, dann der von Bahia ward, kehrte 1821 mit König Johann VI. nach Europa zurück und ward 1826 von der Regentin Isabella zum Marescal de Campo ernannt und gegen den Parteigänger Dom Miguels, Marquis de Chaves, gesendet. Er schlug denselben und ward hierauf zum Obergeneral der Nordarmee und Gouverneur der Provinz Alemtejo erhoben. Als 1828 Dom Miguel die Regentschaft übernahm, mußte sich T. als eifriger Chartist vor dem Pöbel auf ein englisches Kriegsschiff flüchten und ging nach London. Dort bereitete er die Expedition nach Terceira vor, bemächtigte sich im Juni 1829 dieser Insel, 1830 auch der übrigen Azoren, ward von Dom Pedro mit dem Oberbefehl der dort gesammelten Truppen betraut und landete im Juli 1832 in Porto. Am 20. Juni 1833 erhielt er den Oberbefehl über die Expedition
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Tercerones - Terentius.
nach Algarve und ward zum Herzog von T. ernannt. Er schlug im Juli das miguelistische Heer bei Almada und besetzte 24. d. M. Lissabon. Im März 1834 von Dom Pedro mit dem Oberbefehl in Porto betraut, reinigte er die nördlichen Provinzen völlig von den Miguelisten und wurde im April 1836 an die Spitze des Ministeriums berufen, mußte aber bald den Absolutisten weichen. Erst 1842 und 1843 nach Herstellung der Charte trat er wieder ans Ruder, ohne sich indes lange behaupten zu können. Mit Saldanha leitete er im Oktober 1846 die Konterrevolution im monarchischen Sinn, ward aber bei dem Versuch, Porto zu beruhigen, von den Insurgenten gefangen genommen und erst im Juni 1847 wieder freigegeben. Im März 1850 ward er zum Kommandanten der 1. Armeedivision in Lissabon und im März 1859 wieder zum Präsidenten des Kabinetts ernannt, starb aber schon 26. April 1860.
Tercerones (span.), Ankömmlinge von einem Europäer und einer Mulattin.
Terdschuman (Terguman, daraus entstanden Dragoman), Dolmetsch, Übersetzer; Diwanterdschumani, der offizielle Übersetzer der Hohen Pforte, ehedem ein ausschließlich christliches Amt und zugleich Titel der Hospodare der Moldau und Walachei; T.-efendi, der Dolmetsch des Sultans während des Empfangs europäischer Gesandten; T.-odasi, Übersetzungsbüreau der Hohen Pforte. Vgl. Dolmetsch.
Tereben, chem. Verbindung, entsteht bei Vermischung von Terpentinöl mit konzentrierter Schwefelsäure und wiederholter Destillation, bildet ein schwach gelbliches Öl, siedet bei 156°, riecht thymianähnlich und dient als desinsizierendes und antiseptisches Mittel.
Terebinthe, s. v. w. Terpentinpistacie, s. Pistacia.
Terebinthineen (Terebinthaceen, Anakardiaceen, Balsamgewächse), dikotyle, etwa 450 Arten umfassende, hauptsächlich in der Tropenzone einheimische, aber auch in Südeuropa vertretene Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Terebinthinen, Milchsaft führende Bäume und Sträucher mit wechselständigen, ungeteilten oder handförmig dreizähligen oder unpaarig gefiederten, nebenblattlosen Blättern und meist durch Fehlschlagen eingeschlechtigen, ein- oder zweihäusigen, seltener zwitterigen, regelmäßigen, meist kleinen und unansehnlichen Blüten, welche end- oder achselständige Rispen oder Ähren bilden und einen variabeln Bau besitzen. Als Grundtypus ist eine fünf- oder vierzählige Blüte mit doppeltem Staubblattkreis und reduzierter Zahl der Fruchtblätter (meist drei) anzusehen, von denen gewöhnlich nur eins den Ovarteil ausbildet. Zwischen Staubblättern und Karpiden befindet sich ein ring- oder becherförmiger Diskus; letztere sind stets eineiig. Vgl. Marchand, Révision du groupe des Anacardiacées (Par. 1869). - Eine Reihe von Arten aus den Gattungen Pistacia L., Rhus L., Anacardites Sap. u. a. kommen fossil in Tertiärschichten vor. Offizielle Anwendung finden die Blätter des Giftsumachs (Rhus Toxicodendron) aus Nordamerika, das Harz (Mastix) der auf den griechischen Inseln einheimischen Pistacia Lentiscus und die durch ihre eigentümliche Gestalt bekannten Früchte der tropischen Anacardium occidentale und orientale, die sogen. Elefantenläuse. Gegessen werden die Früchte der südeuropäischen und im Orient wachsenden Pistacia vera. Die Rinde der südeuropäischen Rhus coriaria findet in der Gerberei Anwendung. Die nahe verwandten Burseraceen unterscheiden sich von den T. hauptsächlich durch zwei hängende, anatrope Eichen in jedem Fach und durch die meist gefalteten und gerollten Kotyledonen. Die ungefähr 150 Arten sind ebenfalls in den Tropen einheimisch und zeichnen sich durch ein balsamisches Harz aus.
Terebinthinen, Ordnung im natürlichen Pflanzensystem unter den Dikotyledonen, Choripetalen, charakterisiert durch meist zwei Staubgefäßkreise und einen zwischen Fruchtknoten und Staubgefäßen stehenden Blütendiskus, umfaßt die Familien der Terebinthaceen, Burseraceen, Rutaceen, Diosmeen, Zygophyllaceen und Simarubaceen.
Terebrateln (Terebratula Cuv.), Brachiopodengattung, welche schon in der devonischen Formation vorkommt, dann aber ganze Schichten des Muschelkalks bildet, am zahlreichsten in der Juragruppe erscheint und auch jetzt noch in den Meeren vertreten ist (s. Tafeln "Triasformation I" und "Juraformation I"). Vgl. Krötensteine und Brachiopoden.
Teredo. Bohrwurm, s. Bohrmuscheln.
Terek, Fluß in der russ. Statthalterschaft Kaukasien, bildet sich unweit des Kasbek aus den Gletschern der Berge Sûrchu-Barsom, Siwera-uta und Silpa-Choch, durchströmt in nordwestlicher Richtung die Kabarda und wendet sich bei Jekaterinograd, wo er die Ebene erreicht, plötzlich ostwärts, später nordostwärts, spaltet sich bei Kisljar, ein großes, bis 110 km breites sumpfiges Delta bildend, in drei Hauptarme und mündet nach 480 km langem Lauf in das Kaspische Meer. Der südlichste dieser Arme, Neuer T. genannt, fällt in die Agranbucht. Schiffbar ist der T. nirgends. An seinen Ufern, von Mosdok an aufwärts, haben die Russen eine Reihe kleiner Festungen angelegt, die sogen. Tereksche Linie, deren Hauptpunkt Wladikawkas bildet, und die bis Dariel reichen, dem Hauptpaß über den mittlern Kaukasus nach Tiflis.
Terekgebiet (Terscher Landstrich), Gebiet in der russ. Statthalterschaft Kaukasien, am Nordabhang des Kaukasus und durchflossen vom Ter, nach welchem es den Namen führt, 60,988 qkm (1108 QM.) groß mit (1883) 678,110 Einw., von denen die eingebornen Tschetschenzen, Kabardiner, Ossetinen, Kumüken den südlichen gebirgigen, die Russen (meist Kosaken) aber den nördlichen flachen Teil bewohnen. Hauptort ist Wladikawkas, wohin von Rostow die Eisenbahn führt.
Terentianus Maurus, lat. Grammatiker, aus Afrika gebürtig, lebte wahrscheinlich zu Ende des 3. Jahrh. n. Chr. und ist Verfasser eines in vielfachen Versmaßen abgefaßten Lehrgedichts: "De literis, syllabis, metris", das bei den Alten in hohem Ansehen stand. Ausgaben von Lachmann (Berl. 1836) und Keil ("Grammatici latini", Bd. 6, Leipz. 1874).
Terentius, Publius, mit dem Beinamen Afer ("Afrikaner"), röm. Lustspieldichter, geb. 185 v. Chr. angeblich zu Karthago, kam in früher Jugend als Sklave in das Haus des römischen Senators Terentius Lucanus, welcher ihm eine sorgfältige Erziehung geben ließ und später die Freiheit schenkte. T. ward der Lieblingsdichter der höhern Stände und Freund der bedeutendsten Männer seiner Zeit, namentlich des jüngern Scipio Africanus. Auf einer Reise nach Griechenland starb er 159. Wir besitzen von T. sechs Lustspiele, von denen vier nach Menander, zwei nach Apollodor gearbeitet sind: "Andria" (hrsg. von Klotz, Leipz. 1865; von Spengel, 2. Ausg., Berl. 1889), "Eunuchus", "Heautontimorumenos" (hrsg. von Wagner, das. 1872), "Phormio" (hrsg. von Dziatzko, 2. Aufl., Leipz. 1885), "Hecyra", "Adelphi" (hrsg. von Spengel, Berl. 1879, und Dziatzko, Leipz. 1881). Vor Plautus zeichnet sich T. durch kunstgerechtere Anlage, feinere Charakteristik und Eleganz der Form
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Terentius Barro - Terminrechnung.
aus, steht ihm aber an Kraft und Witz nach, wie er auch hinter der Lebensfrische seines Vorbildes Menander zurückblieb. In der Sprache wußte er, der geborne Afrikaner, so den seinen Umgangston zu treffen, daß seine Neider behaupteten, seine hohen Gönner wären ihm bei der Arbeit behilflich gewesen. Seine bis ins Mittelalter vielgelesenen Stücke wurden von den Grammatikern mehrfach kommentiert (s. Donatus 1) und neben Vergil am häufigsten als Fundgrube für grammatische Beispiele benutzt. Gesamtausgaben besorgten Bentley (Cambr. 1726, Amsterdam 1727; zuletzt wiederholt von Vollbehr, Kiel 1846), Westerhov (Haag 1726, 2 Bde.), Fleckeisen (Leipz. 1857), Umpfenbach (kritische Hauptausgabe, Berl. 1870), Dziatzko (Leipz. 1884). Die älteste Übersetzung erschien 1499 zu Straßburg: "T. der hochgelahrte Poet. Zu tütsch transferiert nach dem Text und nach der Gloss" (mit Holzschnitten). Neuere Übertragungen lieferten: Benfey (Stuttg. 1837 u. 1854), Jakob (Berl. 1845), Herbst (2. Aufl., das. 1888) und Donner (Stuttg. 1864, 2 Bde.). Vgl. Francke, T. und die lateinische Schulkomödie in Deutschland (Weim. 1877); Conradt, Die metrische Komposition der Komödien des T. (Berl. 1876).
Terentius Varro, s. Varro.
Tereus, nach griech. Mythus König von Daulis, Gemahl der Prokne und Schwager der Philomela, die von ihm geschändet ward (s. Philomela), wurde schließlich in einen Wiedehopf (oder Habicht) verwandelt.
Tergeste, Stadt, s. Trieft.
Tergiversieren (lat.), Ausflüchte, Winkelzüge machen; eine Sache hinausziehen.
Terglou (Triglaw), Gebirgsstock im nördlichen Teil der Julischen Alpen (s. d.), mit der höchsten der drei zuckerhutartigen Spitzen bis zu 2865 m emporsteigend. Von ihm fließen die Gewässer drei Flüssen zu: der Drau (Gailitz), Isonzo und Save; er teilt auch drei Sprach- und Völkergebiete: Deutsche, Slawen, Italiener. Erstiegen wurde er zuerst 1778 vom Arzt Willonitzer, seitdem insbesondere 1822 von Hauptmann Bosio behufs Vermessungsarbeiten. Gegenwärtig ist die Besteigung durch einen verbesserten Weg und eine Unterkunftshütte erleichtert.
Tergnier (spr. ternjeh), Dorf imfranz. Departement Aisne, Arrondissement Laon, wichtiger Knotenpunkt der Nordbahn (Linie Paris-Jeumont mit Abzweigungen nach Amiens und Laon), mit Eisenbahnwerkstätten, Zuckerfabrik und (1881) 3536 Einw.
Terlan, Dorf in Südtirol, Bezirkshauptmannschaft Bozen, an der Etsch und der Bozen-Meraner Bahn, mit gotischer restaurierter Kirche, berühmtem Weinbau und (1880) 1315 Einw. In der Nähe die Ruinen der Burg Maultasch.
Terlizzi, Stadt in der ital. Provinz. Bari, Kreis Barletta, 12 km vom Adriatischen Meer, mit Ringmauern und Kastell, Wein- und starkem Mandelbau und (1881) 20,442 Einw.
Terme (franz.), Grenzstein; viereckiger schlanker Pfeiler, der oben oft in eine Büste ausläuft; auch s. v. w. Ausdruck, Kunstwort (terminus). Hermes, Termite.
Termin (v. lat. terminus "Grenze", Tagfahrt), Zeitpunkt, zu welchem eine bestimmte Handlung, namentlich eine Rechtshandlung, vorgenommen werden muß, im Gegensatz zur Frist, binnen welcher dies zu geschehen hat. Die Folgen der Versäumnis eines Termins, welche den Ungehorsamen (contumax) treffen, richten sich nach dem in der Ladung angedrohten Rechtsnachteil.
Terminaliia L., Gattung aus der Familie der Kombretaceen, Bäume und Sträucher mit wechsel-, selten fast gegenständigen Blättern, kleinen, meist grünen oder weißen Blüten in lockern Ähren, selten in Köpfchen, und eiförmiger, kantig zusammengedrückter oder zwei- bis fünfflügeliger Steinfrucht. 80-90 Arten. T. Catappa L., in Ostindien, dort und in Westindien kultiviert, liefert Samen, die wie Mandeln benutzt werden. T. Chebula Retz (Myrobalanus Chebula Gärtn., s. Tafel "Gerbmaterialien liefernde Pflanzen"), in Ostindien, liefert die gerbsäurehaltigen Myrobalanen (s. d.). Auch die Früchte von T. citrina Roxb., T. belerica Roxb. und andern Arten kommen als Myrobalanen in den Handel.
Terminalien (lat.), s. Terminus.
Terminei (lat.), abgegrenzter Bezirk.
Termingeschäft, Terminkauf, s. v. w. Lieferungsgeschäft und Lieferungskauf (s. diese Artikel).
Terminieren (lat.), begrenzen, festsetzen; als Bettelmönch Gaben sammelnd umherziehen. Terminismus, s. v. w. Determinismus.
Termini Imerese, Kreishauptstadt in der ital. Provinz Palermo (Sizilien), in herrlicher Lage an der Mündung des San Lionardo (auch Fiume T.) ins Tyrrhenische Meer und an der Eisenbahn Palermo-Girgenti, hat eine Hauptkirche im Renaissancestil, ein Tribunal, Hauptzollamt, Gymnasium, Lyceum, eine technische Schule, Bibliothek und (1881) 22,733 Einw.. die sich besonders mit Thunfisch- und Sardellenfang, Handel (Ausfuhr von Schwefel, Fischen, Gemüsen, getrockneten Früchten) und Schiffahrt beschäftigen. Vom Hafen von T. liefen 1886: 552 Schiffe mit 21,805 Ton. aus. An Stelle des 1860 geschleiften Kastells wurde ein Garten angelegt. Ostwärts im untern Stadtgebiet liegen stark besuchte Bäder (die antiken Thermae Himerenses), welche reiche Mengen an kohlensaurem und schwefelsaurem Kalk, Chlormagnesium und Kochsalz nebst freiem Schwefelwasserstosfgas bei einer Temperatur von 44° C. enthalten und gegen Rheumatismus, Hautkrankheiten und Nervenleiden benutzt werden. Von der alten Stadt sind noch Reste eines Amphitheaters, eines Aquädukts u. a. vorhanden.
Terministischer Streit, Streit über die Ausdehnung der von Gott dem Sünder gestatteten Gnadenzeit, hervorgerufen 1698 durch die vom Diakonus Böse in Sorau aufgestellte und von Leipziger Professoren unterstützte Behauptung, daß die göttliche Gnade jedem Menschen zu seiner Bekehrung nur bis zu einem gewissen Termin offen stehe, während die Wittenberger und Rostocker Theologen eine Bekehrung auch noch im Todeskampf für möglich hielten. Vgl. Hesse, Der terministische Streit (Gießen 1877).
Terminologie (lat. -griech.), Inbegriff der sämtlichen in einer Wissenschaft, einer Kunst, einem Handwerk etc. gebrauchten Fach- oder Kunstausdrücke (termini technici); auch die Lehre von solchen Kunstausdrücken und ihre Erklärung.
Terminrechnung (Termin-Reduktionsrechnung), die Berechnung eines gemeinschaftlichen mittlern Zahlungstermins für mehrere zu verschiedenen Zeiten fällige unverzinsliche Kapitalien. Die gewöhnliche Regel, nach der man im kaufmännischen Verkehr, wo es sich um kurze Termine handelt, stets rechnet, besteht darin, daß man jedes Kapital mit seiner Verfallzeit multipliziert, die Summe aller Produkte bildet und sie mit der Summe der Kapitalien dividiert. Sind also 1200 Mk. in einem Jahr, 800 Mk. in 2 Jahren, 1500 Mk. in 4 Jahren und 2500 Mk. in 5 Jahren zahlbar, so hat man 1200.1 + 800.2 + 1500.4
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Terminus - Termiten.
+ 2500.5 = 21,300, und der mittlere Zahlungstermin für die Gesamtsumme von 6000 Mk. ist daher x = 21300/6000 = 3 11/20 Jahre oder 3 Jahre 6 Monate 18 Tage. Dieses durch Einfachheit sich auszeichnende Verfahren wird oft mit Unrecht für falsch erklärt; es findet seine vollständige Rechtfertigung darin, daß bei Anwendung desselben der Gläubiger, wenn er jedes Kapital am Tag des Empfangs verzinslich anlegt, zuletzt an Kapital und Zinsen dieselbe Summe in der Hand hat, wobei es gleichgültig ist, ob die ursprünglichen Termine innegehalten werden, oder ob die ganze Summe auf einmal gezahlt wird.
Terminns (lat.), Grenz- oder Markstein; sodann der Gott, unter dessen Obhut die Grenze gestellt war, daher Beschützer des Eigentums, dem alle Grenzsteine heilig waren, weshalb das Setzen derselben stets unter religiösen Zeremonien geschah. König Numa stiftete ihm zu Ehren ein besonderes Fest, die Terminalien, welche 23. Febr., als dem Ende des altrömischen Jahrs, gefeiert wurden. In dem Jupitertempel auf dem römischen Kapitol befand sich ein ihm geweihter Grenzstein, der beim Bau des Tempels nicht hatte weichen wollen. Später ist T. auch Beiwort des Jupiter. Die Darstellungen des T. auf römischen Denaren sind stets in Form von Hermen gehalten. In der Sprache der Logiker ist T. s. v. w. Begriff (s. Schluß); in England Bezeichnung der großen Zentralbahnhöfe (s. v. w. Endstation).
Terminus technicus (lat.), s. v. w. Kunstausdruck.
Termiten (Unglückshafte, weiße Ameisen, Termitina Burm.), Insektenfamilie aus der Ordnung der Falschnetzflügler, gesellig lebende Insekten mit länglichem, oberseits mehr abgeflachtem, unterseits gewölbtem Körper, freiem, nach unten gerichtetem Kopf, runden Augen, keinen oder zwei Nebenaugen, kurzen, perlschnurartigen Fühlern, aufgetriebenem Kopfschild, kräftigen Mundteilen, schlanken, kräftigen Beinen mit viergliederigen Tarsen und, sofern sie geflügelt sind, mit vier gleich großen, langen und hinfälligen Flügeln. Neben den fortpflanzungsfähigen, geflügelten Individuen existieren zwei Formen geschlechtsloser, ungeflügelter, mit verkümmerten männlichen oder weiblichen Geschlechtsorganen, nämlich Soldaten, mit großem, quadratischem Kopf und langen, kräftigen Mandibeln, und Arbeiter, mit kleinem, rundlichem Kopf, verborgenen Mandibeln und wenig entwickeltem Mittelleib. Die Arbeiter besorgen den Aufbau der gemeinsamen Behausung und die Pflege der Brut, den Soldaten liegt die Verteidigung der Kolonie ob, den an Individuenzahl weit zurückstehenden geflügelten T. aber die Erhaltung der Art. Die Termitenkönigin ist ein seiner Flügel entledigtes, befruchtetes Weibchen, dessen Hinterleib durch die Anschwellung der eine ungemein große Anzahl von Eiern enthaltenden Eierstöcke eine enorme Ausdehnung erhalten hat. Ob sich in jeder Kolonie nur eine solche Königin nebst zugehörigem Männchen (König) in einer besonders geräumigen Zelle tief im Mittelpunkt des Baues vorfindet, oder ob deren mehrere zugleich vorhanden sind, ist noch nicht sicher ermittelt. Jedenfalls hat das sparsame Vorkommen befruchteter Individuen nur in äußern Umständen seinen Grund, indem die große Mehrzahl nach vollzogener Begattung den Vögeln etc. zum Opfer fällt. Die Eier sind walzig, bisweilen gekrümmt, an den Enden abgerundet und von ungleicher Größe. Die Larven sind anfangs stark behaart, haben undeutliche Augen, kürzere Fühler und verwandeln sich durch mehrere Häutungen in die vollkommenen Insekten. Zu der Zeit, wo sich die geschlechtlichen Individuen in einer Kolonie entwickelt haben, gerät die ganze Bevölkerung in große Unruhe, und die geflügelten Männchen und Weibchen verlassen den Haufen, um sich in der Luft zu begatten und gleich darauf ihre Flügel nahe der Wurzel abzubrechen. Die Bauten der T. sind sehr verschieden; sie werden entweder in Baumstämmen oder am Erdboden selbst angelegt, im letztern Fall häufig in Form von Hügeln, die in Afrika eine Höhe von 5 m und am Fuß einen Umfang von 19 m erreichen. Diese großen Bauten bestehen hauptsächlich aus Thon und besitzen große Festigkeit; sie enthalten zahlreiche Zellen und Gänge, von denen erstere als Wiegen für die Brut, letztere zur Kommunikation zwischen allen Teilen des Baues dienen. Oft stehen viele Hügel durch ein System überwölbter Straßen miteinander in Verbindung und bilden gewissermaßen eine einzige Kolonie. Andre Arten leben im Sand unter der Erdoberfläche und bauender röhrenartige Gänge, umgeben Wurzeln oder Äste im Boden mit erhärtendem Material und weilen in diesen Röhren, bis das Holz aufgezehrt ist. Wieder andre Arten nagen Gänge in das Holz der Bäume, kleiden die Wandungen mit Kot aus, und so entstehen, indem die Gänge immer näher aneinander rücken und das Holz zuletzt völlig aufgezehrt wird, Bauten, die in ihrem Gefüge an einen Schwamm erinnern und zuletzt auch außerhalb des Baumes fortgeführt werden. Viele Arten sind ein Schrecknis der heißen Länder; sie dringen scharenweise in die menschlichen Wohnungen und zerstören namentlich Holzwerk, indem sie dasselbe im Innern völlig zerfressen, die äußere Oberfläche aber verschonen, so daß scheinbar unversehrte Gegenstände bei geringer Erschütterung zusammenbrechen. Die T. führen ihre Arbeiten nur nachts aus und unternehmen auch weite Wanderungen; ihre ärgsten Feinde sind die Ameisen, die förmlich gegen sie zu Felde ziehen. Man kennt etwa 80 lebende Arten in allen heißern Ländern, bis 40° nördl. und südl. Br., in Frankreich bis Rochelle (s. unten), besonders zahlreich vertreten in Afrika und Amerika. Fossile Arten finden sich schon in der Kohlenformation, am häufigsten aber im Bernstein und im Tertiär. Die kriegerische Termite (Termes bellicosus Smeathm., T. fatale L.), 1,8 cm lang, 6,5-8,0 cm breit, ist dunkelbraun, mit heller geringelten Fühlern, am Mund, an den Beinen und am Bauch rostgelb, mit gelblichen, undurchsichtigen Flügeln, im größten Teil des tropischen Afrika heimisch, baut hohe, unebene, mit vielen Hervorragungen versehene Erdhügel, die sich allmählich abrunden und mit dichter Vegetation bedecken. Die Umgebung der Hügel besteht in einem Thonwall von 15-47 cm Stärke und enthält Zellen, Höhlungen und Wege. Die schreckliche Termite (T. dirus Klug., s. Tafel "Falschnetzflügler") lebt in Brasilien in Erdlöchern und unter Steinen von den Wurzeln verfaulender Bäume. Die lichtscheue Termite (T. lucifugus Rossi), 9 mm lang, 20 mm breit, ist schwarz, am Mund, an der Schienenspitze und den Tarsen gelblich, mit gerunzelten, rauchigen, schwärzlich gerandeten Flügeln, findet sich überall in Südeuropa, ist in Frankreich bis Rochefort und Rochelle vorgedrungen und hat in letzterer Stadt an den Holzpfählen, auf welchen diese erbaut ist, arge Verwüstungen angerichtet. Manche T. werden in den heißen Ländern von den Eingebornen gegessen. Vgl. Hagen, Monographie der T. ("Linnaea entomologica". Bd. 10, 12, 14); Lespés, Recherches sur l'organisation et les moeurs du Termite lucifuge ("Annales des sciences naturelles", Serie 4, Bd. 5).
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Termoli - Terpentin.
Termoli, Flecken in der ital. Provinz Campobasso, Kreis Larino, am Adriatischen Meer und an der Eisenbahn Ancona-Foggia, von welcher hier die Linie über Campobasso nach Benevent abzweigt, ist Bischofsitz, hat ein Kastell (von 1247), eine im 16. Jahrh. gebaute Kathedrale, einen Hafen und (1881) 3963 Einw.
Termonde, Stadt, s. Dendermonde.
Ternate, eine Insel der Molukken, an der Westküste von Dschilolo, hat einen 1675 m hohen Vulkan, reiche Vegetation und 9000 Einw. und bildet mit Teilen von Celebes, den Suluinseln, dem Nordteil der Molukken (Dschilolo) u. a. die niederländische Residentschaft T. mit einem Areal von 238,956 qkm (4339,7 QM.) mit (1885) 109,947 Einw., worunter 308 Europäer und 465 Chinesen. Zur Residentschaft gehören außer dem eigentlichen Regierungsgebiet die abhängigen Reiche T., Tidore (wozu auch die Westhälfte von Neuguinea) und Batjan. Die Stadt T., mit 6000 Einw., ist Sitz des niederländischen Residenten, hat einen prächtigen Dalem oder Palast des Sultans und daneben das Fort Oranien.
Ternaux (spr. -noh), Guillaume Louis, Baron, Industrieller, geb. 8. Okt. 1763 zu Sedan, erlernte bei seinem Vater die Handlung und übernahm 1778 dessen Geschäft. Nach dem Ausbruch der Revolution mußte er 1793 fliehen; doch kehrte er schon unter dem Direktorium zurück, ging nach Paris und begründete nach und nach über das ganze Land, ja selbst im Ausland, Fabriken, machte mehrere wichtige Erfindungen in der Mechanik und führte die Spinnmaschinen und zur Erzeugung bessern Rohstoffs sächsische Widder und Kaschmirziegen in Frankreich ein. Auch die Weberei suchte er zu heben und begründete die Fertigung der feinern Shawls. Nach der ersten Restauration wandte er sich den Bourbonen zu und ging daher 1815 während der Hundert Tage mit Ludwig XVIII. nach Gent. Nach der zweiten Restauration ward er mehrfach von der Regierung ausgezeichnet und zu Rate gezogen, doch schloß er sich 1827 in der Kammer völlig der Opposition an und beteiligte sich auch an der Julirevolution. Er starb 2. April 1833 in St.-Ouen.
Terne (Ternion, lat.), Zusammenstellung je dreier Dinge aus einer größern Anzahl, insbesondere beim Lottospiel jede Zusammenstellung von drei bestimmten Nummern unter den vorhandenen 90.
Terneuzen, Stadt, s. Neuzen.
Terni, Kreishauptstadt in der ital. Provinz Perugia (Umbrien), zwischen zwei Armen der Nera, an der Eisenbahn Rom-Foligno, in welche hier die Bahn Castellammare Adriatico-Aquila-T. einmündet, ist Sitz eines Bischofs und eines Handelsgerichts, hat eine Kathedrale (1653 von Bernini erbaut), eine Kirche, San Francesco, mit schönem gotischen Glockenturm, ein Theater, ein Lyceum, Gymnasium, Institut für Mechanik und Konstruktionslehre, Orangen-, Oliven-und Maulbeerkultur, Tuch- und Lederindustrie, große, neueingerichtete Eisenwerke (vorwiegend für maritime und Eisenbahnzwecke) und (1881) 9415 Einw. - T. ist das alte Interamna Umbrica, angeblich die Vaterstadt des Geschichtschreibers Tacitus, und enthält von der antiken Stadt noch Ruinen eines Amphitheaters, eines Sonnentempels etc. In der Nähe der berühmte Wasserfall des Velino (s. d.). Bei T. wurden 27. Nov. 1798 die Neapolitaner von den Franzosen geschlagen.
Ternströmiaceen, dikotyle, etwa 260 Arten umfassende, im tropischen Amerika und dem südlichen Asien einheimische Pflanzenfamilie ausder Ordnung der Cistifloren, Bäume und Sträucher mit wecselständigen, oft an den Zweigspitzen in Büscheln stehenden, einfachen, gewöhnlich lederartigen, immergrünen, meist durchscheinend punktierten, fiedernervigen Blättern mit am Grund artikuliertem Blattstiel und meist fehlenden Nebenblättern und mit zwitterigen, bisweilen durch Fehlschlagen eingeschlechtigen, regelmäßigen Blüten. Der bisweilen spiralig geordnete und unbestimmtzählige Kelch ist in andern Fällen fünfzählig, die freien Blumenblätter wechseln meist mit den Kelchblättern ab, die zahlreichen Staubgesäße stehen in mehreren Kreisen oder in fünf aus einer gemeinsamen Anlage hervorgehenden Bündeln beisammen. Die 2-5 Fruchtblätter verwachsen stets und tragen im Innenwinkel zwei Samenknospen. Die Frucht bildet sich zu einer wand- oder fachspaltigen Kapsel oder beerenartigen Steinfrucht aus. Vgl. Choisy, Mémoire sur les Ternstroemiacées ("Mémoires de la Société physique", Bd. 14, Genf). Mehrere Arten der Gattungen Ternstroemia Mut.. Freziera Sw. u. a. kommen fossil in Tertiärschichten vor. Manche T. werden als Heilmittel angewendet; die Gattung Thea L. zeichnet sich durch den Gehalt an Kaffein aus. Beliebte Schmuckpflanzen sind die japanischen Kamelien (Camellia-Arten).
Terpándros (Terpander), griech. Musiker und Lyriker aus Antissa auf Lesbos, ist der Schöpfer der klassischen Musik der Griechen und damit Begründer der griechischen Lyrik, indem er zuerst den alten choralartigen Gesängen zu Ehren des Apollon, den sogen. Nomen, durch regelmäßige Gliederung eine künstlerische Ausbildung gab und statt der bisherigen viersaitigen Kithara die siebensaitige erfand. Nach Sparta zur Schlichtung innerer Zwistigkeiten auf Geheiß des delphischen Orakels berufen, ordnete er das dorische Musikwesen und siegte 676 v. Chr. in dem ersten musischen Wettkampf am Feste der Karneen, ebenso zwischen 672 und 648 viermal hintereinander bei den Pythischen Spielen. Von seinen Dichtungen sind nur wenige Verse erhalten (bei Bergk, "Poetae lyrici graecl", abgedruckt).
Terpentin (Terebinthina), balsamartige Masse, welche durch Einschnitte aus den Stämmen von Nadelhölzern gewonnen wird (s. Fichtenharz). Der gemeine T. wird aus Pinus maritima Lamb., P. laricio Poir., P. silvestris L., Abies excelsa Lam. und A. pectinata Dec. sowie aus mehreren amerikanischen Arten gewonnen. Die Ausbeute ist sehr verschieden. Man rechnet z. B. in Österreich auf den Stamm jährlich 2 kg T., während man in Westfrankreich etwa 3,6 kg erhält und starken Fichten, besonders alleinstehenden, auf deren Erhaltung es nicht weiter abgesehen ist, in einem Jahr bis 40 kg T. abgewinnen kann. Der gemeine T. bildet eine mehr oder weniger klare, gelblichweiße, honigdicke, stark klebende Masse, reagiert sauer, riecht nach Terpentinöl, ist löslich in Alkohol, Äther, ätherischen Ölen und in nicht überschüssiger Kalilauge, enthält 15-30 Proz. Terpentinöl, Harz, Harzsäuren (Pinarsäure, Pininsäure, Sylvinsäure, Abietinsäure), wenig Ameisensäure und Bernsteinsäure. Im frischen T. findet sich Abietinsäureanhydrid; dies nimmt aber Wasser auf, und es scheiden sich wetzsteinähnliche Kristalle von Abietinsäure aus, durch welche der T. trübe und krümelig wird. Im Handel unterscheidet man: deutschen T. von kaum bitterm Geschmack; ihm ähnlichen französischen T., welcher weniger Terpentinöl enthält; Straßburger T. von der Weißtanne, welcher bald hell und klar wird, zitronenartig riecht, sehr bitter schmeckt und 35 Proz. Terpentinöl enthält; amerikanischen T., weißlichgelb, zäh, von kräftigem Geruch, sehr scharf bitterm Geschmack und geringem Terpen-
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Terpentinbaum - Terrain.
tinölgehalt. Der venezianische T. von der Lärche (Larixeuropaea Dec.) wird in Südtirol aus dem Kernholz durch Bohrlöcher gewonnen, welche man zu Ende des Winters anlegt, verstopft und erst im Herbst wieder öffnet, um den angesammelten T. abzuzapfen. Dieser T. ist gelblich bis bräunlich, fast klar, zähflüssig und scheidet nicht Kristalle aus. Kanadabalsam von Abies balsamaea Marsh, A. Fraseri Pursh und A. canadensis Mich., in Nordamerika aus Blasen in der Rinde dieser Bäume gewonnen, ist vollkommen klar, hellgelb, riecht angenehm aromatisch, schmeckt bitter, mischt sich mit absolutem Alkohol, enthält 24 Proz. ätherisches Öl, scheidet keine Kristalle aus und wird hauptsächlich zur Darstellung mikroskopischer Präparate benutzt. Unter T. verstand man im Altertum den Harzsaft der Pistacia Terebinthus, und erst später wurde der Name auf den Saft der Koniferen übertragen, den man auch schon im Altertum benutzte. T. gibt beim Kochen mit Wasser Terpentinöl und hinterläßt ein Harz (gekochten T., Glaspech), bei Destillation ohne Wasser Kolophonium. Man benutzt ihn zur Darstellung von Terpentinöl, Salben, Pflastern, Firnissen, Lacken, Siegellack, Kitt. Vgl. Winkelmann, Die Terpentin- und Fichtenharzindustrie (Berl. 1880).
Terpentinbaum, s. v. w. Pistacia.
Terpentingallen (Carobbe), s. Pistacia.
Terpentinhydrat, s. Terpentinöl.
Terpentinkiefer, s. Kiefer, S. 714.
Terpentinöl (Terpentinspiritus), ätherisches Öl, findet sich in allen Teilen der Nadelhölzer aus den Gattungen Pinus, Picea, Abies, Larix, wird durch Destillation aus dem Terpentin dieser Bäume gewonnen und zeigt je nach der Abstammung gewisse Abweichungen in den Eigenschaften, besonders das direkt durch Destillation der Pflanzenteile mit Wasser gewonnene Öl (Fichtennadelöl, Templinöl etc.), unterscheidet sich nicht unwesentlich von dem aus Terpentin gewonnenen. Das rohe Öl ist dünnflüssig, farblos oder gelblich, klar, löst sich in 8-10 Teilen Alkohol, verharzt leicht an der Luft unter Bildung von Ameisensäure und Essigsäure und wird dickflüssig. Zur Reinigung wird es am besten mit Dampf unter Zusatz von etwas Ätzkalk rektifiziert (Terpentinspiritus). Es ist dann farblos, dünnflüssig, riecht stark, schmeckt brennend, spez. Gew. 0,86-0,89, löst sich in 10-12 Teilen 90proz. Alkohol, mischt sich mit Äther, siedet bei 152-160°; es löst Schwefel, Phosphor, Harz, Kautschuk und manche andre Körper, absorbiert Sauerstoff, verwandelt ihn teilweise in Ozon und verharzt allmählich (unter Bildung von Ameisensäure). T. besteht aus einem Kohlenwasserstoff C10H16. Bei längerm Stehen mit Wasser bildet es den Terpentinkampfer (Terpinhydrat, Terpentinhydrat) C10H16. 2H2O+H2O, welcher sich in farb- und geruchlosen, leicht löslichen Kristallen ausscheidet. Dieser schmeckt aromatisch, löst sich in 200 Teilen Wasser, in 6 Teilen Alkohol und wird als harntreibendes, expektorierendes Mittel und gegen Neuralgien benutzt. Mit trocknem Chlorwasserstoff bildet T. salzsaures T. (künstlichen Kampfer) C10H17Cl in farblosen Kristallen, welche kampferartig riechen und schmecken, in Alkohol und Äther löslich sind und bei 115° schmelzen. Öxydierende Substanzen verwandeln T. in Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure etc. T. erzeugt auf der Haut bei längerer Einwirkung Schmerz, Rötung, Geschwulst und Bläschen; innerlich wirkt es in größern Gaben giftig, auch beim Einatmen der Dämpfe; man benutzt es bei Neuralgien, Diphtheritis, Lungengangräne, Gallensteinkolik, gegen Würmer, bei Gonorrhöe, Blasenkatarrh, Typhus etc., äußerlich als reizendes, kräftigendes Mittel, in der Technik zu Lacken, Firnissen, Anstrichfarben, zum Bleichen des Elfenbeins, früher auch als Leuchtmaterial. - Künstliches T., s. Erdöl, S. 767.
Terpentinspiritus s. Terpentinöl. Terpentinhydrat [s. Terpentinöl.]
Terpsichore (die "Tanzfrohe"), eine der neun Musen, später besonders die Muse der Tanzkunst und des Chorgesanges; führte in Bildwerken eine große Leier und in der Rechten das Plektron. Vgl. Musen (mit Abbildung).
Terra (lat.), Erde, Land; T. incognita. unbekanntes Land; T. firma, Festland; T. di Siena, Sienaerde (s. Bolus); T. foliata tartari, essigsaures Kali; T. foliata tartari crystallisata, essigsaures Natron; T.inebriata, glasierte Thonwaren in der Art der Robbia-Arbeiten; T. japonica, s. Katechu; T. lemnia, Siegelerde (s. Bolus); T. ponderosa, Schwererde, Baryt; T. sigillata, s. Bolus; T. tripolitana Tripel; T. umbria, schwarze Kreide.
Terracina (spr. -tschina), Stadt in der ital. Provinz Rom, Kreis Velletri, am gleichnamigen Golf des Tyrrhenischen Meers, früher wichtiger Punkt an der Straße von Rom nach Neapel, ist Sitz eines Bischofs, hat eine Kathedrale (an der Stelle eines antiken Tempels), Ruinen eines Palastes des Gotenkönigs Theoderich, einen Hafen, von welchem 1886: 446 beladene Schiffe mit 15,509 Ton. ausliefen, Fischerei, Handel (Ausfuhr von Holzkohle) und (1881) 6294 Einw. T. ist das alte volskische Anxur an der Via Appia und hat noch mehrere römische Altertümer. Die Umgegend ist wegen ungesunder Luft berüchtigt.
Terra cotta (ital.), s. Terrakotten.
Terra di Lavoro, ital. Provinz, s. Caserta.
Terra di Siena, hellbraune Farbe, in der Malerei vorzugsweise zu Lasuren verwendet.
Terra d'Otranto, ital. Provinz, s. Lecce.
Terra firma (lat.), festes Land, im Gegensatz zu den Inseln; insbesondere Bezeichnung aller aus dem Festland Italiens der Herrschaft der Venezianer unterworfenen Landschaften, nämlich: das Herzogtum Venedig, die venezianische Lombardei, die Treviser Mark, das Herzogtum Friaul und Istrien. Auch hieß so (span. Tierra firma) das nördliche Küstenland Südamerikas (das spätere Kolumbien) und im engern Sinn die Landenge von Panama.
Terrafirmaholz, s. Rotholz.
Terrain (franz., spr. -ráng, Gelände), eine Strecke Land von bestimmter Bodenbeschaffenheit, Gestaltung, Bebauung und Bewachsung, besonders als Schauplatz kriegerischer Thätigkeit. Einzelne im T. vorhandene, in sich abgegrenzte und hervorragende Teile, wie Dörfer, Gärten, Waldungen etc., nennt man Terraingegenstände. Längere Strecken, deren Beschaffenheit die Gangbarkeit unterbricht, wie Wasserläufe, Einsenkungen, Höhenzüge etc., bilden Abschnitte im T. Wo größere Flüsse oder Ströme, Gebirgsketten, Sumpf- und Moorgebiete u. dgl. solche Abschnitte trennen, nennt man letztere auch besondere Kriegstheater. Offen heißt ein T. ohne die Übersicht hindernde Terraingegenstände im Gegensatz zum bedeckten T., in welchem Bewachsung und Anbau die Übersicht hindern. Durchschnitten oder koupiert heißt das T. im Gegensatz zum reinen, wenn Wasserläufe, Gärten, Hecken, Mauere etc. die Bewegung hemmen. Über die Darstellung des Terrains auf Karten etc. s. Planzeichnen. Die Terrainlehre, d. h. die wissenschaftliche Beurteilung des Terrains nach seiner Benutzbarkeit für die Verwendung der
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Terra incognita - Terrakotten.
Truppen im Krieg, bearbeiteten theoretisch: Pönitz (2. Aufl., Adorf 1855), O'Etzel (4. Aufl., Berl. 1862), Koeler (das. 1865), v. Böhn (Potsd. 1868), v. Waldstätten (3. Aufl., Wien 1872), Frobenius (Berl. 1876, 2 Bde.), v. Rüdgisch (Metz 1874), Streffleur (Wien 1876), Ulrich (Münch. 1888) u. a. In der Geologie ist T. meist gleichbedeutend mit "Formation", z. B. T. houiller, f. v. w. Steinkohlenformation; T. salifere, s. v. w. Salzgebirge (Trias formation).
Terra incognita (lat.), unbekanntes Land.
Terrainkurorte, s. Klimatische Kurorte, S. 846.
Terrainwinkel, der Winkel zwischen einer wagerechten und einer vom Geschützstand nach dem Fußpunkt des Ziels gedachten Linie. Liegt das Ziel höher als der Geschützstand, so ist der T. positiv, andernfalls negativ. Beim Richten mit dem Quadranten muß der erstere vom Erhöhungswinkel abgezogen, der negative diesem zugerechnet werden; s. Elevation.
Terrakotten (v. ital. terra cotta. "gebrannte Erde", hierzu Tafel "Antike Terrakotten"), jetzt allgemeiner Name für alle künstlerisch ausgestatteten Produkte der Töpfer und Thonbildner wie der Bildhauer überhaupt, die sich mit Kleinplastik beschäftigen. Die Technik des Formens in Thon aus freier Hand, vermittelst der Hohlform oder auf der Drehscheibe ist uralt und war schon bei den Ägyptern, dann auch bei den Babyloniern und Assyrern hoch entwickelt. Mit bemalten und glasierten Thonfliesen sind am Nil ebenso wie am Tigris und Euphrat Wände und Fußboden der Wohnungen belegt worden. Aber erst in Griechenland wird die Technik aufs höchste verfeinert, die Form geadelt und mit jener Farbenpracht geschmückt, welche der klassischen Kunst in allen ihren Äußerungen eigen war. Die Aufgaben der Keramik in dieser Zeit sind doppelter Art, sie arbeitet teils im Dienste der Architektur und Tischlerei, teils schafft sie selbständige Gebilde: Gefäße oder Figuren der verschiedensten Größe, Gestalt und Bestimmung. Der erstgenannten Gattung gehören die kastenartigen, bunt bemalten und hart gebrannten Thonplatten an, welche in ältester Zeit (7. u. 6. Jahrh. v. Chr.) in Griechenland zur Verkleidung der Gesimsbalken an Tempeln, Schatzhäusern etc. verwendet worden sind, und deren sich eine große Anzahl in Olympia, in Sizilien und an der von Griechen bewohnten unteritalischen Küste vorgefunden haben. Sie waren in Olympia mit Nägeln auf die steinernen (ursprünglich aus Holz gefertigten) Geisonblöcke befestigt und dienten dem geringern Material (poros), das sie bedeckten, als Schutz und Schmuck zugleich (vgl. Fig. 1 u. 3, T. von Olympia und Selinus, und die Schrift von Dörpfeld u. a.: "Über die Verwendung von T. am Geison und Dach griechischer Bauwerke", Berl. 1881). Auch späterhin, als dieser Gebrauch abgekommen, erhielt sich die Anwendung von T. als Dachstirnziegel (Fig. 10) und Wasserspeier (Fig. 2), und beliebt wurde zumal in römischer Zeit die Verzierung von Wandflächen mit thönernen, bunt bemalten Relieffriesen, deren viele in kampanischen Gräbern zum Vorschein gekommen sind. Hauptsammlungen der letztern im Britischen Museum (London), im Louvre (Paris) und im vatikanischen Museum (Rom). Vgl. Combe, Description of the collection of ancient terracottas in the British Museum (Lond. 1810; Campana, Opere in plastica (Rom 1842). Auch zur Verkleidung hölzerner Geräte benutzte man frühzeitig Thonreliefs, an denen der Hintergrund ausgeschnitten wurde, und deren Befestigung mit Nägeln die im Thon ausgesparten Löcher bezeugen. Eine aus zahlreichen Beispielen bekannte Klasse derselben bilden die nach dem Hauptfundort (Insel Melos) so genannten melischen Reliefs (Fig. 11). Auch Vasen pflegte man etwa seit dem 4. Jahrh. v. Chr. mit bemalten Reliefs an Stelle der einfachern Gemälde zu schmücken. Besondere Formen und Dekorationsweisen bilden sich in Athen, Etrurien (schwarze Reliefvasen, vasi di Bucchero) und Unteritalien (Fig. 4 u. 5) aus, während in der Kaiserzeit zumeist nur einfarbig rote, mit aus Hohlformen eingepreßten Reliefs verzierte Thonvasen (Fabriken von Cales etc.) gefertigt werden (ein Beispiel gibt Fig. 6). Die höchsten Leistungen dieser Technik erreichte man in der Koroplastik, in der Herstellung kleiner Rundfiguren, die in der Form gepreßt, gebrannt, dann mit Pfeifenthon überzogen, aus freier Hand nachmodelliert und in zarten Farbentönen bemalt wurden. Manche scheinen als Spielzeug, als Zimmerschmuck gedient zu haben. Die Mehrzahl wurde für Zwecke des Kultus und des Totendienstes geschaffen. Es waren Weihgeschenke an die Götter und Toten, daher sie vorzugsweise in Gräbern gefunden werden. Ein altertümliches Sitzbild der Athene aus einem attischen Grab zeigt Fig. 9. Der Blütezeit griechischer Kunst aber gehören die anmutigen Terrakottafiguren an, die in erstaunlichen Mengen neuerdings bei Tanagra in Böotien, in Myrrhina, Ephesos und andern Orten Kleinasiens, auch in Tarent (Unteritalien) ausgegraben worden sind. Der Farbenschmuck ist meist bei der Auffindung bereits zerstört, recht gut aber z. B. an einer Figur der früher dem Grafen Pourtalès-Gorgier angehörenden Sammlung (Fig. 7) erhalten. Die Gegenstände sind meist dem Alltagsleben entlehnt, schöne Mädchen zum Ausgehen angekleidet, mit dem Hut auf dem Kopf, allerlei Handwerker, spielende Knaben, seltener Darstellungen aus dem Kreis der Aphrodite und des Eros. Rundfiguren dieser Art wurden dann auch gern an Vasen angebracht (Fig. 8). In römischer Zeit fertigte man sogar lebensgroße Figuren aus Thon, für Giebelkompositionen oder als Grabdenkmäler. Die Renaissance brachte diese Technik wieder zu neuer Blüte und stellte selbst Porträtbüsten gern in Terrakotta her (Beispiele im Berliner Museum); vor allem aber erlangte die Schule der Robbia durch ihre in heitern Farben prangenden, glasierten Einzelreliefs (meist Madonnenbilder) hohen Ruf (vgl. Keramik und Thonwaren). Auch in der Architektur der Renaissance, besonders in der norditalienischen (lombardischen), gelangte die Terrakotta zum Schmuck der äußern und Hoffassaden in reich ornamentierten Gesimsen und Kranzgesimsen, Archivolten, Fensterumrahmungen, Pilasterfüllungen, Friesen, Medaillons und sonstigen Zieraten zur Verwendung. Zu unsrer Zeit hat die Baukunst zum Schmuck der Fassaden von Backsteinrohbauten noch ausgedehntern Gebrauch von der Terrakotta gemacht, indem auch einzelne architektonische Glieder, wie Kapitäler, Konsolen u. dgl., nur aus Terrakotta hergestellt werden, ferner ganze Friese, Eckakroterien, Figuren und Gruppen zur Bekrönung von Gebäuden, für Fontänen etc., wobei die Färbung des Thons meist in Übereinstimmung mit der Farbe der für die Fassade gewählten Backsteine (gelb oder rot in verschiedenen Nuancen) gehalten wird. Bei rein ornamentalen T. kommt auch ein- und mehrfarbige Glasur, selbst Vergoldung zur Anwendung. Der Backsteinbau mit Terrakottenverzierung blüht am meisten in den an Werksteinen armen Gegenden, besonders in Norddeutschland. Fabriken, welche sich mit Anfertigung von Ornamenten und Kunstgegenständen in Terrakotta beschäftigen, gibt es in Charlottenburg
ANTIKE TERRAKOTTEN.
Zum Artikel »Terracotta«
1. Sima und Geisonverkleidung vom Schatzhaus der Geloer in Olympia.
2. Wasserspeier aus Pompeji.
3. Sima vom Tempel C in Selinus.
7. Griechische Thonfigur der Sammlung Pourtales.
5. Unteritalische Vase.
4. Kampanische Reliefvase.
6. Römische gepreßte Terrakotte (Hermes).
11. Tänzerin mit Klappern (melische Relieffigur).
10. Etruskische Stirnziegel (Juno Caprotina).
8. Weinkrug aus Athen (geflügelter dionysischer Eros)
9. Thronende Athene (archaisch).
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Terralithwaren - Terrasse.
bei Berlin (March), Greppin bei Bitterfeld, Lauban, Ullersdorf, Tschauschwitz, Siegersdorf und Hansdorf, sämtlich in Schlesien. Vgl. d'Agincourt, Recueil de fragments de sculpture antique en terre cotte (Par. 1814); Panofka, T. des königlichen Museums in Berlin (Berl. 1842); Gruner, The terra-cotta architecture of North-Italy (Lond. 1867); Birch, History of ancient pottery (2. Aufl., das. 1873); Kekulé, Griechische Thonfiguren aus Tanagra (Stuttg. 1878); Derselbe, Die antiken T. (mit v. Rohden, das. 1880-84, 2 Bde.); "Griechische T. aus Tanagra und Ephesos im Berliner Museum" (Berl. 1878); Fröhner, Terres cuites d'Asie Mineure (Par. 1879).
Terralithwaren, s. Siderolithwaren.
Terramaren (v. ital. terra di mare. "Meereserde, angeschwemmtes Land"), in Parma, Modena und Reggio, vorwiegend in der Ebene zwischen Po und Apennin, hügelartige Erhebungen von 5 m und mehr Höhe und 60-70 m Durchmesser, hervorgegangen aus pfahlbauähnlichen Konstruktionen, die man in sumpfigem Terrain oder inmitten eines künstlich gegrabenen Bassins aufführte. Der Unrat und die Küchenabfälle wuchsen unter der Balkendecke allmählich an und bildeten den Kern des Hügels, auf dem die Menschen wohnen blieben, indem sie nur von Zeit zu Zeit ihre Wohnungen in ein etwas höheres Niveau verlegten. Bisweilen liegen die T. auf natürlichen Hügeln; auch fehlt bisweilen das Pfahlwerk. Einige T. sind wohl schon in der "neolithischen Zeit" bewohnt gewesen; die Mehrzahl derselben enthält jedoch primitive Bronzegegenstände, namentlich Haus- und Ackergeräte und Schmuckgegenstände, seltener Waffen. Die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Fundgegenständen und der Konstruktion der schweizerischen Pfahlbauten und der T. hat zu der Annahme geführt, daß die Besiedler der T. sowie die Bewohner der Pfahlbauten Piemonts, der Lombardei und Venetiens von Norden her über die Alpen gekommen seien. Helbig ("Die Italiker in der Poebene", Leipz. 1879) glaubt, daß die T. wie die Pfahlbauten an den oberitalienischen Seen von den Italikern herrühren und die ersten Niederlassungen dieses Volkes bilden.
Terranova, 1) (T. di Sicilia) Kreishauptstadt in der ital. Provinz Caltanissetta (Sizilien), am Mittelländischen Meer, in welches nahe östlich der Fluß T. mündet, mit Gymnasium, mehreren Kirchen, Resten von Befestigungen, einem Hafen, in welchem 1886: 752 Schiffe mit 50,259 Ton. einliefen, Handel (Einfuhr von Steinkohlen und Getreide, Ausfuhr von Getreide, Bohnen, Baumwolle, Baumwollsamen, Schwefel, Wein, Orangen), Thunfisch- und Sardellenfang und (1881) 16,440 Einw. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Es wurde von Kaiser Friedrich II. nahe an der Stelle des alten Gela erbaut, von welchem in letzterer Zeit einige Ausgrabungen gemacht wurden. - 2) (T. Pausania) Stadt in der ital. Provinz Sassari (Insel Sardinien), Kreis Tempio, am gleichnamigen Golf und der Eisenbahn Chilivani-Golfo degli Aranci gelegen, einst eine bedeutende Römerstadt, hat einen Hafen, aus welchem 1886: 421 Schiffe mit 105,355 Ton. ausliefen (Ausfuhr von Holzkohle, Kork, Käse), und (1881) 2671 Einw.
Terrarium (lat.), Vorrichtung zur Pflege und Zucht von Landtieren, entsprechend den für Wassertiere bestimmten Aquarien. Je nach dem speziellen Zweck, der mit den Terrarien verfolgt wird, erhalten dieselben sehr verschiedene Einrichtung. Die einfachsten Terrarien sind größere Kisten, die mit einem mit Drahtgaze bespannten Rahmen verschlossen werden. Zur bessern Beobachtung der Tiere ersetzt man eine oder mehrere Wände der Kiste durch Glasscheiben, auch wird der Boden vorteilhaft mit Zinkblech benagelt, auf welches man nach dem Anstreichen handhoch Erde schüttet. Aus dieser einfachsten Vorrichtung sind sehr luxuriöse Apparate hervorgegangen, welche namentlich dann am Platz sind, wenn man zur Pflege tropischer Tiere einer Heizeinrichtung bedarf. Man heizt mit Petroleum- oder Gasflamme oder sehr vorteilhaft mit Grude, die langsam und gleichmäßig verbrennt und ungemein billig ist. Die Heizung geschieht vom Boden aus, erfordert sorgfältige Regulierung, Überwachung der Luftfeuchtigkeit im T. und gute Ventilation. Je nach den zu pflegenden Tieren ist das T. verschieden einzurichten. Eidechsen und viele Schlangen brauchen trocknen Sand und trockne Schlupfwinkel, die Amphibien dagegen feuchtes Moos und größere Wasserbecken; fast immer erweist es sich vorteilhaft, im T. Pflanzen zu kultivieren, deren Auswahl sich nach der Temperatur und Feuchtigkeit, welche die Tiere fordern, richten muß. Für kleinere Tiere und zur Aufzucht der Jungen benutzt man Glasglocken, die, wenn es erforderlich ist, durch Einstellen in ein Wasserbad geheizt werden. In solchen oder ähnlichen kleinen Behältern kann man auch Reptilieneier ausbrüten. Zur Aufzucht von Amphibien dienen Aquarien, bis die Tiere das Wasser verlassen. In Häusern mit starken Mauern kann man Fensternischen mit Doppelfenstern als Terrarien einrichten und hier wie überhaupt Pflanzenkultur mit Tierpflege erfolgreich verbinden. Der Raum zwischen Doppelfenstern ist auch leicht zu heizen, wenn man über dem Fensterbrett einen zweiten Boden (am besten starkes, mehrfach gestütztes Blech) und in dem abgegrenzten Raum die Flamme anbringt. Will man sich auf die Zucht heimischer Reptilien und Amphibien beschränken, dann thut man gut, die Tiere in Winterschlaf fallen zu lassen, da die Fütterung im Winter umständlich und teuer ist. Die Einrichtung größerer Terrarien ist durchaus von den Verhältnissen abhängig. Im Freien hat man den für das T. bestimmten Raum mit einer etwa 1 m hohen Mauer umgeben und diese mit einem breiten, etwas abwärts geneigten Zinkblech bedeckt, um das Entschlüpfen der Tiere sicher zu vermeiden. In der Mitte des Raums wird aus Steinen ein Felsen errichtet, welcher hinlänglich Schlupfwinkel darbietet, auch passend bepflanzt und mit Geäst für die kletternden Tiere versehen wird. Der Boden muß ausreichende Abwechselung bieten, mit Sand, Moos, Steinen, Rasen bedeckt sein, auch ist für Wasserbehälter zu sorgen und, falls Gelegenheit vorhanden ist, kann man fließendes Wasser, auch wohl einen Springbrunnen, anbringen. Unter Umständen ist ein solches T. auch durch radiale Wände zu teilen, selbstverständlich aber eignet es sich nur für Tiere, welche gegen die Witterung keines andern Schutzes bedürfen, als wie sie der Felsen, das Moos oder der Erdboden darbieten. Für Säugetiere müssen ausreichende Vorkehrungen gegen das Entweichen getroffen werden, meist wird man das T. mit einem Oberbau aus Drahtgeflecht versehen müssen, und für grabende Tiere ist der Boden 1,5 m tief auszuheben, die Grube vollständig mit Mauerwerk auszukleiden und dann wieder mit Erde zu füllen. Vgl. Fischer, Das T. (Frankf. a. M. 1884); Dammer, Der Naturfreund, Bd. 1 (Stuttg. 1885); Lachmann, Das T. (Magdeb. 1888).
Terrasse (franz.), wagerecht abgeplattete Erderhöhung oder Erdstufe; insbesondere im Land- und Gartenbau Bezeichnung für die treppenförmigen Absätze zur Kultivierung von Bergabhängen. Jede T. bil-
600
Terrassierte Werke - Tersteegen.
det eine breite und hohe Stufe, welche sich in horizontaler Richtung über den ganzen Abhang ausdehnt. Die obere Seite der Stufe ist eine nur wenig nach vorn geneigte Fläche, die vordere Seite (Dossierung) eine nicht ganz senkrecht absteigende Wand, welche, wenn sie nicht aus natürlichem Fels besteht, durch eine Vormauer oder Rasenverkleidung verwahrt werden muß. Auch ein plattes Dach an einem Haus oder Turm (Plattform) wird oft als T. bezeichnet. Über den geographischen Begriff T. vgl. Thäler u. Hochgestade.
Terrassierte Werke, terrassenförmig angelegte Befestigungen, wie sie hauptsächlich bei Bergbefestigungen vorkommen.
Terrasson (spr. -ssóng), Stadt im franz. Departement Dordogne, Arrondissement Sarlat, an der Vézère und der Eisenbahn Périgueux-Figeac-Toulouse, mit Lehrerinnenbildungsanstalt, Kohlengruben, Stahlwarenfabrikation, Wollspinnerei und (1881) 2711 Einw.
Terrazzo (ital.), Söller, Terrasse; auch Estrich, in welchen kleine bunte Steine eingewalzt sind, so daß eine mosaikartige Wirkung entsteht.
Terre Haute (spr. tär oht), Stadt nahe der Westgrenze des nordamerikan. Staats Indiana, Grafschaft Vigo, am schiffbaren Wabash und am Wabash- und Eriekanal gelegen, hat breite und gerade, von Bäumen beschattete Straßen, einen Gerichtshof, ein Stadthaus, ein Lehrerseminar, eine kath. Töchterschule, lebhaften Handel (mit Schweinefleisch, Steinkohlen etc.) und (1880) 26,042 Einw.
Terremoto (span.), Erdbeben.
Terre-Noire (spr. tär-noáhr), Dorf im franz. Departement Loire, Arrondissement St.-Etienne, an der Eisenbahn Lyon-St. Etienne, zum Teil auf einem Hügel erbaut, welchen ein 1200 m langer Tunnel durchzieht, hat reiche Kohlengruben (Becken von St.-Etienne), großartige Eisenwerke (das Bessemerverfahren wurde hier in Frankreich zuerst angewendet) und (1886) 2792 (Gemeinde 6489) Einw.
Terres fortes (spr. tär fórt), s. Bordeauxweine.
Terresin, Mischung von Kohlenteer, Kalk und Schwefel, dient als Asphaltsurrogat.
Terréstrisch (lat.), auf die Erde bezüglich, irdisch.
Terreur (franz., spr. -ör, "Schrecken"), s. Terrorismus; la T. blanche, "der weiße Schrecken", die Reaktion nach 1815 (Anspielung auf die weiße Fahne der Bourbonen).
Terribel (lat.), schrecklich.
Terrine (franz.), "irdene" Suppenschüssel, welche im vorigen Jahrhundert dem Tafelgeschirr zugefügt wurde, später meist aus Porzellan, bisweilen auch aus Silber gefertigt; auch thönerne Deckelbüchsen für Gänseleber- und Geflügelpasteten. Hauptfabrikationsort für letztere ist Saargemünd.
Territion (lat.), früher die Bedrohung eines Angeschuldigten mit der Tortur (s. d.) durch Vorzeigen der Folterwerkzeuge, wodurch der Inquirent das Geständnis zu erzwingen suchte.
Territorial (lat.), ein Territorium (s. d.) betreffend, damit verbunden.
Territorialarmee, in Frankreich s. v. w. Landwehr.
Territorialdivisionen, in Belgien bis 1875 die drei großen Bezirke für die militärische Verwaltung. Territorialhoheit, die Gesamtheit der Befugnisse, welche der Staatsgewalt in Bezug auf das Staatsgebiet zukommen; im frühern Deutschen Reich s. v. w. Landeshoheit im Gegensatz zu der Reichshoheit.
Territorialprinzip (lat.), Rechtsgrundsatz, wonach der Erwerb eines Territoriums den Erwerb der Souveränität in sich schließt; auch der Grundsatz, wonach die in einem bestimmten Land Wohnenden unter der Gesetzgebung dieses Landes stehen und die dort vorgenommenen Rechtshandlungen, ebenso wie die dort begangenen Verbrechen, nach den Landesgesetzen beurteilt werden.
Territorialretrakt, s. Landlosung.
Territorialsytem, diejenige kirchenrechtliche Theorie, nach welcher der höchste Episkopat des Landesherrn ein Ausfluß der Landeshoheit sein soll. Das T. beruht auf dem Grundsatz: Cujus regio, ejus religio, d. h. wem im Lande die höchste Gewalt zusteht, dem gebührt auch die Regierung des Kirchenwesens. Es entstand als Übertreibung des Episkopalsystems (s. d.) und fand infolge des Westfälischen Friedens oft eine drückende Anwendung. Konsequent verfolgt, führt es zum Cäsareopapat (Cäsareopapie) oder weltlichen Papsttum und ward in dieser Weise besonders von Hobbes in den Schriften: "De cive" und "Leviathan" entwickelt. Eine wissenschaftliche Begründung erhielt das T. in Deutschland durch Pufendorf in der Schrift "De habitu religionis ad vitam civilem" (Brem. 1687). Im Gegensatz dazu stellte Chr. Matth. Pfaff das Kollegialsystem (s. d.) auf. Vgl. Kirchenpolitik, S. 765. - T. heißt auch ein Wehrsystem, nach welchem sich die Heeresorganisation an die Landeseinteilung anschließt, wo also die einzelnen Truppenteile sich aus den Wehrpflichtigen bestimmter Landesbezirke ergänzen, gewisse Landwehr- oder Landsturmformationen aufstellen. Die Anfänge eines solchen Systems bildet die Kantonverfassung (s. d.) Preußens. In den heutigen Heeresverfassungen der meisten Länder kommt das T. in einer oder der andern Form zum Ausdruck.
Territorium (lat.), Gebiet, im Mittelalter Amtsbezirk eines mit Verwaltung der kaiserlichen Hoheitsrechte betrauten Vasallen; dann, nachdem dergleichen Beamte zu Landesherren geworden, s. v. w. Landesgebiet im Gegensatz zum Reichsgebiet. In der nordamerikanischen Union versteht man unter T. (engl. territory) ein durch den Kongreß abgegrenztes Gebiet, welches durch einen vom Präsidenten ernannten Gouverneur verwaltet wird. Die gegenwärtig vorhandenen zehn Territorien (Alaska, Arizona, Dakota, Idaho, Indianerterritorium, Montana, Neumexiko, Utah, Washington und Wyoming) gehören nicht zu den selbständigen Staaten der Union. Sie entsenden zu dem Kongreß einen Abgeordneten, der jedoch nicht stimmberechtigt ist.
Terrorismus (lat.), Schreckenssystem, Schreckensherrschaft. Berüchtigt ist besonders der französische T. (la Terreur) zur Zeit der ersten Revolution (vom Mai 1793 bis 27. Juli 1794); die damaligen Gewalthaber hießen Terroristen, Schreckensmänner. Vgl. Ternaux, Histoire de la Terreur (Par. 1862 bis 1867, 8 Bde.). Terrorisieren, in Schrecken setzen, eine Schreckensherrschaft ausüben.
Tersane-Nasir (türk.), Arsenaldirektor.
Ter-Schelling, niederländ. Insel in der Nordsee, vor dem Eingang des Zuidersees, etwa 100 qkm groß mit drei Dörfern und (1887) 3685 Einw. T. ist Sitz eines deutschen Konsuls.
Tersteegen, Gerhard, Liederdichter und asketischer Schriststeller, geb. 25. Nov. 1697 zu Mörs, lebte als Bandmacher in Mülheim a. d. R., bis er sich seit 1728 ausschließlich der religiösen Schriftstellerei und dem Predigeramt in frommen Konventikeln widmete, und starb 3. April 1769 daselbst. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: "Geistliches Blumengärtlein" (neueste Ausg., Stuttg. 1884); "Brosamen" (Soling. 1773); "Gebete" (neue Aufl., Mülheim 1853) und seine "Briefe" (Soling. 1773-75, 2 Bde.).
Tertiärformation I.
Crassatella ponderosa (Art. Muscheln), äußere Seite.
Cancer macrocheilus. (Art. Krallen.)
Crassatella ponderosa, innere Seite.
Nummulites, Horizontaldurchschnitt der Schale. (Art. Nummuliten.)
von oben
von unten
Sciltella striata. (Art. Echinoideen.)
Nummulites nummularia, von oben.
Nummulites, von der Seite.
Limnaeus pyramidalis. (Art. Schlammschnecke.)
Rhombus minimus. (Art. Fische.)
Cerithium hexagonum. (Art. Schnecken.)
von der Seite
von vorn
Planorbis discus. (Art. Lungenschnecken.)
Zähne von Notidanus primigenius. (Art. Selachier.)
Turbinolia sulcata. (Art. Korallen.)
Kauplatte von Myliobatus punctatus. (Art. Selachier.)
Zahn von Carcharodon heterodon. (Art. Selachier.)
Tertiärformation II.
Schädel von Rhinoceros incisivus. (Art. Huftiere.)
Zeuglodon macrospondylus, restauriert. Verkleinerung 1/100. (Art. Wale.)
Anoplotherium commune, restauriert. (Art. Huftiere.)
Backenzahn von Mastodon australis. (Art. Mastodon und Rüsseltiere.)
Unterkiefer von Dryopithecus Fontani; natürliche Größe, a zerbrochener Eckzahn. (Art. Affen.)
Skelett des Megatherium Cuvieri. (Art. Megatherium und Zahnlücker.)
Platte mit einem Abdruck von Andrias Scheuchzeri. Kopf, Vorderfüße und Rückenwirbelsäule sind erhalten. (Art. Andrias.)
Mylodon robustus, restauriert. (Art. Megatherium und Zahnlücker.)
Kopf des Dinotherium giganteum, sehr stark verkleinert. (Art. Dinotherium und Rüsseltiere.)
Backenzahn von Dinotherium giganteum, von der Krone aus gesehen, sehr stark verkleinert.
Glyptodon clavipes. (Art. Zahnlücker.)